Franz Mehring 19121220 Die Städteordnung von 1808

Franz Mehring: Die Städteordnung von 1808

20. Dezember 1912

[Die Neue Zeit, 31. Jg. 1912/13, Erster Band, S. 425-431. Nach Gesammelte Schriften, Band 6, S. 301-308]

Es gab eine Zeit – und sie liegt nicht gar zu lange hinter uns –, als Eugen Richter und ähnliche Geister sich in der Prahlerei gefielen, dass, wenn die Regierung ihre Hand von den Junkern abzöge, nicht so viele konservative Abgeordnete in den preußischen Landtag einziehen würden, als in eine Droschke gepackt werden könnten.

Diese Ansicht hat sich in wenigen Jahrzehnten so gründlich gewandelt, dass eher die Gefahr vorliegt, ihr genaues Gegenteil könne zu einem anfechtbaren Gemeinplatz werden. Auch bürgerliche Historiker erkennen an, dass „die eigentlichen Regenten" des preußischen Staates, seine „verhätschelten Lieblingskinder", von jeher die Junker gewesen seien. Daran ist auch nichts zu deuteln, im Wesentlichen wenigstens nicht, obgleich die preußische Junkerherrschaft, wie jede historische Erscheinung, mannigfach bedingt sein mag.

An Versuchen, sie auf ihre geschichtlichen Ursachen zu untersuchen, fehlt es denn auch nicht. Woran es aber vielfach noch fehlt, das ist eine gründliche Prüfung der Kehrseite, der Frage nämlich, weshalb sich die preußischen Städte niemals zu einem ernsthaften Gegengewicht gegen die junkerliche Übermacht entwickelt haben. Im allgemeinen gibt die Antwort darauf der ganz kleinbürgerliche Charakter, den die deutsche Entwicklung seit den Tagen der Reformation angenommen hatte, und auch im besonderen ist bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts genug über den Zustand der preußischen Städte bekannt, um daraus zu entnehmen, weshalb sie immer nur das fünfte Rad am Wagen gewesen sind. Waren doch viele von ihnen sogenannte Mediatstädte, das heißt von einem Grundherrn gestiftet worden, dessen Erben noch die städtischen Behörden ernannten und sowohl Dienste als auch Abgaben in Geld oder Naturalien von den Bürgern beanspruchen durften.

Mit der Städteordnung von 1808 trat aber eine sehr wesentliche Änderung in der Stellung der Städte ein. Sie war die durchgreifendste unter den Reformen Steins und keineswegs ein bloßes Augenverblenden wie die sogenannte Bauernbefreiung. Sie sollte in der Tat ein entscheidendes Gegengewicht gegen die junkerliche Gewalt schaffen. Und wenn man den Jubelliedern trauen dürfte, die vor vier Jahren zu ihrem hundertsten Geburtstag erklangen, so hat sie es auch getan. Selbst ein verhältnismäßig so unbefangener Historiker wie Max Lehmann schrieb damals: „Weder Reichsstädte noch Kreisordnung noch Gemeindeordnung kamen zustande; die neu geschaffenen Provinziallandtage schienen eher ein Hindernis als eine Vorbereitung des Verfassungswerkes zu sein; die einzige Errungenschaft aus den großen Tagen der Reform war die Städteordnung geblieben … So fest stand sie in der öffentlichen Gunst, dass auch die Fürsprecher überlebter Staats- und Gesellschaftsordnungen es nicht wagten, ernstlich an ihr zu rütteln. Ein und das andere wurde geändert, aber als die Urheber und Freunde der Änderungen zu einer Revision des gesamten Gesetzes schritten, ließen sie (im Jahre 1831) den Städten, die 1808 die Steinsche Städteordnung erhalten hatten, die Wahl zwischen Annahme und Ablehnung. Die Wirkung war, dass nicht mehr als drei Kommunen sich dem Alten ab- und dem Neuen zuwandten. Seitdem ist die Städteordnung die Standarte des deutschen Bürgertums geworden und geblieben … Sie hat die Bewegung des Jahres 1848 auf das nachdrücklichste unterstützt. Wieder beladen mit der Abneigung der Bürokratie und des Junkertums, hat sie sich durch alle Bedrängnisse hindurch behauptet; auch die Änderungen des Jahres 1853 haben ihre Substanz nicht angetastet." Dieses Lob ist in mehr als einer Beziehung übertrieben.

