1. Einleitung

1. Einleitung

Die große französische Revolution von 1789 entfachte ein kriegerisches Zeitalter, das nahezu ein Vierteljahrhundert die europäischen Staaten, und nicht diese allein, in ihren Grundfesten erschütterte und umwälzte.

An seinem Ursprung war in erster Reihe der altpreußische Staat beteiligt. Ein preußisches Heer begann den Angriff auf Frankreich mit jenem berüchtigten Manifest, das die französische Hauptstadt dem Erdboden gleichzumachen versprach. Aber innerlich vermorscht, wie der altpreußische Staat schon war, hielt er den eisernen Tanz mit der Revolution nur wenige Jahre aus.

Im April 1795 schloss er mit der französischen Republik den Frieden von Basel, durch den er seine Bundesgenossen verriet und das linke Rheinufer den französischen Eroberern preisgab. Diese gestatteten ihm dafür, sich von jeder aktiven Teilnahme an den großen Welthändeln zurückzuziehen. In Basel wurde eine Demarkationslinie festgesetzt, die an der ostfriesischen Küste begann, südwärts bis an den Main und von da ostwärts bis Schlesien lief, also ganz Nord- und Mitteldeutschland umfasste. Die Franzosen versprachen, diese Linie zu respektieren, falls die von ihr eingeschlossenen Reichsstände strenge Neutralität beobachten würden.

Durch den unrühmlichen Frieden von Basel erkaufte sich der altpreußische Staat eine Galgenfrist, sich selbst zum Unheil. Er wiegte sich in trügerischer Sicherheit, in der seine innere Fäulnis immer weiter um sich fraß und sein europäisches Ansehen völlig in die Brüche ging. Über kurz oder lang musste doch der Tag kommen, wo er mit völlig geschwächten Kräften in die Wirbel des europäischen Kriegssturmes gerissen wurde. Und dieser Tag begann mit der Wende des Jahrhunderts zu dämmern, an der Schiller mit dem seherischen Blicke des Dichters verkündete, dass zwei gewaltige Nationen um der Welt alleinigen Besitz rängen.

In diesem Ringen verzehrten sich die ersten fünfzehn Jahre des neuen Jahrhunderts. Mit der militärischen Diktatur Napoleons hatte sich die Französische Revolution gegen alle kontinentalen Mächte gesichert. Das Märchen, dass Napoleon nunmehr in unersättlicher Eroberungssucht diese Mächte wieder und wieder angegriffen habe, gehört in die politische Kinderstube. Seine unaufhörlich wiederholte Versicherung, er sei niemals der Angreifer gewesen, sondern habe stets nur drohende Angriffe abgewehrt – eine Versicherung, die viele Jahrzehnte hindurch als die ungeheuerlichste Leistung der bonapartistischen Legende verspottet worden ist –, gewinnt unter halbwegs unbefangenen Historikern immer breiteren Boden. Mindestens seit seiner Thronbesteigung im Jahre 1804 hätte Napoleon die Mächte des Festlandes in Ruhe gelassen, wenn sie ihn nicht bekriegt hätten. Eine wirklich ungeheuerliche Legende ist dagegen die holde Überlieferung, dass die europäische Freiheit durch das räuberische Zarentum vor dem Erben der Französischen Revolution gerettet worden sei.

Das richtige Verständnis für die Zeit der napoleonischen Kriege gewinnt man, wenn man sie als einen Kampf zwischen England und Frankreich um den Weltmarkt auffasst. Unter den gegebenen Verhältnissen war dieser Kampf eine historische Notwendigkeit; will man ihn unter moralisierende Gesichtspunkte stellen, so war Napoleon auch hier nicht schuldiger als die englische Oligarchie. Doch gilt es nicht, die Dinge zu bejubeln oder zu beklagen, sondern sie zu verstehen, und um die historische Entwicklung im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts zu verstehen, muss man immer im Auge behalten, dass ihre Triebkräfte am letzten Ende in dem ökonomischen Interessengegensatz zwischen England und Frankreich wurzelten.

