Franz Mehring 19091001 Vorbemerkung

Franz Mehring: Vorbemerkung zu „Das göttliche Recht der Hohenzollern“ von Karl Marx

1. Oktober 1909

[Die Neue Zeit, 28. Jg. 1909/10, Erster Band, S. 4-8. Nach Gesammelte Schriften, Band 7, S. 175-182]

Vorbemerkung. Der Artikel von Karl Marx, der hier in deutscher Übersetzung erscheint, wurde in „The Peoples Paper", einem chartistischen Organ, am 13. Dezember 1856 veröffentlicht, wo ihn jetzt Genosse Rjasanow entdeckt hat. Er bezieht sich auf die „Neuenburger Frage", eine der Tragikomödien, durch die das Preußen Friedrich Wilhelms IV. und seiner romantischen Reaktionäre ganz Europa zu erheitern pflegte. Heute ist sie dem Gedächtnis der zivilisierten Menschheit entschwunden, und so sind einige Erläuterungen zu dem Artikel von Marx notwendig.

Wie Neuenburg unter das Zepter der Hohenzollern kam, schildert Marx zutreffend. Bereits im burgundischen Reiche hatte das Ländchen eigene Grafen gehabt, die nach dem Falle Karls des Kühnen als „Landsleute", als „treue und liebe Eidgenossen" von der Schweiz anerkannt wurden. Doch blieb Neuenburg ein „zugewandter Ort", der weder Sitz noch Stimme auf der schweizerischen Tagsatzung hatte. Sobald seine feudalen Dynasten nach mehrfachem Wechsel der Familien im Jahre 1707 ausgestorben waren, meldeten sich vierzehn Erben, darunter der König von Frankreich und der König von Preußen. Für diesen traten England und Holland ein, die damals die europäische Hegemonie Ludwigs XIV. bis aufs Messer bekämpften, und ebenso als für einen ungefährlichen Nachbarn die schweizerischen Kantone; die Entscheidung gaben dann die feudalen Stände Neuenburgs aus dem von Marx angeführten Grunde oder, wie es der loyale preußische Historiker Stenzel ausdrückt, nachdem „viele einzelne durch ihnen gewordene oder zugesicherte Begünstigungen gewonnen waren". In der Tat – ein göttlicher Grund des „göttlichen Rechtes" der Hohenzollern auf Neuenburg.

Im Übrigen war dies „göttliche Recht" von vornherein durch sehr irdische Schranken eingedämmt. Die Neuenburger Stände hatten sich ganz nach feudaler Sitte genügend gegen den neuen Monarchen geschützt, namentlich gegen jeden Versuch, die Methoden borussischer Zivilisation in ihr Ländchen einzuführen, und sie waren nicht faul, ihren Herrschern von Gottes Gnaden derbe auf die Finger zu klopfen, wenn diese trotzdem einen Versuch mit jenen Methoden machen wollten. Das erfuhr selbst der preußische Nationalheros Friedrich. Nach seinem bekannten Grundsatz, wonach ihm ein Dorf an der Grenze lieber war als ein sechzig Meilen entferntes Fürstentum – nach welchem Grundsatz er die deutschen Rheinlande an Frankreich und Ostpreußen an Russland abzutreten bereit war, falls er dafür Sachsen hätte in die Tasche stecken können –, nach diesem erhabenen Grundsatz warf er sein „göttliches Recht" auf Neuenburg sogar in die Pfütze, indem er es im Siebenjährigen Kriege1 der Marquise von Pompadour in aller souveränen Herrlichkeit anbot, falls sie ihren königlichen Liebhaber wieder zu preußenfreundlichen Gesinnungen bekehren wollte. Jedoch war der Handel dieser Dame zu schmutzig.

