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Franz Mehring 18930000 Über den historischen Materialismus

Franz Mehring: Über den historischen Materialismus

1893

[Franz Mehring: Die Lessing-Legende, Stuttgart 1893, S. 429-500 (Anhang). Nach Gesammelte Schriften, Band 13, S. 289-343]

Die bürgerliche Welt steht heute dem historischen Materialismus ungefähr so gegenüber wie vor einem Menschenalter dem Darwinismus und vor einem halben Menschenalter dem Sozialismus. Sie schmäht ihn, ohne ihn zu verstehen. Sie hat allmählich und mühsam genug kapiert, dass der Darwinismus doch etwas anderes als eine „Affentheorie" ist und dass der Sozialismus doch etwas anderes will, als „teilen" und an die „Früchte einer tausendjährigen Kultur die raubende Hand legen". Aber der historische Materialismus ist ihr gerade noch immer gut genug dazu, mit ebenso törichten wie wohlfeilen Redensarten überschüttet zu werden, mit Redensarten etwa von dem Schlage, dass er ein von ein paar „begabten Demagogen" erfundenes „Hirngespinst" sei.

Tatsächlich – und natürlich – unterliegt die materialistische Geschichtsuntersuchung demselben Bewegungsgesetze der Geschichte, das sie an ihrem Teile aufstellt. Sie ist ein Erzeugnis der historischen Entwicklung; sie hätte in keiner früheren Zeit auch von dem genialsten Kopfe ausspintisiert werden können. Erst auf einem gewissen Höhepunkte konnte die Geschichte der Menschheit ihr Geheimnis entschleiern. „Während […] in allen früheren Perioden die Erforschung der treibenden Ursachen der Geschichte fast unmöglich war – wegen der verwickelten und verdeckten Zusammenhänge mit ihren Wirkungen –, hat unsre gegenwärtige Periode diese Zusammenhänge so weit vereinfacht, dass das Rätsel gelöst werden konnte. Seit der Durchführung der großen Industrie, also mindestens seit dem europäischen Frieden von 1815, war es keinem Menschen in England ein Geheimnis mehr, dass dort der ganze politische Kampf sich drehte um die Herrschaftsansprüche zweier Klassen, der grundbesitzenden Aristokratie (landed aristocracy) und der Bourgeoisie (middle dass). In Frankreich kam mit der Rückkehr der Bourbonen dieselbe Tatsache zum Bewusstsein: die Geschichtsschreiber der Restaurationszeit von Thierry bis Guizot, Mignet und Thiers sprechen sie überall aus als den Schlüssel zum Verständnis der französischen Geschichte seit dem Mittelalter. Und seit 1830 wurde als dritter Kämpfer um die Herrschaft in beiden Ländern die Arbeiterklasse, das Proletariat, anerkannt. Die Verhältnisse hatten sich so vereinfacht, dass man die Augen absichtlich verschließen musste, um nicht im Kampf dieser drei großen Klassen und im Widerstreit ihrer Interessen die treibende Kraft der modernen Geschichte zu sehn – wenigstens in den beiden fortgeschrittensten Ländern."1 So Engels über jenen Höhepunkt der historischen Entwicklung, der in ihm und Marx das erste Verständnis der materialistischen Geschichtsauffassung erweckte. Wie sich dies Verständnis weiterentwickelte, mag bei Engels selbst nachgelesen werden.I Das Lebenswerk von Marx und Engels beruht durchaus auf dem historischen Materialismus; auf dieser Grundlage bauen sich alle ihre Schriften auf. Es ist einfach eine Finte der bürgerlichen Pseudo-Wissenschaft, so zu tun, als ob beide Männer nur hier und da einen kleinen Abstecher in die Geschichtswissenschaft gemacht hätten, um eine von ihnen aus den Fingern gesogene Geschichtstheorie zu stützen. Das „Kapital" ist, wie schon Kautsky hervorgehoben hat, in erster Reihe ein historisches Werk, und namentlich auch in historischer Beziehung gleicht es einem Bergwerke voll großenteils noch ungehobener Schätze. Und ebenso darf man sagen, dass die Schriften von Engels ungleich reicher an Inhalt als an Umfang sind, dass sie unendlich viel mehr historischen Stoffes enthalten, als die akademische Schulweisheit sich träumen lässt, die etwa ein paar unverstandene oder absichtlich missverstandene Sätze von der Oberfläche schöpft und sich dann wunder was dünkt, wenn sie einen „Widerspruch" oder so etwas darin entdeckt. Es wäre eine sehr lohnende Aufgabe, die Fülle historischer Gesichtspunkte, die in den Schriften von Marx und Engels zerstreut sind, systematisch zusammenzustellen, und sicherlich wird diese Aufgabe einmal gelöst werden. Aber an dieser Stelle müssen wir uns mit einem allgemeinen Hinweise genügen lassen, denn hier kommt es nur darauf an, die wesentlichsten Grundzüge des historischen Materialismus zu entwickeln, und dies auch mehr negativ als positiv, nämlich durch die Widerlegung der landläufigsten Einwände, die gegen ihn erhoben worden sind.II

Ebenso kurz wie überzeugend hat Karl Marx die Summe des historischen Materialismus in der Vorrede seiner 1859 erschienenen Schrift „Zur Kritik der politischen Ökonomie" gezogen. Er sagt dort:

Das allgemeine Resultat, das sich mir ergab und, einmal gewonnnen, meinen Studien zum Leitfaden diente, kann kurz so formuliert werden: In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt. Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muss man stets unterscheiden zwischen der materiellen naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewusst werden und ihn ausfechten. Sowenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt, ebenso wenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem Bewusstsein beurteilen, sondern muss vielmehr dies Bewusstsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erklären. Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, dass die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozess ihres Werdens begriffen sind. In großen Umrissen können asiatische, antike, feudale und modern bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation bezeichnet werden. Die bürgerlichen Produktionsverhältnisse sind die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, antagonistisch nicht im Sinne von individuellem Antagonismus, sondern eines aus den gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Individuen hervorwachsenden Antagonismus, aber die im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft sich entwickelnden Produktivkräfte schaffen zugleich die materiellen Bedingungen zur Lösung dieses Antagonismus. Mit dieser Gesellschaftsformation schließt daher die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab."2

In diesen wenigen Worten ist das Bewegungsgesetz der menschheitlichen Geschichte in einer durchsichtigen Tiefe, mit einer erschöpfenden Klarheit dargelegt, die in aller Literatur ihresgleichen suchen. Und man muss wirklich Dozent der Philosophie in der guten Seestadt Leipzig sein, um mit Herrn Paul Barth darin „unbestimmte Worte und Bilder", sehr unbestimmte, mit Bildern zusammengeflickte Formulierungen der sozialen Statik und Dynamik zu finden. Insoweit aber die Menschen die Träger dieser geschichtlichen Entwicklung sind, hatten Marx und Engels sie schon elf Jahre früher, in dem „Kommunistischen Manifest" von 1848, also geschildert:

Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.

Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedes Mal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen.

In den früheren Epochen der Geschichte finden wir fast überall eine vollständige Gliederung der Gesellschaft in verschiedene Stände, eine mannigfaltige Abstufung der gesellschaftlichen Stellungen. Im alten Rom haben wir Patrizier, Ritter, Plebejer, Sklaven; im Mittelalter Feudalherren, Vasallen, Zunftbürger, Gesellen, Leibeigene, und noch dazu in fast jeder dieser Klassen wieder besondere Abstufungen.

Die aus dem Untergange der feudalen Gesellschaft hervorgegangene moderne bürgerliche Gesellschaft hat die Klassengegensätze nicht aufgehoben. Sie hat nur neue Klassen, neue Bedingungen der Unterdrückung, neue Gestaltungen des Kampfes an die Stelle der alten gesetzt.

Unsere Epoche, die Epoche der Bourgeoisie, zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat"3.

Es folgt dann die berühmte Schilderung, wie die Bourgeoisie einer-, das Proletariat andererseits sich nach ihren historischen Existenzbedingungen entwickeln müssen, eine Schilderung, die inzwischen die Probe fast eines halben Jahrhunderts voll der beispiellosesten Umwälzungen glänzend bestanden hat; es folgt der Nachweis, weshalb und wie das Proletariat über die Bourgeoisie siegen wird. Mit der Aufhebung der alten Produktionsbedingungen hebt das Proletariat die Klassengegensätze, die Klassen überhaupt und damit seine eigene Herrschaft als Klasse auf. „An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist."4

Und es mögen dann noch aus den Worten, die Engels am offenen Grabe seines Freundes sprach, die folgenden hergesetzt werden:

Wie Darwin das Gesetz der Entwicklung der organischen Natur, so entdeckte Marx das Entwicklungsgesetz der menschlichen Geschichte: die bisher unter ideologischen Überwucherungen verdeckte einfache Tatsache, dass die Menschen vor allen Dingen zuerst essen, trinken, wohnen und sich kleiden müssen, ehe sie Politik, Wissenschaft, Kunst, Religion usw. treiben können; dass also die Produktion der unmittelbaren materiellen Lebensmittel und damit die jedesmalige ökonomische Entwicklungsstufe eines Volkes oder eines Zeitabschnitts die Grundlage bildet, aus der sich die Staatseinrichtungen, die Rechtsanschauungen, die Kunst und selbst die religiösen Vorstellungen der betreffenden Menschen entwickelt haben und aus der sie daher auch erklärt werden müssen – nicht, wie bisher geschehen, umgekehrt."III5

Eine einfache Tatsache allerdings – in dem Sinne Ludwig Feuerbachs, der da sagte: „Es ist ein spezifisches Kennzeichen eines Philosophen, kein Professor der Philosophie zu sein. Die einfachsten Wahrheiten sind es gerade, auf die der Mensch immer am spätesten kommt." Feuerbach war das Mittelglied zwischen Hegel und Marx, aber er wurde durch das Elend der deutschen Zustände auf halbem Wege aufgehalten; er betrachtet das „Kommen auf Wahrheiten" noch als einen rein ideologischen Prozess. Indessen nicht so sind Marx und Engels auf den historischen Materialismus „gekommen", und ihnen in Glimpf nachzureden, dass sie ihn aus ihrem Geist gesponnen hätten, hieße ihnen dasselbe Unrecht tun, wie diese Behauptung im Schimpf aufzustellen. Denn es hieße die materialistische Geschichtsauffassung in wohlwollendster Absicht allerdings für ein leeres Hirngespinst erklären. Vielmehr besteht der wirkliche Ruhm von Marx und Engels darin, mit dem historischen Materialismus selbst den schlagendsten Beweis seiner Richtigkeit gegeben zu haben. Sie kannten nicht bloß, wie Feuerbach, die deutsche Philosophie, sondern auch die Französische Revolution und die englische Industrie. Sie lösten das Rätsel der menschlichen Geschichte, als diese Aufgabe der Menschheit kaum gestellt, als die „materiellen Bedingungen ihrer Lösung" noch gar sehr „im Prozess ihres Werdens" begriffen waren. Und sie bewährten sich als Denker ersten Ranges, indem sie vor nahezu fünfzig Jahren schon aus verhältnismäßig schwachen Spuren erkannten, was die bürgerliche Wissenschaft aller Völker aus einer unermesslichen Fülle der zwingendsten Beweise heute noch nicht einmal zu begreifen, sondern höchstens erst hier und da zu ahnen vermag.


Wie wenig damit erreicht ist, für Tendenzzwecke irgendeinen theoretischen Satz auszuhecken, der außerordentlich einleuchtend klingt, ja gedanklich und sprachlich nahezu mit der wissenschaftlichen Erkenntnis übereinstimmt, die aus eindringendem Studium der historischen Entwicklung gewonnen ist, dafür sei noch ein sehr merkwürdiges Beispiel angeführt. Wir verdanken der Güte des Herrn Professors Lujo Brentano den Hinweis darauf, wie nahe schon die historische Schule der Romantik an die materialistische Geschichtsauffassung gestreift hat, namentlich den Hinweis auf eine Stelle von Lavergne-Peguilhen, die folgendermaßen lautet: „Vielleicht ist die Gesellschaftswissenschaft als solche bisher so wenig fortgeschritten, weil die Wirtschaftsformen nicht genügend unterschieden werden, weil man verkannt hat, dass sie die Grundlagen der gesamten Gesellschafts- und Staatsorganisation bilden. Man hat nicht beachtet, dass die Produktion, die Produktenverteilung, die Kultur und Kulturverbreitung, die Staatsgesetzgebung und die Staatsform ihren Gehalt und ihre Entwicklung ganz allein aus den Wirtschaftsformen herzuleiten haben; dass jene hochwichtigen Gesellschaftsmomente ebenso unvermeidlich aus den Wirtschaftsformen und deren angemessener Handhabung hervorgehen wie das Produkt aus dem begattenden Zusammenwirken der Zeugungskräfte und dass, wo Gesellschaftskrankheiten sich kundgeben, diese in der Regel ihren Ursprung in dem Widerspruche zwischen Gesellschafts- und Staatsformen finden."IV Das ist im Jahre 1838 geschrieben worden von einem namhaften Vertreter der historisch-romantischen Schule, derselben Schule, die Marx in den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern" einer so vernichtenden Kritik unterzieht. Und doch – sieht man davon ab, dass Marx die Produktion und die Produktenverteilung nicht aus den Wirtschaftsformen, sondern umgekehrt die Wirtschaftsformen aus der Produktion und Produktenverteilung ableitet, so scheint er auf den ersten Blick mit der materialistischen Geschichtstheorie Lavergne-Peguilhen ausgeschrieben zu haben.

Indessen auf die „angemessene Handhabung" kommt es an. Die historisch-romantische Schule war ein Rückschlag gegen die bürgerlich-klassische Nationalökonomie, welche die Produktionsweise der bürgerlichen Klassen für die allein naturgemäße und die Wirtschaftsformen dieser Klassen für ewige Naturgesetze erklärte. Gegen diese Übertreibungen wandte sich die historische Romantik im Interesse des Junkertums mit der patriarchalischen Verklärung der wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisse von Grundherren und Hörigen; dem Verlangen der liberalen Schule nach politischer Freiheit stellte sie den Satz entgegen, dass die wahre Verfassung eines Volkes nicht ein paar Blätter Gesetz und Verfassung, sondern die ökonomischen Machtverhältnisse, also im gegebenen Falle die aus der feudalen Zeit überkommenen Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse seien. Der theoretische Kampf zwischen bürgerlicher Nationalökonomie und historischer Romantik war die ideologische Widerspiegelung des Klassenkampfs zwischen Bourgeoisie und Junkertum. Jede der beiden Richtungen erklärte die ihrer Klasse genehmen Produktionsweisen und Wirtschaftsformen für die ewigen, naturgemäßen, unabänderlichen Gesetze; dass die liberalen Vulgärökonomen dabei mehr mit abstrakten Illusionen, die historischen Romantiker mehr mit brutalen Tatsachen rechneten, dass jene mehr einen idealistischen, diese mehr einen materialistischen Anstrich hatten, ergab sich einfach aus der Verschiedenheit zwischen den historischen Entwicklungsstufen der beiden kämpfenden Klassen. Die Bourgeoisie wollte erst die herrschende Klasse werden und malte deshalb ihr kommendes Reich als die Stätte der allgemeinen Glückseligkeit aus; die Junker waren die herrschende Klasse und mussten sich an einer romantischen Verklärung der wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisse genügen lassen, worauf ihre Macht beruhte.

Auf eine solche Verklärung allein läuft auch jener Satz von Lavergne-Peguilhen hinaus. Er will damit einfach sagen: die feudalen Wirtschaftsformen sollen die Grundlagen der gesamten Gesellschafts- und Staatsorganisation sein; aus ihnen hat sich die Staatsform und die Staatsgesetzgebung herzuleiten; weicht sie von ihnen ab, so wird die Gesellschaft krank. Lavergne-Peguilhen macht in den weiteren Ausführungen, die er seinem Satze folgen lässt, auch gar kein Hehl aus seiner Absicht. Er unterscheidet drei historisch aufeinanderfolgende und nunmehr untereinander „gemischte" Wirtschaftsformen: Zwangswirtschaft, Anteilswirtschaft, Geldwirtschaft, denen die Staatsformen: Despotie, Aristokratie, Monarchie und die moralischen Gefühle: Furcht, Liebe, Eigennutz entsprechen. Die Anteilswirtschaft, die Aristokratie oder, um das Kind beim richtigen Namen zu nennen, der Feudalismus ist die – Liebe. „Der Material-Austausch gegenseitiger Dienstleistungen", so schreibt Lavergne-Peguilhen wörtlich, „ist überall die Quelle der Liebe und Anhänglichkeit." Da nun aber die Geschichte einmal auf den verkehrten Einfall geraten ist, diese Quelle zu trüben und die Wirtschaftsformen zu „mischen", so will Lavergne-Peguilhen demgemäß auch die Staatsformen „mischen", natürlich in „angemessener Handhabung". Die Aristokratie soll in der „Gemeindeverfassung" herrschen, „in der Macht, welche die reicheren und gebildeteren Gemeindeglieder sowohl als Gemeindegesetzgeber wie als Gemeindeverwalter über den großen Haufen der schutzverwandten Gemeindegenossen auszuüben haben"; daneben soll ein Stück Despotie bestehen bleiben, die „auch in ihrer ausschweifendsten Form die Gesellschaftskräfte kaum so zu zerstören vermag wie Gesetzestyrannei", und ebenso ein Stück Monarchie, aber ohne „Eigennutz", vielmehr „von ihrem erhabenen Standpunkte aus alle Interessen mit gleicher Liebe umfassend". Man sieht darnach leicht, worauf Lavergne-Peguilhen hinaus will: Wiederherstellung der feudalen Herrlichkeit „und der König absolut, wenn er ihren Willen tut". Sein Werk ist in dem Urteile des „Kommunistischen Manifestes" über den feudalen Sozialismus schon mitrezensiert: „… mitunter die Bourgeoisie ins Herz treffend durch bittres, geistreich zerreißendes Urteil, stets komisch wirkend durch gänzliche Unfähigkeit, den Gang der modernen Geschichte zu begreifen."6 Nur dass der zweite Teil dieses Urteils auf die deutschen Romantiker noch weit mehr zutrifft als der erste. Ihre schon erfolgte Niederwerfung durch die Bourgeoisie hatte den Witz der feudalen Sozialisten in Frankreich und England beträchtlich verschärft und ihnen auch eine blasse Ahnung davon beigebracht, dass die „alten Redensarten der Restaurationszeit unmöglich geworden waren", während der deutsche und namentlich auch der preußische Feudalismus noch munter das Heft in der Hand hatte und gegenüber dem keineswegs durchgreifenden Einbrüche der Stein-Hardenbergschen Gesetzgebung in sein Gehege mit täppischer Plumpheit den durch einige moralische Gemeinplätze verkleideten, aber sonst unverstümmelten Feudalismus des Mittelalters auf sein Banner schreiben konnte.

Gerade ihre Unfähigkeit, irgendeine andere Wirtschaftsform als die feudale auch nur oberflächlich zu verstehen, kennzeichnet die romantisch-historische Schule, aber weil sie in ihrer beschränkten Klassenselbstsucht alle Himmel und Erden, alle rechtlichen, staatlichen, religiösen etc. Verhältnisse mit dieser einen Wirtschaftsform durchdringen wollte, kam sie gelegentlich zu Sätzen, die von weitem so ungefähr an den historischen Materialismus anklingen, wenn sie ihm tatsächlich auch so ferne stehen wie die Klassenselbstsucht der wissenschaftlichen Erkenntnis. Ähnlich wie Lavergne-Peguilhen zu Marx und Engels, standen zwanzig Jahre später Gerlach und Stahl zu Lassalle, Gerlach hat in der preußischen Landratskammer der liberalen Opposition die spätere Verfassungstheorie Lassalles in seiner besondern Weise oft genug vorgehalten, und doch hat Lassalle in seinem „System der erworbenen Rechte" diesen letzten Ausläufern der historischen Romantik den wissenschaftlichen Todesstoß gegeben. Mit dem historischen Materialismus hat diese Schule also nichts zu tun oder im äußersten Falle höchstens insofern etwas, als ihre ungeschminkte Klassenideologie eines der Fermente gewesen sein könnte, durch die Marx und Engels zur materialistischen Geschichtsauffassung gelangt sind.