Gerade wenn man die Städteordnung von 1808 als eine verhältnismäßig weitreichende Reform anerkannt, kommt man auf den wunden Fleck der Sache, den man mit dem preußischen Witze treffen kann: Was hilft der Mantel, wenn er nicht gerollt ist? Papierene Rechte besaßen die preußischen Städte auch schon vor der Städteordnung von 1808, sogar mehr, als diese ihnen zubilligte. Das Allgemeine Landrecht gewährte ihnen das Patronat über Kirchen und Schulen, die Verwaltung des städtischen Vermögens, die Polizei, sogar die Justiz. Es gab einen Magistrat, der gewählt wurde; es gab Repräsentanten der Bürgerschaft; die Bürgerschaft, vertreten durch die Zünfte, hatte das Recht zu wählen, zu beraten und zu beschließen; die Bürger schworen einen besonderen Eid und verpflichteten sich, städtische Ämter unentgeltlich zu besetzen. Alles das war aber eitel Schein bis auf die wirklich autonome Justiz, die auch danach war, nämlich gänzlich verlottert. Die Stadtrichter wurden miserabel bezahlt, eine Besoldung von jährlich hundert Talern war schon ausnahmsweise hoch; sie halfen sich mit Gebührenüberhebung oder auch mit Eingriffen in die Depositen- und Mündelkassen.

Sonst waren die Rechte, die das Allgemeine Landrecht den Städten gewährte, einfach in den Schornstein geschrieben. In die städtischen Ämter schob die Regierung verabschiedete Soldaten, Offiziere und Mannschaften, bei der damaligen langen Dienstzeit völlig greisenhafte Invaliden, die, selbst wenn sie guten Willen mitbrachten, doch ganz unfähig waren, ihn zu betätigen. Damit aber noch nicht genug, so war der Garnisonschef, in jeder Stadt der absolute Herr, vor dessen Misshandlungen kein Bürger sicher war und gegen dessen noch so empörende Ausschreitungen es nirgends im Staate eine Sühne gab. Rechtlich gesinnte Bürger weigerten sich überhaupt, städtische Ämter anzunehmen wegen der unerträglichen Plackereien, die sie darin durch die militärischen Befehlshaber zu besehen hatten.

Dieser scheußlichen Misswirtschaft ein Ziel zu setzen, war die erste Aufgabe, die gelöst werden musste, wenn den preußischen Städten geholfen werden sollte. Der Königsberger Polizeidirektor Frey richtete darüber folgende Betrachtung an Stein, die heute noch keineswegs eines praktischen Interesses entbehrt:

Wir erwarten ganz vergebens, dass der Gemeingeist der Engländer, Franzosen und anderer bei uns erwachen werde, wenn wir nicht dem Militär die Schranken anweisen, die es in allen Ländern, wo Gemeingeist herrscht, nicht überschreiten darf. Solange das Militär nicht der allgemeinen Polizei und Justiz unterworfen ist oder solange mit anderen Worten gegen das Militär gerade nur so weit Polizei und Justiz gehandhabt werden darf, als die Chefs aus gutem Willen gestatten, so lange ist keine auf innere Überzeugung und öffentliche Sitten gegründete Verfassung denkbar. Das Militär darf sich musterhaft betragen, aber solange es sich als Gefälligkeit und Humanität anmaßt, was die bloße Gerechtigkeit und die unbedingte Achtung gegen Dezenz erfordert, so lange sind wir in der traurigen Alternative zwischen dem knechtischen Sinn, der das als Geschenk nimmt, was ihm als Rechtstitel gebührt, und der peinlichen Beklommenheit, die das Bewusstsein erzeugt, dass unsere Ruhe von bloßer Willkür abhänge, und in beiden Fällen ist auf unbefangene öffentliche Tätigkeit nicht zu rechnen."