Nach dem Siebenjährigen Kriege2, in bitterster Geldnot, verfiel Friedrich dann auf den verwegenen Gedanken, Neuenburg ebenso auszubeuteln wie seine preußischen Provinzen, und er fand auch, als die Neuenburger gegen seine Anmaßungen den Großen Rat des Kantons Bern als ihres bundesmäßigen Richters anriefen, in dem Generaladvokaten Gaudot einen geriebenen Advokaten, der ihm einen günstigen Entscheid erstritt. Aber die Neuenburger fügten sich nicht, sondern stürmten das Haus Gaudots und erschlugen den Zungendrescher. Darauf rüsteten die Kantone Bern, Luzern, Freiburg und Solothurn eine Truppenmacht von 6000 Mann, die unter dem Befehl des preußischen Generals Lentulus Neuenburg überzog, aber das „göttliche Recht" doch nur dadurch wiederherstellen konnte, dass Friedrich sich verpflichtete, auf alle despotischen Mucken zu verzichten, keine Steuern ohne Zustimmung der Stände aufzuerlegen, keine Beamten ohne Urteil und Recht abzusetzen usw. usw.

Einen kleinen Trost gewährte das Ländchen dem preußischen Despoten dadurch, dass es ihm gestattete, den „Freigeist" zu spielen, den er gern vor der Welt mimte, sosehr er im preußischen Staate die Geistesfreiheit unterdrückte. Als Rousseau aus Frankreich flüchten musste, Bern und Genf aber ihn in ihren Gebieten nicht dulden wollten, kam er nach Neuenburg und ließ sich in dem Gebirgsdorf Moitiers nieder. Friedrich wollte ihm auch seinen Schutz angedeihen lassen, obgleich er in Rousseau einen „Schandfleck der Literatur" hasste und ihn in Berlin ebenso misshandelt haben würde wie Voltaire. Allein auch dieses Späßchen wurde ihm durch die guten Neuenburger versalzen; aufgehetzt durch ihren bigotten Pfaffen, stürmten die Bauern, unter denen Rousseau lebte, sein Haus, und nur mit knapper Not rettete er sein Leben. Friedrich wagte nicht, ihn zu schützen und ebenso wenig den aufklärerischen Pfarrer Petit-Pierre, den er ins Land gesandt hatte, den die Bauern aber nicht haben wollten, weil er gegen die Ewigkeit der Höllenstrafen predigte; auch ihn jagten sie ohne Federlesen aus dem Ländle. Nichts begreiflicher also, als dass Friedrich an Voltaire, der ihn um die Anstellung eines Schützlings in Neuenburg gebeten hatte, melancholisch schrieb: „In Neuchâtel habe ich ebenso viel Autorität wie der König von Schweden bei seinem Reichstag oder soviel Gewalt, als Stanislaus über seine sarmatische Anarchie. Jean Jacques sollte in diesem Lande Schutz von mir haben; man verjagte ihn. Ich verlangte, man solle einen gewissen Petit-Pierre nicht verfolgen, aber ich konnte nichts ausrichten; ich bin also gezwungen, Ihnen das erniedrigende Geständnis zu tun, dass ich ohnmächtig bin." Dabei verschwieg der Despot noch schamhaft, dass er den derbsten Klaps bekommen hatte, als er den Neuenburgern neue Steuern aufhalsen wollte.

Es ist nicht ganz richtig, wenn Marx in seinem Artikel sagt, dass die Französische Revolution die hohenzollernsche Herrschaft in Neuenburg vernichtet habe. Vielmehr hat Friedrich Wilhelm III. erst am 15. Februar 1806 das Ländchen an Napoleon abgetreten, der es mit allen souveränen Rechten seinem Marschall Berthier übergab. Dieser kümmerte sich nicht viel darum; Neuenburg musste ein Bataillon für Napoleons Heere stellen, aber sonst blieb alles beim Alten. Berthier trat dann nach dem ersten Pariser Frieden durch Vertrag vom 3. Juni 1814 Neuenburg gegen eine lebenslängliche Rente von 34000 Talern an den König von Preußen ab. Der Wiener Friede bestätigte diese Abmachung, fügte aber auch Neuenburg als 21. Kanton in die schweizerische Eidgenossenschaft ein.

