Franz Mehring 19010800 Die preußische Zensur

Franz Mehring: Die preußische Zensur

1901

[Aus dem literarischen Nachlass von Karl Marx und Friedrich Engels. Herausgegeben von Franz Mehring, Erster Band, Stuttgart 1920, S. 138-140. Nach Gesammelte Schriften, Band 6, S. 401-403]

Die preußische Zensur war so alt wie der preußische Staat; der Nachtischwitz des alten Fritz von den nicht zu genierenden Gazetten war eben nur ein Nachtischwitz; auch dieser preußische König hatte, wie seine Vorgänger, eine Reihe von Zensuredikten erlassen. Sie wurden aufgefrischt und erneuert durch Wöllners Zensuredikt vom 19. Dezember 1788, das wieder aufgefrischt und erneuert wurde durch das Zensuredikt vom 18. Oktober 1819.

Dies Edikt war eine Folge der Karlsbader Beschlüsse und wurde gleichzeitig mit ihnen in der preußischen Gesetzsammlung verkündet; in der liebenswürdigen Weise des Königtums von Gottes Gnaden war es vom sechsten Jahrestage der Leipziger Schlacht datiert. Schon in Karlsbad hatte sich der „Staat der Intelligenz" zensurwütiger erwiesen als selbst Metternich. Dieser verlangte nur, dass Zeitschriften und alle nicht periodischen Schriften unter fünfzehn Bogen für die fünf nächsten Jahre der Zensur unterliegen sollten; der preußische Minister Bernstorff setzte auf ausdrücklichen Befehl des Königs durch, dass die Zensurfreiheit von Bundes wegen erst bei Schriften über zwanzig Bogen beginnen solle. Damit war Friedrich Wilhelm der „Gerechte" aber auch noch nicht zufrieden. Indem er den aus zehn Paragraphen bestehenden Bundesbeschluss verkündete, hing er ihm das aus siebzehn Artikeln bestehende, nach Wöllners Muster aufgebügelte Zensuredikt an, das auch Schriften über zwanzig Bogen der Zensur unterwarf, die der Akademie der Wissenschaften und den Universitäten bisher zustehende Zensurfreiheit suspendierte, das Erscheinen von Zeitungen und anderen periodischen Schriften, sobald sie Gegenstände der Religion, der Politik, der Staatsverwaltung und der Geschichte gegenwärtiger Zeit behandelten, von der Genehmigung der dem Zensurwesen vorgesetzten Ministerien (Äußeres, Inneres und Kultus) abhängig machte und diese Ministerien ermächtigte, solche Zeitungen und periodischen Schriften zu unterdrücken, sobald sie von der ihnen verliehenen Konzession schädlichen Gebrauch machten. Wie die Karlsbader Beschlüsse selbst, sollte das Edikt nur für die nächsten fünf Jahre gelten, doch wurden jene wie dieses von Zeit zu Zeit erneuert, bis die Berliner Barrikadenkämpfer mit dem ganzen gräulichen Unfug reinen Tisch machten.

Es liegt nun aber im Wesen einer Infamie, wie die Zensur ist, an ihrem eigenen Gifte hinzusiechen. In unseren Tagen haben wir an dem Sozialistengesetz1 erlebt, wie es nach den krampfhaftesten Versuchen, sich durchzusetzen, immer wieder erlahmte; indem man diese alte Erfahrung anerkennt, macht man durchaus keine mildernden Umstände für derartige Gewaltstreiche geltend; gerade ihre stoßweise explodierende Willkür ist ihre gehässigste Seite. Die Zensuredikte des alten Fritz waren schon unter seiner Regierung erlahmt; dann war auch Wöllners Zensuredikt allmählich eingeschlafen, und nicht anders erging es dem Zensuredikt vom 18. Oktober 1819, namentlich seit der Julirevolution, die einen frischen Zug in die europäische Entwicklung gebracht hatte. So erwartete man denn, als Friedrich Wilhelm IV. den Thron bestieg, dass sich der geistreiche Sohn mit der Pressefreiheit besser vertragen werde als der bornierte Vater, und der neue König war auch nicht abgeneigt dazu, wenn sich anders die Pressefreiheit im Rahmen einer romantischen Laune verwirklichen ließ.