Der Verfasser dieser Zeilen ist überhaupt der eigentliche Urheber der Städteordnung von 1808. Frey hat einige ihrer wichtigsten Bestimmungen den Gemeindegesetzen der Französischen Revolution entnommen, was Stein, bei seiner gründlichen Abneigung gegen diese Revolution, aus eigenem Antrieb schwerlich getan haben würde. Zudem war Stein nur ein bedingter Gegner der Zünfte und hätte, ohne fremden Anstoß, auch wohl nicht das städtische Wahlrecht der Zünfte so gänzlich beseitigt, wie es in folgender Bestimmung der Städteordnung geschah: „Die Wahl der Stadtverordneten wird in den verschiedenen Bezirken der Stadt bewirkt. Die Wahl nach Ordnungen, Zünften und Korporationen wird aufgehoben. Die stimmfähigen Bürger wirken lediglich als Mitglieder der Stadtgemeinde, ohne alle Beziehung auf Zunft, Stand, Korporation und Sekte." Diese Vorschrift ist ziemlich wörtlich übersetzt aus dem Paragraph 7 des französischen Munizipalgesetzes vom 14./18. Dezember 1789.

Ebenfalls aus einem französischen Revolutionsgesetz ist die Bestimmung übersetzt: „Die Stadtverordneten bedürfen weder einer besonderen Instruktion oder Vollmacht der Bürgerschaft, noch sind sie verpflichtet, derselben über ihre Beschlüsse Rechenschaft zu geben. Das Gesetz und ihre Wahl sind ihre Vollmacht, ihre Überzeugung und ihre Ansicht vom gemeinen Wohl der Städte ihre Instruktion, ihr Gewissen aber die Behörde, der sie Rechenschaft zu geben haben." Eine Nachahmung der Französischen Revolution war leider auch der – immerhin nicht allzu drückende – Zensus für die Wahl der Stadtverordneten (Besitzeines städtischen Grundstücks oder ein Jahreseinkommen von – je nach der Größe der Stadt – 100 bis 200 Talern). Aber wenn nicht das allgemeine, so gewährte die neue Städteordnung wenigstens das geheime und das gleiche Wahlrecht.

In der Stadtverordnetenversammlung sollte sich die städtische Verwaltung konzentrieren. Sie sollte nicht nur das städtische Vermögen verwalten, sondern auch das Armen- und Schulwesen versehen, wie ihr die Gesundheits- und Sicherheitspolizei anvertraut war. Der Magistrat sollte den Stadtverordneten völlig untergeordnet sein; er wurde von ihnen als eine rein städtische Behörde gewählt, und auch das Bestätigungsrecht der Regierung erstreckte sich nur auf die formale Frage, ob die Wahl richtig vollzogen sei. Die eigentliche Verwaltung blieb durchaus den Stadtverordneten vorbehalten; sie sollten für diesen Zweck Deputationen und Kommissionen bilden, die größtenteils aus Stadtverordneten und Bürgern, aber nur aus einzelnen oder wenigen Mitgliedern des Magistrats zusammenzusetzen vorgeschrieben wurde. Die Gerichtsbarkeit wurde den Städten allerdings entzogen, aber dieser Verlust konnte den Gewinn nicht entfernt aufwiegen. Im Gegenteil: Die Justizhoheit des Staates war ein Fortschritt aus der feudalen in die moderne Gesellschaft.