Dies Zwitterverhältnis beuteten nunmehr die biederen Neuenburger in echtem Kantönligeist aus. Auf der einen Seite hielten sie sich von Berlin unabhängig, zahlten dem preußischen König eine Zivilliste von 100.000 Franken, stellten auch Rekruten für die Gardeschützen – die heute noch im Berliner Volksmund „Neffschateller" heißen –, ließen sich sonst aber nichts von Berlin bieten und erkämpften sich sogar nach der Pariser Julirevolution durch ein Revolutiönchen einen gesetzgebenden Körper. Auf der anderen Seite jedoch suchten sie sich von der Eidgenossenschaft in dem Maße heftiger loszureißen, als sie eine demokratische Entwicklung nahm; sie riefen die Hilfe des preußischen Königs an, um wieder aus einem Kanton ein „zugewandter Ort" zu werden. Als im Jahre 1847 der Sonderbundskrieg3 ausbrach, wagten sie sich zwar nicht den reaktionären Urkantonen anzuschließen, aber sie erklärten sich für neutral und verweigerten der schweizerischen Tagsatzung die Bundeshilfe, worauf diese nach ihrem Siege über die Rebellen den Kanton Neuenburg mit einer Geldbuße von etwa einer halben Million Franken strafte. Friedrich Wilhelm IV., so sehr er für den jesuitenfreundlichen Sonderbund schwärmte, erwies sich der Not der Neuenburger gegenüber, wie immer, wo es aufs Handeln ankam, als vollkommen hilf- und ratlos; er hatte ihnen nichts zu bieten, wie selbst Treitschke anerkennt, als „Bitten und Klagen, zerknirschte Briefe, unfruchtbare Verwahrungen, phantastische Träume europäischer Reaktionspolitik", was selbst die herrschende Klasse in Neuenburg erbitterte, geschweige denn die Arbeiterbevölkerung, die sich in einzelnen industriellen Orten, wie Locle und La Chaux-de-Fonds, zu entwickeln begann, die schon für Weitlings kommunistische Propaganda ein scharfes Ohr gehabt hatte und der patrizischen Regierung ebenso aufsässig war wie dem „göttlichen Rechte" der Hohenzollern. Auf die erste Kunde der Pariser Februarrevolution erhoben sich die Arbeiter jener beiden Orte und zogen, unter Zuzug von Freischärlern aus den benachbarten Kantonen, auf die Hauptstadt, wo sie die hohenzollernsche Herrschaft abschüttelten, den reaktionären Staatsrat stürzten und ein demokratisches Regiment einrichteten, das vom Vorort Bern anerkannt und beschützt wurde, wie Treitschke jammert, in „schamloser" Parteinahme für den „schlechthin frevelhaften Bundesbruch".

Es geschah aber zum Heile des Ländchens, das nun endlich aus dem feudalen Sumpfe herausgerissen wurde. Wie tief es darin steckte, zeigt schon die Äußerung des preußischen Historikers Sybel: „Es sah 1847 in Neuenburg nicht viel anders aus als 1747." Auf dem Lande herrschten die großen Adelsgeschlechter, in den Städten die alteingesessenen Bürgerschaften, die keine neuen Einwanderer ins Regiment ließen. Die Verfassung von 1848 verlieh jedem Schweizer nach zweijährigem Aufenthalt kantonales Bürgerrecht, so dass 1856 beinahe die Hälfte der Bevölkerung aus Zugezogenen bestand, die durch das allgemeine Stimmrecht leicht zur Macht gelangen konnten. Auf dem Lande wie in der Stadt sah der patrizische Klüngel seine Macht unaufhaltsam schwinden. So verfiel er auf den verzweifelten Gedanken, durch einen royalistischen Putsch die feudalen Zustände zu restaurieren. Einige seiner Führer gingen nach Berlin, fanden jedoch bei Manteuffel kein Gehör, dem seine bürokratische Borniertheit doch noch Verstand genug gelassen hatte, um die Albernheit des Planes zu erkennen. Um so lieber lauschte ihnen Friedrich Wilhelm IV., der in Neuenburg ein feudales Juwel seiner Krone geschätzt hatte; er konnte nicht verwinden, dass „sein liebes Ländchen am Jura", auf dessen Bewohner er „stolzer sei als auf alle anderen Untertanen", in die Hände der Revolution gefallen war, und er hatte nicht geruht, bis ihm die europäischen Großmächte in dem Londoner Protokoll vom 24. Mai 1852 sein „göttliches Recht" bescheinigten, natürlich ohne dass sie daran dachten, sich deshalb auch nur den kleinen Finger nass zu machen.