Allein auch dem ist nicht so. Jener Satz aus Lavergne-Peguilhen schien uns auffallend genug, um ihn, noch ehe wir das ganze, heute mit Recht vergessene Werk einzusehen vermocht hatten, an Engels mit der Anfrage zu senden, ob er und Marx die Autoren der romantisch-historischen Schule, Marwitz, Adam Müller, Haller, Lavergne-Peguilhen usw., gekannt hätten und von ihnen beeinflusst worden seien. Engels hatte die große Freundlichkeit, uns am 28. September v. J. zu antworten:

Marwitz' ‚Nachlass' habe ich selbst und das Buch noch vor einigen Jahren durchgelesen, aber nichts darin entdeckt als vortreffliche Sachen über Kavallerie und einen felsenfesten Glauben an die Wunderkraft von fünf Peitschenhieben, wenn angewandt vom Adel auf den Plebs. Sonst ist mir diese Literatur seit 1841/42 absolut fremd geblieben – ich beschäftigte mich nur sehr oberflächlich mit ihr – und verdanke ich ihr sicher absolut nichts in der fraglichen Richtung. Marx hatte während seiner Bonner und Berliner Zeit den Adam Müller und Herrn von Hallers ,Restauration' etc. kennengelernt, er sprach nur mit ziemlicher Verachtung von diesem faden, phrasenhaft aufgebauschten Abklatsch der französischen Romantiker Joseph de Maistre und Kardinal Bonald. Sollte er aber auch auf Stellen gestoßen sein wie die zitierte von Lavergne-Peguilhen, so konnten diese damals absolut keinen Eindruck auf ihn machen, wenn er überhaupt verstand, was die Leute sagen wollten. M[arx] war damals Hegelianer, für den jene Stelle absolute Ketzerei war; von Ökonomie wusste er absolut nichts, konnte sich also bei einem Wort wie ‚Wirtschaftsform' gar nicht einmal etwas denken, und so hätte die fragliche Stelle, selbst wenn er sie gekannt, zu einem Ohr hinein- und zum andren wieder hinausgehen müssen, ohne eine merkliche Spur in seinem Gedächtnis zu hinterlassen. Aber ich glaube kaum, dass in den zwischen 1837 und 1842 von M[arx] gelesenen historisch-romantischen Schriften dergleichen Anklänge zu finden gewesen.

Die Stelle ist allerdings höchst merkwürdig, doch möchte ich das Zitat verifiziert sehn. Ich kenne das Buch nicht, der Verfasser ist mir allerdings als Anhänger der ‚historischen Schule' bekannt […] Das sonderbarste […] ist, dass sich die richtige Geschichtsauffassung in abstracto bei denselben Leuten finden soll, die die Geschichte in concreto am meisten misshandelt haben – theoretisch wie praktisch. Die Leute mögen am Feudalismus gesehen haben, wie hier die Staatsform sich aus der Wirtschaftsform entwickelt, weil die Sache hier sozusagen klar und unverhüllt auf der Hand liegt. Ich sage, sie mögen, denn abgesehen von obiger unverifizierten Stelle […] habe ich nie mehr davon entdecken können, als dass selbstredend die Theoretiker des Feudalismus weniger abstrakt sind als die bürgerlichen Liberalen. Wenn nun einer von ihnen diese Auffassung des Zusammenhangs von Kulturausbreitung und Staatsform mit der Wirtschaftsform innerhalb der feudalen Gesellschaft weiter dahin verallgemeinert, dass dies für alle Wirtschaftsformen und Staatsformen gilt, wie dann erklären die totale Blindheit desselben Romantikers, sobald es sich um andre Wirtschaftsformen, um die bürgerliche Wirtschaftsform und die ihren verschiedenen Entwicklungsstufen entsprechenden Staatsformen – mittelalterliche Zunftkommune, absolute Monarchie, konstitutionelle Monarchie, Republik –, handelt? Das ist doch schwer zusammenzureimen. Und derselbe Mann, der in der Wirtschaftsform die Grundlage der gesamten Gesellschafts- und Staatsorganisation sieht, gehört einer Schule an, für die bereits die absolute Monarchie des 17. und 18. Jahrhunderts einen Sündenfall, einen Verrat an der wahren Staatsdoktrin bedeutet!

Allerdings aber heißt es auch, die Staatsform gehe ebenso unvermeidlich aus der Wirtschaftsform und deren angemessener Handhabung hervor wie das Kind aus der Begattung von Mann und Weib. In Anbetracht der weltbekannten Schuldoktrin des Verfassers kann ich dies nur dahin erklären: Die wahre Wirtschaftsform ist die feudale. Da die Bosheit der Menschen sich aber gegen diese verschwört, ist sie derart ,angemessen zu handhaben', dass sie in ihrem Bestand gegen diese Angriffe geschützt und verewigt wird und dass die ,Staatsform' u. a. ihr fortwährend entspricht, also möglichst aufs 13. und 14. Jahrhundert zurückgeschraubt wird. Dann wäre die beste der Welten und die schönste der Geschichtstheorien gleichmäßig realisiert, und die L[avergne]-P[eguilhen]sche Generalisation wieder auf ihren wahren Gehalt, dass feudale Gesellschaft eine feudale Staatsordnung erzeugt, reduziert."7

So Engels. Und als wir nunmehr seinem Wunsche gemäß jenes Zitat verifizierten und in dem ausgegrabenen Buche von Lavergne-Peguilhen den oben näher dargelegten Zusammenhang fanden, konnten wir ihm nur mit aufrichtigem Danke für seine lehrreiche Auseinandersetzung antworten, dass er aus dem einen Knochen das ganze feudale Mastodon richtig konstruiert habe.


Unter den landläufigen Einwänden gegen den historischen Materialismus seien zunächst zwei abgefertigt, die sich an seinen Namen knüpfen. Idealismus und Materialismus sind die entgegengesetzten Antworten auf die große philosophische Grundfrage nach dem Verhältnis von Denken und Sein, nach der Frage, ob Geist oder Natur das Ursprüngliche sei. An und für sich haben sie nicht das Geringste zu tun mit sittlichen Idealen. Solche Ideale kann der philosophische Materialist im höchsten und reinsten Grade hegen, während der philosophische Idealist sie nicht im entferntesten zu besitzen braucht. Aber durch langjährige Pfaffenverlästerung ist dem Worte Materialismus ein unsittlich schielender Nebenbegriff angehängt worden, der sich vielfach auch in die Werke der bürgerlichen Wissenschaft einzuschleichen gewusst hat.

Der Philister versteht unter Materialismus Fressen, Saufen, Augenlust, Fleischeslust und hoffärtiges Wesen, Geldgier, Geiz, Habsucht, Profitmachern und Börsenschwindel, kurz, alle die schmierigen Laster, denen er selbst im Stillen frönt; und unter Idealismus den Glauben an Tugend, allgemeine Menschenliebe und überhaupt eine ,bessere Welt', womit er vor andern renommiert, woran er selbst aber höchstens glaubt, solange er den auf seine gewohnheitsmäßigen ,materialistischen' Exzesse notwendig folgenden Katzenjammer oder Bankerott durchzumachen pflegt und dazu sein Lieblingslied singt: Was ist der Mensch – halb Tier, halb Engel." (Engels.)8 Will man einmal die Worte in diesem übertragenen Sinne gebrauchen, so muss man sagen, dass heutzutage das Bekenntnis zum historischen Materialismus einen hohen sittlichen Idealismus erfordert, denn es zieht unfehlbar Armut, Verfolgung und Verleumdung nach sich, während der historische Idealismus die Sache jedes Karriereschnaufers ist, denn er bietet die reichste Anwartschaft auf alle irdischen Glücksgüter, auf fette Sinekuren, auf alle möglichen Orden, Titel und Würden. Wir behaupten damit keineswegs, dass alle idealistischen Historiker von unlautern Beweggründen geleitet werden, aber wohl dürfen wir jeden unsittlichen Makel, der dem historischen Materialismus angehängt werden soll, als eine alberne und unverschämte Verdächtigung zurückweisen.

Etwas verständlicher, obschon gleichfalls ein grober Irrtum, ist die Verwechselung des historischen mit dem naturwissenschaftlichen Materialismus. Dieser übersieht, dass die Menschen nicht nur in der Natur, sondern auch in der Gesellschaft leben, dass es nicht nur eine Natur-, sondern auch eine Gesellschaftswissenschaft gibt. Der historische Materialismus schließt zwar den naturwissenschaftlichen ein, nicht aber der naturwissenschaftliche den historischen. Der naturwissenschaftliche Materialismus sieht in dem Menschen ein mit Bewusstsein handelndes Geschöpf der Natur, aber er untersucht nicht, wodurch das Bewusstsein des Menschen innerhalb der menschlichen Gesellschaft bestimmt wird. So schlägt er, wenn er sich auf das historische Gebiet begibt, in sein schroffstes Gegenteil, in den extremsten Idealismus, um. Er glaubt an die geistige Zauberkraft der Großen Männer, welche die Geschichte machen; wir erinnern an Büchners Schwärmerei für Friedrich II. und an Haeckels mit dem lächerlichsten Sozialistenhass gepaarte Götzenanbetung vor Bismarck. Er kennt überhaupt nur ideelle Triebkräfte innerhalb der menschlichen Gesellschaft. Ein wahres Musterbild dieser Gattung ist Hellwalds Kulturgeschichte. Ihr Verfasser sieht nicht, dass die religiöse Reformation des sechzehnten Jahrhunderts das ideologische Spiegelbild einer ökonomischen Bewegung war, sondern: „Die Reformation hat auf die ökonomische Bewegung einen außerordentlichen Einfluss geübt." Er bemerkt nicht, dass die Bedürfnisse des süßen Handels zu den stehenden Heeren und Handelskriegen führten, sondern: „Die um sich greifende Friedensliebe war es, die auch die stehenden Heere und mittelbar neue Kriege schuf." Er versteht nicht die ökonomische Notwendigkeit der absoluten Monarchie im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert, sondern: „Es ist zu konstatieren, dass die Despotie eines Ludwigs XIV., das Günstlings- und Mätressenregiment der Höfe niemals möglich gewesen wäre, wenn die Völker ihr Veto dagegen eingelegt hätten, denn in letzter Instanz liegt doch bei ihnen alle Gewalt."V Und so ins Endlose. Fast auf jeder seiner achthundert Seiten leistet sich Hellwald ähnliche oder noch schlimmere Böcke. Gegenüber solcher „materialistischen" Geschichtsschreibung haben die idealistischen Historiker denn freilich leichtes Spiel. Aber sie sollen doch ja nicht den historischen Materialismus für die Hellwald und Genossen verantwortlich machen. Der naturwissenschaftliche Materialismus gelangt durch die scheinbar größte Konsequenz zur tatsächlich größten Inkonsequenz. Indem er den Menschen schlechthin als ein mit Bewusstsein handelndes Tier auffasst, macht er die Geschichte der Menschheit zu einem bunten und sinnlosen Spiel ideeller Antriebe und Zwecke; durch die falsche Voraussetzung des mit Bewusstsein handelnden Menschen als eines isolierten Geschöpfes der Natur gelangt er zu dem idealistischen Spuk einer Menschheitsgeschichte, die wie ein toller Schattentanz durch den materialistischen Zusammenhang des ewigen Naturganzen dahinrast. Der historische Materialismus dagegen geht von der naturwissenschaftlichen Tatsache aus, dass der Mensch kein Tier schlechthin, sondern ein soziales Tier ist, dass er nur in der Gemeinschaft sozialer Verbände (Horde, Gens, Klasse) sein Bewusstsein erlangt hat und nur in ihr als bewusstes Geschöpf leben kann, dass somit die materiellen Grundlagen dieser Verbände sein ideelles Bewusstsein bestimmen und ihre fortschreitende Entwicklung das aufsteigende Bewegungsgesetz der Menschheit darstellt.VI

Soviel über die Anzapfungen des historischen Materialismus, zu denen sein Name missbraucht wird. Sie erschöpfen schon einen großen Teil der gegen ihn gerichteten Vorwürfe, denn zu einer sachlichen Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung hat es – bis auf einen gleich zu erwähnenden Versuch – die bürgerliche Wissenschaft noch nicht gebracht. Mit wie läppischem Gerede die „hervorragendsten" Träger dieser Wissenschaft über das unbequeme Hindernis, das sich ihren zur Beruhigung des bürgerlichen Klassenbewusstseins betriebenen Schönfärbereien entgegenstellt, fortzustolpern suchen, davon kann sich männiglich aus der Rede überzeugen, durch die Herr Adolph Wagner, „erster Lehrer der Volkswirtschaft an der ersten deutschen Hochschule", die erleuchteten Männer des Evangelisch-sozialen Kongresses im Jahre 1892 noch besonders erleuchtet hat.VII Sind wir nun auch weit entfernt, alle Vertreter der bürgerlichen Wissenschaft mit diesem berufenen Sophisten und Sykophanten auf eine Stufe zu stellen, so haben wir doch trotz jahrelanger Beobachtung von ihrer Kritik des historischen Materialismus nichts anderes entdecken können als einige allgemeine Redewendungen, die nicht sowohl sachliche Einwürfe als sittliche Vorwürfe sind. Etwa des Inhalts, der historische Materialismus sei eine willkürliche Geschichtskonstruktion, die das ungemein vielgestaltige Leben der Menschheit in eine kahle Formel presse. Er leugne alle ideellen Mächte, er mache die Menschheit zum widerstandslosen Spielball einer mechanischen Entwicklung, er verwerfe alle sittlichen Maßstäbe.

Von alledem ist nun immer das gerade Gegenteil wahr. Der historische Materialismus macht jeder willkürlichen Geschichtskonstruktion den Garaus; er beseitigt jede kahle Formel, die das wechselnde Leben der Menschheit über einen Kamm scheren will. „… die materialistische Methode schlägt in ihr Gegenteil um, wenn sie nicht als Leitfaden beim historischen Studium behandelt wird, sondern als fertige Schablone, wonach man sich die historischen Tatsachen zurechtschneidet."VIII9 So Engels, und ähnlich protestiert Kautsky gegen jede „Verflachung" des historischen Materialismus in dem Sinne, als ob in der Gesellschaft jeweilig bloß zwei Lager, zwei Klassen sind, die einander bekämpfen, zwei feste homogene Massen, die revolutionäre und die reaktionäre Masse. „Wenn es sich tatsächlich so verhielte, so wäre die Geschichtsschreibung eine ziemlich leichte Sache. Aber in Wirklichkeit liegen die Verhältnisse nicht so einfach. Die Gesellschaft ist und wird immer mehr ein ungemein komplizierter Organismus mit den verschiedensten Klassen und den verschiedensten Interessen, die sich je nach der Gestaltung der Dinge zu den verschiedensten Parteien gruppieren können."IX Der historische Materialismus tritt an jeden Abschnitt der Geschichte ohne jede Voraussetzung heran; er untersucht ihn einfach von seinen Grundlagen aus bis zu seiner Spitze, von seiner ökonomischen Struktur aufsteigend zu seinen geistigen Vorstellungen.

Aber, so sagt man, das ist ja gerade die „willkürliche Geschichtskonstruktion". Woher wisst ihr denn, dass die Ökonomie die Grundlage der geschichtlichen Entwicklung ist, und nicht vielmehr die Philosophie? Nun, wir wissen es einfach daher, dass die Menschen erst essen, trinken, wohnen und sich kleiden müssen, ehe sie denken und dichten können, dass der Mensch nur durch die soziale Gemeinschaft mit andern Menschen zum Bewusstsein gelangt und dass demgemäß sein Bewusstsein durch sein gesellschaftliches Sein bestimmt wird und nicht umgekehrt sein gesellschaftliches Sein durch sein Bewusstsein. Gerade die Annahme, dass die Menschen erst durch das Denken zum Essen, Trinken und Wohnen, erst durch die Philosophie zur Ökonomie kommen, ist die handgreiflich „willkürlichste" Voraussetzung, und demgemäß führt gerade der historische Idealismus zu den verwunderlichsten „Geschichtskonstruktionen". Merkwürdiger- oder auch nicht merkwürdigerweise geben seine epigonenhaften Bekenner von heute das in gewissem Sinne zu, indem sie über die „Geschichtskonstruktionen" seines größten Vertreters, nämlich Hegels, nicht genug zu spotten wissen. Allein nicht die „Geschichtskonstruktionen" Hegels, worin sie ihn tausendfach überbieten, ärgern sie, sondern Hegels wissenschaftliche Auffassung der Geschichte als des menschlichen Entwicklungsprozesses, dessen allmählicher Stufengang durch alle Irrwege zu verfolgen und dessen innere Gesetzmäßigkeit durch alle scheinbaren Zufälligkeiten hindurch nachzuweisen sei. Diesen großen Gedanken, die reifste Frucht unserer klassischen Philosophie, die Wiedergeburt der altgriechischen Dialektik, übernahmen Marx und Engels von Hegel; „wir deutschen Sozialisten sind stolz darauf, dass wir abstammen nicht nur von Saint-Simon, Fourier und Owen, sondern auch von Kant, Fichte und Hegel."X10

Aber sie erkannten, dass Hegel trotz vieler genialer Blicke in den Entwicklungsgang der Geschichte doch nur zu „willkürlichen Geschichtskonstruktionen" gekommen war, weil er die Wirkung für die Ursache, die Dinge für Abbilder der Ideen, nicht aber, wie es tatsächlich ist, die Ideen für Abbilder der Dinge hielt. Für Hegel war diese Auffassung sehr natürlich, denn die bürgerlichen Klassen in Deutschland waren überhaupt zu keinem wirklichen Leben gekommen; sie hatten sich, um ihr selbständiges Dasein retten zu können, in die Ätherhöhen der Idee flüchten müssen, und hier schlugen sie ihre revolutionären Schlachten in Formen, die für die herrschende absolutistisch-feudale Reaktion unanstößig oder doch möglichst wenig anstößig waren. Hegels dialektische Methode, welche die ganze natürliche, geschichtliche und geistige Welt als einen Prozess, als in steter Bewegung und Entwicklung begriffen darstellt und den inneren Zusammenhang in dieser Bewegung und Entwicklung nachzuweisen versuchte, endete gleichwohl mit einem System, das die absolute Idee in der ständischen Monarchie, einen Idealismus in den blauen Husaren, einen notwendigen Stand in den Feudalherren, einen tiefen Sinn in der Erbsünde, eine Kategorie in dem Kronprinzen und so weiter zu entdecken wusste.

Aber sobald im Laufe der ökonomischen Entwicklung aus dem deutschen Bürgertum eine neue Klasse entstanden und in den Klassenkampf eingetreten war, nämlich das Proletariat, da war es natürlich, dass diese neue Klasse es wieder mit dem Kampfe auf ebener Erde versuchte, dass sie demgemäß ihr mütterliches Erbe nicht ohne Vorbehalt antrat, von der bürgerlichen Philosophie zwar den revolutionären Inhalt annahm, aber ihre reaktionäre Form zerbrach. Wir sahen schon, dass die geistigen Vorkämpfer des Proletariats die Dialektik Hegels vom Kopfe, auf dem sie stand, wieder auf die Füße stellten. „Für Hegel ist der Denkprozess, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle" (Marx).11 Aber damit war Hegel für die bürgerliche Welt auch geliefert, die über den reaktionären Formen seiner Dialektik ihren revolutionären Inhalt glücklich verschlafen hatte. „In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie das Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Gräuel, weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffasst, sich durch nichts imponieren lässt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist."XII12 Und ein Ärgernis und ein Gräuel ist Hegel in der Tat für die deutsche Bourgeoisie geworden, aber nicht wegen seiner Schwäche, sondern wegen seiner Stärke, nicht wegen seiner „willkürlichen Geschichtskonstruktionen", sondern wegen seiner dialektischen Methode. Denn nur dieser tanzt die bürgerliche Wissenschaft den Kehraus, nicht aber jenen.

Konsequenterweise müsste sie mit dem ganzen Hegel aufräumen, und der erste Philosoph des deutschen Spießbürgertums hat diese Konsequenz auch gezogen. Schopenhauer verwarf den ganzen „Scharlatan" Hegel; er verwarf vor allem auch Hegels Geschichtsphilosophie. Er sah in der Geschichte der Menschheit keinen aufsteigenden Entwicklungsprozess; er sah in ihr nur eine Geschichte der Individuen; der deutsche Spießbürger, dessen Prophet er war, ist der Mensch, wie er von Anbeginn gewesen ist und in alle Zukunft sein wird. Schopenhauers Philosophie gipfelte in der „Einsicht, dass zu allen Zeiten ganz dasselbe war, ist und sein wird". Er schreibt: „Die Geschichte zeigt auf jeder Seite nur dasselbe, nur unter verschiedenen Formen: die Kapitel der Völkergeschichte sind im Grunde nur durch die Namen und Jahreszahlen verschieden; der eigentlich wesentliche Inhalt ist überall derselbe … Der Stoff der Geschichte ist das Einzelne in seiner Einzelnheit und Zufälligkeit, was immer ist und dann auf immer nicht mehr ist, die vorübergehenden Verflechtungen einer wie Wolken im Winde beweglichen Menschenwelt, welche oft durch den geringfügigsten Zufall ganz umgestaltet werden." So nahe berührt sich Schopenhauers philosophischer Idealismus in der Auffassung der Geschichte mit dem naturwissenschaftlichen Materialismus. In der Tat sind beide die entgegen gesetzten Pole derselben Beschränktheit. Und wenn Schopenhauer den naturwissenschaftlichen Materialisten grimmig zurief: „Diesen Herren vom Tiegel muss beigebracht werden, dass bloße Chemie wohl zum Apotheker, aber nicht zum Philosophen befähigt", so hätte ihm beigebracht werden müssen, dass bloßes Philosophieren wohl zum Duckmäusern, aber nicht zum Geschichtsforschen befähigt. Allein konsequent war Schopenhauer in seiner Art, und wenn er einmal Hegels dialektische Methode verwarf, so musste er auch Hegels Geschichtskonstruktionen hinterdrein werfen.