Die Befreiung der Städte durch die preußischen Reformer stellte sich also in viel günstigerem Lichte dar als die Befreiung der Bauern. Aber wenn diese an dem Widerstand der mächtigen Junkerklasse scheiterte, so jene aus dem Mangel einer kräftigen Bürgerklasse. Von einer anderen Seite, jedoch nicht minder unzweideutig, zeigte sich, dass der Klassenkampf das treibende Rad der historischen Entwicklung ist. Die damaligen preußischen Städte waren fast durchweg kleine Nester; in der Kurmark Brandenburg gab es nur drei Städte mit mehr als 10.000 Einwohnern, Berlin, Potsdam und Brandenburg; in Ost- und Westpreußen, für welche Provinzen die Städteordnung zunächst bestimmt war, sogar nur zwei Städte dieser Kategorie, Königsberg und Elbing, dazu acht Städte von 3500 bis 10.000 Einwohnern; alle übrigen Städte waren kleiner. Es war nun sehr leicht zu bestimmen, dass der Bürgerschaft die Exekutive der Polizei zustehe, der sich wie jedermann so auch das Militär zu unterwerfen habe, aber praktisch lief die Sache darauf hinaus, einer Herde Schafe die Aufsicht über eine Herde Wölfe anzuvertrauen. Auch sonst aber erwies sich die Organisation einer städtischen Polizei, die sich auf das städtische Weichbild beschränkte, als undurchführbar, solange nicht das gesamte Polizeiwesen des Staates umgestaltet, namentlich auch die gutsherrliche Polizei beseitigt worden war, womit Stein nicht durchdrang.

So half man sich damit, in einer großen Zahl von Städten königliche Polizeidirektionen einzusetzen, nicht nur in größeren Städten, wie Berlin, Königsberg, Breslau, Stettin, Potsdam, Frankfurt, Brandenburg, sondern auch in kleineren Städten wie Stargard, Kolberg, Stolp, Anklam, Demmin, Brieg, Glatz, Neiße, Schweidnitz, Glogau usw. Andere kleine Städte, wie Kreuzburg, Landeck, Striegau, Kosel, Hirschberg, Köslin, Swinemünde usw., blieben nur auf ihre flehentlichen Bitten von dieser Plage verschont. Die gänzlich verarmten Städte kamen durch die königlichen Polizeidirektionen, für deren Kosten sie bei Heller und Pfennig aufkommen mussten, aus dem Regen unter die Traufe. In anderer Form wurde damit wieder die Militärherrschaft in den Städten hergestellt.

Aber auch die Zunftherrschaft gelangte zu einer Art Wiedergeburt. Die Städteordnung von 1808 ließ es bei einem besonderen städtischen Bürgerrecht bewenden, statt es wie die Französische Revolution zu einem Teile des allgemeinen Staatsbürgerrechts zu machen. Sein Erwerb war zwar nicht allzu schwer gemacht; ein unbescholtener Name und die Zahlung von ein paar Talern genügten dazu. Allein die Verpflichtung zum Erwerb des städtischen Bürgerrechts erstreckte sich nur auf diejenigen Bewohner der Stadt, die ein Haus besaßen oder ein konzessionspflichtiges Gewerbe betrieben, also im Wesentlichen auf das bisherige Zunfthandwerk. Ebendahin ging auch die Absicht Steins und seiner Gehilfen; sie wollten die Städte aus der bürokratischen Bevormundung befreien und deshalb die „Offizianten", die bisher die Bürger gegängelt hatten, möglichst von der städtischen Verwaltung zurückscheuchen; Stein hätte ihnen am liebsten, namentlich den Advokaten, den Eintritt in die Stadtverordnetenversammlung verboten, jedoch auch so erreichte er seinen Zweck. Die „Offizianten" begnügten sich, „Schutzverwandte" zu bleiben, es sei denn, dass sie durch den Ankauf eines Hauses gezwungen wurden, das städtische Bürgerrecht zu erwerben. Mit ihnen blieben nun aber auch die gebildeten Elemente den städtischen Verwaltungen fern, und das beschränkte Zunfthandwerk hatte freie Bahn, seine ausbeuterischen Praktiken an dem städtischen Vermögen zu erproben.

