Franz Mehring 19071023 Robert Blum

Franz Mehring: Robert Blum

23. Oktober 1907

[Die Neue Zeit, 26. Jg. 1907/08, Erster Band, S. 113-116. Nach Gesammelte Schriften, Band 6, S. 419-423]

Binnen kurzem vollendet sich ein Jahrhundert, seitdem Robert Blum, der Märtyrer der Brigittenau, in Köln am Rhein geboren wurde. Hier und da hört man davon, dass der Gedenktag gefeiert werden soll, aber sicherlich wird es nicht so geschehen, wie des Dichters Aug', in holdem Wahnsinn rollend, einst geschaut hat:

So ehrt das treue Vaterland des Tonnenbinders Knaben -

Ihn, den die Schergen der Gewalt in Wien gemordet haben!

Ihn, der sich seinen Lebensweg, den steilen und den rauen,

Auf bis zu Frankfurts Parlament mit starker Hand gehauen!

(Dort auch, was er allstündlich war, ein Wackrer, kein Verräter!) —

Was greift ihr zu den Schwertern nicht, ihr Singer und ihr Beter?

Was werdet ihr Posaunen nicht, ihr ehrnen Orgeltuben,

Den jüngsten Tag ins Ohr zu schrein, den Henkern und den Buben?

Den Henkern, die ihn hingestreckt auf der Brigittenaue -

Auf festen Knien lag er da im ersten Morgentaue!

Dann sank er hin – hin in sein Blut – lautlos! – heut vor acht Tagen!

Zwei Kugeln haben ihm die Brust, eine das Haupt zerschlagen!

Wo man Blums an seinem hundertsten Geburtstag sich in bürgerlichen Kreisen erinnern wird, da wird es fein sänftiglich geschehen, als eines treuen deutschen Mannes voll nationaler Gesinnung, der, wenn er nur die Zeit erlebt hätte, freudig eingestimmt haben würde in den Hochruf auf Kaiser und Reich und der nur einen Fluch und einen Steinwurf gehabt haben würde für die ruchlose Gesinnung der roten Umstürzler. Hat doch schon Herr Hans Blum, des ungeratenen Vaters wohlgeratener Sohn, vor dreißig Jahren ein dickes Buch über das Leben Robert Blums zu dem ausgesprochenen Zwecke veröffentlicht, dadurch ein Gegengift zu bieten gegen „das vaterlandslose Demagogentum, das den rohen Klassenhass predigt und mit der ihm eigenen Virtuosität der Lüge diesen Mann seit Jahren in ihren unsauberen Blättern als einen ihrer sozialistischen Parteiheiligen pries".

Herrn Hans Blum hat derweil sein Schicksal ereilt, das verdiente Schicksal aller Sozialistentöter: Er ist verkommen und verschollen. So mag ihm denn auch die Lüge hingehen, dass die deutsche Sozialdemokratie je in Robert Blum einen „Parteiheiligen" gesehen haben soll. Sie hat dem Andenken des Mannes, der seine politische Überzeugung mit seinem Blute zu besiegeln wusste, hohe Achtung gezollt, aber sie hat nie verkannt, dass er mit dem modernen Proletariat nichts zu scharten gehabt hat, obwohl er in den ärmlichsten Verhältnissen geboren und erwachsen war und sich aus ihnen zu einer respektabeln Höhe politischer Einsicht emporzuarbeiten wusste. Robert Blum war Kleinbürger durch und durch, und eben hierin liegt seine Bedeutung, dass er den kleinbürgerlichen Typus seines Volkes und seiner Zeit klassisch verkörperte; Kleinbürger nicht in dem kleinlichen Sinne, wie man von Gevatter Schneider und Handschuhmacher spricht, sondern in dem historischen Sinne, dass Robert Blum im Geiste niemals über die Schranken hinauskam, in die das Kleinbürgertum ökonomisch gebannt ist. Dem Sozialismus seiner Zeit stand Blum dabei gar nicht einmal ablehnend gegenüber; über Fourier hat er sehr freundliche Worte gefunden, wenn sonst etwas darauf ankäme; nichts ergötzlicher als die komische Wut, womit sein Sohn und Biograph durch offene Türen rennt, um im Schweiße seines Angesichts nachzuweisen, dass Karl Fourier ganz etwas anderes gewesen sei als Karl Marx.

