Franz Mehring 19010605 Bismarcks Denkmal

Franz Mehring: Bismarcks Denkmal

5. Juni 1901

[Die Neue Zeit, 19. Jg. 1900/01, Zweiter Band, S. 289-292. Nach Gesammelte Schriften, Band 7, S. 293-297]

Vorgestern sollte das Denkmal enthüllt werden, das dem ersten Reichskanzler vor dem Reichstagsgebäude errichtet worden ist, doch hat man die Feier auf den 16. ds. Mts. verschoben, da ein paar Tage vorher Graf Wilhelm Bismarck, der Oberpräsident von Ostpreußen, durch einen plötzlichen Tod dahingerafft wurde.

Von dem Verstorbenen ist nichts zu sagen, als dass, wer den Papst zum Vetter hat, nicht um den Kardinalshut zu sorgen braucht; an dem Platze, auf dem einst Theodor v. Schön stand, der liberalste Staatsmann, den der preußische Staat je ertragen hat, wusste Graf Wilhelm Bismarck nichts zu leisten, als dass er von Zeit zu Zeit durch eine brüske Herausforderung der bürgerlichen Bevölkerung von sich reden machte. Er war ein Junker des gewöhnlichsten Schlages und höchstens von einer selbst für preußische Junker ungewöhnlichen Dreistigkeit; er gab vor zwanzig Jahren das preiswürdige Wort von sich, dass die Hundesperre für den zivilisierten Menschen schwerer zu ertragen sei als das Sozialistengesetz, und dieser, jedem zivilisierten Menschen die Schamröte ins Gesicht jagende Hohn mag ihm denn auch wohl in den Kehrwinkeln deutscher Geschichte eine Erinnerung sichern, um die ihn kein zivilisierter Mensch beneiden wird.

Anders steht es um den Vater, dem eine große historische Rolle nicht abgesprochen werden kann, auch wenn man an keine der überschwänglichen Ehrentitel glaubt, die seine Bewunderer auf seinen Scheitel häufen. Wenigstens jetzt, wo sich die politische Stille der Sommerzeit schon merkbar zu machen beginnt, wäre es unbillig, ihm einige Worte des Gedenkens zu versagen, nicht weil ein Denkmal von ihm enthüllt werden soll, denn deren besitzt er schon unzählige, sondern weil dies Denkmal vor dem Reichstagsgebäude seinen Platz gefunden hat. Das ist eine grobe politische Geschmacklosigkeit, gerade auch gegen Bismarck selbst, der ein abgesagter Gegner jeder parlamentarischen Regierung war und sich selbst viel richtiger beurteilte, wenn er auf seinen Sarkophag zu schreiben befahl, dass er ein treuer Diener des alten Kaisers Wilhelm gewesen sei. Gewiss hatte es auch mit dieser „Dienerschaft" ihre besondere Bewandtnis, aber immerhin war doch mehr daran als an Bismarcks Liebe für den Reichstag. Er brauchte den Scheinkonstitutionalismus und benutzte ihn, aber mit niemals verhehltem Widerwillen; Bismarcks Bildsäule vor die Tür des deutschen Reichstags stellen, heißt nur die bittere und peinliche Tatsache bestätigen, dass der deutsche Reichstag ein ohnmächtiges Parlament ist.

Im neuesten Hefte der „Preußischen Jahrbücher", die zu Bismarcks Bewunderern gehören, lesen wir folgende Sätze: „Trotzdem er als der eigentliche Begründer des konstitutionellen Wesens in Deutschland angesehen werden muss, hatte Bismarck bekanntlich einen despotischen Zug an sich; er fasste sachliche Gegensätze persönlich auf, verfolgte ehrliche Leute, die sich durch ihre Überzeugungen gedrungen fühlten, ihm verfassungsmäßig erlaubte Opposition zu machen, auf die intoleranteste Weise mit gehässigen und kleinlichen Mitteln und witterte überall, wo er abweichende Meinungen und Widerstand wahrnahm oder wahrzunehmen glaubte, im Dunkeln schleichende und seinen Sturz betreibende Intrigen. Nach dieser Richtung hin lagen die menschlichen Schwächen unseres Nationalheros." Sieht man von der mangelhaften Logik ab, die als „menschliche Schwächen" rubriziert, was an einem „Nationalheros" einfach politische Unfähigkeit ist, so steckt in diesen Sätzen gewiss ein gutes Stück Wahrheit. Ein Minister, dem das einfache Abc des Konstitutionalismus so fremd ist, dass er den verfassungsmäßigen Kampf der Parteien durch die unlautersten Mittel vergiftet, ist „der eigentliche Begründer des konstitutionellen Wesens" in Deutschland. Was Wunder, dass dies „konstitutionelle Wesen" auch darnach ist.

