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Franz Mehring 19010612 Vom Rechte der Revolution

Franz Mehring: Vom Rechte der Revolution

12. Juni 1901

[Die Neue Zeit, 19. Jg. 1900/01, Zweiter Band, S. 321-324. Nach Gesammelte Schriften, Band 13, S. 71-75]

Man kann unserer Zeit viele Vorwürfe machen, nur nicht den, arm zu sein an unfreiwilligem Humor. Es sind jetzt vierzig Jahre her, seit die Philosophische Gesellschaft in Berlin, um die damals mit der Bourgeoisie hadernde Regierung anzuärgern, Lassalle zum Festredner an Fichtes hundertstem Geburtstag bestellte, dieselbe Gesellschaft, die dann vor sechs Jahren, als Engels starb, diesen durch die gemeine Schmährede eines bornierten Schulmeisters zu verunglimpfen bestrebt war. Inzwischen ist dieselbe edle Gesellschaft noch tiefer in sich gegangen, und um die Schmach aus ihren patriotischen Annalen zu löschen, dass je ein Lassalle in ihrem Namen gesprochen habe, befasst sie sich aufs Neue mit dem Andenken Fichtes und zwar so, dass kein noch so argwöhnisches Gemüt auf den Gedanken verfallen soll, dass sie sich ehedem von Lassalle über Fichte habe belehren lassen.

Sie besitzt wirklich patriotische Einsicht, diese Philosophische Gesellschaft. Kant hat bereits zwei Denkmäler in Berlin; das eine Mal steht er unter dem Schwanze des Gaules, der den alten Fritz trägt, und das andere Mal steht er im Gefolge des dicken Wilhelm mit den doppelten Ehen, der denselben Kant durch den Pfaffen Wöllner derbe auf den vorlauten Mund klopfen ließ. In ihrem staatserhaltenden Sinne denkt die Philosophische Gesellschaft, was dem Kant recht sei, müsse auch dem Fichte billig sein. Da nun derjenige Hohenzoller, als dessen Lakai etwa Fichte hingestellt werden könnte, schon durch ein Vierteldutzend Standbilder in Berlin vertreten ist und es sich doch nicht lohnt, um so eines lumpigen Philosophen willen das zweite Vierteldutzend anzureißen, so hat die Philosophische Gesellschaft mit wahrhaft bewundernswerter Denkkraft darüber sinniert, wie es möglich sei, dem Fichte ein Denkmal zu errichten, ohne doch die wünschenswerte Anwartschaft auf den roten Adler vierter Güte zu riskieren. Sie hat keinen Geringeren als Se. Exzellenz den Herrn Reichskanzler Grafen Bülow zum Schutzpatron des von ihr geplanten Denkmals erwählt, und Se. Exzellenz haben in einem huldvollen Briefe, der eben durch die bewundernden Organe der bürgerlichen Presse läuft, dies Patronat anzunehmen geruht. Hätte Lassalle das erlebt, so hätte er sich freilich nicht in Bewunderung verloren, sondern wieder einmal ausgerufen: Donner-Bomben-Wachsstock-Sapperment!

Wir wollen dem Herrn Reichskanzler durchaus keinen Vorwurf machen, wenn wir sagen, dass er Fichtes Werke nicht kenne. Im Gegenteil, wir wollen seiner Pflichttreue mit dieser Behauptung ein Kompliment ausstellen. Wer Khakifeldzüge ausrüsten, sich von der englischen und russischen Diplomatie über den Löffel barbieren, den ostelbischen Junkern höhere Getreidezölle versprechen und ähnliche Kulturtaten leisten muss, der darf seine Zeit nicht damit vertrödeln, in alten Scharteken herumzublättern, die hundert und mehr Jahre alt sind. Aber als der Herr Reichskanzler noch die Schulbank drückte, hat er wohl von Fichtes Reden an die deutsche Nation gehört – er zitiert sie wirklich in seinem huldvollen Schreiben an die Philosophische Gesellschaft –, und irgendein gesinnungstüchtiger Schulmeister mag ihm eingeredet haben, Fichte sei auch so ein Patriot mit Gott für König und Vaterland gewesen. Daraus erklärt es sich denn wohl, dass Graf Bülow mit seiner harmlosen Bonhomie ein glühendes Eisen anfasst, von dem zu befürchten steht, dass es ihm sogar durch seine Sammethandschuhe hindurch die Finger verbrennen wird.

