Franz Mehring 19070425 Moloch

Franz Mehring: Moloch

25. April 1907

[ungezeichnet, Leipziger Volkszeitung, Nr. 95, 25. April 1907.]

Ruhiger wohl als sonst, aber deswegen nicht weniger scharf war die Anklage, die gestern Genosse Bebel gegen den Militarismus erhob. Gegen den Militarismus, und nicht etwa, wie die Gegner so eifrig lügen, gegen den Soldatenstand. Gerade weil die deutsche Sozialdemokratie eine so treue und starke Beschützerin der deutschen Soldaten ist, gerade deshalb ist sie eine so rastlose und unerbittliche Feindin des Militarismus. Den deutschen Soldaten sollen ja jetzt nach dem Willen der Liebert und Genossen die Augen geöffnet werden über den „inneren Feind". Nun! Diesen inneren Feind hat der deutsche Soldat schon lange erkannt, und sein Herz ist mit bitterstem Hasse gegen ihn erfüllt: gegen das fluchbeladene System, das ihn zu einem willenlosen Werkzeug einer kleinen skrupellosen Schar macht, das ihn den infamsten Misshandlungen aussetzt und ihm jede wirksame Abwehr aus der Hand schlägt, das ihm, wie einst Lothar Bucher von der preußischen Bürokratie sagte, alle geistigen und moralischen Rippen im Leibe bricht und aus ihm eine widerstandsunfähige Gliederpuppe macht, deren eingebläuter Kadavergehorsam die beste Garantie für die Niederhaltung der arbeitenden Klassen bilden soll.

Die bürgerlichen Parteien, die so gern sich über die mangelnde „positive Mitarbeit" der Sozialdemokratie beschweren, kochten vor Grimm, als sie den sozialdemokratischen Antrag vor sich sahen, die Löhne für Unteroffiziere und Mannschaften um den Gesamtbetrag von 27 Millionen Mark zu erhöhen. Die Konservativen, denen, umgekehrt wie den Sozialdemokraten, am Lose der deutschen Soldaten gar nichts, an der Erhaltung des versklavenden Militarismus alles liegt, lehnten den Antrag glatt ab. Vielleicht fürchten sie, bei mehr als 22 Pfennigen täglich würde der deutsche Soldat ein so üppiges Leben führen, dass kein einziger der ostelbischen Ackerknechte die Sandschollen des junkerlichen Ritterguts wieder aufsuchen werde, sobald er einmal von diesem Leckerleben in der Kaserne gekostet. Mit dieser Politik blieben sich die Konservativen nur treu. Sie und die Regierung ließen sich jede einzelne Verbesserung in der Lage der Mannschaften mühselig und mit größtem Widerstreben entreißen, und besonders die Sozialdemokratie war es, die sich der armen Opfer des Militarismus, eben der deutschen Soldaten, ganz besonders annahm. Im Jahre 1871, als die siegreichen Heere nach Hause zurückkehrten, dachte kein Mensch an eine Schadloshaltung der Reservisten und Landwehrmänner, während man den paar Heerführern allein zwölf Millionen in die Taschen steckte. Erst auf die Initiative des Reichstags hin bequemte sich die Regierung dazu, einen Gesetzentwurf einzubringen, der für die wirklichen Opfer des Krieges, eben für Reservisten und Landwehrmänner, ebenfalls 12 Millionen aussetzte. Wie jämmerlich war die Haltung der Reichsregierung den nicht anerkannten Kriegsinvaliden gegenüber. Erst 25 Jahre nach dem Feldzuge, erst im Jahre 1895, legte die Regierung ein Gesetz vor, das diesen armseligen Opfern des Krieges die Bettelsumme von 120 Mk. hinwarf. Der sozialdemokratische Antrag, 360 Mk. zu gewähren, war der Regierung zu soldatenfreundlich, der Reichstag lehnte ihn ab. Um die Familien der zu Friedensübungen eingezogenen Mannschaften zu unterstützen, brachten die Sozialdemokraten 1885 einen Antrag ein, der die Regierung um Vorlage eines entsprechenden Gesetzes ersuchte. Die Regierung aber, die angeblich so soldatenfreundliche, weigerte sich dessen und kam erst 1891 dem sozialdemokratischen Wunsche nach, aber auch da in einer so vollständig ungenügenden Form, dass die Kommission die Regierungsvorlage unter den Tisch warf und einen neuen Entwurf ausarbeitete. Dieselbe Regierung, die leichtherzig Hunderte von Millionen für Militärzwecke ausgibt, hielt die zwei Millionen, die für die Opfer des Militarismus gefordert wurden, für „eine zu große Belastung der Steuerzahler"! Wen rührte nicht diese zarte Rücksicht Molochs! Und wie unsagbar schofel sich „das dankbare Vaterland" seinen anerkannten Kriegsinvaliden gegenüber benimmt, das ist so bekannt, dass jedes Wort darüber überflüssig wäre. Hier war es vor allem wieder die Sozialdemokratie, die drängend hinter der Regierung stand und die Harthörigen immer darauf hinwies, dass es sich hier um eine Ehrenschuld handle. Die Sozialdemokratie war es auch, die für das warme Abendbrot der Soldaten eintrat. So hat die politische Vertretung der deutschen Arbeiterklasse alles getan, um die deutschen Arbeiter im Waffenrock, eben die deutschen Soldaten, nach Möglichkeit vor den Folgen eines Systems zu schützen, das zu stürzen sie bei all ihrer Stärke noch nicht stark genug ist. Und aus eben diesem Geiste des Arbeiterschutzes heraus ist auch der neue Antrag der Sozialdemokratie geboren, die Löhne für Unteroffiziere und Mannschaften zu erhöhen.

Die Gegner freilich werden ihren stumpfen Witz an dieser Haltung der Sozialdemokratie dem Heere gegenüber um so rastloser üben, je peinlicher sie ihnen ist. Sie werden immer wieder ihr Glück versuchen mit dem Hinweis, dass ja hinterdrein die Sozialdemokratie doch den ganzen Etat ablehne. Freilich! Solange die Summen des deutschen Etats fast ausschließlich aus dem Golde bestehen, das durch die Daumschrauben der indirekten Steuern den besitzlosen Massen abgepresst wird, solange kann an eine Bewilligung dieser Summen durch die Sozialdemokratie nicht gedacht werden. Werden sie aber erst einmal aus den Taschen der besitzenden Klassen herausgeholt, so hat sicherlich die deutsche Arbeiterklasse schon so viel politischen Einfluss errungen, dass sie auch dem deutschen Militarismus die giftigsten Giftzähne ausgebrochen hat.

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