Seitdem der deutsche Zollverein unter preußischer Hegemonie entstanden war, stand die Frage der deutschen Einheit so, dass entweder die deutsche Bourgeoisie ein bürgerliches Reich oder die preußische Krone ein „verlängertes Preußen" schuf, um in der Sprache Kaiser Wilhelms I. zu reden. Jeder von beiden Teilen machte seinen Versuch, die Bourgeoisie in der Revolution von 1848 und die preußische Krone in der Gegenrevolution der nächsten Jahre, aber keiner von beiden hatte Glück; nicht an der gänzlichen Niederlage der einen wie der anderen bestand sogar ein Zweifel, sondern nur daran, wer tiefer hineingefallen sei, die Bourgeoisie in Frankfurt oder die Krone in Olmütz. Aber die ökonomische Entwicklung ging ihren unaufhaltsamen Gang weiter, und nach ihrem gewaltigen Aufschwung in den fünfziger Jahren war die schon mit der Gründung des Zollvereins gestellte Frage brennender als je. Aber nicht ebenso übte in der Brust derer, die zu ihrer Lösung berufen waren, der Mut seine Spannkraft. Der Bourgeoisie lag Frankfurt und der Krone lag Olmütz noch in den Gliedern, und die beschämende Erinnerung an ihre Niederlagen vergällte ihnen auch den sonst naheliegenden Gedanken, mit vereinten Kräften zu versuchen, was jedem einzelnen misslungen war. Dem schüchternen Anfreundungsversuch der neuen Ära folgte die erbitterte Katzbalgerei der Konfliktsjahre; sie konnten zusammen nicht kommen, das Misstrauen war gar zu groß. Diese Sachlage richtig erkannt und ihre richtigen Konsequenzen gezogen, die beiden hadernden Teile so brutalisiert zu haben, dass sie gern oder ungern vollzogen, was nun doch einmal eine historische Notwendigkeit war – das ist Bismarcks historische Tat gewesen.

Wenn wir von Brutalisieren sprechen, so brauchen wir das Wort nur wegen seines treffenden Sinnes, nicht wegen seines gehässigen Nebensinns. Bismarck wusste, mit wem er zu tun hatte, und es ist heute noch schwer zu sagen, wie er seinen Willen anders hätte durchsetzen und sein Ziel anders hätte erreichen können, als es tatsächlich geschehen ist. Will man ihn von seiner besten Seite sehen, so muss man die Jahre 1862 bis 1866 oder etwa noch bis 1870, bis zur Schlacht bei Sedan studieren. Nicht als ob man in ihm etwas von den überschwänglichen Ehrenqualitäten fände, die seine Bewunderer auf sein Haupt häufen; nicht auch als ob sich ein modern empfindender Mensch nicht vielfach abgestoßen fühlte durch Bismarcks damalige Mittel und Wege, durch seine zweideutigen Mogeleien mit seinem Vorbild Bonaparte in Paris oder durch die Henkersdienste, die er dem Zaren bei der Unterdrückung der polnischen Revolution leistete, aber nimmt man die Sachlage einmal als gegeben an: Bismarck als Diplomat der alten Schule, der einen ängstlichen und doch sehr selbstbewussten Träger der Krone vorwärts zu treiben und eine zwar nicht minder ängstliche, aber sich in fürchterlichen Drohungen ergehende Bourgeoisie an die Kandare zu nehmen hatte, so wird man seine damalige Politik mit einem gewissen Genuss verfolgen, wie ihn Lassalle einmal in dem Vergleich zwischen dem Manne und den alten Weibern ausgedrückt hat.

Sicherlich wäre dies Gefühl ganz am unrechten Platze, wenn die damaligen Fortschrittler, schwache Menschen wie sie sonst sein mochten, wenigstens das wirkliche Recht der Nation einschließlich der Arbeiterklasse vertreten und nach ihrer Besiegung sich in katonische Würde gehüllt hätten. Aber da sie gerade unterlagen, weil sie keine prinzipielle, sondern eine eigensüchtige und kurzsichtige Bourgeoispolitik trieben und da sie sich bis auf wenige Ausnahmen jubelnd unter die Füße ihres Bezwingers streckten, so wird man in der Geschichte der sechziger Jahre schon die Gestalt Bismarcks immer von ihrer günstigsten Seite sehen, von einer viel günstigeren Seite als in den beiden Jahrzehnten, wo er der gefeierte „Säkularmensch" war und nichts als eine Kette von Torheiten vollbracht hat denen höchstens in satirischem Sinne der Name staatsmännischer Taten gebührt.