Lassen wir einmal den wirklichen Fichte dem Herrn Reichskanzler ein kleines Kolleg lesen! Graf Bülow bestreitet als weiser Staatsmann das Recht der Revolution, aber Fichte bestreitet ihm nicht nur dies Urteil, sondern sogar die Befugnis zu diesem Urteil: „Kein Adliger, keine Militärperson in monarchischen Staaten, kein Geschäftsmann in Diensten eines gegen die Französische Revolution erklärten Hofes sollte in dieser Untersuchung gehört werden. Nur der, der weder Unterdrücker noch Unterdrückter ist, dessen Hände und Erbteil rein sind vom Raube der Nationen, dessen Kopf nicht von Jugend auf in die konventionellen Formen unseres Zeitalters gepresst wurde, dessen Herz eine warme, aber stille Ehrfurcht fühlt für Menschenwert und Menschenrechte, kann hier Richter sein. – Es ist wahr, Ritter vom goldenen Vließ, der du nichts weiter bist, als das – es ist wahr, und niemand leugnet es dir ab, dass es für dich sehr unbequem sein würde, wenn die Achtung für deine hohe Geburt, für deine Titel und deine Orden sich plötzlich aus der Welt verlören und du auf einmal bloß nach deinem persönlichen Werte geehrt werden solltest – aber verzeihe: die Frage war auch gar nicht von deinem Elend oder Nichtelend; sie war von unserem Rechte. Was dich elend macht, kann nie recht sein, meinst du. Aber siehe deine bisher von dir unterdrückten Sklaven, sie rufen uns zu: der Reiche, der Begünstigte gehört nicht zum Volke; er hat keinen Anteil an den allgemeinen Menschenrechten! Das ist ihr Interesse. Ihre Schlüsse sind so gründlich als die deinigen. Was sie glücklich macht, könne nie unrecht sein, meinen sie. Sollen wir sie nicht hören? Nun so erlaube, dass wir auch dich nicht hören."

Sachlich aber urteilt Fichte über das Recht der Revolution: „Keine Staatsverfassung ist unabänderlich; es ist in ihrer Natur, dass sie sich alle ändern. Eine schlechte, die gegen den notwendigen Endzweck aller Staatsverbindungen streitet, muss abgeändert werden; eine gute, die ihn befördert, ändert sich von selbst ab. Die Klausel im gesellschaftlichen Vertrag, dass er unabänderlich sein solle, wäre mithin der härteste Widerspruch gegen den Geist der Menschheit. Ich verspreche, an dieser Staatsverfassung nie etwas zu ändern, heißt: ich verspreche, kein Mensch zu sein, noch zu dulden, dass, soweit ich reichen kann, irgendeiner ein Mensch sei; ich begnüge mich mit dem Rang eines geschulten Tieres… Nein, Mensch, das durftest du nicht versprechen. Du hast das Recht nicht, auf deine Menschheit Verzicht zu tun. Dein Versprechen ist rechtswidrig, mithin rechtsunkräftig."