Unter diesen Umständen hat die Städteordnung von 1808 keineswegs die segensreichen Wirkungen gehabt, die ihr so oft nachgerühmt worden sind. Fähige Bürgermeister, wie der alte Ziegler, haben sie oft geradezu als einen Hemmschuh der städtischen Entwicklung verflucht. Und am allerwenigsten ist sie für den Staat im Allgemeinen der Hebel eines historischen Fortschritts gewesen. Man kann auch hier sagen: Im Gegenteil! Wenn anders Engels recht hat, die allgemeine Wehrpflicht als die einzige demokratische Einrichtung des vormärzlichen Preußens zu nennen1, so haben ihr die Städte viel heftiger und länger widerstanden als selbst die Junker. Die Junker widersprachen nur, solange die Frage noch nicht entschieden war; als aber im Frühjahr 1813 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt worden war und sich in den darauf folgenden Kriegen bewährt hatte, waren die Junker gescheit genug, ihren Widerspruch aufzugeben. Die Stadtverordnetenversammlungen, und allen voran die Berliner, haben noch jahrelang um die Beseitigung der allgemeinen Wehrpflicht petitioniert.

Es ist auch nicht richtig, dass im Jahre 1831 nur eines oder das andere an der Städteordnung geändert worden sei. Sie war ursprünglich, wie schon erwähnt wurde, nur für Ost- und Westpreußen bestimmt, dann aber, solange die Fremdherrschaft dauerte, auf die alten Provinzen ausgedehnt worden (Brandenburg, Pommern, Schlesien). Den neuen Provinzen, die 1814 durch den Beschluss des Wiener Kongresses an den preußischen Staat kamen, wurde das – um im patriotischen Stil zu sprechen – „Königliche Geschenk der Hohenzollern" natürlich vorenthalten, bis die Julirevolution die staatsmännische Seelenruhe im Berliner Schlosse ein wenig aufmunterte. Nun wurde die Städteordnung auch auf die neuen Provinzen ausgedehnt, allein in einer „veränderten Form", von der Schön sagte: „Die Städteordnung wurde, soweit man das, ohne den Schein der Barbarei und der Inkonsequenz auf sich zu laden, nur irgend vermochte, allmählich in der Richtung einer Beamtenordnung ausgeklügelt und modifiziert." Und in diesen Fragen war niemand so sachverständig wie Schön.

Während man 1808 keinem unbescholtenen Einwohner der Stadt das Bürgerrecht versagte, wurden 1831 zum Erwerben des Bürgerrechts nur diejenigen Einwohner für berechtigt erklärt, die ein Grundeigentum von mindestens 200 Taler Wert besaßen oder aus einem stehenden Gewerbe eine reine Einnahme von mindestens 200 oder aus anderen Quellen ein Jahreseinkommen von wenigstens 400 bis 1000 Taler bezogen. Das passive Wahlrecht, das 1808 jedem stimmfähigen Bürger zugesprochen worden war, wurde nunmehr an einen besonderen Zensus geknüpft, der sich in kleineren Städten auf ein Jahreseinkommen von 200, in größeren von 1200 Taler belief. Während 1808 die Wahl nach Korporationen und Zünften ausdrücklich verboten worden war, ordnete die „revidierte" Städteordnung solche Wahlen förmlich an. Die Veräußerung städtischer Grundstücke, die früher allein von den Stadtverordneten abhing, wurde nunmehr von der Erlaubnis der Regierung abhängig gemacht. Der Magistrat, nach dem älteren Gesetz eine rein städtische, allein von den Stadtverordneten abhängige Behörde, wurde nach dem neuen Gesetz überwiegend ein von der Regierung abhängiges „Organ der Staatsgewalt". Die Regierung konnte, durch kein Gesetz beschränkt, die Wahlen der Bürger für ungültig erklären und bei „Unangemessenheit" oder „Verzögerung" der Wahl die städtischen Ämter auf Stadtkosten verwalten lassen. Die Regierung konnte die Magistratsmitglieder wegen „mangelhafter Dienstführung" absetzen und alsdann die Größe ihrer Pension bestimmen. Der Bürgermeister, dessen Stelle infolge „unangemessener" Wahl von der Regierung besetzt wurde, war befugt, die Beschlüsse des Magistrats aufzuheben, und dafür nur der Regierung verantwortlich. Endlich stand es nach der „revidierten" Städteordnung der Regierung frei, die Stadtverordnetenversammlung bei „Parteiung" in ihrem Schöße aufzulösen oder die Schuldigen auszuschließen, ja selbst unter Umständen der Gemeinde die Städteordnung ganz zu entziehen.