An diesem Interessengegensatz zersplitterte denn auch die Neutralität, in der sich der altpreußische Staat vor den Stürmen der Zeit geborgen wähnte. Um das Kurfürstentum Hannover, das mit England durch Personalunion verbunden war, als Einfallspforte für die englischen Waren zu sperren, zertrümmerte Napoleon im Jahre 1803 die vielberühmte Demarkationslinie des Baseler Friedens. Er ließ Hannover durch französische Truppen besetzen und rückte bis auf zwei Märsche an die Wälle von Magdeburg, der preußischen Hauptfestung. Jedoch geschah es nicht in feindseliger Absicht gegen diesen Staat. Wie so viele Franzosen und namentlich auch so viele französischen Revolutionäre sah Napoleon in Preußen einen alten Verbündeten Frankreichs, den modernen Staat unter den feudalen Mächten. Wie viel französisches Gold war seit den Tagen der Reformation in die Taschen der Hohenzollern geflossen, um sie für ihren Verrat an Kaiser und Reich zu belohnen; wie willig hatte der König Friedrich die französische Lehensherrschaft getragen, die ihm Schlesien verschaffte; wie lebhaft waren seine Beziehungen zu den französischen Aufklärern gewesen, die an ihrem Teil nicht müde geworden waren, dem Salomo des Nordens zu huldigen.

So hätte sich Napoleon in seinem Kampfe gegen England mit keiner Macht lieber verbündet als mit Preußen, dessen militärische Kraft er zudem beträchtlich überschätzte. Er hätte am liebsten, nach dem Worte eines französischen Historikers, aus Preußen den Schlagbaum gemacht, der die Küsten des Festlandes den englischen Waren überhaupt sperren sollte. Die armseligen Tröpfe in Berlin fanden aber weder den Mut, sich mit ihm zu verbünden, noch den Mut, sich ihm zu widersetzen. In ihrer völligen Unfähigkeit, zu denken und zu handeln, taumelten sie nunmehr zwischen den streitenden Mächten hin und her. Als der englische Minister Pitt im Frühjahr 1805 eine neue Koalition gegen Napoleon mit Österreich und Russland fertiggebracht hatte, weigerten sie den Beitritt und machten selbst das Heer mobil, um den russischen Truppen den Durchmarsch durch preußische Provinzen zu verlegen. Aber derweil ließ Napoleon schon französische Truppen durch preußisches Gebiet marschieren, und nun schloss der preußische König sich der englisch-österreichisch-russischen Koalition an. Er sandte den Grafen Haugwitz mit einem Ultimatum an Napoleon, jedoch als dieser in der Schlacht bei Austerlitz das österreichisch-russische Heer besiegt hatte, schloss derselbe preußische Gesandte ein Schutz- und Trutzbündnis mit Napoleon ab, an demselben 15. Dezember 1805, an dem der preußische König, gemäß den Abmachungen mit seinen Verbündeten, sein Heer gegen Napoleon ins Feld schicken sollte.

Die Folge war, dass Österreich am 26. Dezember in Preßburg seinen Frieden mit Napoleon schließen musste. Und die Folge dieses Friedens war die völlige Vernichtung der Ruine, die sich noch Deutsches Reich nannte. Aus der österreichischen Beute stattete Napoleon die süddeutschen Staaten reichlich aus; Bayern und Württemberg wurden zu Königreichen, Baden zum Großherzogtum erhoben; diese Staaten und eine Anzahl kleinerer dazu – im ganzen sechzehn – sagten sich im Juni 1806 vom Reiche los, erklärten alle Reichsgesetze für sich als null und nichtig und schlossen den Rheinbund, als dessen Protektor sie den französischen Kaiser erwählten. Am 6. August verkündete der Kaiser Franz, „das reichsoberhauptliche Amt" sei erloschen.