Indessen je mehr sich das deutsche Spießbürgertum zur großindustriellen Bourgeoisie entwickelte, je mehr diese Bourgeoisie im Klassenkampf ihre eigenen Ideale abschwor und in den Schatten des feudalen Absolutismus zurücktauchte, um so mehr erwuchs ihr das Bedürfnis, die historische „Vernunft" dieses eigentümlichen Krebsganges nachzuweisen. Und da ihr Hegels Dialektik aus den von Marx angeführten Gründen ein Ärgernis und ein Gräuel sein musste, so blieben ihr nur Hegels Geschichtskonstruktionen. Ihre Geschichtsforscher entdeckten die absolute Idee im Deutschen Reiche, einen Idealismus im Militarismus, einen tiefen Sinn in der Ausbeutung des Proletariats durch die Bourgeoisie, einen notwendigen Stand im Geldprotzentum, eine Kategorie in der Hohenzollerndynastie und so weiter. Und in ihrer dumm-pfiffigen Geschäftsweise behauptet die Bourgeoisie, damit den bürgerlichen Idealismus zu wahren, während sie die wirklichen Retter dessen, was in diesem Idealismus bedeutend und groß war, der „willkürlichen Geschichtskonstruktion" zeiht. So klagen die Gracchen wieder einmal über Aufruhr und noch dazu was für Gracchen!


Werfen wir noch einen Blick auf die anderen Ein- oder Vorwürfe, die dem historischen Materialismus gemacht worden: dass er alle ideellen Mächte leugne, dass er die Menschheit zum widerstandslosen Spielball einer mechanischen Entwicklung mache, dass er alle sittlichen Maßstäbe verwerfe.

Der historische Materialismus ist kein geschlossenes, mit einer endgültigen Wahrheit gekröntes System; er ist die wissenschaftliche Methode zur Erforschung des menschheitlichen Entwicklungsprozesses. Er geht von der unanfechtbaren Tatsache aus, dass die Menschen nicht nur in der Natur, sondern auch in der Gesellschaft leben. Isolierte Menschen hat es nie gegeben; jeder Mensch, der durch Zufall aus der menschlichen Gesellschaft gerät, verkümmert schnell und geht unter. Damit erkennt der historische Materialismus aber schon alle ideellen Mächte im weitesten Umfang an. „Von allem, was [in der Natur] geschieht […], geschieht nichts als gewollter bewusster Zweck. Dagegen in der Geschichte der Gesellschaft sind die Handelnden lauter mit Bewusstsein begabte, mit Überlegung oder Leidenschaft handelnde, auf bestimmte Zwecke hinarbeitende Menschen; nichts geschieht ohne bewusste Absicht, ohne gewolltes Ziel… Der Wille wird bestimmt durch Leidenschaft oder Überlegung. Aber die Hebel, die wieder die Leidenschaft oder die Überlegung unmittelbar bestimmen, sind sehr verschiedener Art. Teils können es äußere Gegenstände sein, teils ideelle Beweggründe, Ehrgeiz, ,Begeisterung für Wahrheit und Recht', persönlicher Hass oder auch rein individuelle Schrullen aller Art" (Engels).13

Dies ist der wesentliche Unterscheidungspunkt zwischen der Entwicklungsgeschichte einerseits der Natur, andererseits der Gesellschaft. Aber scheinbar führen die zahllosen Zusammenstöße die Einzelhandlungen und Einzelwillen in der Geschichte nur zu demselben Ergebnis wie die bewusstlosen, blinden Agentien in der Natur: auf der Oberfläche der Geschichte herrscht anscheinend ebenso der Zufall wie auf der Oberfläche der Natur. „Nur selten geschieht das Gewollte, in den meisten Fällen durchkreuzen und widerstreiten sich die vielen gewollten Zwecke oder sind diese Zwecke selbst von vornherein undurchführbar oder die Mittel unzureichend."14 Allein wenn sich im Wechselspiele aller der blinden Zufälle, welche die bewusstlose Natur zu beherrschen scheinen, dennoch ein allgemeines Bewegungsgesetz durchsetzt, so fragt es sich erst recht, ob das Denken und Wollen der mit Bewusstsein handelnden Menschheit nicht auch von einem solchen Gesetze beherrscht wird.

Und dies Gesetz findet sich, wenn man darnach forscht, wodurch die ideellen Triebe der Menschen in Bewegung gesetzt werden. Der Mensch kann nur in sozialer Gemeinschaft zum Bewusstsein gelangen, mit Bewusstsein denken und handeln; der soziale Verband, dessen Glied er ist, erweckt und lenkt seine geistigen Kräfte. Die Grundlage jeder sozialen Gemeinschaft aber ist die Produktionsweise des materiellen Lebens, und somit bestimmt sie in letzter Instanz den geistigen Lebensprozess in seinen mannigfachen Ausstrahlungen. Der historische Materialismus leugnet die ideellen Mächte so wenig, dass er sie vielmehr nur bis auf den Grund untersucht, dass er die nötige Klarheit darüber schafft, woher die Ideen ihre Macht schöpfen. Die Menschen machen ihre Geschichte, gewiss, aber wie sie ihre Geschichte machen, das hängt in jedem einzelnen Falle davon ab, wie klar oder wie unklar sich in ihren Köpfen der materielle Zusammenhang der Dinge malt. Denn die Ideen entstehen nicht aus dem Nichts, sondern sie sind Produkte des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, und je genauer eine Idee diesen Prozess widerspiegelt, umso mächtiger ist sie. Der menschliche Geist steht nicht über, sondern in der historischen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft; er ist aus, an und mit der materiellen Produktion erwachsen. Erst seitdem diese Produktion sich aus einem äußerst vielgestaltigen Getriebe zu einfachen und großen Gegensätzen zu entwickeln beginnt, vermag er ihren ganzen Zusammenhang zu erkennen, und erst nachdem diese letzten Gegensätze abgestorben oder beseitigt sind, wird er die Herrschaft über die gesellschaftliche Produktion ergreifen, wird die „Vorgeschichte der Menschheit schließen" (Marx)15, werden die Menschen mit vollem Bewusstsein ihre Geschichte machen, wird sich der Sprung- der Menschheit „aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit" vollziehen (Engels)16.

Deshalb ist aber die bisherige Entwicklung der Gesellschaft kein toter Mechanismus, dem die Menschheit als willenloser Spielball gedient hat. Einen je größeren Teil ihrer Gesamtlebenszeit eine Generation auf die Befriedigung ihrer Gesamtbedürfnisse verwenden musste, umso abhängiger blieb sie von der Natur, umso geringer war der Spielraum ihrer geistigen Entwicklung. Aber dieser Spielraum wuchs in demselben Maße, worin erworbene Geschicklichkeit und gehäufte Erfahrung die Menschen lehrte, die Natur zu beherrschen. Der menschliche Geist wurde mehr und mehr Herr über den toten Mechanismus der Natur, und in der geistigen Beherrschung des Produktionsprozesses vollzog und vollzieht sich die fortschreitende Entwicklung des Menschengeschlechts. „Von der Geschicklichkeit in der Produktion des Lebensunterhaltes hing die ganze Frage der Herrschaft der Menschheit über die Erde ab. Der Mensch ist das einzige Wesen, von dem man sagen kann, dass es eine absolute Herrschaft über die Erzeugung von Nahrungsmitteln erlangt habe, worin er anfänglich vor anderen Tieren durchaus keinen Vorzug hatte… Es ist daher höchst wahrscheinlich, dass die großen Epochen menschlichen Fortschritts mehr oder weniger direkt zusammenfallen mit der Ausweitung der Unterhaltsquellen."XIII Folgen wir Morgans Einteilung der menschlichen Urgeschichte, so ist die erste Stufe der Wildheit durch die Ausbildung der artikulierten Sprache, die zweite durch den Gebrauch des Feuers, die dritte durch die Erfindung von Bogen und Pfeil gekennzeichnet, die schon ein sehr zusammengesetztes Arbeitswerkzeug bilden, lange gehäufte Erfahrung und geschärfte Geisteskräfte, also auch die gleichzeitige Bekanntschaft mit einer Menge anderer Erfindungen voraussetzen. Auf dieser letzten Stufe der Wildheit findet bereits eine gewisse Beherrschung der Produktion durch den menschlichen Geist statt; man kennt hölzerne Gefäße und Geräte, geflochtene Körbe von Bast und Schilf, geschliffene Steinwerkzeuge usw.

Den Übergang zur Barbarei datiert Morgan von der Einführung der Töpferei, die ihre Unterstufe kennzeichnet. Ihre Mittelstufe führen die Zähmung von Haustieren, die Kultur von Nährpflanzen durch Berieselung, der Gebrauch von Steinen und Ziegeln zu Gebäuden herbei. Die Oberstufe der Barbarei endlich beginnt mit dem Schmelzen des Eisenerzes; auf ihr erreicht die Produktion des materiellen Lebens schon eine außerordentlich reiche Entwicklung; ihr gehören die Griechen der Heroenzeit, die italischen Stämme kurz vor der Gründung Roms, die Deutschen des Tacitus an. Diese Zeit kennt den Blasebalg, den Erdofen und die Schmiedeesse, die eiserne Axt, den eisernen Spaten und das eiserne Schwert, den Speer mit kupferner Spitze und den getriebenen Schild, die Handmühle und die Töpferscheibe, das Fuhrwerk und den Kriegswagen, den Schiffsbau mit Balken und Planken, Städte mit steinernen Mauern und Zinnen, mit Toren und Türmen und marmornen Tempeln. Ein anschauliches Bild der auf der Oberstufe der Barbarei erreichten Fortschritte der Produktion geben uns die homerischen Gedichte, die dadurch selbst wieder klassische Zeugnisse für das aus dieser Produktion erwachsene Geistesleben werden. So ist die Menschheit nicht der willenlose Spielball eines toten Mechanismus, sondern ihre fortschreitende Entwicklung besteht gerade in der wachsenden Herrschaft des menschlichen Geistes über den toten Mechanismus der Natur. Aber – und das nur behauptet der historische Materialismus – der menschliche Geist entwickelt sich an, mit und aus der materiellen Produktionsweise; er ist nicht ihr Vater, sondern sie ist seine Mutter, und dies Verhältnis tritt denn freilich in der Urgesellschaft der Menschheit mit der schlagendsten Deutlichkeit hervor.

Von der Barbarei in die Zivilisation leitet die Erfindung der Buchstabenschrift und ihre Verwendung zu literarischer Aufzeichnung über. Die geschriebene Geschichte der Menschheit beginnt, und in ihr scheint sich das geistige Leben völlig von seinen ökonomischen Grundlagen loszulösen. Aber der Schein trügt. Mit der Zivilisation, mit der Auflösung der Gentilverfassung, mit der Entstehung der Familie, des Sondereigentums, des Staats, mit der fortschreitenden Teilung der Arbeit, mit der Spaltung der Gesellschaft in herrschende und beherrschte, in unterdrückende und unterdrückte Klassen wird die Abhängigkeit der geistigen von der ökonomischen Entwicklung unendlich viel undurchsichtiger und verwickelter, aber sie hört nicht auf. Der „letzte Grund, womit der Klassenunterschied verteidigt" wird: „Es muss eine Klasse geben, die sich nicht mit der Produktion ihres täglichen Lebensunterhalts abzuplacken hat, damit sie Zeit behält, die geistige Arbeit der Gesellschaft zu besorgen", hatte „bisher seine große geschichtliche Berechtigung" (Engels)17bisher, d. h. bis zur industriellen Revolution der letzten hundert Jahre, die jede herrschende Klasse zu einem Hindernis für die Entwicklung der industriellen Produktivkraft macht –, aber die Spaltung der Gesellschaft in Klassen erwuchs allein aus der ökonomischen Entwicklung, und so konnte sich die geistige Arbeit keiner Klasse von der ökonomischen Grundlage lösen, der sie ihren Ursprung verdankte. So tief der Sündenfall von der einfachen sittlichen Höhe der alten Gentilgesellschaft auf die von den niedrigsten Interessen beherrschte neue Gesellschaft war, die nie etwas anderes gewesen ist als die Entwicklung der kleinen Minderzahl auf Kosten der ausgebeuteten und unterdrückten großen Mehrzahl, so ungeheuer war der geistige Fortschritt von der Gens, die noch an der Nabelschnur des naturwüchsigen Gemeinwesens hing, bis zur modernen Gesellschaft mit ihren ungeheuren Produktivkräften.XIV18 Allein so groß dieser Fortschritt war, ein so feines, geschmeidiges, starkes, die Natur sich immer unwiderstehlicher unterjochendes Instrument der Menschengeist wurde, so blieben seine Sprungfedern und Triebkräfte doch immer die ökonomischen Kämpfe der einzelnen Klassen, die „vorhandenen Konflikte zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen", so stellte sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen konnte, und genauer betrachtet, findet sich stets, wie Marx ausführt, dass die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozess ihres Werdens begriffen sind.

Am leichtesten erkennt man diesen Zusammenhang, wenn man die großen Entdeckungen und Erfindungen, die nach der ideologischen19 Auffassung sowohl des historischen Idealismus wie des naturwissenschaftlichen Materialismus aus dem schöpferischen Menschengeiste entsprungen sind wie Athene aus dem Haupte des Zeus und dadurch die gewaltigsten ökonomischen Umwälzungen hervorgerufen haben sollen, auf ihren Ursprung prüft. Jede dieser Entdeckungen und Erfindungen hat eine lange Vorgeschichte.XV20 Und wenn man die einzelnen Etappen dieser Vorgeschichte verfolgt, so wird man überall das Bedürfnis erkennen, das sie hervorrief. Es hat schon seine guten Gründe, wenn manche der allerbedeutsamsten Erfindungen, wie die Erfindung des Schießpulvers und der Buchdruckerkunst, die „das Antlitz der Erde verändert" haben, in einen Schleier von Sagen gehüllt sind. Sie sind eben nicht das Werk von einzelnen, die aus den geheimnisvollen Tiefen ihres Genius schöpften, und wenn auch einzelne großes Verdienst um sie haben, so doch nur, weil diese einzelnen am schärfsten und tiefsten das ökonomische Bedürfnis und die Mittel zu seiner Befriedigung erkannten. Nicht die Entdeckung oder Erfindung ruft die gesellschaftliche Umwälzung hervor, sondern die gesellschaftliche Umwälzung die Entdeckung oder Erfindung, und erst dadurch, dass eine gesellschaftliche Umwälzung eine Entdeckung oder Erfindung herbeigeführt hat, wird diese zu einer weltbewegenden Tat. Amerika war lange vor Kolumbus entdeckt worden, schon im Jahre 1000 waren Normannen nach der Nordostküste Amerikas, ja bis in das Gebiet der heutigen Vereinigten Staaten gelangt, aber die entdeckten Länder waren bald vergessen und verschollen. Erst als die Anfänge der kapitalistischen Entwicklung das Bedürfnis nach edlen Metallen, nach neuen Arbeitskräften und nach neuen Märkten hervorriefen, bedeutete die Entdeckung Amerikas eine ökonomische Revolution. Und es ist ja auch bekannt genug, dass Kolumbus nicht aus einem dunklen Triebe seines Genius eine neue Welt entdecken wollte, sondern dass er den kürzesten Weg nach den märchenhaften Schätzen des uralten Kulturlandes Indien suchte. Am Tage nach der Entdeckung der ersten Insel schrieb er in sein Tagebuch: „Diese gutartigen Leute müssen ganz brauchbare Sklaven abgeben", und sein tägliches Gebet lautete: „Möge der Herr in seiner Barmherzigkeit mich die Goldminen finden lassen!" Der „Herr der Barmherzigkeit" war die damalige Ideologie, wie die heutige, freilich noch viel verheucheltere Ideologie ist, „Humanität und Zivilisation in den dunkeln Weltteil" zu tragen.

Das sprichwörtlich traurige Los gerade der genialsten Erfinder ist nicht ein Beweis der menschlichen Undankbarkeit, wie die ideologische Auffassung nach ihrer oberflächlichen Weise meint, sondern eine leicht erklärliche Folge der Tatsache, dass die Erfindung nicht die ökonomische Umwälzung, sondern die ökonomische Umwälzung die Erfindung macht. Scharf und tief blickende Geister erkennen die Aufgabe und ihre Lösung schon, wo die materiellen Bedingungen dieser Lösung noch unreif sind und die bestehende Gesellschaftsformation noch nicht alle Produktivkräfte entwickelt hat, für die sie weit genug ist. Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, dass gerade die Erfindungen, die mehr als alle anderen früheren dazu beigetragen haben, die menschliche Produktionskraft ins Unermessliche zu erweitern, ihren ersten Urhebern zum Verhängnis geworden und in der Tat wieder mehr oder minder spurlos auf Jahrhunderte verschwunden sind. Anton Müller erfand etwa 1529 in Danzig die sogenannte Bandmühle, auch Schnurmühle oder Mühlenstuhl genannt, die vier bis sechs Gewebe auf einmal lieferte, aber da der Stadtrat befürchtete, dass diese Erfindung eine Masse von Arbeitern zu Bettlern machen möchte, so ließ er sie unterdrücken und den Erfinder heimlich ersäufen oder ersticken. In Leyden wurde dieselbe Maschine 1629 angewandt, aber Emeuten der Bortenwirker erzwangen ihr Verbot. In Deutschland wurde sie durch kaiserliche Edikte von 1685 und 1719 verboten, in Hamburg öffentlich auf Befehl des Magistrats verbrannt. „Diese Maschine, die so viel Lärm in der Welt gemacht hat, war in der Tat Vorläufer der Spinn- und Webemaschinen, also der industriellen Revolution des 18. Jahrhunderts."XVI21 Kaum weniger tragisch als das Los Anton Müllers gestaltete sich das Los Denis Papins, der als Professor der Mathematik in Marburg eine für industrielle Zwecke nutzbare Dampfmaschine zu konstruieren suchte, und als er, durch allseitigen Widerspruch entmutigt, seinen Apparat liegen ließ, ein Dampfboot erbaute, auf dem er 1707 die Fulda von Kassel nach England hinabdampfte. Aber in Münden verbot ihm die hohe Weisheit der Obrigkeit die Weiterfahrt und die Weserschiffer zerschlugen das Dampfboot. Papin ist dann arm und verlassen in England gestorben. Nun ist es klar, dass die Erfindung der Bandmühle im Jahre 1529 durch Anton Müller oder die Erfindung des Dampfschiffs im Jahre 1707 durch Denis Papin ungleich größere Leistungen des Menschengeistes waren, als wenn James Hargreaves 1764 die Jenny oder Fulton 1807 das Dampfschiff erfand. Wenn trotzdem jene so gar keinen und diese so weltumwälzenden Erfolg hatten, so ist damit bewiesen, dass nicht die Erfindung die ökonomische Entwicklung, sondern die ökonomische Entwicklung die Erfindung macht, dass der menschliche Geist nicht der Urheber, sondern der Vollstrecker der gesellschaftlichen Revolutionen ist.