Zu feige, den Putsch der Neuenburger Patrizier ausdrücklich zu billigen, war Friedrich Wilhelm IV. unehrlich genug, ihn schweigend gutzuheißen. So versuchten eine Handvoll Junker am 3. September 1856 „im Namen des Königs" ihr Heil, überraschten das Schloss in Neuenburg, verhafteten die Behörden und proklamierten die Wiederherstellung der Hohenzollernherrschaft. Der Spuk dauerte aber gerade nur zwei Tage; eidgenössische Milizen aus Bern und dem Waadtland machten ihm ein schnelles Ende ohne einen Tropfen Blutvergießens. Dagegen fielen 66 Gefangene in ihre Hände, die unter der Anklage des Hochverrats vor einen eidgenössischen Gerichtshof verwiesen wurden. Das geschah unzweifelhaft nach dem „göttlichen Rechte" der Hohenzollern, war aber deshalb durchaus nicht nach dem Geschmack eines demokratischen Gemeinwesens, wie die Schweiz bei alledem war. Sie machte gar kein Hehl daraus, dass sie die tragikomischen Sünder mit Vergnügen laufen lassen würde, wenn der König von Preußen ein für allemal sein „göttliches Recht" auf Neuenburg in den Rauchfang hinge.

Friedrich Wilhelm IV. dagegen, der wenige Jahre vorher den selbst vom Kriegsgericht nur zu Festungsstrafe verurteilten Dichter Kinkel zum Zuchthaus „begnadigt" und höchsteigenhändig die Lockspitzeleien des Kölner Kommunistenprozesses4 angestiftet hatte, war, wie die patriotische Historie ehrerbietig meldet, „außer sich vor Schmerz und Zorn bei der Vorstellung, seine Getreuen als gemeine Verbrecher vor Gericht gestellt und mit langjähriger Zuchthausstrafe bedroht zu sehen". Er wandte sich an die Großmächte mit der Bitte, die Schweiz zur bedingungslosen Freilassung der Gefangenen zu veranlassen, machte dabei aber sehr trübe Erfahrungen. Väterchen in Petersburg erklärte, er schwärme sehr fürs „göttliche Recht", aber für dieses Mal liege der geographische Knüppel beim Hunde, und er müsse sich mit platonischer Schwärmerei begnügen. In Wien bekundete man die gleiche Schwärmerei, fügte aber mit kaum verhülltem Hohne hinzu, der König möge erst angeben, wo und wie dem „göttlichen Rechte" gegenüber der gottlosen Schweiz auf die Beine zu helfen sei. Aus London kam der trockene Rat, da die Völker nicht für die Fürsten, sondern die Fürsten für die Völker da seien, so möge der König nur auf sein „göttliches Recht" verzichten, und dann werde die Schweiz schon mit sich reden lassen. In der Sache ähnlich, aber in der Form höflicher antwortete Paris, das „göttliche Recht" des Königs sei ja zweifellos, aber Neuenburg sei für Preußen kein Gewinn, sondern eine Last, für Europa eine stete Quelle von Verlegenheiten; der König möge also auf das „liebe Ländchen am Jura" verzichten.