Das Schutz- und Trutzbündnis, das der Graf Haugwitz auf eigene Faust mit Napoleon geschlossen hatte, brachte dem altpreußischen Staate den Besitz Hannovers ein gegen Abtretung anderer Gebiete, damit aber auch den Krieg mit England und die Zerstörung des preußischen Handels. Im März 1806 verhängte England die Blockade über alle Gestade von der Elbe bis Brest und brachte binnen kurzer Frist vierhundert Kauffahrer unter preußischer Flagge auf. Napoleon aber behandelte den neuen Bundesgenossen mit der Geringschätzung, die dieser so reichlich verdient hatte. „Das preußische Kabinett ist so verächtlich", meinte er, „und sein Souverän so charakterlos, dass man auf diese Macht nicht mehr rechnen kann. Sie wird beharrlich so handeln, wie sie gehandelt hat: Sie wird rüsten und abrüsten, sie wird rüsten, auf eine günstige Gelegenheit lauern, während man sich schlägt, und sich mit dem Sieger abfinden." Ganz so kam es nun aber doch nicht, denn nachdem sich die preußische Regierung einige Monate lang von Napoleon hatte verächtlich behandeln lassen, verfiel sie in ihrer völligen Ratlosigkeit auf den verzweifelten Einfall, ihm die Spitze des Schwertes auf die Brust zu setzen.

Es handelte sich abermals um Hannover. Nach dem Tode Pitts wurde in Paris über den Frieden zwischen Frankreich auf der einen, England und Russland auf der anderen Seite verhandelt. Auf die Bemerkung des englischen Gesandten, die Vorbedingung einer Einigung sei die Rückgabe Hannovers, antwortete Talleyrand, der französische Minister des Auswärtigen, das würde gar keine Umstände machen. Auf dies zunächst doch nur hingeworfene Wort hin machte Preußen sofort mobil, aber mit dem Abrüsten ging es nicht so schnell wie mit dem Rüsten. Bescheiden genug waren die preußischen Forderungen; sie beschränkten sich darauf, dass Napoleon seine Truppen aus Süddeutschland zurückziehen und sich in die Verhältnisse Norddeutschlands nicht einmischen solle. Allein der französische Kaiser war nicht der Mann, sich durch militärische Drohungen eines Staates einschüchtern zu lassen, auf dem die Verachtung der Welt lastete.

Was danach kam, ist bekannt: die Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt, die schmähliche Niederlage des friderizianischen Heeres, die noch viel schmählichere Kapitulation der Elbe- und Oderfestungen; am Ende des Jahres saß der preußische König als Flüchtling in Memel, der äußersten Stadt seines Reiches, dicht an der russischen Grenze. Windelweich geschlagen, blieb er doch immer besessen vom Gottesgnadenwahne: Den Anbruch des neuen Jahres feierte er dadurch, dass er den einzigen seiner Minister, der in der beispiellosen Katastrophe den Kopf oben behalten hatte und der königlichen Unfähigkeit ein wenig aufhelfen wollte, den Freiherrn vom Stein als „einen widerspenstigen, trotzigen, hartnäckigen und ungehorsamen Staatsdiener" von dannen jagte.

Napoleon hatte derweil am 21. November aus dem eroberten Berlin als Antwort auf die englische Blockade die Kontinentalsperre verhängt in einem Dekret, das im französischen Machtbereich allen Handel und Verkehr mit Großbritannien verbot und alle Waren, die aus britischen Kolonien oder Manufakturen kamen, der Konfiskation unterwarf. Darauf hatte er sein Hauptquartier nach Posen verlegt, um seine Anstalten für den Winterfeldzug zu treffen: nicht mehr gegen die preußischen Truppen, die nur noch aus einigen tausend Mann bestanden, sondern gegen das russische Heer, das ihnen zu Hilfe in Ostpreußen einmarschiert war. In Posen ordnete Napoleon auch die norddeutschen Zustände; einige der Mittel- und Kleinfürsten, wie den Kurfürsten von Hessen-Kassel und den Herzog von Braunschweig, entthronte er, die meisten verleibte er dem Rheinbund ein; den Kurfürsten von Sachsen erhob er zum König als Lohn für den rechtzeitigen Verrat, den dieser Biedermann an seinem preußischen Bruder von Gottes Gnaden begangen hatte.