Verweilen wir noch einen Augenblick bei den Erfindungen der Buchdruckerkunst und des Schießpulvers, die am meisten zu den seltsamen Gedankensprüngen des historischen Idealismus ausgenützt worden sind. Aus dem Warenhandel und der Warenproduktion, die sich im Ausgange des Mittelalters entwickelten, entstand ein unendlich gesteigerter geistiger Verkehr, der zu seiner Befriedigung der schnellen Massenherstellung literarischer Erzeugnisse bedurfte. Somit führte er zu den Holztafeldrucken, zur Herstellung von Büchern, die durch den Abdruck von gestochenen Platten vervielfältigt wurden. Dieser sogenannte Briefdruck hatte schon im Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts so zugenommen, dass er die Bildung zunftmäßiger Genossenschaften veranlasste, von denen die bedeutendsten in Nürnberg, Augsburg, Köln, Mainz und Lübeck bestanden. Aber die Briefdrucker traten meist mit den Malern zu einer Innung zusammen, nicht mit den nachmaligen Buchdruckern, neben denen sie noch eine geraume Zeit namentlich für die Vervielfältigung kleiner Schriften fortbestanden. Der Buchdruck entstand nicht aus dem Briefdruck, sondern aus dem Metallhandwerk. Es lag nahe, die zu den Holztafeldrucken benutzten Platten in einzelne Buchstaben zu zerschneiden und durch die beliebige Zusammensetzung dieser Buchstaben die Vervielfältigung der Bücher außerordentlich zu erleichtern. Aber alle diese Versuche scheiterten an der technischen Unmöglichkeit, mit hölzernen Typen die erforderliche Ebenmäßigkeit der Zeilen herzustellen. Der nächste Schritt war dann, die Lettern in Metall zu schneiden, aber auch dadurch wurde kein durchschlagender Erfolg erzielt, sowohl weil das Schneiden der Metalltypen aus freier Hand zu viel Zeit erforderte, als auch weil auf diesem Wege die Ungleichheit der Buchstaben zwar verringert, aber keineswegs aufgehoben wurde. Beide Übelstände wurden erst beseitigt durch das Gießen metallener Lettern, und die Schriftgießerei ist in der Tat die Erfindung der Buchdruckerkunst, der Kunst, mit einzelnen beweglichen Buchstaben ganze Wörter, Zeilen, Sätze und Seiten zusammenzusetzen und dann durch Abdruck zu vervielfältigen. Gutenberg war ein Goldschmied, ebenso Bernardo Cennini, der gleichzeitig die Buchdruckerkunst in Florenz erfunden haben soll. Der erbitterte und langwierige Streit über den eigentlichen Erfinder der Buchdruckerkunst wird niemals entschieden werden, denn überall, wo die ökonomische Entwicklung das Problem stellte, wurde es mit größerem oder geringerem Erfolge zu lösen versucht, und wenn man nach den bisherigen Ergebnissen der Forschung annehmen darf, dass Gutenberg den letzten, entscheidenden Schritt mit der größten Entschiedenheit und Klarheit, also auch mit dem größten Erfolge tat, so dass sich von Mainz aus die neue Kunst am schnellsten verbreitete, so verstand er es eben am besten, das Fazit aus einer gehäuften Summe von Erfahrungen, aus den halb oder ganz misslungenen Versuchen seiner Vorläufer zu ziehen. Immer bleibt sein Verdienst ein unsterbliches, immer bleibt seine Erfindung eine bewundernswerte Leistung des menschlichen Geistes, aber er pflanzte keine neue Wurzel in das Erdreich, sondern er pflückte eine langsam gereifte Frucht.

Nach alledem hat das Sprichwort an und für sich gar nicht so unrecht, wenn es die Erfindung des Schießpulvers zum Prüfstein menschlicher Geistesschärfe macht, aber gerade an dieser Erfindung hat die Geschichtsauffassung sowohl des philosophischen Idealismus wie des naturwissenschaftlichen Materialismus den kläglichsten Schiffbruch erlitten. Professor Kraus meint, das Schießpulver habe Faustrecht und Hörigkeit abgeschafft, es habe die überlegene Kraft des einzelnen zugunsten des allgemeinen Wesens gebrochen, ihm verdanke es die „immense Mehrheit von uns", dass sie sich als freie Männer bewegen und nicht als Hörige an der Scholle haften. Und Professor Du Bois-Reymond führt aus, dass die Römer alle Angriffe der Germanen, von den Zimbern und Teutonen bis zu den Goten und Vandalen, mit Leichtigkeit zurückgeschlagen haben würden, wenn sie auch nur das Steinschlossgewehr gekannt hätten. Wie gewöhnlich überbietet dabei der naturwissenschaftliche Materialismus an selbstgefälliger Schulmeisterei noch den philosophischen Idealismus. „Das Zurückbleiben der Alten in der Naturwissenschaft", so schreibt Du Bois-Reymond, „war verhängnisvoll für die Menschheit. In ihm liegt einer der vornehmsten Gründe, aus denen die alte Kultur unterging. Das größte Unglück, welches die Menschheit traf, Überrennung der Mittelmeerländer durch die Barbaren, blieb ihr wahrscheinlich erspart, hätten die Alten Naturwissenschaft in unserem Sinne gehabt." Schade, dass Herr Du Bois-Reymond nicht ein alter Römer gewesen ist, oder auch nicht schade! Denn gerade seine Geschichtsphilosophie beweist, dass er, wenn er nicht im Jahre 1870 das „geistige Leibregiment der Hohenzollern", sondern zur Zeit der punischen Kriege eine römische Legion kommandiert hätte, eben auch nicht das Pulver erfunden haben würde. In der Tat hat sich schon ein bürgerlicher Historiker, der Professor Delbrück, gegen die wunderbaren Hypothesen von Kraus und Du Bois-Reymond erhoben. Delbrück steht dem historischen Materialismus fern, aber er sieht doch ein, dass zu einer Erfindung ein durch viele Generationen, ja Jahrhunderte fortwährend anreizendes Bedürfnis gehört, dass eine Erfindung von den Bedürfnissen ihrer Zeit so wenig zu trennen ist, wie ein Mensch ohne eine Mutter geboren werden kann, dass die Annahme, irgendeine Erfindung hätte auch zu einer andern Zeit gemacht werden können und dann einen anderen Lauf der Geschichte verursacht, ein leeres Phantasiespiel ist. Insoweit hat er alles Recht, seine Auffassung als wissenschaftlich gegenüber den „geistreichen" Gedankenspielen der Kraus und Du Bois-Reymond geltend zu machen. Und im Besonderen hat er auch darin recht, dass er die Erfindung oder richtiger den Gebrauch des Schießpulvers nicht als Ursache, sondern als Hebel zum Sturze des Feudalismus auffasst. Obendrein noch als einen sehr schwachen und im Grunde entbehrlichen Hebel, worin Delbrück unseres Erachtens zu weit geht, doch kommt es darauf in diesem Zusammenhange nicht weiter an.XVII

Eine ökonomische Umwälzung führte die Auflösung des Feudalismus herbei, und nirgends wälzt sich der politische Überbau der materiellen Produktionsweise so klar und schnell mit um, wie gerade im Heerwesen. Darüber ist sich auch die bürgerliche Geschichtsschreibung, namentlich im preußischen Militärstaate, so ziemlich klargeworden. So schreibt Gustav Freytag, der am liebsten die deutsche Geschichte aus dem „deutschen Gemüte" spinnen möchte, aber durch seinen besonderen Vorwurf, das Massenleben der kleinen Leute, zu fortwährenden Zugeständnissen an den historischen Materialismus gezwungen ist: „Die fränkische Landwehr der Merowinger, das Heer der ritterlichen Speerreiter, die Schweizer und Landsknechte der Reformationszeit und wieder das Söldnerheer des Dreißigjährigen Krieges, sie alle waren höchst charakteristische Bildungen ihrer Zeit, welche aus den sozialen Zuständen erblühten und sich wandelten wie diese. So wurzelt das älteste Fußheer der Besitzenden in der alten Gemeinde- und Gauordnung, das reisige Ritterheer in dem feudalen Lehnwesen, die Fähnlein der Landsknechte in der aufblühenden Bürgerkraft, die Kompanien der fahrenden Söldner in dem Wachstum der fürstlichen Territorialherrschaft. Ihnen folgte in den despotischen Staaten des achtzehnten Jahrhunderts das stehende Heer der dressierten Lohnsoldaten."XVIII Und erst in diesem „stehenden Heere der dressierten Lohnsoldaten", in den Tagen Ludwigs XIV. und des Prinzen Eugen, wurde der Spieß endgültig durch das Feuergewehr verdrängt, in einem Fußvolke, das, mehr oder minder gewaltsam aus der Hefe der Nationen gepresst, durch den Stock zusammengehalten werden musste und, jeglicher Stoßkraft entbehrend, einzig als Schießmaschine benützt werden konnte. Eine solche Söldnerinfanterie war in allem und jedem das gerade Widerspiel des Fußvolks, das am Morgarten und ob Sempach im vierzehnten Jahrhundert dem feudalen Ritterheere die ersten zerschmetternden Niederlagen beibrachte. Dies Fußvolk kämpfte mit Spießen und selbst noch mit so waldursprünglichen Waffen wie Steinwürfen, aber es schöpfte seine furchtbare, für das Ritterheer unwiderstehliche Stoßkraft aus seiner alten Markgenossenschaft, die einen an alle und alle an einen band.XIX

Aus dieser einfachen Gegenüberstellung ergibt sich schon die Hinfälligkeit der Annahme, dass die Erfindung des Pulvers den Sturz des Feudalismus verursacht habe. Der Feudalismus verfiel durch das Aufblühen der Städte und der auf die Städte gestützten Monarchie. Die Naturalwirtschaft unterlag der Geld- und Industriewirtschaft, und so musste der Feudaladel den Städten und den Fürsten unterliegen. Die neuen, ökonomischen Mächte schufen sich die ihren Wirtschaftsformen entsprechenden Kriegsformen; mit ihrem Gelde warben sie Heere aus dem Proletariat, das durch die Auflösung des Feudalismus auf die Landstraße geworfen worden war; mit ihrer Industrie stellten sie Waffen her, die in demselben Maße den feudalen Waffen überlegen waren wie die kapitalistische Produktionsweise der feudalen. Hierzu erfanden sie zwar nicht das Pulver – denn das war im Anfange des vierzehnten Jahrhunderts von den Arabern zu den Westeuropäern gelangt –, aber das Schießen mit Pulver. Mit der Feuerwaffe war grundsätzlich die unbedingte Überlegenheit der bürgerlichen über die feudale Waffe festgestellt; den Kugeln der Geschütze konnten die Mauern der Burgen so wenig widerstehen wie den Kugeln der Büchsen die Panzer der Ritter. Aber die Kunst des Schießens ist auch nicht an einem Tage erfunden worden. Wie immer, war auch hier das ökonomische Bedürfnis die Mutter der Erfindung, und der Verfall des Feudalismus vollzog sich so reißend, die Macht der Städte und der Fürsten stieg so schnell, dass die erfinderische Kraft des Menschengeistes wenig zur Verbesserung der anfangs sehr unbehilflichen, der Armbrust und dem Bogen kaum überlegenen Feuerwaffen angereizt wurde. Wie sollte sie auch, wenn das Ritterheer selbst da geschlagen wurde, wo es zufällig, wie bei Granson und Murten, die Überlegenheit an Feuerwaffen besaß! So ging die Ausbildung dieser Waffen sehr langsam vor sich; wir sahen schon, wie spät ein für die Bewaffnung der gesamten Infanterie taugliches Gewehr, das Steinschlossgewehr, zustande kam. Und dies Gewehr war auch erst auf einer gewissen Höhe der kapitalistischen Entwicklung möglich; es war die Waffe, womit der fürstliche Absolutismus nach der ihm durch seine ökonomische Grundlage gebotenen Heeresorganisation, Strategie und Taktik seine Handelskriege allein ausfechten konnte. Sollte aber irgendwer die langsame Entwicklung der Feuerwaffen in früheren Jahrhunderten als eine dumpfe Trägheit des Erfindungsgeistes beklagen, so mag ihn ein Blick auf unser Jahrhundert trösten und ihm die holde Gewissheit geben, dass der menschliche Geist wahrhaft unerschöpflich in Erfindung von Mordwaffen ist, vorausgesetzt, dass die ökonomische Entwicklung, in diesem Falle die rasend wilde Jagd des großkapitalistischen Konkurrenzkampfes, sozusagen mit der Hetzpeitsche hinter ihm hertobt.

Und also – der historische Materialismus behauptet nicht, dass die Menschheit ein willenloser Spielball eines toten Mechanismus sei; er leugnet auch nicht die ideellen Mächte. Im Gegenteil, er stimmt ganz mit Schiller überein, aus dem der deutsche Bildungsphilister ja vorzugsweise seinen „Idealismus" holt: je höher der Menschengeist sich entwickelt,

Je schönre Rätsel treten aus der Nacht,

Je reicher wird die Welt, die er umschließet,

Je breiter strömt das Meer, mit dem er fließet,

Je schwächer wird des Schicksals blinde Macht.

Nur das Gesetz dieser geistigen Entwicklung weist der historische Materialismus nach, und er findet die Wurzel dieses Gesetzes in dem, was den Menschen erst zum Menschen macht, in der Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Jener Bettelstolz, der einst den Darwinismus als „Affentheorie" verhöhnte, mag sich dagegen sträuben und sein Genüge in dem Glauben finden, dass der menschliche Geist als ein unberechenbarer Irrwisch umherflackere und in göttlicher Schöpferkraft eine neue Welt aus dem Nichts gestalte. Diesen Aberglauben hat Lessing schon gründlich abgefertigt, sowohl durch seinen Spott über die „kahle Vermögenheit, unter den nämlichen Umständen bald so, bald anders handeln zu können", als auch durch sein weises Wort:

Der Topf

Von Eisen will mit einer silbern Zange

Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst

Ein Topf von Silber sich zu dünken.

Kürzer können wir uns mit dem Vorwurf abfinden, dass der historische Materialismus alle sittlichen Maßstäbe verleugne. Zunächst ist es durchaus nicht die Aufgabe des Geschichtsforschers, sittliche Maßstäbe anzulegen. Er soll uns sagen, wie die Dinge gewesen sind, auf Grund einer objektiv-wissenschaftlichen Untersuchung. Wie er nach seiner subjektiv-sittlichen Anschauung darüber denkt, verlangen wir gar nicht zu wissen. Die „sittlichen Maßstäbe" sind in einer fortwährenden Umbildung begriffen, und wenn das lebende Geschlecht mit seinem fließenden sittlichen Maßstabe vergangene Geschlechter meistern will, so heißt das, erstarrte Erdschichten mit dem Flugsande der Düne messen. Schlosser, Gervinus, Ranke, Janssen – jeder hat einen andern sittlichen Maßstab, jeder hat seine besondere Klassenmoral, und weit getreuer als die Zeiten, welche sie schildern, spiegeln sich in ihren Werken die Klassen wider, deren Wortführer sie waren. Und es versteht sich, dass es nicht anders sein würde, wenn ein proletarischer Geschichtsschreiber vom heutigen sittlichen Standpunkte seiner Klasse aus über frühere Zeiten absprechen wollte.

Insofern leugnet allerdings der historische Materialismus alle sittlichen Maßstäbe, aber auch nur insofern. Er verbannt sie aus der Geschichtsforschung überhaupt, weil sie jede wissenschaftliche Geschichtsforschung unmöglich machen. Aber wenn mit jenem Vorwurfe gesagt sein soll, dass der historische Materialismus das Walten sittlicher Triebkräfte in der Geschichte grundsätzlich leugne, so ist abermals nur das gerade Gegenteil wahr. Er leugnet sie so wenig, dass er vielmehr überhaupt erst ermöglicht, sie zu erkennen. An der „materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung der ökonomischen Produktionsbedingungen"22 hat er den einzig sichern Maßstab, die bald langsamer, bald schneller erfolgende Umwälzung der sittlichen Anschauungen zu untersuchen. Auch sie sind in letztem Grunde ein Produkt der Produktionsweise, und so setzte Marx dem Nibelungentexte Richard Wagners, der seine Liebeshändel ganz in moderner Weise durch ein bisschen Blutschande pikanter machen wollte, das treffende Wort entgegen: „In der Urzeit war die Schwester die Frau, und das war sittlich.“23 Ebenso gründlich wie mit den Großen Männern, welche die Geschichte machen, räumt der historische Materialismus mit den Bildern historischer Charaktere auf, die, von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, in der Geschichte schwanken. Er wird jeder historischen Persönlichkeit gerecht, weil er alle Triebkräfte zu erkennen weiß, die ihr Tun und Lassen bestimmt haben, und er vermag deshalb die Sittlichkeit dieses Tuns und Lassens mit einer Feinheit der Schattierung zu zeichnen, deren die groben „sittlichen Maßstäbe" der ideologischen Geschichtsschreibung ein für allemal unfähig sind.

Man nehme einmal Kautskys ausgezeichnete Schrift über Thomas More zur Hand! Für die ideologischen Historiker ist Thomas More ein wahres Kreuz. Er war ein Vorkämpfer der bürgerlichen Klasse, ein fein gebildeter und frei denkender Mann, ein gelehrter Humanist und der erste Bahnbrecher des modernen Sozialismus. Aber er war auch der Minister eines tyrannischen Fürsten, ein Gegner Luthers und ein Ketzerverfolger; er war ein Blutzeuge des Papsttums, und er ist heute, wenn auch noch kein offizieller, was er möglicherweise noch werden wird, so doch ein offiziöser Heiliger der katholischen Kirche. Was kann nun die ideologische Geschichtsschreibung, mag sie ihre „sittlichen Maßstäbe" aus Berlin oder Rom oder sonst woher beziehen, mit einem solchen Charakter anfangen? Sie kann ihn verherrlichen oder verunglimpfen, oder halb verherrlichen und halb verunglimpfen, aber mit all ihren „sittlichen Maßstäben" kann sie nimmermehr das historische Verständnis des Mannes erschließen. Dagegen hat Kautsky an der Hand des historischen Materialismus diese Aufgabe glänzend gelöst; er hat gezeigt, dass Thomas More ein ganzer Mann war und dass alle jene anscheinenden Widersprüche seines Wesens unlöslich zusammenhängen. Man lernt aus Kautskys dünnem Bändchen die sittlichen Kräfte des Reformationszeitalters unendlich viel besser kennen als aus dem, was Ranke in seinen fünf und Janssen in seinen sechs dicken Bänden mit ihren diametral entgegen gesetzten „sittlichen Maßstäben" aus derselben Zeit herausgemessen haben. Dafür ist Kautskys Schrift auch gründlich totgeschwiegen worden. Denn so verlangt es der „sittliche Maßstab" der bürgerlichen Geschichtsforschung von heute.


Wir haben schon erwähnt, dass von bürgerlicher Seite wenigstens ein Versuch zur wissenschaftlichen Kritik des historischen Materialismus gemacht worden ist, und es mag noch ein Wort über diesen Versuch gestattet sein. Allerdings nur ein beschränktes Wort, denn alles das, was Herr Paul Barth auf zwanzig Seiten an Entstellungen und Missverständnissen über die materialistische Geschichtsauffassung zusammenhäuft, können und wollen wir nicht im Einzelnen aufdecken.XX Dazu ist sein „kritischer Versuch" zu unbedeutend; es genügt, einige wesentliche Punkte herauszugreifen, namentlich solche Punkte, deren Erörterung das positive Verständnis des historischen Materialismus zu fördern geeignet ist.

Herr Barth ist zunächst tief bekümmert darüber, dass Marx die materialistische Geschichtsauffassung „in leider sehr unbestimmter, mit Bildern zusammengeflickter" Weise formuliert und nur „gelegentlich in seinen Schriften durch einige Beispiele erläutert und begründet" habe; neuestens hat er seinem Seelenschmerze darüber in einer Wochenschrift der Bismärckischen Bourgeoisie die noch drastischere Form gegeben, dass die „sogenannte materialistische Geschichtstheorie eine Halbwahrheit sei, die Karl Marx in Stunden journalistischen Leichtsinns ausgesprochen und leider sogar durch scheinbare Beweise zu stützen gesucht" habe. Mit strengem Richterblick scheidet Herr Barth nun drei Schriften von Marx als „allein wissenschaftlich" aus, also als allein würdig, dass sich ein deutscher Dozent mit ihnen beschäftigt, und zwar das „Kapital", das „Elend der Philosophie" und den Vorläufer des „Kapitals", die Schrift „Zur Kritik der politischen Ökonomie". Alles andere ist „populär" und geht Herrn Barth nichts an. Ebenso erkennt er von Engels nur die Schriften gegen Dühring und über Feuerbach als seiner Beachtung würdig an. Das entgegen gesetzte Prinzip befolgt Herr Barth bei Kautsky, den er nur als „Autor eines Aufsatzes" in der „Neuen Zeit" kennt, dem „populären Organ der Marxisten", das „viel Unheil" anrichtet durch die Verbreitung der „Marxschen Voreiligkeiten"; von Kautskys „allein wissenschaftlichen Schriften", so dem Buch über More, weiß Herr Barth nichts oder will er nichts wissen. Weshalb er all diese tiefsinnigen Scheidungen vornimmt, wird sich gleich zeigen.