Die Hauptstätte von Robert Blums Wirken vor dem Ausbruch der Revolution von 1848 war Leipzig, wohin er im Jahre 1832 als Theatersekretär mit einem Gehalte von noch nicht ganz 200 Talern gelangte. Die Stadt war damals mit Literaten überschwemmt, die um kärglichen Lohn im Dienste der Buchhändler fronen mussten und sich durch ein grenzenloses Selbstbewusstsein schadlos hielten in ihrer Tintensklaverei: „Deutschland braucht noch viele Seife, Dass es sei gewaschen reiner, Und es braucht zu seiner Reife Noch viel Kerl wie unsereiner", sang einer der Wackeren. In diesen Kreisen wurde Blum zum eifrigen und unermüdlichen Schriftsteller, der Gedichte und Trauerspiele in Masse anfertigte, Theaterlexika und Taschenbücher herausgab, ja selbst sich an ein „Volkstümliches Handbuch der Staatswissenschaften und Politik" wagte. Daneben besorgte er seine Theatergeschäfte, hielt Reden am Schillerfest, half die deutsch-katholische Bewegung gründen, feilte nächtlicherweile an dem Schlüssel, der bei einem polnischen Aufstande die Tore der Zitadelle Krakau öffnen sollte, kämpfte als Stadtverordneter kommunale Fehden aus, musste auch einmal brummen „wegen öffentlicher Beleidigung des sächsischen Richterstandes", weil er in einem Leitartikel Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Strafverfahrens gefordert hatte.

Aber das war nicht besonders tragisch und nicht einmal ganz ernsthaft zu nehmen, einschließlich der Gefängnisstrafe. Politische Anklagen waren in vormärzlicher Zeit gerade so läppisch wie vordem und nachher, aber die vormärzliche Reaktion hatte noch so viel guten Geschmack, ihre Kindereien nicht mit allzu viel Bosheit zu versetzen. Blum selbst scheute sich nicht, auf dem Gnadenweg darum zu petitionieren, dass die Gefängnisstrafe von zwei Monaten, die ihm zudiktiert worden war, in eine Geldstrafe umgewandelt werde. Da der König verreist war, so setzte das Gesamtministerium in der Tat die Strafe zur Hälfte in eine Geldstrafe von 20 Talern um, während Blum die übrigen vier Wochen absitzen musste. Er fing am 26. Oktober 1844 damit an, kam aber erst am 8. Dezember zu Ende, da er unter allen möglichen Vorwänden alle Augenblicke Urlaub verlangte und erhielt. Seiner Schwester schrieb er aus diesem Gefängnis: „Arbeit habe ich genug, an Unterhaltung fehlt's mir nicht, und meine Freunde besuchen mich scharenweise. Da kommt tagtäglich ein Teil derselben, bringt mir ein anständiges Frühstück mit Weinen aller Art, und wir essen, trinken, lachen und singen ein paar Stunden zusammen. Abends kommt meine Frau von fünf bis acht Uhr, oft die Kinder, und so geht ein Tag nach dem anderen hin. Die Sache ist kindlich dumm und nützt mir viel mehr, als sie mir schadet." Heute werden Gefängnisstrafen in Leipzig anders vollstreckt, womit jedoch nicht gesagt sein soll, dass die Sache gescheiter geworden ist und nicht auch noch dieselbe umgekehrte Wirkung hat wie dazumal.

Das Wohlgefallen, womit sich Robert Blum in diesen vormärzlichen Kämpfen bewegte, schützt ihn schon zur Genüge vor dem Verdacht, ein Vorkämpfer des Proletariats gewesen zu sein. Seine damalige Schriftstellerei, die massenhaft erhalten ist, mit Weitlings gleichzeitigen Schriften auf dieselbe Stufe zu stellen wäre eine schwere Kränkung Weitlings. Aber innerhalb seiner kleinbürgerlichen Welt trieb sich Blum rührig und unermüdlich umher, nicht um seines Geistes, so doch um seines Charakters willen ein anderer Mann als das leichtlebige Literatenvolk, worin er sich tummelte. Ihn hatten schwere Lebensschicksale hart gehämmert, und für ihn war wuchtige Wahrheit, was für so viele seiner Genossen doch nur spielerische Phrase war. So erklärt sich die Herrschaft Blums über die kleinbürgerlichen Massen aus deren instinktivem Gefühl, dass auf ihn unbedingter Verlass war in allem, was die kleinbürgerlichen Interessen anging.

Und gerade aus der geschlossenen Einheit seines Wesens erwuchs ihm der tragische Zwiespalt, worin er untergegangen ist. Wie seine Klasse, so schwankte er, eben weil er ihr klassischer Typus war, zwischen dem Einerseits – Andererseits, das alle kleinbürgerliche Politik kennzeichnet. Nicht mit Unrecht spricht ein reaktionärer Historiker von Blums Virtuosität, die Unruhe zu wollen, aber die Ruhe zu predigen. Und er selbst kannte sein Verhängnis. Als nach dem berüchtigten Blutbad, das im Herbst 1845 unter der Leipziger Bevölkerung angerichtet wurde1, die ganze Stadt vor zorniger Entrüstung bebte und den städtischen Behörden die Zügel entglitten waren, setzte Blum durch sein Ansehen bei den erregten Massen den Entschluss durch, nur auf dem Boden des Gesetzes die Sühne für das vergossene Blut zu verlangen, wo sie natürlich nie erlangt worden ist. Er selbst aber schrieb über seine Rede, die wirkungsvollste, die er je gehalten hat, an Johann Jacoby: „Wohl kann ich mit Schillers Jungfrau sagen: ach, es war nicht meine Wahl, dass ich ein miserables Piano anstimmte, wo Zeit und Umstände, Hoffnungen und Aussichten, Gegenwart und Zukunft ein Fortissimo gebieterisch forderten."