Aber vielleicht meint der Herr Reichskanzler, dass wir die Worte Fichtes hitzig übertrieben; werde ja doch alljährlich eine Masse Gesetze erlassen, die an der Staatsverfassung änderten; in dieser loyalen Weise habe Fichte argumentiert, aber er habe nicht daran gedacht, die Grundlage der Staatsverfassung zu erschüttern, wie die dreimal heilige Monarchie. Allein der gottlose Mensch hat wirklich behauptet, die Abänderlichkeit der Staatsverfassung habe eine ganz spezifische, terroristische Geltung gerade für die Monarchie. Er fragt, ob die Monarchie je die Kultur gefördert hätte, ob die Förderung der Kultur ihr Endzweck sei, und antwortet: „Ich forsche gewissenhaft und finde – Alleinherrschaft eures Willens im Innern – Verbreitung eurer Grenzen nach außen – als eure Zwecke. Damit nicht eine Monarchie alles verschlinge und unterjoche, sagt ihr, müssen mehrere Monarchien sein, welche stark genug sind, sich das Gegengewicht zu halten, und damit sie stark genug seien, muss jeder Monarch sich im Innern der Alleinherrschaft zu versichern und von außen seine Grenzen von Zeit zu Zeit zu erweitern suchen. Wir dagegen folgern so: dieses stete Streben nach Vergrößerung von innen und außen ist ein großes Unglück für die Völker; ist es wahr, dass sie es ertragen müssen, um einem ungleich größeren zu entgehen, so lasst uns doch die Quelle jenes größeren Unglücks aufsuchen und sie ableiten, wenn es möglich ist. Wir finden sie in der uneingeschränkten monarchischen Verfassung … Ihr sagt: da uneingeschränkte Monarchien sein sollen, so muss sich das menschliche Geschlecht schon eine ungeheure Menge von Übeln gefallen lassen. Wir antworten: da sich das menschliche Geschlecht diese ungeheure Menge von Übeln nicht gefallen lassen will, so sollen keine uneingeschränkten Monarchien sein. Ich weiß, dass ihr eure Folgerungen durch stehende Heere, durch schweres Geschütz, durch Fesseln und Festungsstrafe unterstützt, aber sie scheinen mir darum nicht die gründlicheren."

Welch oberflächliche Aufklärerei, die dem guten Fichte da mit untergelaufen ist, wird der hohe Patron seines künftigen Denkmals einwenden; als guter Kenner der Geschichte wird Fichte wenigstens gewusst haben, was die Monarchien der Menschheit genützt haben. Freilich hat er das gewusst, und also schreibt er darüber: „Wenn wir also nicht bloß unter euren politischen Verfassungen, sondern auch mit durch sie an Kultur zur Freiheit gewonnen hätten, so haben wir euch nicht dafür zu danken, denn es war nicht nur euer Zweck nicht, es war sogar gegen ihn. Ihr ginget darauf aus, alle Willensfreiheit in der Menschheit außer der eurigen zu vernichten; wir kämpften mit euch um dieselbe, und wenn wir in diesem Kampfe stärker wurden, so geschah euch damit sicher kein Dienst. – Es ist wahr, um euch volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ihr habt einige unserer Kräfte sogar absichtlich kultiviert; aber nicht damit wir für unsere Zwecke, sondern damit wir für die eurigen tauglicher würden… Ihr ließet uns in mancherlei Wissenschaften unterrichten, deren Form und Inhalt schon nach euren Absichten eingerichtet war, damit wir lenksamer für diese Absichten würden. Ihr ließet uns mancherlei Künste lehren, damit wir euch und den Werkzeugen der Unterdrückung in euren Händen, wo eure Hände selbst nicht hinreichen konnten, den Prunk verschafften, womit ihr die Augen des Pöbels blendet. Ihr unterwieset endlich Millionen – und das ist das Meisterstück, worauf ihr euch am meisten zugute tut – in der Kunst, sich auf einen Wink rechts und links zu schwenken, aneinander geschlossen wie Mauern, sich plötzlich wieder zu trennen, und in der fürchterlichen Fertigkeit zu würgen, um sie gegen alles zu brauchen, was euren Willen nicht als ein Gesetz anerkennen will. Das sind, soviel ich weiß, eure absichtlichen Verdienste um unsere Kultur … Konsequent verfahrt ihr freilich, vielleicht konsequenter als ihr selbst wisst, denn es wäre nicht das erste Mal, dass jemanden der Instinkt richtiger geführt hätte als seine Folgerungen. Wenn ihr herrschen wollt, so müsst ihr zuerst den Verstand des Menschen unterjochen … Alles, was darauf abzweckt, die Vernunft in ihre unterdrückten Rechte wieder einzusetzen, die Menschheit auf ihre eigenen Füße zu stellen und sie durch ihre eigenen Augen sehen zu lassen, ist vor euren Augen eine Torheit und ein Gräuel."