In erster Reihe will Herr Barth nachweisen, dass ein „Prinzipat der Ökonomie über die Politik" nicht bestehe. Marx spreche im „Kapital" von gemeinsamer, unmittelbar vergesellschafteter Arbeit in naturwüchsiger Form, die sich an der Geschichtsschwelle aller Kulturvölker fände, und von unmittelbaren Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen im Anfange der Geschichte. Das Wort „unmittelbaren" erläutert Herr Barth, wovon bei Marx auch nicht die leiseste Andeutung steht: „d. h. wie bei Hegel nicht näher zu erklärenden" und fügt triumphierend hinzu, dass Marx den Übergang von der naturwüchsigen Form der Arbeit zu den Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen auch nicht erklärt habe. Nun hatte Marx an der Stelle des Kapitals, wo er diese Entwicklung berührt, nicht den allermindesten Anlass zu einer solchen Erklärung, aber er beabsichtigte, sie im Anschluss an die Forschungen von Morgan in einer besonderen Schrift zu geben, die dann, da ihn der Tod an der Ausführung seiner Absicht hinderte, von Engels verfasst und veröffentlicht worden ist, reichlich ein halbes Jahrzehnt früher, ehe Herr Barth zur Zerschmetterung des historischen Materialismus vorschritt. In der Schrift von Engels über den Ursprung der Familie etc. wird eingehend die ökonomische Entwicklung der Klassen- aus der Gentilgesellschaft, der ökonomische Übergang von unmittelbar vergesellschafteter Arbeit zu Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen dargelegt, aber – und da kann man gleich den Tiefsinn jener Scheidungen bewundern – die Schrift von Engels ist nicht „allein wissenschaftlich", sondern „populär"; Herr Barth erwähnt sie mit keiner Silbe. Und nun fängt er an zu „erklären". Da Marx die „nicht weiter zu erklärenden" Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse im Anfange der Geschichte nicht „erklärt", so schreibt Herr Barth: „Da in jener Zeit kein Privateigentum an Boden und Kapital existiert, also auch keine Möglichkeit einer Unterjochung auf ökonomischem Wege gegeben ist, so bleiben für diese ursprüngliche Sklaverei nur politische Ursachen, Krieg und Kriegsgefangenschaft übrig." Zwar kann Herr Barth nicht umhin, zu fragen, ob diese Kriegszüge nicht einen ökonomischen Ursprung gehabt haben, und er antwortet: „Zum großen Teil, aber nicht ausschließlich"; „nach den Schriften der Anthropologen" verursachten religiöse Motive, ehrgeizige Absichten eines Häuptlings, Rachsucht, also „ideologische Ursachen" Kriege der Wilden. Aber statt nunmehr wenigstens zu untersuchen erstens, welchen Wert jene Zeugnisse der Anthropologen haben, und zweitens, ob sich in den „ideologischen Ursachen" nicht ökonomische Triebfedern verkleiden, macht Herr Barth nur in einem Nebensatze noch die berauschende Enthüllung, dass die Eroberung Asiens durch Alexander auf den „Ehrgeiz" des mazedonischen Königs und die Eroberungszüge des Islam auf „religiösen Eifer" zurückzuführen seien, und gelangt dann zu dem triumphierenden Schlusse, dass die Sklaverei in vorhistorischer wie in historischer Zeit „zum großen Teil in letzter Instanz ein Produkt der Politik" sei und „damit zeige sich die Politik als die Ökonomie bestimmend und zwar in tiefster und eindringlichster Weise". Worauf Herr Barth dann noch mit außerordentlichem Scharfsinn, aber nicht ohne Beihilfe von Rodbertus nachweist, dass die Sklaverei eine „wirtschaftlich mächtige Kategorie" gewesen sei.

Auf diese Weise schleicht Herr Barth an der wissenschaftlichen Beweisführung des historischen Materialismus vorbei, der, wie wir gesehen haben, durchaus nicht das Vorhandensein ideeller Triebkräfte wie Ehrgeiz, Rachsucht, Religionseifer bestreitet, sondern nur behauptet, dass diese Triebkräfte im letzten Grunde durch andere, durch ökonomische Triebkräfte bestimmt werden. Und soweit sich Herr Barth überhaupt darauf einlässt, einen Beweis, einen einzigen, für seine Behauptung beizubringen, kommt die materialistische Geschichtsauffassung sofort zu ihrem Rechte. Für die Rachsucht, welche Kriege der Wilden verursache, führt er als einzigen Zeugen den englischen Anthropologen Tylor an, der von der auch sonst nicht ganz unbekannten Tatsache der Blutrache unter barbarischen Stämmen spricht. Hätte nun Herr Barth die Schrift von Engels über den Ursprung etc. nicht als „populär" von seinen Erwägungen ausgeschlossen, so hätte er sehr schnell entdeckt, dass die Blutrache ebenso zum sozusagen „juristischen Überbau" der Gentilgesellschaft gehörte, wie die Todesstrafe zum juristischen Überbau der Zivilisationsgesellschaft gehört. Engels sagt von der Gentilgesellschaft: „Allen Zank und Streit entscheidet die Gesamtheit derer, die es angeht, die Gens oder der Stamm, oder die einzelnen Gentes unter sich – nur als äußerstes, selten angewandtes Mittel droht die Blutrache, von der unsre Todesstrafe auch nur die zivilisierte Form ist, behaftet mit allen Vorteilen und Nachteilen der Zivilisation."24 Nach den Produktionsbedingungen der Gentilgesellschaft war, was außerhalb des Stammes, auch außerhalb des Rechtes, und wenn Tylor sagt, die Rache arte meist in offenen Krieg aus, sobald der Mörder einem fremden Stamm angehöre, und eine solche Blutfehde könne Generationen hindurch erbitterte Kämpfe veranlassen, so wird Herr Barth nunmehr wohl einsehen, dass diese „Rachsucht", welche Kriege der Wilden erzeugt, keine „ideologische Ursache", sondern eine aus einer bestimmten Wirtschaftsform fließende Form der Justiz ist. Natürlich kann das barbarische Strafrecht ebenso wie das zivilisatorische – siehe Sozialistengesetz! – missbraucht werden, und es wird namentlich missbraucht, wo barbarische Stämme sich mit der Zivilisation berühren und durch deren Einflüsse degenerieren, aber dann wird es erst recht aus einer ideologischen zu einer ökonomischen Kategorie, nicht zur Rach-, sondern zur Raubsucht. Stellen wir dem englischen Forscher des Herrn Barth einen französischen gegenüber, so schreibt Dumont von den Albanesen, die uralte Europäer, ja sogar meistens Christen sind: „Den Nachbarstamm überfallen, besonders wenn er von anderer Religion ist, und seine Herden rauben ist ein Vergnügen, das gute Profite für die Zeit der Ruhe verspricht. Vorwände zu Angriffen sind nicht einmal notwendig: der Fremde ist der natürliche Feind und mag gute Wacht halten; schuldig ist, wer sich überfallen lässt. Besonders zwischen Leuten von verschiedenen Stämmen entstehen Beschwerden unter den nichtigsten Vorwänden. Beleidigungen eröffnen den Kampf, und sobald Blut vergossen ist, erklärt sich der ganze Stamm solidarisch mit der Familie des Opfers. Die Blutrache stirbt in den Bergen nicht aus." Hier hat Herr Barth auch gleich ein Pröbchen von den „religiösen Motiven" in den Kriegen der Barbaren, und vielleicht dämmert ihm auch eine Ahnung davon auf, ob und wie „gute Profite" die „ehrgeizigen Absichten eines Häuptlings" erwecken können. In diesen beiden Punkten führt er keine „Anthropologen" an, sondern rettet sich durch einen Seitensprung in die „historische Zeit", wo der „Ehrgeiz" Alexanders von Mazedonien und die „Religionskriege des Islam" „klar zutage liegen" sollen. „Klar zutage" allerdings, Herr Barth, für die krude, an der äußeren Oberfläche der Dinge haftende Auffassung der bürgerlichen Geschichtsforschung und selbst für die nicht einmal, wie denn der deutsche Geschichtsschreiber Alexanders, der preußische Historiker Droysen, sein Buch nicht etwa nach der Geschichtstheorie des Herrn Barth beginnt: „Der Ehrgeiz Alexanders schuf eine neue Periode der Weltgeschichte", sondern sehr viel verständiger: „Der Name Alexander bezeichnet das Ende einer Weltepoche, den Anfang einer neuen." Zutage mag der Ehrgeiz Alexanders liegen, aber was unter Tage ist, darum dreht sich die Frage, und dieser Frage geht Herr Barth sorgfältig aus dem Wege.

Unmittelbar nach seiner Anleihe bei Rodbertus über die ökonomisch wichtige Rolle, welche die Sklaverei in der Geschichte gespielt hat, fährt er fort: „Für den Ausgang des Mittelalters hat Marx selbst Material zu seiner Widerlegung geliefert, indem er die Vertreibung der englischen bäuerlichen Hintersassen durch die Feudalherren, welche der steigenden Weidepreise wegen das Land in Schafweide mit wenigen Hirten verwandelten, die sogenannten enclosures, und die Verwandlung jener Bauern in vogelfreie Proletarier, die sich nun der aufkommenden Manufaktur zu Gebote stellten, für eine der ersten Ursachen der ursprünglichen ‚Akkumulation' des Kapitals erklärt. Diese ‚Agrikulturrevolution' geht zwar nach Marx zuletzt auf das Entstehen der Wollmanufaktur zurück, aber nach seiner eigenen Darstellung werden die feudalen Gewalten, die gewinnsüchtigen Landlords, doch zu ihren gewaltsamen Hebeln, d. h. eine politische Macht wird ein Glied in der Kette der wirtschaftlichen Umwälzungen." Und damit Punktum. Nun wissen wir zwar, dass nach Ansicht gewisser Bourgeoisgelehrter Marx sich in „Selbstwiderlegungen" förmlich berauscht hat, aber wie und wo er sich in dem von Herrn Barth angezogenen Punkte selbst widerlegt haben soll, das zu fassen, geht über unsere bescheidenen Verstandskräfte. Einen oberflächlichen Schein könnte die Beweisführung des Herrn Barth vielleicht gewinnen, wenn die Landlords die „Klinke der Gesetzgebung ergriffen hätten", um die Bauern zu enteignen – wir sagen: einen oberflächlichen Schein, denn auch dann wäre selbstverständlich die Politik abhängig von der Ökonomie. Aber wenn man die Stelle bei Marx nachschlägt, so findet man, dass die Gesetzgebung gerade einige schwache Versuche machte, sich dieser ökonomischen Umwälzung zu widersetzen, aber an den Bedürfnissen der beginnenden kapitalistischen Produktion scheiterte, dass der große Feudalherr, „im trotzigsten Gegensatz zu Königtum und Parlament", die Bauern von ihrem Grund und Boden verjagte und ihr Gemeindeland usurpierte. Die „Selbstwiderlegung" von Marx besteht also darin, dass Herr Barth mit seiner Zauberformel „d. h." die „feudalen Gewalten, die gewinnsüchtigen Landlords" in eine „politische Macht" verwandelt. Und in diesem Falle ist Geschwindigkeit allerdings eine Hexerei.

Gleich nach den eben angeführten Sätzen „geht" Herr Barth „noch weiter zurück" und sucht nachzuweisen, dass die feudalen Gewalten ihr Entstehen „politischen Momenten" verdanken. Wir können darüber hinwegsehen einerseits, weil Herr Barth hier nicht weiter gegen Marx und Engels polemisiert, sondern aus einigen bürgerlichen Autoritäten mit allerhand Sophismen und Wortklaubereien einen ganz hinfälligen Beweis zu führen sucht, andererseits, weil der soziale Ursprung des Feudalismus sozusagen mit Händen zu greifen und neuestens noch von dem bedeutendsten bürgerlichen Geschichtsschreiber der deutschen Gegenwart bündig nachgewiesen worden ist.XXI Für die „Neuzeit" sucht Herr Barth die Abhängigkeit der Ökonomie von der Politik dadurch zu erweisen, dass er sagt, im Zeitalter der Entdeckungen sei der Handel auf die aus Eroberungssucht, also aus politischen Motiven unternommenen Expeditionen gefolgt. In einem früheren Abschnitte haben wir aber schon gesehen, welchen ökonomischen Zusammenhang es mit den Entdeckungen und Erfindungen in der Geschichte hat, und brauchen auf die „Eroberungssucht" des Kolumbus usw. nicht mehr einzugehen; der Handel folgte nicht auf die, sondern führte zu den Entdeckungen; auch hier war die Ökonomie die letzte Instanz. Und wenn sich Herr Barth schließlich auf den engsten Zusammenhang zwischen der Staatsform der absoluten Monarchie und den nur unter ihr in so großer Zahl möglichen Monopolen bezieht, so hätte er schon aus Luthers Klagen über die „Gesellschaften Monopolia" wissen sollen, dass die Monopole lange vor der absoluten Monarchie bestanden und dass der „engste Zustand" hergestellt wurde nicht durch die Monopole als einer ökonomischen Form der absoluten Monarchie, sondern der absoluten Monarchie als einer politischen Form der kapitalistischen Produktionsweise.

Und mit diesen fünf zerschmetternden Streichen glaubt Herr Barth den historischen Materialismus niedergestreckt zu haben, insoweit dieser die Politik von der Ökonomie abhängig sein lässt.

Herr Barth will weiter die Ansicht von Marx widerlegen, dass die Eigentumsverhältnisse der juristische Ausdruck der Produktionsverhältnisse seien, dass, wie Herr Barth es ausdrückt, das Recht „eine bloße Funktion der Ökonomie" sei. „Auf den ersten Blick erscheint dies als falsch, da sich dieselben Produktionsverhältnisse unter sehr verschiedenen rechtlichen Formen denken lassen, wie Marx selbst sowohl kommunistischen Ackerbau ohne Sklaverei als auch Ackerbau mit Privateigentum und Sklaverei anführt, also zwei verschiedene Rechtsformen auf derselben Produktionsstufe." Aber ist es denn wirklich zu glauben? Da Herr Barth einmal etwas davon hat läuten hören, dass der Ackerbau ein Produktionszweig ist, so denkt er, der Ackerbau sei auch ein Produktionsverhältnis und eine Produktionsstufe! Nach der Ansicht von Marx entsteht und wechselt das Eigentum an Grund und Boden aus den Produktionsverhältnissen des Ackerbaus; je nachdem er in Gemeinwirtschaft oder in Sonderwirtschaft betrieben wird, von denen jede sich in den verschiedensten Produktionsstufen entwickeln kann und entwickelt hat, entsteht ein Gemein- oder Sondereigentum in den verschiedensten Abstufungen. „Auf den ersten Blick erscheint dies als richtig", aber für Herrn Barth ist alles eins: Gentilgenosse und römischer Latifundienbesitzer, Markgenosse und Feudalherr, Bauer, Junker und Höriger; sie gehören alle dem Produktionszweige des Ackerbaus an, also stehen sie in demselben Produktionsverhältnis und auf derselben Produktionsstufe, und nur dem Rechte, das eine eigene, selbständige Existenz führt und der Himmel weiß woher geschneit kommt, ist es zu danken, dass sie aus dem Glückstopf ein gar so verschiedenes Los gezogen haben.

Indessen, „um fernerliegende Beispiele zu übergehen", so sagt Herr Barth: „Heutigen Tages noch sehen wir, wie gewisse Rechtsideen und politische Grundsätze, dem freien Schalten der ökonomischen Mächte entgegenwirkend, zuerst in England, dann in fast allen Kulturstaaten eine Arbeiterschutzgesetzgebung geschaffen haben und fortwährend zu erweitern bestrebt sind." Mit diesem Satze bekundet Herr Barth zunächst, dass er den historischen Materialismus auch noch nicht einmal oberflächlich erfasst hat, wenn er das flachste Schlagwort des Manchestertums als seine Quintessenz ansieht. In der Sache weiß er aus dem „Kapital" von Marx, dass die englische Fabrikgesetzgebung das Ergebnis eines äußerst heftigen und langwierigen Klassenkampfs zwischen Aristokratie, Bourgeoisie und Proletariat war; sie hatte also eine ökonomische, nicht aber eine moralische oder politische Wurzel. Und was die „andern Kulturstaaten" anbetrifft, so sollte Herr Barth mindestens aus seinem lieben Vaterlande wissen, wie wenig „Rechtsideen und politische Grundsätze" den „ökonomischen Mächten" dreinzureden haben. Die heilsamen Folgen der englischen Fabrikgesetzgebung lagen seit ein paar Jahrzehnten vor aller Welt Augen, als der Norddeutsche Reichstag im Jahre 1869 die Gewerbeordnung beriet, und wenn dieser erleuchteten Körperschaft die englischen Verhältnisse wirklich ganz unbekannt gewesen wären, so sorgten die paar sozialdemokratischen Abgeordneten dafür, sie auf die „Rechtsideen und politischen Grundsätze" der englischen Fabrikgesetze hinzuweisen. Kehrte sich nun der Norddeutsche Reichstag an die Aufforderung, einen obendrein sehr bescheiden bemessenen, gesetzlichen Arbeiterschutz in die Gewerbeordnung aufzunehmen? Fiel ihm gar nicht ein. Und weshalb nicht? Mag das Herr Barth von dem amtlichen Historiographen des preußischen Staats lernen: „In einigen Paragraphen der Gewerbeordnung lässt sich wohl erkennen, dass die Interessen der Unternehmer im Reichstag stark vertreten waren."XXII Das ist viel zu wenig gesagt, wie denn auch Treitschke sich krampfhaft bemüht, den Vorwurf der Klassenselbstsucht von dem Norddeutschen Reichstage abzuwehren, aber dies widerwillig abgelegte Zeugnis genügt schon, um das ganze Gerede von den „Rechtsideen und politischen Grundsätzen", die den gesetzlichen Arbeiterschutz erzeugt haben sollen, in die Luft zu sprengen. Was von solchem Schutze bisher in Deutschland erreicht ist, das ist nach dem abermals widerwillig abgelegten, aber umso glaubwürdigeren Zeugnis des Herrn Bismarck einzig dem Kampfe der deutschen Arbeiterklasse zu danken. Die Kehrseite der Medaille hat inzwischen Herr Barth an den kaiserlichen Februar-Erlassen von 1890 studieren können. Sie allerdings gingen von „gewissen Rechtsideen und politischen Grundsätzen" aus, und obendrein stand die „politische Macht" mit allen ihren Kräften hinter ihnen, und trotzdem ist ihre Wirkung gleich Null gewesen, weil die „ökonomischen Mächte" ihnen widerstrebten.


Ebenso schnell wie das Recht" – so behauptet Herr Barth weiter – „lassen die Marxisten die Moral als bloße Nebenerscheinung, gewissermaßen Abfallsprodukt, aus der Ökonomie hervorgehen, und zwar mit nicht weniger Unrecht." Man beachte, wie Herr Barth durch eine hämisch entstellte Wiedergabe dessen, was die „Marxisten" über die Widerspiegelung der ökonomischen Entwicklungskämpfe in den moralischen Anschauungen zu sagen haben, auf die „moralische Entrüstung" des Philisters spekuliert. Seinerseits meint er, die moralischen Vorstellungen erhielten durch die religiösen eine „überirdische, metaphysische Sanktion" und gewännen durch diese Verknüpfung ein fast ebenso selbständiges, aus eigener Kraft wirkendes und rückwirkendes Dasein wie die Religionen. Die Religion stehe ihrem Ursprunge nach der Ökonomie fern: dass die Ökonomie auf sie eingewirkt habe, sei nicht ausgeschlossen, von Marx aber nur behauptet, nicht bewiesen. Dagegen sei das Umgekehrte dessen, was Marx behaupte, überall in der Geschichte handgreiflich, nämlich ein tiefgehender Einfluss der Religion auf die Ökonomie. „Im Orient wurde durch die Religion überall ein besonders privilegierter Priesterstand geschaffen, durch die Tributpflichtigkeit der übrigen Stände von der physischen Arbeit befreit und für geistige Tätigkeit ausgesondert, also ein Teil der Produkte der Wirtschaft in ihrer Verwendung durch die Religion bestimmt. Während in der griechisch-römischen Kultur die priesterliche Tätigkeit selten besonderen Organen oblag, führte das Christentum zu der orientalischen Differenzierung zurück, schuf einen besonderen Priesterstand, den es reichlich ausstattete, und sonderte so einen Teil der ökonomischen Güter aus als materielles Substrat für religiöse Tätigkeit, die bald zu allgemein geistiger wurde." So wörtlich Herr Barth, den wir hier wieder ein wenig auf Schritt und Tritt eskortieren müssen.