So auch fielen ihm die Lose in der Paulskirche. Die Reden, die er dort gehalten hat, sind heute nicht mehr genießbar: „Kannegießerei in erhabenem Stile", wie die „Neue Rheinische Zeitung" einmal schrieb. Aber Blum vergaß über dem parlamentarischen Mandat nicht seine demokratischen Überzeugungen, wie so viele andere, die er selbst kennzeichnete als „Lumpen, die jahrzehntelang als entschieden und freisinnig galten und jetzt Rückschrittsmenschen" geworden seien; „ein Wackrer, kein Verräter", wie ihm Freiligrath in die frische Gruft nachsang. Seine Schicksalsstunde schlug erst, als die deutsche Nationalversammlung in den Septembertagen von 1848 zum ersten und zum letzten Male vor eine historische Entscheidung gestellt wurde, als die schleswig-holsteinische Frage ihr die unabweisbare Wahl auferlegte, ob sie ihre Souveränität auch gegen die Fürsten aufrechterhalten oder sich wieder unter das fürstliche Joch beugen wolle. Nach einem ohnmächtigen Versuch des Widerstandes, der ihre schließliche Niederlage nur umso schmählicher machte, fiel sie um, und Robert Blum stolperte nun auch über das Einerseits – Andererseits. In der „Reichstagszeitung", die er herausgab, schalt er auf „die Verräter an der Sache des Volkes", die dem „Volkswillen den blutigsten Schimpf angetan" hätten, jedoch als nun Tausende nach Frankfurt zusammenströmten, zum Kampfe entschlossen, mit der Forderung an die Linke, sich als Konvent aufzutun und die Revolution durch eine zweite Revolution zu retten, da predigte Blum abermals den friedlichen, gesetzlichen, parlamentarischen Weg.

Und wieder empfand er, wie einst in den Leipziger Schreckenstagen, „schiefer Stellung volle Qual", um mit dem Dichter zu sprechen. An seine Gattin schrieb er: „Nie bin ich so lebens- und wirkensmüde gewesen wie jetzt; wäre es nicht eine Schande, sich im Unglück von den Kampfgenossen zu trennen, ich würde zusammenraffen, was ich allenfalls habe, und entweder auswandern oder mir in irgendeinem friedlichen stillen Tale des südlichen Deutschland eine Mühle oder dergleichen kaufen und nie wieder in die Welt zurückkehren, sondern teilnahmslos aus der Ferne ihr Treiben betrachten." In dieser Stimmung drängte Blum sich dazu, als Vertreter seiner Fraktion an die Wiener Revolution gesandt zu werden, die im Oktober ausgebrochen war. Hier hat er tapfer auf den Wällen der Stadt gekämpft, um sie gegen den Bluthund Windischgrätz zu verteidigen. Als dann die Stadt erobert war, wurde Blum verhaftet, und es war wie eine Quittung über die Fehler und Irrtümer seines politischen Lebens, dass die feigen Mörder des Standrechtes das parlamentarische Mandat, das ihn gesetzlich vor jeder Gewalttat schützte, als wertlosen Wisch straflos auf den Kehrichthaufen werfen konnten. Danach blieb nun für Robert Blum, was sein Eigenstes war; in aufrechter und stolzer Haltung, von dem sein Abschiedsgruß an sein Weib ergreifendes Zeugnis ablegt, ist er den Märtyrertod gestorben.

In allem war er der klassische Typus seiner Klasse, nur in seinem Tode nicht, der den unlöslichen Zwiespalt, worin das Kleinbürgertum elend und ruhmlos untergeht, zu tragischer Würde erhob. Der Tod Robert Blums ist sein Anspruch auf die Unsterblichkeit, den auch diejenigen achten werden, denen sein politisches Wirken längst kein Vorbild mehr sein kann. So lebt sein Gedächtnis in dem Proletariat fort, dem er nicht durch sein Leben, sondern durch seine Geburt und seinen Tod angehört.

1 Das Gemetzel in Leipzig entstand durch den Feuerüberfall sächsischen Militärs auf eine Volksdemonstration am 12. August 1845. Anlässlich einer Militärparade, die für den in Leipzig weilenden Kronprinzen Johann (späterer König von Sachsen) stattfand, protestierten die Demonstranten gegen die Verfolgung der deutsch-katholischen Bewegung durch die sächsische Regierung.

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