Der reine Sozialdemokrat! seufzt der Herr Reichskanzler nun vielleicht schon, aber, so mag er sich trösten, ein Sozialdemokrat ist Fichte doch nicht gewesen, und wenn er diese Partei mit ihren unausführbaren Forderungen gekannt hätte, würde er die Ära Bülow zu würdigen wissen. Allein darauf antwortet Fichte: „Wo der eigentliche Streitpunkt zwischen uns liegt, das kann ich euch wohl mitteilen. Ihr wollt es freilich nicht ganz mit der Vernunft, aber auch nicht ganz mit eurem wohltätigen Freunde, dem Schlendrian, verderben. Ihr möchtet wohl gern ein wenig vernünftig handeln, nur ums Himmels willen nicht ganz. Ihr bleibt dabei, unsere philosophischen Grundsätze ließen sich einmal nicht ins Leben einführen; unsere Theorien seien freilich unwiderleglich, aber sie seien nicht ausführbar. Das meint ihr denn doch wohl nur unter der Bedingung, wenn alles so bleiben soll, wie es jetzt ist. Aber wer sagt denn, dass es so bleiben solle? Wer hat euch denn zu eurem Ausbessern und Stümpern, zu eurem Aufflicken neuer Stücke auf den alten zerlumpten Mantel, zu eurem Waschen, ohne einem die Haut nass machen zu wollen, gedungen? Wer hat denn geleugnet, dass die Maschine dadurch völlig ins Stocken geraten, dass die Risse sich vergrößern, dass der Mohr wohl ein Mohr bleiben werde? Sollen wir den Esel tragen, wenn ihr Schnitzer gemacht habt? Aber ihr wollt, dass alles hübsch bei dem Alten bleibe; daher euer Widerstreben, daher euer Geschrei über die Unausführbarkeit unserer Grundsätze. Nun, so seid wenigstens ehrlich und sagt nicht weiter: wir können eure Grundsätze nicht ausführen, sondern sagt gerade, wie ihr's meint: wir wollen sie nicht ausführen."

In der Tat – der Herr Reichskanzler ist der Patron Fichtes, aber Fichte ist nicht der Patron des Herrn Reichskanzlers. Hören wir den großen Philosophen noch über die Erhöhung der Getreidezölle, die Graf Bülow plant. „Es bleibt überhaupt kein gesetzmäßiges Mittel übrig, um dem Adel aufzuhelfen. Aber warum soll ihm denn auch aufgeholfen werden? Rechtsansprüche hat der Adel als Adel gar nicht zu machen, denn sogar sein Dasein hängt vom freien Willen des Staates ab. Was hat der Staat nötig, sich auf seine Forderungen einzulassen?" Und dann betrachtet Fichte die Kehrseite der Medaille also: „Solche Leute sind es gewohnt, sie wissen's nicht besser, sagt mit stickender Stimme der satte Wollüstling, während er seinen köstlichen Wein schlürft; aber das ist nicht wahr: an den Hunger gewöhnt man sich nie, an widernatürliche Nahrungsmittel, an das Hinschwinden aller Kräfte und alles Mutes, an Blöße in strenger Jahreszeit gewöhnt man sich nie. Dass nicht essen solle, wer nicht arbeitet, findet man naiv; man erlaube uns, nicht weniger naiv zu finden, dass allein der, welcher arbeitet, nicht essen oder das Unessbarste essen solle."

Doch genug, und wir richten nun noch das submisse Gesuch an die Philosophische Gesellschaft, dem Herrn Reichskanzler zu bestätigen, dass wir richtig aus Fichtes Werken zitiert haben.

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