Es scheint, dass er sich nie die Frage vorgelegt hat, woher denn jene „Differenzierung" im „Orient" kam, und weshalb das „Christentum" wieder auf sie zurückführte. Und das ist umso auffallender, als er ja das „Kapital" von Marx zu kennen behauptet und also auch den Satz gelesen hat: „Die Notwendigkeit, die Perioden der Nilbewegung zu berechnen, schuf die ägyptische Astronomie und mit ihr die Herrschaft der Priesterkaste als Leiterin der Agrikultur."XXIII25 Und ganz ähnlich wie mit dem Nil für die ägyptische, stand es mit dem Tigris und dem Euphrat, dem Jangtsekiang und dem Hwangho für andere orientalische Zivilisationen. Der russische Forscher Metschnikoff sagt darüber: „So ein Fluss-Ernährer fordert mit Todesdrohen eine enge und dauernde Solidarität zwischen jenen Massen der Bevölkerung, die oft einander fremd, ja feindlich sind; er verurteilt jedermann zu solchen Arbeiten, deren gemeinsame Nützlichkeit sich erst mit der Zeit offenbart und deren Plan sehr oft einem gewöhnlichen Menschen ganz unverständlich bleibt. Das ist die eigentliche Ursache der furchtsamen und vergötternden Anbetung des Flusses, dieses Gottes, der ernährt und befiehlt, tötet und Leben gibt, der seine Geheimnisse nur wenigen Auserwählten anvertraut und von gewöhnlichen Sterblichen einen blinden Gehorsam fordert."XXIV Und also wurde „im Orient" nicht, wie Herr Barth behauptet, „durch die Religion", sondern durch die Ökonomie ein besonders privilegierter Priesterstand geschaffen; nicht die Religion bestimmte die Ökonomie, sondern umgekehrt die Ökonomie bestimmte die Religion.

Weshalb führte nun aber das „Christentum" zu dieser „orientalischen Differenzierung" zurück. Weshalb schuf es einen Priesterstand, der ein Drittel des Grundbesitzes, die Hälfte des Einkommens und zwei Drittel des Vermögens von ganz Europa besaß, wie Herr Barth staunend sagt? Ja, wenn Herr Barth nur nicht die wissenschaftlichen Arbeiten von Kautsky aus seiner „wissenschaftlichen" Kritik ausgeschlossen hätte, so würde er seine Unkenntnis der Dinge nicht so traurig verraten. „Als die Germanen in das römische Weltreich eindrangen, da trat ihnen die Kirche entgegen als Erbe der Cäsaren, als die Organisation, die den Staat zusammenhielt, als der Vertreter der Produktionsweise des Ausgangs der Kaiserzeit. So erbärmlich auch dieser Staat war, so herabgekommen auch die Produktionsweise, beide waren den politischen und ökonomischen Zuständen der barbarischen Germanen weit überlegen…. Die Kirche lehrte sie höhere Formen des Landbaus; die Klöster blieben bis spät ins Mittelalter die landwirtschaftlichen Musteranstalten. Geistliche waren es auch, die den Germanen Kunst und ausgebildetes Handwerk brachten; unter dem Schutze der Kirche gedieh nicht nur der Bauer, sie schirmte auch die Mehrzahl der Städte, bis diese stark genug waren, sich selbst zu schützen. Der Handel wurde von ihr besonders begünstigt. Die großen Märkte wurden meist in oder bei Kirchen abgehalten. Die Kirche war auch die einzige Macht, die im Mittelalter für die Erhaltung der großen Handelsstraßen sorgte und durch die Gastfreundschaft der Klöster das Reisen erleichterte. Manche derselben, z. B. die Hospize auf den Alpenpässen, dienten fast ausschließlich der Förderung des Handelsverkehrs … Und dass das ganze Wissen des Mittelalters allein bei der Kirche zu finden war, dass sie die Baumeister, Ingenieure, Ärzte, Historiker, Diplomaten lieferte, ist allbekannt. Das ganze materielle Leben der Menschen und damit auch ihr geistiges war ein Ausfluss der Kirche … Sie machte den Germanenhäuptling, den demokratischen Volksvorsteher und Heerführer zum Monarchen: aber mit der Macht des Monarchen über das Volk stieg auch die Macht der Kirche über den Monarchen. Er wurde ihre Puppe, die Kirche aus einer Lehrerin zur Herrscherin."XXV Und wie die Kirche nun ihre allumfassende Machtstellung zu ihrer kolossalen Bereicherung ausnutzte, das mag Herr Barth bei Kautsky ausführlich nachlesen. Er wird dann sofort begreifen, dass, wie er sagt, das „Christentum" und, wie er logischerweise sagen sollte, die feudale Produktionsweise „einen Teil der ökonomischen Güter" aussonderte als „materielles Substrat" nicht für „religiöse Tätigkeit", sondern für die ökonomische Leitung der Produktion. Je überflüssiger diese Leitung durch das Entstehen der bürgerlichen Produktionsweise wurde, umso mehr wurden auch die ökonomischen Güter der Kirche heimgeramscht. Nach der ideologischen Auffassung ist der Protestantismus ja eine Erneuerung des Urchristentums, des religiösen Sinnes, der innerlichen Gläubigkeit, und in gewissem Sinn ist das auch richtig: die ökonomischen Umwälzungen des Reformationszeitalters stürzten die Massen namentlich in Deutschland in einen solchen Abgrund von Elend, dass sie ihrer irdischen Angelegenheiten am liebsten vergaßen und sich mit Gott und Teufel, mit himmlischer Seligkeit und höllischer Folterqual viel eindringlicher beschäftigten, als der lebensfrohe Katholizismus des Mittelalters jemals getan hatte. Hätte Herr Barth also recht, so hätte „die religiöse Tätigkeit" der Priester dieses „Christentums" ein umso reicheres „materielles Substrat" erhalten müssen, aber der sprichwörtliche Hungerpastor der evangelischen Kirche kann ihm darüber ein anderes Licht aufstecken.

Wir übergehen, was Herr Barth in zwei Zeilen über den religiösen Ursprung der Kreuzzüge sagt, da diese Frage von Kautsky schon ausreichend erörtert ist. Aber den letzten Trumpf, womit „er die bestimmende Wichtigkeit der Religion für den gesamten Lebensprozess am klarsten" beweisen will, müssen wir wieder etwas genauer betrachten. Er hält diesen Beweis für unwiderleglich geführt, „wo zwei Völker, in allem gleich, nur in der Religion verschieden, eine durchaus verschiedene Entwicklung ihrer Leistungen und Zustände zeigen". Als solche Völker stellt er uns die Osmanen und Magyaren vor, die eng verwandt, in ihren ursprünglichen Wohnsitzen in der turanischen Tiefebene einander benachbart, die ersten gegen Ende des neunten, die andern im zwölften Jahrhundert nach Europa vordrangen. Zweihundert Jahre lang waren die Osmanen den Magyaren überlegen; dann aber trat der unaufhaltsame Verfall der Osmanen ein, während die Magyaren eine politisch und wirtschaftlich aufstrebende, noch zukunftsreiche Nation sind. „Da die übrigen Momente für die Osmanen günstiger als für die Magyaren liegen, so kann nur die Verschiedenheit der Religion jene Divergenz erklären. Das Christentum, den geistigen Mächten höheren Wert beimessend, spornte die Magyaren zu einer höheren geistigen Entwicklung, während der Islam, von geringerem geistigen Gehalt, die Osmanen zur Konkurrenz mit den christlichen Völkern unfähig machte." Wir schenken Herrn Barth gern allen weiteren Widersinn, der in diesen wenigen Sätzen steckt, beispielsweise die glorreiche Unterstellung, dass er jenes unentwirrbare Gemengsel von Deutschen, Juden, Slawen, Rumänen, Magyaren und vor allem Mischlingen, welches Ungarn bevölkert, als eine blutreine Rasse aus der turanischen Tiefebene herleitet. Es würde uns auch zu weit führen, hier zu untersuchen, wo die Volksmasse geistig und sittlich „verfallener" ist, in Ungarn oder in der Türkei, obschon wir uns darauf berufen könnten, dass Marx, der diese Dinge ein wenig genauer studiert hatte als Herr Barth, in einem Briefe an Liebknecht den türkischen Bauer, also die türkische Volksmasse „als unbedingt einen der tüchtigsten und sittlichsten Repräsentanten des Bauerntums in Europa" kennzeichnet.XXVI26 Um die ganze Beweisführung des Herrn Barth zu zertrümmern, genügt schon der einfache Hinweis auf die weltgeschichtliche, hoffentlich auch Herrn Barth nicht unbekannte Tatsache, dass im ganzen Mittelalter die islamitische Kultur die christliche Kultur himmelhoch überragte. Von den drei großen Kulturkreisen, die das Erbe der römisch-hellenischen Kultur übernahmen, dem romanisch-germanischen, dem gräko-slawischen und dem ägypto-syrisch-arabischen, übernahm dieser das ganze Wissen des Altertums in der Mathematik, Astronomie, Chemie, Mechanik, Medizin; nicht Rom und nicht Konstantinopel, sondern Alexandrien war das Zentrum der Wissenschaft im römischen Reiche gewesen. Der religiöse Ausdruck des germanisch-romanischen Kulturkreises war nun die römische, des gräko-slawischen die griechische Kirche, des ägypto-syrisch-arabischen aber der Islam. Und wenn die famose Beweisführung des Herrn Barth richtig ist, so müsste für das ganze Mittelalter gelten, dass „der Islam, den geistigen Mächten höheren Wert beimessend, die Araber zu einer höheren geistigen Entwicklung anspornte, während das Christentum, von geringerem geistigen Gehalt, die romanisch-germanischen Völker zu einer Konkurrenz mit den mohammedanischen Völkern unfähig machte". Aber freilich – Herr Barth ist auf dem Holzwege; nicht die Religion, sondern die Ökonomie bestimmt den gesamten Lebensprozess, und weil die islamitische Kultur nicht aus ihrer ökonomischen Zellenform, der urwüchsigen Dorfgemeinde, die heute noch im Orient herrscht, herausgewachsen ist, deshalb ist sie von der christlichen Kultur überflügelt worden, die sich aus der feudalen zur bürgerlichen Produktionsweise entwickelte, natürlich nicht wegen, sondern trotz der christlichen Kirche, die selbst nur ein unaufhaltsam verblutendes Opfer dieser Entwicklung geworden ist.

Mit Recht nennt Marx jede Religionsgeschichte, die von ihrer materiellen Basis absieht, unkritisch. Es sei in der Tat weit leichter, durch Analyse den irdischen Kern der religiösen Nebelbildungen zu finden, als umgekehrt aus den jedesmaligen wirklichen Lebensverhältnissen ihre verhimmelten Formen zu entwickeln. Aber dies sei die einzig materialistische und daher wissenschaftliche Methode. Und nach dieser Methode sind die wichtigsten Phasen des Christentums untersucht worden, um überall die Abhängigkeit der religiösen Vorstellungen von dem jeweiligen, unmittelbaren Produktionsprozess des Lebens zu ergeben.XXVII Die geistige Macht des Christentums als selbständig schaffender und wirkender Faktor verflüchtigt sich dabei bis auf die letzte Spur. Im Unterschiede zu den alten heidnischen Natur- und Volksreligionen, die den unter durchsichtigen und einfachen Verhältnissen produzierenden Menschen das Verständnis der Natur vermitteln, solange es keine Naturwissenschaft gibt, hatte das Christentum einen rein ökonomischen Ursprung; es war eine soziale, eine Massen-, eine Weltreligion, entstanden auf dem Boden des römischen Weltreichs und aus verschiedenen Ideologien seiner Völkerelemente unter dem Eindruck, den der unheimlich-unverständliche Prozess eines ungeheuren ökonomischen Verfalls auf Geist und Gemüt der Menschen machte. Und mit jeder Umwälzung der Produktionsweise wälzte sich der geistige Inhalt der christlichen Religion langsamer oder schneller um. Das leuchtet nachgerade selbst den besseren bürgerlichen Geschichtsschreibern ein, wie denn Gustav Freytag hervorhebt, dass der christliche Glaube schon in den ersten Jahrhunderten seines Bestehens große Wandlungen erfahren habe. Er ist diesen Wandlungen unausgesetzt unterlegen je nach dem Wandel der ökonomischen Entwicklung. Will man den geistigen Gehalt des Christentums feststellen, der ihm in allem Wechsel der Zeiten gemeinsam gewesen ist, so hat man höchstens ein paar abstrakte und dürre Formeln in der Hand und auch die kaum, Formeln im günstigsten Falle, die nicht einmal eine Federflocke, geschweige denn eine Welt bewegen. Als Weltreligion eines Weltreichs musste das Christentum eine ungemeine Anpassungsfähigkeit an die verschiedensten ökonomischen Zustände und deren ideologische Bedürfnisse entwickeln; in Italien nahm es starke Bestandteile der antiken Mythologie, in Deutschland nicht minder starke Bestandteile des germanischen Götterglaubens, in China die Verehrung des Konfuzius und des Ahnenkultus in sich auf. Und wenn die Bibel mehr als ein Jahrtausend für die europäischen Völker das Buch der Bücher war, wenn sie auf die geistigen und religiösen Vorstellungen dieser Völker einen ganz einzig dastehenden Einfluss übte, so geschah das nicht wegen ihrer göttlichen und unanfechtbaren Wahrheit, sondern gerade wegen ihrer zahllosen Widersprüche. Kautsky sagt darüber treffend: „Dieses Buch bildet den geistigen Niederschlag der verschiedensten gesellschaftlichen Zustände und Richtungen von der barbarischen Gentilgesellschaft bis zur Gesellschaft der römischen Kaiserzeit, die den Gipfel der einfachen Warenproduktion erklommen hatte und an der Schwelle der kapitalistischen Produktion zusammengebrochen war. Bis zur Zeit der Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise hat es keine Klasse, keine Partei gegeben, die nicht in der Bibel Vorbilder und Argumente gefunden hätte." Je mehr sich aber die kapitalistische Produktion entwickelt, um so mehr nimmt der geistige Einfluss der Bibel ab; je durchsichtiger der ökonomische Produktionsprozess wird, um so mehr erlischt der religiöse Widerschein der wirklichen Welt, und endlich „streift die Gestalt des gesellschaftlichen Lebensprozesses, d. h. des materiellen Produktionsprozesses, nur ihren mystischen Nebelschleier ab, sobald sie als Produkt frei vergesellschafteter Menschen unter deren bewusster planmäßiger Kontrolle steht" (Marx).27

Gerade in ihrer mittelalterlichen Blütezeit zeigt sich die christliche Kirche am klarsten als politische Organisation einer bestimmten ökonomischen Gesellschaftsformation. Darüber hätte sich Herr Barth auch erst aus Kautsky unterrichten sollen, ehe er die, gelinde gesagt, merkwürdige Naivität hatte, die Sachsenkriege Karls des Großen und die Wendenkriege der späteren Sachsenkaiser auf „religiöse Motive" zurückzuführen. Der „religiöseste" dieser Kaiser war Heinrich II., der von der römischen Kirche sogar unter ihre Heiligen aufgenommen worden ist. Zu Heinrichs Zeit, im Anfange des elften Jahrhunderts, erstand nun in dem polnischen Könige Boleslaw ein noch feurigerer Heidenbekehrer. Boleslaw bedrängte schwer die heidnischen Liutizen, die diesseits der Oder in der heutigen Mark Brandenburg saßen und zwanzig Jahre vorher in einem furchtbaren Aufstande das christlich-deutsche Joch abgeschüttelt hatten. Nach Herrn Barths feiner Geschichtstheorie hätte der heilige Heinrich den ambrosischen Lobgesang darüber anstimmen müssen, dass die heidnischen Götzendiener nun doch noch von einem christlichen Mitfürsten bekehrt werden sollten. Stattdessen schloss Heinrich ein Bündnis mit den Liutizen gegen den polnischen König. Die Liutizen räumten ihm einige Festen in ihrem Lande ein und versprachen, ihm Tribut zu zahlen, wofür er ihren Landesgemeinden die Ordnung aller inneren Angelegenheiten und die freie Ausübung ihres Götzendienstes gestattete. Dann fielen beide gemeinsam, die Liutizen mit ihren Götzenbildern voran, über den polnischen König her.XXVIII Die Ausdehnung des Christentums war damals die ideologische Verkleidung für Ausdehnung der Staatsmacht; die Gründung eines Bistums in einem heidnischen Lande bedeutete seine Einverleibung in den Staat, der das Bistum gründete, bedeutete Ausbeutung, Unterjochung, Versklavung der Unterworfenen durch die römische Produktionsweise. Und eher verzichtete ein heiliger König auf alle christlichen Glaubensartikel und versöhnte sich mit allen heidnischen Gräueln, ehe er einem nicht minder heiligen Mitkönige auch nur eine arme Scholle des Landes gönnte, auf das er einen heiligen Raubanspruch zu haben glaubte. Aber wie wohl die „erhabene Kulturmission" des Christentums diesen armen Schelmen von Liutizen eingeleuchtet haben mag, die sich nur dadurch eine kurze Galgenfrist erkauften, dass sie den einen hungrigen Wolf mit dem andern bekämpften!

Etwas über hundert Jahre später machte sich ein anderer polnischer Boleslaw aus „religiösen Motiven" über die heidnischen Pommern her. Er zog verheerend durch das Land; weite Landstrecken wurden völlig verwüstet; die Bewohner flüchteten über das Meer oder versteckten sich in den Wäldern. Als er endlich Stettin erobert hatte, unterwarf sich das noch vorhandene Volk und versprach, was die Plünderer in erster Reihe verlangten: Annahme des Christentums, will sagen Unterwerfung unter die polnische Herrschaft. Aber die Sache hatte ihre Schwierigkeiten. Denn kaum war Boleslaw abmarschiert und hatte den Bischof Bernhard als Bekehrer gesandt, als die Pommern mit diesem frommen Gottesmanne kurzen Prozess machten und ihn heim jagten, so dass er kaum mit dem nackten Leben davonkam. Beiläufig: es gehört zu den Märchen der ideologischen Geschichtsschreibung, dass die Misshandlungen und Morde, die an den christlichen Glaubensboten des Mittelalters von heidnischen Völkerschaften so oft verübt worden sind, auf blutdürstigen Glaubensfanatismus zurückzuführen seien. Die alten Natur- und Volksreligionen waren gewöhnlich tolerant, einfach weil sie ein geistiges und gemütliches Verhältnis zwischen Menschen und Natur vermittelten und weil es ihren Bekennern somit sehr gleichgültig sein konnte, wie sich andere Menschen über dies Verhältnis klarzuwerden suchten. Dagegen sind soziale Weltreligionen gewöhnlich intolerant, einfach weil sie unter ideologischer Verkleidung die, um mit Marx zu sprechen, „heftigsten, kleinlichsten und gehässigsten Leidenschaften der menschlichen Brust, die Furien des Privatinteresses, auf den Kampfplatz“28 rufen. Wenn trotzdem die mittelalterlichen Heiden die christlichen Missionare, die bis auf einzelne aufrichtige Ideologen auch gerade nicht die besten Brüder waren, so oft erschlugen, so handelten sie aus derselben tragischen Kurzsichtigkeit heraus, aus welcher die Arbeiter bei der ersten Einführung des Maschinenbetriebes so oft die Maschinen zertrümmerten. Gewiss waren die Missionare die Träger einer höheren Produktionsweise, aber man konnte von den Heiden, für welche diese Produktionsweise die scheußlichste Ausbeutung und Unterdrückung, Verknechtung und Versklavung bedeutete, billigerweise nicht das Verständnis für „höhere Gesichtspunkte" erwarten. Sie glaubten, die Sache selbst mit ihren Trägern zu erschlagen.

Genug also: der Bischof Bernhard kehrte zerschlagen nach Gnesen zurück und meldete dem Herzoge Boleslaw, als dürftiger und machtloser Prediger des Evangeliums habe er nichts ausgerichtet; der Herzog müsse einen glänzenden und reichen Kirchenfürsten senden, der diesem verruchten Heidenvolk imponiere; mit andern Worten: durch Gold müsse versucht werden, was die Waffen bei alledem nicht durchgesetzt hatten. Bekanntlich warb dann der Herzog den Bischof Otto von Bamberg für das Missionswerk. Der hatte sich in den Kämpfen zwischen Kaiser und Papst als ein gewandter und keineswegs peinlich denkender Diplomat bewährt; reich mit Geschenken beladen, umgeben von einem reisigen Gefolge, rückte er in Pommern ein und gewann durch Bestechung heidnischer Häuptlinge schnell einige Erfolge. Aber in Stettin legte sich die Volksmasse quer in den Weg. Sie ließ den Bischof ruhig predigen, aber sie verlangte, ehe sie sich taufen ließ, beträchtliche Herabsetzung der Geld- und Kriegsleistungen, die der Herzog den Pommern auferlegt hatte, und erst nach langwierigen Verhandlungen, erst nachdem Boten nach Gnesen geschickt worden waren und die Zustimmung des Herzogs zu der beanspruchten Minderung der Lasten schriftlich überbracht hatten, kam Otto an sein Ziel. Die Stettiner ließen sich taufen, zerstörten sogar ihre Götzentempel, säckelten aber die Tempelschätze für sich ein, nachdem der Bischof, angeblich aus Großmut, darauf verzichtet hatte. Er zog mit leerem Beutel, aber mit dem Ruhme des Pommernapostels heim, und den genießt er ja noch heute, da nach den glaubwürdigen Versicherungen der ideologischen Historiker die 22.166 Pommern, die Otto im Fluge getauft hatte, durch seine ergreifende Beredsamkeit zum Glauben an die heilige Dreieinigkeit bekehrt worden sind.