Friedrich Wilhelm IV. empfand es nun in allem Kummer als eine Wohltat, von dem Dezemberschlächter, den er sonst schnurrigerweise als den ruchlosen Sohn der ruchlosen Revolution wie die Pest hasste, halbwegs höflich hinauskomplimentiert worden zu sein. Er setzte sich also hin und schrieb an ihn: „Ich schreibe diesen Brief mit blutendem Herzen, die Tränen in den Augen. Der Ton meines offiziellen Schreibens an Ew. Majestät war kalt und ermangelte der warmen Sprache, die mein Herz und mein Vertrauen zu Ew. Majestät mir vorschreiben. Der Augenblick ist gekommen, wo es von Ew. Majestät abhängt, einen ergebenen und für jede Probe zuverlässigen Freund zu gewinnen, einen Bewunderer der großen Fähigkeiten, welche Europa Sicherheit und Friede gegeben haben." Ähnliche Bettelbriefe hatte der Vater des Königs schon an den echten Bonaparte geschrieben, aber mit gänzlichem Misserfolge; der Sohn hatte mehr Glück bei dem falschen Bonaparte, der sich nicht wenig gekitzelt fühlte, einen der europäischen Legitimen so vor sich katzbuckeln zu sehen. Er richtete nun ein Schreiben an die Schweiz, worin er ihr den „dringenden Rat" erteilte, die Gefangenen freizulassen, unter welcher Voraussetzung er ihr „alle guten Dienste zur endlichen Lösung der ganzen Frage" anbot.

Die Schweiz dachte aber nicht daran, ihr sicheres Unterpfand auf die vagen Versprechungen eines falschen Bruders preiszugeben. So schien ein Krieg unabweisbar; in Preußen wurden Vorbereitungen getroffen, um 160.000 Mann mobilzumachen und ihnen den Marsch durch Süddeutschland zu sichern; die Schweiz aber schob einige Milizdivisionen an die Grenze vor. Nun wurde die dumme Geschichte den europäischen Mächten jedoch zu dumm. Bonaparte gab der Schweiz bestimmte Zusicherungen, die er später nicht gut ableugnen konnte, und so ließ die Schweiz im Januar 1857 die Gefangenen frei im Sinne des bewährten Sprichwortes: Der Vernünftige gibt nach, das heißt in der sicheren Erwartung, dass sich danach der allgemeine Unwille über den albernen Handel um so stärker auf den unglücklichen Störenfried in Berlin ergießen werde. So geschah es denn auch. Friedrich Wilhelm IV. musste in Bonapartes Hände den Verzicht auf sein „göttliches Recht" niederlegen, und am 5. März 1857 traten die vier neutralen Großmächte in Paris zusammen als ein Gerichtshof, vor dem Preußen und die Schweiz sich über die näheren Modalitäten des Verzichtes verständigen sollten. Friedrich Wilhelm IV., der sich eingebildet hatte, die Mächte würden zunächst sein Recht anerkennen, dann sich mit ihm über die Bedingungen seines Verzichtes verständigen und hierauf dies Ergebnis der Schweiz als ihren Gesamtbeschluss auferlegen, fühlte sich dadurch tief gedemütigt, dass er mit den schweizerischen Rebellen als Partei verhandeln sollte. Indessen versuchte er es, das Nahrhafte mit dem Unangenehmen zu verbinden; bekanntlich ist niemand auf die guten Dinge der irdischen Welt erpichter als das „göttliche Recht". Er verlangte nicht weniger als eine feudale Restauration in Neuenburg, Wiedererstattung der fürstlichen Domänen, Kapitalisierung der Zivilliste in Höhe von 2 Millionen Franken und anderes mehr, blitzte aber mit alledem gründlich ab. Als er nach langem Prachern und Schachern eine kleine Million zugebilligt erhielt, schloss er die Posse mit der possenhaften Erklärung, mit der Schweiz feilsche er nicht um Geld, und lieber wolle er gar nichts haben, so dass er nicht einmal einen Pappenstiel für sein „göttliches Recht" erhalten hat.