Das hatte nun aber seine unüberwindlichen Schwierigkeiten, und statt der Pressefreiheit kamen zunächst ganz andere Dinge. Im Juli 1841 einigte sich Friedrich Wilhelm IV. mit Metternich über die abermalige Verlängerung der Karlsbader Beschlüsse, dann drangsalierte er die „Hallischen Jahrbücher" über die preußischen Grenzen hinaus und erschlug in der Person Bruno Bauers die akademische Lehrfreiheit. Selbst nicht einmal den amtlich approbierten Universitätsprofessoren die altgewohnte Zensurfreiheit zurückzugeben konnte sich der König entschließen, da die Höflinge sein orthodoxes Gewissen durch die Insinuation schärften, gerade unter den Gelehrten befänden sich so viele unchristliche Radikale. Der neue Justizminister Savigny arbeitete im Schweiße seines Angesichts an der Quadratur des Zirkels, an der Pressefreiheit mit Zensur, ohne doch, wie sich leicht begreifen lässt, von der Stelle zu kommen. Aber da irgend etwas geschehen musste, um den hochgespannten Erwartungen der Bevölkerung und auch den romantischen Grillen Sr. Majestät genug zu tun, so erschien am 14. Januar 1842 in der „Allgemeinen Preußischen Staatszeitung" eine vom 24. Dezember 1841 datierte Zensurinstruktion, worin der König jeden ungebührlichen Zwang der schriftstellerischen Tätigkeit ausdrücklich missbilligte, den Wert und das Bedürfnis einer freimütigen und anständigen Publizistik anerkannte und die Zensoren zur angemessenen Beobachtung des Zensuredikts vom 18. Oktober 1819 von neuem anweisen ließ.

Diese Instruktion rief noch einmal in der schon schwer enttäuschten Bevölkerung allgemeine Freude wach. Zwar ließ sich nicht verkennen, dass sie nichts als leere Worte enthielt, deren etwaiger reeller Inhalt der Presse sogar neue Fußangeln legen konnte, aber man tröstete sich damit, dass die Worte der Instruktion doch immer auch eine befriedigende Deutung zuließen. Ludwig Buhl, ein Freund Bruno Bauers, sagte in einer besonderen Schrift, zu der ihn die neue Zensurinstruktion begeisterte: „Die positiven Bestimmungen der neuen Zensurverfügung sind uns gleichgültig; unsere einzige und letzte Garantie ist die in der Verfügung ausgesprochene königliche Gesinnung. Es kommt alles darauf an, wie die Vorschriften gedeutet werden, und dies hängt wieder von dem höchsten Willen ab." Darin lag sogar eine gewisse trübselige Logik; wollte der König der Presse eine freiere Bewegung gönnen, so ließ sich erwarten, dass die charakterlosen und feigen Zensoren sich darnach richten würden, gleichviel was in der Zensurinstruktion geschrieben stand; wer unter der preußischen Krone lebte, war nichts weniger als verwöhnt und sah schon, wie Buhl, „die Sonne hoch am Himmel stehen", wo man in zivilisierten Staaten höchstens ein fahles und zweideutiges Dämmerlicht gesehen hätte.

Nur der jüngste der deutschen Schriftsteller würdigte die neue Instruktion nach ihrem Verdienste; an ihr hat sich Karl Marx seine publizistischen Sporen verdient. […]

1 Siehe dazu: Franz Mehring: Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, Bd. 2 der „Gesammelten Schriften", Dietz Verlag, Berlin 1960, S. 484-509.

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