Diese Beispiele zeigen wohl zur Genüge, was es mit den „religiösen Motiven" bei der mittelalterlichen Slawenbekehrung auf sich gehabt hat; sie ließen sich ins Hundertfache vermehren, doch können wir uns dabei nicht länger aufhalten. Ebenso wenig bei der ökonomischen Basis der neueren Religionsgeschichte, die durch Engels, Kautsky und andere längst ins klarste Licht gestellt worden ist. Nur den einzigen Einwand, den Herr Barth gegen die materialistische Auffassung des Reformationszeitalters macht, wollen wir noch kurz beleuchten. In einem Aufsatze der „Neuen Zeit" war zutreffend gesagt worden, die sämtlichen Reformationen und die sich daran knüpfenden, unter religiösen Firmen geführten Kämpfe, vom dreizehnten bis ins siebzehnte Jahrhundert, seien nach ihrer theoretischen Seite nichts als wiederholte Versuche des Bürgertums, der Städteplebejer und der im Anschluss an beide rebellisch gewordenen Bauern, die alte theologische Weltanschauung den veränderten ökonomischen Bedingungen und der Lebenslage der neuen Klasse anzupassen. Dieser „Herabsetzung" tritt Herr Barth mit dem tiefsinnigen Wort entgegen, um ihretwillen „werde übersehen, dass die fortgeschrittensten Handelsstädte, die lombardischen, jener Anpassung des Katholizismus an ihre durchaus neuen Lebensformen nicht bedurften, sondern ruhig die alten Religionsformen behielten"XXIX. Da Herr Barth Logik doziert, sollte er am Ende wissen, dass es zwei ganz verschiedene Dinge sind, ob man sagt: Sämtliche Reformationen gingen von Städtebürgern aus, oder ob man sagt: Sämtliche Städtebürger machten Reformationen. Oder wenn er es wirklich nicht wissen sollte, so wäre es doch ratsam, dass er sich nicht von der „Marxschen Voreiligkeit" anstecken ließe und ehrlichen Leuten ohne weiteres eine wissenschaftliche Fälschung unterstellte. Im Übrigen ist sein geistreicher Einwand schon zwei Jahre, ehe er das Licht der Welt erblickte, von Kautsky im „Thomas More" erledigt worden, wie folgt: „Je mehr die Warenproduktion sich entwickelte, je mehr der nationale Gedanke erstarkte, desto päpstlicher wurden die Italiener. Die Herrschaft des Papsttums bedeutete die Herrschaft Italiens über die Christenheit, bedeutete deren Ausbeutung durch Italien." Man bewundere aber wieder die feine Taktik des Herrn Barth: ebenso große Vorteile, wie er daraus schlug, dass er von Engels und Marx nur die „wissenschaftlichen", nicht aber die „populären" Schriften beachtet, schlägt er daraus, dass er von Kautsky nur die „populären", aber nicht die „wissenschaftlichen" Schriften kennt.

Am größten ist Herr Barth nun aber, wo er für den eigenen Altar und Herd kämpft. Die Philosophie soll in letzter Instanz auf ökonomischer Basis beruhen? Gräuel aller Gräuel! „Sie hat", so donnert Herr Barth, „ihren Ursprung und ihre Fortbewegung in einer speziellen, geistig hochentwickelten Klasse, die zwar in ihrem Anfang noch mit dem Leben des Volks, besonders dem religiösen, eng verbunden ist, aber bald ihr eigenes Leben herausbildet, das durch eine esoterische Tradition beherrscht, von dem Volksleben immer unabhängiger, bald eigenen Gesetzen folgt, ohne jedoch die Fähigkeit der Rückwirkung auf das Volksleben zu verlieren." Sollen wir Herrn Barth in der Illusion stören, dass von Heraklit bis auf Paul Barth eine Kette geheimnisvoller Wesen über der Menschheit schwebt, eigenen Gesetzen folgend und den Völkern nur von oben herab philosophische Rippenstöße versetzend? Es wäre zu grausam. Aber leider steigt Herr Barth selbst nochmals auf unsere arme Erde herab und belehrt uns: „Rousseau lebte in einer Gesellschaft der aufs höchste gesteigerten Privilegien und Ständeunterschiede, der Unterordnung unter einen allmächtigen Despotismus, aber durch die aus dem Altertum überlieferte, durch Hobbes und Locke fortgepflanzte Methode, den Staat rationell zu konstruieren, kam Rousseau zu der Entwerfung des Bildes einer Gesellschaft, welche, auf allgemeiner Gleichheit und Souveränität des Volkes gegründet, zu der bestehenden Verfassung Frankreichs in diametralem Gegensatze stand. Seine Theorie wurde durch den Konvent zur Praxis, die Philosophie also bestimmte die Politik und indirekt durch diese auch die Ökonomie." Vor dieser philosophischen Geschichtsphilosophie streichen wir allerdings die Segel. Rousseau war nicht der Wortführer der bürgerlichen Klassen, die durch ihre ökonomische Entwicklung den absolutistisch-feudalen Staat sprengten, sondern die bürgerlichen Klassen waren die gehorsamen Schüler des Schulmeisters Rousseau, die auf seine nach antiken Rezepten abgefasste Anordnung die Französische Revolution machten. Wir geben gern zu, dass die bürgerliche Geschichtsschreibung im Allgemeinen so anmutiger Scherze doch nicht mehr fähig ist.

Herrn Barths freundschaftlichen Rat aber, die Schlussworte von Albert Langes Geschichte des Materialismus zu beherzigen, müssen wir dankend ablehnen. Lange berührt mit keiner Silbe den historischen Materialismus; was dagegen vom Standpunkte dieses Materialismus über Langes vielfach ausgezeichnetes, aber nicht durchweg haltbares Werk zu sagen ist29, das hat längst der Arbeiterphilosoph Joseph Dietzgen gesagt, dem Engels nachrühmt, dass er die materialistische Dialektik, unabhängig von Marx und selbst von Hegel, wieder entdeckt habe. An unserem Teile empfehlen wir Herrn Barth, die Schriften dieses einfachen Lohgerbers zu lesen, und wenn er sie geistig verdaut hat, sein akademisches Philosophieren nochmals von vorn anzufangen.XXX


Einen letzten Partherpfeil versendet Herr Barth dann mit der Behauptung, dass die Geschichtstheorie von Marx sich materialistisch nenne, obgleich sie manche materiellen Elemente, wie Klima und Rasse, ganz vernachlässige. In der Tat! Lesen wir einmal folgenden Satz von Marx: „Von der mehr oder minder entwickelten Gestalt der gesellschaftlichen Produktion abgesehen, bleibt die Produktivität der Arbeit an Naturbedingungen gebunden. Sie sind alle rückführbar auf die Natur des Menschen selbst, wie Rasse usw. und die ihn umgebende Natur. Die äußeren Naturbedingungen zerfallen ökonomisch in zwei große Klassen, natürlichen Reichtum an Lebensmitteln, also Bodenfruchtbarkeit, fischreiche Gewässer usw., und natürlichen Reichtum an Arbeitsmitteln, wie lebendige Wassergefälle, schiffbare Flüsse, Holz, Metalle, Kohle usw. In den Kulturanfängen gibt die erstere, auf höherer Entwicklungsstufe die zweite Art des natürlichen Reichtums den Ausschlag."XXXI30 Doch lohnt es sich wirklich nicht, gegen die Spiegelfechterei des Herrn Barth ernsthaft zu sprechen. Wenn der historische Materialismus sagt: der Mensch lebt nicht nur in der Natur, sondern auch in der Gesellschaft, so sagt er doch nicht, was Herr Barth ihn mit seinem Gerede von Klima und Rasse sagen lassen will: der Mensch lebt nur in der Gesellschaft, aber nicht in der Natur.

Immerhin hat Herr Barth damit ein Problem angeschnitten, das auch sonst in bürgerlichen Köpfen viel Verwirrung anrichtet und deshalb wohl etwas klarer gestellt zu werden verdient. Der historische Materialismus sucht die geschichtliche Entwicklung in dem allmählichen Fortschritt von der Beherrschung des Menschen durch die Natur bis zur Beherrschung der Natur durch den Menschen. Dieser Fortschritt ist ein und derselbe mit dem Fortschritte von den zahllosen Menschenhorden, die sich aus dem Tierreich entwickelten, bis zu der einen sozialen Gemeinschaft, die einmal das ganze Menschengeschlecht umfassen wird. Der Gang der Geschichte ist nicht „Differenzierung des Homogenen, sondern Assimilierung des Heterogenen".XXXII Jene Differenzierung war die sagenhafte Auffassung, wie sie sich in der biblischen Genealogienbildung von Sem, Japhet und Ham, in der von Tacitus überlieferten germanischen von den drei Brüdern Ingaev, Istaev und Hermin oder der slawischen Czech, Lech und Ruß kundgibt. Diese Assimilierung aber ist die wissenschaftliche Auffassung, wie sie sich ebenso aus dem, was sich tagtäglich vor unsern Augen abspielt, als auch aus den Forschungen über die Urzeit der Menschheit ergibt.

Es gehört zu den unlöslichen Widersprüchen, in denen sich der naturwissenschaftliche Materialismus auf historischem Gebiete bewegt, dass er jenes Prinzip der Evolution, wonach er im Reiche der Natur die Eigentümlichkeiten einer bestimmten Tierrasse aus der Anpassung an ihre Umgebung im Kampfe ums Dasein erklärt, für den Kampf ums Dasein in der menschlichen Gesellschaft gänzlich leugnet und hier eine Beständigkeit der Menschenrassen behauptet, die nie bestanden hat und nie bestehen konnte. Im krampfhaften Anklammern an diese haltlose Vorstellung, in dem Bemühen, sie mit handgreiflich widersprechenden Tatsachen zu vereinen, ist der Begriff der Rasse überhaupt so unbestimmt geworden, dass Gumplowicz mit Recht sagt: „Hier ist alles Willkür und subjektives Scheinen und Meinen: nirgends ein fester Boden, nirgends ein sicherer Anhaltspunkt und auch nirgends ein positives Resultat." Tatsächlich hat schon in der vorgeschichtlichen Urzeit die Kreuzung und Mischung der verschiedenen Rassen und Stämme begonnen, und von den ersten Zivilisationen des Altertums weist der russische Forscher Metschnikoff nach, dass sie das Ergebnis von sehr bunten Mischungen verschiedener ethnischer Elemente gewesen seien, von Mischungen, worin man bisweilen nicht einmal annähernd die verhältnismäßige Bedeutung ihrer einzelnen Bestandteile auffinden kann. So z. B. ist es schwer zu sagen, welche von den drei Rassen, die schwarze, die gelbe oder die weiße, das meiste für die Zivilisation des alten Ägypten getan hat. Die Geschichte Chaldäas zeigt sogar, dass die schwarze Rasse, die sogenannten Kuschiten, in der Zivilisation allen voraus war. Noch viel weniger kommt man vorwärts, wenn man statt des Bluts oder der Farbe die Sprache zum Unterscheidungszeichen der Rassen annehmen will. In jeder der großen Sprachgruppen, der arischen, der semitischen und der mongolischen, finden sich Völker der allerverschiedensten Abstammung, und wenn Herr Barth das Wort irgendeines „genialen" Staatsmannes, die Rasse sei alles, zwar ein wenig einschränkt, aber doch sagt, die Rasse sei sehr viel, und diese Behauptung dadurch beweisen will, dass er die arische Rasse der semitischen an „politischen Fähigkeiten" überlegen sein lässt, so muss man in diesem Zusammenhange sagen: die Rasse ist nicht einmal wenig, sondern gar nichts. Und es ist ein wenig merkwürdig, dass Herr Barth sich auf das Wort irgendeines ungenannten englischen Staatsmannes beruft, während er doch wohl schon bei seinem weltbekannten englischen Mitphilosophen John Stuart Mill über die Annahme von Rassenunterschieden gelesen hat: „Von allen Arten gemeiner Ausflüchte, womit man sich der Betrachtung entzieht, welche Wirkung soziale und sittliche Einflüsse auf den Geist des Menschen haben, ist die gemeinste die, dass man die Verschiedenheiten im Betragen und Charakter inwohnenden, natürlichen Unterschieden zuschreibt."XXXIII

Der historische Materialismus vernachlässigt die Rasse keineswegs; er macht sie überhaupt erst wieder zu einem klaren Begriff. Sowenig wie beständige Tier-, gibt es beständige Menschenrassen, nur dass die Tierrassen dem Entwicklungsgesetze der Natur, die Menschenrassen dem Entwicklungsgesetze der Gesellschaft unterliegen. Je mehr sich der Mensch aus dem unmittelbaren Zusammenhange mit der Natur löst, um so mehr verschmelzen und vermischen sich die natürlichen Rassen; je höher die Herrschaft des Menschen über die Natur wächst, um so vollständiger wandeln sich die natürlichen Rassen in soziale Klassen um. Und soweit die kapitalistische Produktionsweise reicht, haben sich die Unterschiede der Rassen schon aufgelöst oder lösen sich doch täglich mehr auf in die Gegensätze der Klassen. Innerhalb der menschlichen Gesellschaft ist die Rasse kein natürlicher, sondern ein historischer Begriff, der in letzter Instanz von der materiellen Produktionsweise bestimmt wird und den Gesetzen ihrer Entwicklung ebenso unterliegt, wie es Kautsky in überzeugendster Weise vom Begriffe der Nationalität nachgewiesen hat.XXXIV

Aber wie die auf die Natur des Menschen selbst rückführbaren so verleiben sich auch die äußeren Naturbedingungen der Arbeit dem gesellschaftlichen Produktionsprozess ein. Wenn Herr Barth vom Klima im besonderen spricht, so geschieht es wohl in Erinnerung daran, dass Montesquieu das Klima zum Hebel der politischen Geschichte machen wollte, dass Winckelmann dasselbe Prinzip auf die Kunst-, Herder auf die Kulturgeschichte anwandte, gleichviel mit welchen Abweichungen, Einschränkungen und Erweiterungen, und dass in unserm Jahrhundert Buckle die menschliche Geschichte hervorgehen ließ aus der Wechselwirkung zwischen dem menschlichen Geist einer- und dem Klima, der Nahrung, dem Boden und den sonstigen Naturerscheinungen andererseits. Und gewiss war diese Theorie ein bedeutender Fortschritt gegenüber der theologischen oder rationalistischen Geschichtsauffassung, mochte Hegel auch sagen: „Rede man mir nichts vom Himmel, denn jetzt wohnen da Türken, wo ehemals Griechen wohnten", und mochte Gobineau auch jeden Einfluss des Klimas auf die Entwicklung der Geschichte leugnen. Wenn dagegen Hegel die absolute Idee und Gobineau die verschiedene Blutmischung der Rassen zu den Hebeln der historischen Entwicklung machten, so waren das mindestens keine Fortschritte gegen die von Montesquieu bis Buckle vertretene Geschichtsauffassung. Aber allerdings übersah Buckle, um uns an diesen konsequentesten Vertreter der ganzen Richtung zu halten, gerade den entscheidenden Punkt, das verbindende Mittelglied, das aus seinen zwei Hälften erst ein Ganzes, aus seiner dualistischen Weltanschauung erst eine monistische macht: die Produktionsweise des materiellen Lebens, die Geist und Natur verbindet, die den menschlichen Geist überhaupt erst befähigt, die Herrschaft über die Natur zu gewinnen, und die der Natur ihre Geheimnisse überhaupt erst entringt, um sie zu Produktivkräften in der Hand des Menschen zu machen. Was Buckle nicht erkannt hat, das betont der historische Materialismus als den entscheidenden Punkt, und wenn wir schon gesehen haben, dass er dadurch keineswegs die Gesetze des Geistes leugnet, so verstehen wir ebenso wenig, wie er dadurch die Gesetze der Natur oder auch nur die klimatischen Gesetze leugnen soll. Wann hat er denn behauptet, dass man auf den Eisbergen des Nordpols Ackerbau oder in den Sandwellen der Wüste Sahara Schifffahrt treiben könne? Marx hat im Gegenteile der Bedeutung der Naturkräfte in der menschlichen Produktion stets die sorgfältigste Beachtung geschenkt. So schreibt er, um noch ein Beispiel anzuführen: „Die kapitalistische Produktion einmal vorausgesetzt, wird, unter sonst gleichbleibenden Umständen und bei gegebener Länge des Arbeitstags, die Größe der Mehrarbeit mit den Naturbedingungen der Arbeit, namentlich auch der Bodenfruchtbarkeit, variieren. Es folgt aber keineswegs umgekehrt, dass der fruchtbarste Boden der geeignetste zum Wachstum der kapitalistischen Produktionsweise. Sie unterstellt Herrschaft des Menschen über die Natur. Eine zu verschwenderische Natur ,hält ihn an ihrer Hand wie ein Kind am Gängelband'. Sie macht seine eigne Entwicklung nicht zu einer Naturnotwendigkeit. Nicht das tropische Klima mit seiner überwuchernden Vegetation, sondern die gemäßigte Zone ist das Mutterland des Kapitals. Es ist nicht die absolute Fruchtbarkeit des Bodens, sondern seine Differenzierung, die Mannigfaltigkeit seiner natürlichen Produkte, welche die Naturgrundlage der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit bildet und den Menschen durch den Wechsel der Naturumstände, innerhalb deren er haust, zur Vermannigfachung seiner eignen Bedürfnisse, Fähigkeiten, Arbeitsmittel und Arbeitsweisen spornt. Die Notwendigkeit, eine Naturkraft gesellschaftlich zu kontrollieren, damit hauszuhalten, sie durch Werke von Menschenhand auf großem Maßstab erst anzueignen oder zu zähmen, spielt die entscheidendste Rolle in der Geschichte der Industrie."XXXV31 Man sieht schon aus dieser einen Stelle, von unzähligen andern zu schweigen, wie fern die Geschichtstheorie von Marx einer „Vernachlässigung" der Naturkräfte oder auch nur des Klimas gewesen ist.

Aber wo immer die Natur die Existenz von Menschen und die Entfaltung eines gesellschaftlichen Produktionsprozesses zulässt, da gehen die Naturbedingungen der Arbeit in diesen Prozess ein; sie werden von ihm ergriffen, umgestaltet, unterworfen, und sie verlieren an Bedeutung in demselben Maße, worin die Herrschaft des Menschen über die Natur wächst. Sie spielen ihre Rolle in der Geschichte der menschlichen Gesellschaft nur durch den Produktionsprozess, und deshalb ist es vollkommen erschöpfend, wenn Marx sagt, dass die Produktionsweise des materiellen Lebens den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt bedinge. In der jeweiligen Produktionsweise ist immer die jeweilige Naturbedingtheit der Arbeit enthalten, und darüber hinaus spielt die Natur in der Geschichte der menschlichen Gesellschaft nicht mit. Das heißt mit andern Worten: dieselbe Produktionsweise bestimmt den gesellschaftlichen Lebensprozess in derselben Weise, mögen Klima, Rasse und alle sonstigen Naturbedingungen so verschieden sein, wie sie wollen, und verschiedene Produktionsweisen bestimmen den gesellschaftlichen Lebensprozess in verschiedener Weise bei vollkommenster Gleichheit von Klima, Rasse und allen sonstigen Naturbedingungen. Es sei noch gestattet, diese beiden Sätze durch je ein historisches Beispiel zu erhärten, und zwar wollen wir diese Beispiele, um ihre Beweiskraft zu verstärken, nicht aus den Zuständen der Zivilisation wählen, wo die Herrschaft des Menschen über die Natur mehr oder weniger weit vorgeschritten ist, sondern aus den Zuständen der Barbarei, wo der Mensch noch fast völlig von der ihm fremd gegenüberstehenden, unverstandenen Natur beherrscht wird.