Es ist die Sache nicht eines Staatsmannes, sondern eines politischen Routiniers, dasselbe Mittel, womit man einmal einen großen Erfolg gehabt hat, immer wieder anzuwenden. Bismarck hielt an der Brutalisierungsmethode fest, die sich ihm an der preußischen Krone und an der deutschen Bourgeoisie so trefflich bewährt hatte; aber sie bekam ihm schon sehr schlecht, als er mit der katholischen Kirche anband, und noch weit schlechter, als er sich erdreistete, die deutsche Arbeiterklasse zu knebeln. Mit der katholischen Kirche als einer innerlich reaktionären Macht fand er sich schließlich noch zurecht, wenngleich ihm im Schlosshofe von Canossa manch bittere Bloßstellung beschert war, aber im deutschen Proletariat stieß er auf den Felsen, an dem sein Schifflein scheiterte. Was half es ihm, dass er seine brutalen Mittel immer mehr brutalisierte? Sie wurden um so gehässiger, je weniger sie trafen. Unfähig, die moderne Arbeiterbewegung auch nur in ihren ersten Anfängen zu begreifen – was allein genügt, ihm jeden Anspruch auf den Namen eines Staatsmannes zu versagen –, fiel Bismarck endlich über ihre anschwellende Kraft, und dem Ohnmächtigen blieb nur übrig, sich bis an seinen Sterbetag an der Phantasie eines großen Blutbades zu berauschen, worin die Arbeiterbewegung erstickt werden sollte.

Die Arbeiterklasse hat keinen Anteil und kein Interesse an dem Denkmal, durch das Bismarck vor dem Hause des Reichstags verherrlicht werden soll. In ihren Herzen hat er sich selbst ein Denkmal errichtet, das länger dauern wird als Bildwerke von Erz oder Stein, das so lange dauern wird, wie Menschenherzen gegen schmachvolle Unterdrückung aufzuflammen vermögen: Dies Denkmal ist das Sozialistengesetz. Anteil und Interesse an der Enthüllungsfeier des nächsten Sonntags haben nur diejenigen Klassen, denen gegenüber Bismarcks Politik erfolgreich gewesen ist. Dabei zeigt sich aber ein höchst charakteristischer Unterschied. Wir sagten schon, dass Bismarck viel eher noch ein treuer Diener Kaiser Wilhelms I. als ein liebender Beschützer der deutschen Bourgeoisie gewesen sei. Mochte es mit seinem „altmodischen Vasallentum" auch nur soso stehen, so hat er doch der preußischen Krone zu dem „verlängerten Preußen" verholfen, das sie ersehnte, und sich mit dem Munde stets dazu bekannt, die Farben der Monarchie zu tragen. Dagegen dem bürgerlichen Parlamentarismus seine Verachtung zu verhehlen, hat er selbst dann kaum der Mühe für wert gehalten, wenn er ihn brauchte und benutzte; je älter er wurde, um so heftiger wurde sein Hass gegen alles, was sich „liberal" nannte.

Gleichwohl hat die Krone, seitdem Wilhelm I. sie nicht mehr trägt, sich von Bismarck emanzipiert, wie in Wirklichkeit, so auch im Bilde; das Pferd des alten Kaisers lenkt auf dem Denkmal vor dem Schlosse nicht Bismarck, sondern irgendein, in diesem Falle wirklich ahnungsloser Engel oder Genius. Dagegen während an der Stirn des Reichstagshauses, wo geschrieben stehen sollte, dass dies Haus dem deutschen Volke gehöre, noch immer eine Lücke gähnt, pflanzt sich ihm der eherne oder steinerne Bismarck vor die Tür, als sprechendes Zeugnis, wie weit es „das konstitutionelle Leben in Deutschland" unter solchem „Begründer" gebracht hat.

Aber so seltsam dieser Unterschied erscheint, so typisch ist er doch. Es bleibt immer dabei, dass jeder so liegt, wie er sich bettet.

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