Marx hat seinen Artikel gerade zu der Zeit geschrieben, als der Neuenburger Handel einen europäischen Krieg entzünden zu sollen schien. Man begreift daher die ätzende Schärfe, womit er das „göttliche Recht" der Hohenzollern behandelte. In manchen Einzelheiten ließe sich seine Darstellung berichtigen nach dem heutigen Stande der historischen Forschung, doch immer nur so, dass es mit dem „göttlichen Rechte" der Hohenzollern noch schlimmer stand, als er annahm. So führte Kurfürst Friedrich II. den Beinamen des Eisernen nicht wegen der an sich ja harmlosen Gewohnheit, im Harnisch umher zu wandeln, sondern die Junker hatten ihn so getauft, weil er in ihrem Interesse, wenn auch in selbstmörderischer Verblendung, die märkischen Städte ausblutete und ausraubte. Auch mit der „Befreierarmee" Gustav Adolfs hatte es so seine eigene Bewandtnis. Der schwedische König kam als Eroberer, und der Kurfürst Georg Wilhelm konnte sich ihm nicht in die Arme werfen, ohne Hochverrat an Kaiser und Reich zu begehen. Aber „der schwächliche Wankelmut, die feige Untätigkeit und niedrige Treulosigkeit" seiner Politik wird nur noch schlagender dadurch beleuchtet, dass sie ihm keine Wahl ließ als Hochverrat an Kaiser und Reich oder Hochverrat an der Reformation.

Um noch einen allgemeinen Gesichtspunkt herzuholen, so ist zwar unbestritten, dass die österreichische Geschichte ungleich bedeutsamer und auch für die europäische Kultur wichtiger gewesen ist als die preußische Geschichte, aber der Vergleich zwischen einem „diabolischen Epos" und einer „unsauberen Familienchronik"5 ist doch allzu scharf und deshalb schartig. Marx war als „Musspreuße" aufgewachsen, in allem Stolze auf die höhere Kultur des Rheinlandes, und ebenso Engels, der noch in seinem Alter meine Beschäftigung mit preußischer Geschichte zwar lobte, jedoch nicht ohne eine leise Verwunderung darüber, wie man sich mit diesem traurigen Wüste eingehend befassen könne6.

Haben sie sich dadurch am Genius der Geschichte versündigt, so hat er sich in einer ihrer und seiner würdigen Weise gerächt, indem er aus jenen wilden Völkerschaften im östlichen Europa, auf die sie – mit einziger Ausnahme der Polen – nicht ohne einen gewissen Hochmut herabsahen, die Erben ihrer wissenschaftlichen Arbeit ungleich zahlreicher rekrutiert hat als aus England, Frankreich und selbst ihrem geliebten Rheinlande.

2 Der dritte schlesische Krieg, bekannter als Siebenjähriger Krieg, wurde von Preußen mit Hilfe Englands 1756-1763 gegen Österreich, Russland, Frankreich, Sachsen, Schweden und die Reichsarmee geführt. Durch den Tod Elisabeths von Russland vor dem Zusammenbruch bewahrt, rettete Preußen mit dem Frieden von Hubertusburg (15. Februar 1763) seinen Besitzstand.

3 Sieben ökonomisch rückständige katholische Schweizer Kantone schlossen 1843 gegen fortschrittliche bürgerliche Umgestaltungen in der Schweiz und zur Verteidigung der Privilegien der Kirche und der Jesuiten einen Separatbund. Der Beschluss des Schweizer Bundestages (Tagsatzung) vom Juli 1847 über die Auflösung des Sonderbundes diente diesem als Anlass, Anfang November militärische Aktionen gegen die übrigen Kantone zu beginnen. Am 23. November 1847 wurde die Armee des Sonderbundes von den Truppen der Bundesregierung geschlagen (siehe hierzu auch Engels' Artikel: Der Schweizer Bürgerkrieg. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 4, S. 391-398).

4 Gemeint ist der Prozess gegen 12 Mitglieder des Bundes der Kommunisten, der vom 4. Oktober bis 12. November 1852 durchgeführt wurde. Auf Grund gefälschten Beweismaterials und von Aussagen von Spitzeln der preußischen politischen Polizei wurden wegen Vorbereitung eines politischen Umsturzes hohe Zuchthausstrafen verhängt. (Siehe Karl Marx: Enthüllungen über den Kommunisten-Prozess zu Köln. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 8, S. 405-470.)

6 Siehe Engels an Mehring, 11. April 1893. In: Marx/Engels: Über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung, Bd. I, Dietz Verlag, Berlin 1961, S. 619.

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