Man findet bei allen Völkern mit Kollektiveigentum, trotz der Unterschiede der Rasse und des Klimas, ganz dieselben Laster, Leidenschaften und Tugenden, nahezu gleiche Gewohnheiten und Denkweisen an. Die künstlichen Bedingungen rufen bei den durch die natürlichen Verhältnisse verschieden gestalteten Rassen die nämlichen Erscheinungen hervor." So Lafargue, der unter den künstlichen Bedingungen in seinem Zusammenhange die gesellschaftlichen Bedingungen versteht.XXXVI Wir zitieren gerade ihn, weil er sich besonders auf Rasse und Klima bezieht; für die Tatsache selbst, dass sich bei „allen Völkern mit Kollektiveigentum", also für die Vergangenheit in den Gentilgesellschaften, der gesamte Lebensprozess in gleicher Weise abspielt, ließe sich eine Fülle von Belegen aus den Schriften von Morgan, Engels, Kautsky und anderen beibringen. Im Übrigen spricht Herr Barth selbst an einer andern Stelle seiner Schrift von der „Gleichheit aller Gesellschaften" im Anfange der Kultur und bezieht sich ausdrücklich auf Morgans epochemachendes Hauptwerk, in dem er den Teufelsbraten von historischem Materialismus nicht gewittert zu haben scheint. Wenn aber Morgan nach Herrn Barth die Gentilverfassung für den größten Teil der Erde, von China westwärts bis Nordamerika, nachgewiesen und sie „für den übrigen kleinen Teil, für den ihm die Belege noch fehlten, mit Recht vermutet" – was haben dann Klima und Rasse mit der Geschichte der menschlichen Gesellschaft auch nur da zu tun, wo diese Gesellschaft noch fest an der Nabelschnur der Natur hängt?

Nun aber noch ein sehr merkwürdiges Beispiel dafür, wie bei vollkommener Gleichheit von Klima und Rasse verschiedene Produktionsweisen den gesamten Lebensprozess in verschiedener Weise bestimmen. Wir entnehmen es einer Schrift des berühmten amerikanischen Reisenden Kennan, der mit seinem hellen Auge und seinem geraden Verstande schon als zwanzigjähriger Bursch den historischen Materialismus in seiner Weise auch entdeckt hat, ohne eine Ahnung von Marx oder Engels oder auch nur von seinem Landsmanne Morgan zu haben.XXXVII Im nördlichen Teile der Halbinsel Kamtschatka, so ziemlich dem unwirtlichsten Teile der bewohnbaren Erde, hausen die Korjaken, ein aus etwa vierzig patriarchalischen Familien bestehender Stamm, der von der Zähmung und Zucht des Rentiers lebt. Sie sind durch diese Produktionsweise zu einem nomadischen Leben gezwungen. „Eine Herde von vier- oder fünftausend Rentieren wühlt in einigen Tagen den Schnee im Umkreise von einer Meile auf und verzehrt alles vorhandene Moos, und dann muss natürlich ein frisches Lager aufgesucht werden. Die Korjaken müssen wandern, wenn ihre Herde nicht Hungers sterben soll, und deren Vernichtung würde die ihrige unvermeidlich folgen." Wie abhängig die Produktionsweise der Korjaken von der Natur ist, spiegelt sich in ihren kindischen religiösen Vorstellungen wider. Ihre einzige Religion ist die Verehrung von bösen Geistern. Die Priester dieser Religion müssen sich durchpeitschen lassen, um die Echtheit ihrer Offenbarungen zu prüfen; bestehen sie die Züchtigung ohne Anwandlung von Schwäche, so sind sie als Diener der bösen Geister anerkannt, und ihre Befehle werden befolgt trotz allem Hokuspokus, den sie als betrogene Betrüger mit dem Verschlingen glühender Kohlen und ähnlicher Narretei treiben. „Es ist die einzig mögliche Religion für diese Menschen unter den gegebenen Umständen… Wenn eine Schar von unwissenden und barbarischen Mohammedanern nach Nordostsibirien verpflanzt und gezwungen würde, Jahrhunderte lang in den wilden, düsteren Gegenden des Stanowoigebirges zu leben, wo sie unter schrecklichen Stürmen litten, deren Ursachen sie sich nicht erklären könnten, ihre Rentiere plötzlich durch eine Seuche verlören, die aller menschlichen Mittel spottet, durch Nordlichter, die das Weltall in Flammen zu setzen scheinen, erschreckt und durch Epidemien dezimiert würden, deren Ursache sie nicht begreifen und deren unheilvollen Folgen sie ohnmächtig gegenüberstehen – sie würden ganz gewiss nach und nach ihren Glauben an Allah und Mohammed verlieren und Schamaniten werden, wie die sibirischen Korjaken." Die russische Kirche bemüht sich, alle sibirischen Heiden zum Christentum zu bekehren, aber ihre Missionare haben nur unter den ansässigen Stämmen einen größeren oder geringeren Erfolg; an den wandernden Korjaken prallen alle ihre Bemühungen spurlos ab, und mit Recht sagt Kennan, dass der Bekehrung dieser Nomaden erst eine völlige Umwälzung ihrer Lebens-, das will sagen Produktionsweise, vorangehen müsste.

Diese Produktionsweise hält die Korjaken nun aber nicht allein in kindischen religiösen Vorstellungen fest, sondern zwingt sie auch zu barbarischen Gewohnheiten, zur Verleugnung dessen, was Kennan die „stärksten Regungen der menschlichen Natur" nennt. Sie töten alle bejahrten Leute; sie spießen oder steinigen ihre Kranken, wenn sie keine Hoffnung auf Genesung mehr haben; mit einer „schaudererregenden Genauigkeit" wissen sie die verschiedenen Arten der Tötung auseinanderzusetzen. Aber alle Korjaken sehen in einem gewaltsamen Tode durch die Hand ihrer nächsten Angehörigen das natürliche Ende ihres Daseins; keiner will es anders haben. „Die Unfruchtbarkeit des Bodens in Nordostsibirien und die Strenge des langen Winters veranlassten den Menschen als einziges Mittel, sich Unterhalt zu schaffen, das Rentier zu zähmen; die Zähmung des Rentiers machte das Nomadenleben zur Notwendigkeit; das Umherziehen ließ Krankheit und Altersschwäche sowohl für die davon Betroffenen als auch für ihre Umgebung außerordentlich lästig erscheinen, und dies führte endlich zum Morde der Alten und Kranken, als einer von Klugheit und Mitleid vorgeschriebenen Maßregel." Und abermals mit Recht hebt Kennan hervor, dass diese scheußliche Sitte keineswegs eine angeborene, ursprüngliche Rohheit der Korjaken voraussetze. Sie ist eine Folge derselben Produktionsweise, die aus den nomadischen Korjaken einen ehrlichen, gastfreundlichen, großmütigen, kühnen, unabhängigen Menschenschlag macht. Die Korjaken behandeln ihre Frauen und Kinder mit großer Güte; während seines mehr als zweijährigen Verkehrs mit ihnen sah Kennan nie, dass eine Frau oder ein Kind geschlagen wurde, und er selbst wurde von ihnen „mit so viel Güte und so großmütiger Gastfreundschaft behandelt", wie er nur je in einem zivilisierten Lande von christlichen Bewohnern erfahren hat.

Nun haben etwa drei- bis vierhundert Korjaken durch eine Seuche ihre Rentiere verloren und sind dadurch zu einem ansässigen Leben gezwungen worden. Sie wohnen in Häusern von Treibholz an der Seeküste, treiben Fisch- und Seehundsfang; auch machen sie Jagd auf die Walfischgerippe, die von den amerikanischen Walfischfängern ihres Specks entblößt und vom Meer an die Küste getrieben worden sind. Sie stehen im Handelsverkehr mit russischen Bauern und Händlern, mit amerikanischen Walfischfängern. Hören wir nun Kennan darüber, wie diese veränderte Produktionsweise den ganzen Lebensprozess der Korjaken verändert hat! Er schreibt: „Die am Penschinagolf ansässigen Korjaken sind unstreitig die schlimmsten, hässlichsten, rohesten und verderbtesten Eingeborenen von ganz Nordostsibirien… Sie sind grausam und roh von Natur, unverschämt gegen jedermann, rachsüchtig, unehrlich und unwahr. Von den nomadischen Korjaken sind sie in allem das Gegenteil." Er führt dann im Einzelnen diese Veränderungen auf den Handelsverkehr der ansässigen Korjaken zurück und schließt: „Ich hege für viele der wandernden Korjaken aufrichtige und herzliche Bewunderung, aber ihre ansässigen Verwandten sind die schlimmste Menschensorte, die ich in Nordasien von der Behringstrasse bis zum Uralgebirge kennengelernt habe." Und doch wäre, was Klima und Rasse und alle sonstigen Naturbedingungen anbetrifft, auch mit der schärfsten Lupe nicht die kleinste Spur eines Unterschieds zwischen den ansässigen und den wandernden Korjaken zu entdecken.


Doch es mag genug sein an diesen aphoristischen Bemerkungen, die, um es noch einmal zu wiederholen, nicht eine erschöpfende Darstellung des historischen Materialismus geben, sondern nur die gegen ihn erhobenen Einwände widerlegen sollen. Wer ihn gründlich erkennen will, der muss die Schriften von Marx, Engels, Morgan, Kautsky, Dietzgen, Bürkli, Lafargue, Plechanow, die Jahrgänge der „Neuen Zeit" studieren. Im Hinblick auf diese Arbeiten durfte Engels wohl sagen, dass der Beweis für die Richtigkeit der materialistischen Geschichtsuntersuchung geführt sei, und wenn Herr Barth beklagt, dass Engels „leider" die Schriften nicht nenne, auf die er anspiele, so übersieht unser gelehrter Freund, dass Engels nicht für deutsche Dozenten, sondern für denkende Arbeiter schreibt. Schriebe Engels für deutsche Dozenten, so wäre er vielleicht – wer weiß? – so gutmütig gewesen, die Sache viel weitläufiger auszupatschen, als für denkende Arbeiter notwendig war.

Darf man sonach sagen, dass der historische Materialismus schon eine feste und unerschütterliche Grundlage hat, so ist damit weder gesagt, dass alle bisher durch ihn gewonnenen Resultate unanfechtbar sind, noch auch, dass ihm nichts mehr zu tun übrigbleibt. Wo die materialistische Geschichtsuntersuchung – und auch das ist vorgekommen – als Schablone gemissbraucht wird, führt sie zu ähnlichen Verkehrtheiten wie jede Schablone der Geschichtsbetrachtung, und auch wo sie richtig als Methode gehandhabt wird, wird die Verschiedenheit in Begabung oder Bildung derer, die sie handhaben, oder die Verschiedenheit in Art und Umfang des Quellenmaterials, über das sie verfügen, zu manchen Verschiedenheiten der Auffassung führen. Das ist ja einfach selbstverständlich, denn auf dem Gebiete der historischen Wissenschaften ist eine mathematisch exakte Beweisführung überhaupt nicht möglich, und wer durch solche „Widersprüche" die materialistische Methode der Geschichtsforschung widerlegen zu können glaubt, der soll in diesem spatzenhaften Vergnügen nicht weiter gestört werden. Vernünftigen Menschen werden „Widersprüche" dieser Art nur den Anlass zur Prüfung bieten, wer von den sich widersprechenden Forschern genauer und gründlicher untersucht hat, und so wird gerade aus solchen „Widersprüchen" die Methode selbst an Klarheit und Sicherheit ihrer Handhabung wie ihrer Ergebnisse nur gewinnen.

Aber auch zu tun bleibt dem historischen Materialismus noch unendlich viel, bis er die Geschichte der Menschheit in ihren unzähligen Verzweigungen erleuchtet hat, und auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft wird er seine höchste Kraft niemals entfalten, schon deshalb nicht, weil seine wachsende Kraft in erster Reihe diese Gesellschaft zertrümmern wird. Es ist gewiss anzuerkennen, wenn die gewissenhafteren Historiker des Bürgertums bis zu einem gewissen Grade dem Einflüsse des historischen Materialismus unterliegen, und wir haben es in dieser Skizze wiederholt anerkannt, doch ist diesem Einfluss eine bestimmte Grenze gezogen. Solange es eine bürgerliche Klasse gibt, kann sie von der bürgerlichen Ideologie nicht lassen, und selbst Lamprecht, der namhafteste Vertreter der sogenannten „wirtschaftsgeschichtlichen" Richtung, beginnt seine „Deutsche Geschichte" mit einem grundlegenden Abriss nicht der deutschen Ökonomie, sondern des „deutschen Nationalbewusstseins". Der historische Idealismus in seinen verschiedenen theologischen, rationalistischen und auch naturalistischen Ausstrahlungen ist die Geschichtsauffassung der bürgerlichen, wie der historische Materialismus die Geschichtsauffassung der arbeitenden Klasse ist. Erst mit der Emanzipation des Proletariats wird er seine volle Blüte erreichen, wird die Geschichte eine Wissenschaft im strengen Sinne des Worts, wird sie das werden, was sie von jeher sein sollte, aber noch niemals gewesen ist: eine Führerin und Lehrerin der Menschheit.

I Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie 55.

II Um nicht ungerecht zu sein, sei ausdrücklich bemerkt, dass einzelne bürgerliche Geschichtsforscher eine unbefangenere Stellung zur materialistischen Geschichtstheorie zu gewinnen suchen. So registrieren die von Jastrow herausgegebenen Jahresberichte der Geschichtswissenschaft in ihren Berichten für 1885 den zweiten Band des „Kapitals" als ein gerade auch für die historische Wissenschaft sehr bedeutendes Werk, und in der „Historischen Zeitschrift" 68, 450 sagt Paul Hinneberg in einer Kritik, „dass Arbeiten wie Morgans Urgesellschaft und Bachofens Mutterrecht schon vernehmlich an die Pforten der Wissenschaft klopfen". Indessen hierzu macht der Redakteur, Herr Max Lehmann, Geschichtsprofessor in Leipzig, die geistreiche Anmerkung: „Wir bedauern, dass hier und da ein Fachgenosse auf dies Klopfen hört; wir lassen namentlich Herrn Morgan draußen. Mag er die Herren Engels und Bebel mit der Portion angeblichen Wissens versorgen, dessen sie zur Begründung ihrer Phantasien nicht glauben entraten zu können." Das ist, soviel wir sehen, die einzige Erwähnung des historischen Materialismus in den mehr als siebzig Bänden der „Historischen Zeitschrift", des Hauptorgans der bürgerlichen Geschichtswissenschaft!

III Züricher Sozialdemokrat vom 22. März 1883.

5 Friedrich Engels: Das Begräbnis von Karl Marx. In: Ebenda, Bd: 19, S. 335/336.

IV Lavergne-Peguilhen, Die Bewegungs- und Produktionsgesetze 225.

7 Engels an Franz Mehring, 28. September 1892. In: Ebenda, Bd.38, S. 480-482.

V Hellwald, Kulturgeschichte in ihrer natürlichen Entwicklung 688, 699f.

VI Bürgerliche Soziologen, wie Herbert Spencer, behaupten bekanntlich allen Ernstes, dass der Mensch in der Tat ein isoliertes Geschöpf der Natur sei; sie sprechen von „seinem vereinzelten Handeln in seinem primitiven Zustande". Doch handelt es sich dabei nur um eine darwinistisch verschönerte Wiederauflage der Lehre vom Gesellschaftsvertrage, welche die Ideologen der im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert aufkommenden Bourgeoisie, von Hobbes bis Rousseau, von der Entstehung des modernen Staats aus den zur Bändigung der feudalen Anarchie zwischen Fürsten und Städten geschlossenen Verträgen auf die Entstehung der menschlichen Gesellschaft übertrugen. Siehe darüber Kautsky, Die sozialen Triebe in der Menschenwelt. Neue Zeit 2, 18ff.

VII Ad. Wagner, Das neue sozialdemokratische Programm 9 f. Wir haben uns erlaubt, in der „Neuen Zeit" 10, 2, 577 ff. die Ungereimtheiten des Herrn Wagner ein wenig zu zergliedern.

VIII Vorwärts vom 5. Oktober 1890.

9 Engels an Paul Ernst, 5. Juni 1890. In: Ebenda, Bd. 37, S. 411.

X Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft 5.

XII Marx, Kapital 1, 822. Zweite Auflage

XIII Morgan, Die Urgesellschaft 16.

XIV Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats 92. Vierte Auflage.

19 Mehring gebraucht das Wort „ideologisch" häufig im Sinne von „idealistisch".

XV Morgan 26 schreibt: „Das phonetische Alphabet war, wie andere große Erfindungen, das Endresultat vielfacher, aufeinander folgender Anstrengungen." Siehe auch Marx, Kapital 1, 285: „Eine kritische Geschichte der Technologie würde überhaupt nachweisen, wie wenig irgendeine Erfindung des 18. Jahrhunderts einem einzelnen Individuum gehört."

XVI Marx, Kapital 1, 450.

XVII Delbrück, Historische und politische Aufsätze 339 ff.

XVIII Freytag, Bilder 5, 173 f.

XIX Siehe darüber die prächtigen Schriften von Karl Bürkli: Der wahre Winkelried, die Taktik der Urschweizer und: Der Ursprung der Eidgenossenschaft aus der Markgenossenschaft und die Schlacht am Morgarten.

XX Paul Barth, Die Geschichtsphilosophie Hegels und der Hegelianer bis auf Marx und Hartmann 70 ff.

24 Ebenda, S.96.

XXI Lamprecht, Deutsche Geschichte 2, 89 ff.

XXII Treitschke, Deutsche Kämpfe 516.

XXIII Marx, Kapital 1, 536.

XXIV Metschnikoff, La civilisation et les grands fleuves historiques 189. Siehe auch die kritische Besprechung dieses Werks von Plechanow in der „Neuen Zeit" 9, 1, 437 ff.

XXVI Liebknecht, Zur orientalischen Frage 57.

26 Marx an Wilhelm Liebknecht, 4. Februar 1878. In: Ebenda, Bd. 34, S. 317.

XXVII Neben den im „Kapital" von Marx verstreuten Andeutungen und Ausführungen vergleiche über die Anfänge des Christentums Engels, „Bruno Bauer und das Urchristentum" im Züricher „Sozialdemokraten" 1882, Nr. 19 und 20, und Kautsky, „Die Entstehung des Christentums" in der „Neuen Zeit" 3, 481ff. Über die mittelalterliche Kirche und die aus ihr sich entwickelnden protestantisch-reformatorischen Richtungen siehe die Schriften von Engels über den Deutschen Bauernkrieg und über Feuerbach, ferner die Schrift von Kautsky über Thomas More. Ungerechnet manche anderen Aufsätze in der „Neuen Zeit", von denen wir namentlich Engels, „Über historischen Materialismus" 11, 1, 15ff., und den anonymen Aufsatz über „Juristen-Sozialismus" 5, 49ff. hervorheben, ferner Kautskys, „Die Bergarbeiter und der Bauernkrieg" 7, 298ff. und neuestens desselben Verfassers „Zukunftsstaaten der Vergangenheit" 11, 1, 658 ff. Zur materialistisch-wissenschaftlichen Kritik des Alten Testaments seien noch erwähnt Lafargue, „Der Mythos von Adam und Eva" 9, 2, 225ff. und M. Beer, „Ein Beitrag zur Geschichte des Klassenkampfes im hebräischen Altertum" 11, 1, 444ff., auch Kautsky, „Die Entstehung der biblischen Urgeschichte im Kosmos" 7, 201ff.

XXVIII Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit 2, 36.

XXIX „Werde sorgfältig ignoriert und übersehen", wie Herr Barth neuestens denselben Vorwurf gegen Engels in den „Deutschen Worten" erhebt.

29 Mehring beurteilte das philosophische Werk F. A. Langes viel zu milde. Lange hat, wie Lenin mit Recht feststellte, die Geschichte des Materialismus verfälscht.

XXX Dietzgen, Das Wesen der Kopfarbeit und Streifzüge eines Sozialisten in das Gebiet der Erkenntnistheorie.

XXXI Marx, Kapital 1, 534.

XXXII Gumplowicz, Der Rassenkampf 184. Inwieweit diese, in jedem Falle sehr anregende Schrift mit dem historischen Materialismus übereinstimmt und inwieweit nicht, hat Kautsky ausführlich erörtert in der „Neuen Zeit" 1, 537ff.

XXXIII Mill, Principles of Political Economy 1, 390.

XXXIV Kautsky, Die moderne Nationalität in der Neuen Zeit 5, 392ff. Siehe auch ebenda 187ff. den Aufsatz von Guido Hammer über die Zersetzung der modernen Nationalitäten.

XXXV Marx, Kapital 1, 536.

XXXVI Lafargue, Der wirtschaftliche Materialismus nach den Anschauungen von Karl Marx 32.

XXXVII Kennan, Zeltleben in Sibirien 151 ff.

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