Worauf diese „Revision" abzielte, sprach der Staatsrechtslehrer v. Rönne, ein hochgestellter Richter, mit den Worten aus: „Bei Entwerfung der revidierten Städteordnung ging man von dem Hauptgesichtspunkt aus, dass das Oberaufsichtsrecht des Staates eine größere Ausdehnung erhalte, dass das Bürgerrecht an Bedingungen, welche den Unbemittelten davon ausschließen, geknüpft und die Wahlfähigkeit beschränkt werde, um die ärmere ungebildete Klasse der Bürger in der Regel aus dem Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung zu entfernen." Die Regierung selbst bestätigte diese Auffassung als durchaus richtig; der Minister v. Rochow, der durch sein geflügeltes Wort vom „beschränkten Untertanenverstand" eine gewisse Unsterblichkeit erlangt hat, empfahl die Schrift Rönnes, aus der die eben zitierten Sätze entnommen sind, in einer amtlichen Verfügung angelegentlich zur Anschaffung den Behörden. Die Regierung konnte sich damals, wo es noch keine Arbeiterbewegung gab, noch den Luxus gestatten, volksfeindliche Absichten offen herauszuhängen.

Man sieht danach, dass es sich bei dieser „revidierten" Städteordnung von 1831 nicht um diese oder jene beiläufige Änderung handelte, sondern um eine rückläufige Umwälzung von Grund aus. Richtig ist allerdings, dass nur drei kleine märkische Städte freiwillig die alte Städteordnung Steins preisgaben, um diese neue anzunehmen, aber unrichtig ist wiederum, dass die alte Städteordnung irgendetwas dazu getan habe, die Bewegung von 1848 vorzubereiten oder zu unterstützen. Namentlich wieder in Berlin haben die städtischen Behörden viel dazu beigetragen, die Revolution zu verfahren; Gneist, der damals noch ein junger und verhältnismäßig frischer Mann war, hat in einer eigenen, heute vergessenen Schrift diese Tatsache eingehend nachgewiesen. Zum Beispiel protestierten die Berliner Stadtverordneten feierlich gegen den schüchternen Versuch der Vereinbarerversammlung, die Steuern zu verweigern.

Den Dank vom Hause Österreich habe sie dann geerntet, als die Regierung im Jahre 1853 die Städteordnung auch der alten Provinzen im Sinne von 1831 „revidierte". Namentlich das geheime und das gleiche Wahlrecht wurden nunmehr beseitigt. Es war die Zeit, wo die Berliner Stadtverordnetenversammlung die Staatsstreichhelden Manteuffel und Wrangel zu Ehrenbürgern ernannte, dagegen die großstädtischen Einrichtungen, deren die wachsende Stadt bedurfte, dem reaktionären Polizeipräsidenten Hinckeldey ins Leben zu rufen überließ.

Eine Geschichte der Städteordnung von 1808 zu schreiben würde eine lohnende Aufgabe für einen jungen Historiker sein. Sie würde von der Kehrseite her zeigen, weshalb die preußische Junkerherrschaft sich so fest wurzeln konnte, dass sie heute noch selbst dem Ansturm der Arbeiterklasse zu trotzen weiß. Sie würde namentlich auch zeigen, wie wenig damit getan ist, einer Klasse Waffen zu geben, wenn diese Klasse zu feig oder zu schwach ist, die Waffen zu führen. Was die bürgerliche Klasse in Deutschland als ihr höchstes Verdienst zu preisen pflegt: der Abscheu vor dem Klassenkampf, das ist in der historischen Wirklichkeit ihr schlimmstes Verhängnis gewesen.

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