Der Krieg selbst nahm nun einen anderen Charakter an. Was die französischen Fahnen von Sieg zu Sieg geführt hatte, war die erobernde Propaganda einer bürgerlichen Revolution gewesen. Niemand wusste das besser als Napoleon; überall, wo er seine siegreichen Adler aufpflanzte, führte er bürgerliche Reformen ein. Aber gegen diese mächtige Waffe war eine asiatische Despotie voll barbarischer und noch ungebrochener Kraft hieb- und stichfest, so unheimlich ihr immer der furchtbare Gegner war. Hier stießen feindliche Mächte aufeinander, von denen jede für die andere noch unüberwindlich war, und in der Tat blieb das erste Ringen zwischen ihnen unentschieden: bei Preußisch-Eylau am 7. und 8. Februar 1807. Es war die blutigste Schlacht, die Napoleon noch geschlagen hatte, aber auch die erste, die er nicht gewann.

Es spricht für seine Einsicht, dass er fünf Tage nachher einen Boten an den preußischen König sandte, um Frieden anzubieten. Er wünsche die preußische Monarchie wiederherzustellen, die als Zwischenmacht der Ruhe Europas wegen notwendig sei; auf Polen lege er keinen Wert mehr, seitdem er die Polen kenne; sobald der Friede geschlossen worden sei, werde er seine Truppen aus den preußischen Provinzen zurückziehen. Es ist eine haltlose Finte zu sagen, dass Napoleon durch gleisnerische Vorspiegelungen die preußische Hilfe habe gewinnen wollen, um erst Russland niederzuwerfen und dann Preußen desto ärger zu misshandeln. An Geld besaß der preußische König nicht einen Heller, und die paar tausend Truppen, über die er noch verfügte, hatten für Napoleon um so geringere Bedeutung, als er die ziffernmäßige Überlegenheit an Soldaten besaß und über ungleich reichere Hilfsquellen gebot als seine bis auf den Tod erschöpften Gegner. Alles spricht dafür, dass er es mit diesem Angebot ehrlich gemeint hat, natürlich nicht aus Begeisterung für die hohenzollernsche Herrlichkeit, aber um dem gesitteten Europa in dem preußischen Staate eine Brustwehr gegen das barbarische Zarentum zu schaffen.

Allein der preußische König, der eben noch in den würdelosesten Bettelbriefen an Napoleon um Frieden gewinselt und in den letzten Jahren an Treulosigkeiten und Verrätereien mehr geleistet hatte als selbst der alte Fritz in einem halben Jahrhundert, spielte jetzt den „treuen Freund" des Zaren, der an seinen Teil den borussischen Idioten mit russischer Perfidie einzuseifen verstand. Nicht nur verhieß er brieflich, lieber werde er seine Krone darangeben, ehe er dulde, dass der König auch nur ein Sandkorn seiner Staaten verliere, sondern er schloss mit ihm auch in Bartenstein einen feierlichen Vertrag, worin er sich verpflichtete, keine Sonderverhandlungen mit dem gemeinsamen Feinde zu führen und alles an die Wiederherstellung der preußischen Monarchie zu setzen. Daneben aber ließ dieser angenehme Bundesgenosse die Provinz Ostpreußen durch seine Truppen so verheeren, dass die unglücklichen Bewohner das Herannahen der französischen Truppen auf den Knien erflehten. Der Zar wollte den letzten Rest des preußischen Staates, wie auch preußische Offiziere erkannten und offen aussprachen, zu einer Wüste machen, um die russische Grenze zu decken.

Napoleon aber rüstete den Krieg, nachdem der Friede durch den König von Preußen zurückgewiesen worden war. Am 14. Juni schlug er die Russen bei Friedland vernichtend aufs Haupt. Nun verlangte das russische Heer ungestüm den Frieden, und wenn der Zar noch so harthörig gewesen wäre, so erinnerte ihn schon die Person des russischen Oberbefehlshabers, des Generals Bennigsen, der zu den Mördern seines Vaters gehört hatte, an die Grenze, die dem zarischen Despotismus durch den Meuchelmord gezogen ist. Er sandte seine Unterhändler an Napoleon, der sofort einen Waffenstillstand bewilligte.

Am 25. Juni trafen sich Alexander und Napoleon zum ersten Mal bei Tilsit auf einem Floß inmitten des Njemen, um den Frieden zu verhandeln.

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