Vorwort

Vorwort

Den ersten Anstoß zu einer Darstellung der preußischen Geschichte von 1807 bis 1819, wie sie in diesem und einem folgenden Bändchen versucht wird, gaben die Jubiläumsschriften, die den bürgerlichen Büchermarkt überschwemmen und in der mannigfachsten Beziehung einschneidende Berichtigungen erheischen. Inzwischen sah ich von allen kritischen Auseinandersetzungen ab und beschränkte mich darauf, jene für die preußische Geschichte so entscheidenden, aber von der liberalen Legende nicht minder als von der dynastischen Legende dicht übersponnenen Jahre so zu schildern, wie sie sich in der historischen Wirklichkeit abgerollt haben.

Mein hauptsächlichster Zweck war, den deutschen Arbeitern das historische Verständnis desjenigen Staates zu erleichtern, der sich je länger je mehr zum gefährlichsten und gehässigsten Gegner ihres Emanzipationskampfes ausgewachsen hat. Dies Verständnis wird durch keine Periode der preußischen Geschichte so sehr gefördert wie durch die Zeit vom Tilsiter Frieden bis zu den Karlsbader Beschlüssen1. Je heftiger der preußische Staat in dieser Zeit um seine Existenz ringen musste, um so klarer und schärfer traten seine Existenzbedingungen hervor.

Anlage, Umfang und Zweck der beiden kleinen Schriften verboten ein allzu tiefes Eingehen auf Einzelheiten. Doch hoffe ich keine wesentlichen Gesichtspunkte übersehen zu haben. Einzelne besonders umstrittene oder besonders wichtige Fragen habe ich gleichzeitig in mehreren Aufsätzen der „Neuen Zeit" (Das restaurierte Preußen; Stein und Schön; Das Oktoberedikt von 1807; Die Städteordnung von 1808) ausführlicher behandelt.

Auch auf Quellenbelege musste ich aus räumlichen Rücksichten verzichten. Der tatsächliche Verlauf der Dinge ist ja auch aus hundert Darstellungen bekannt. Darüber lässt sich nichts Neues mehr beibringen. Aber über die innere Verknüpfung der Dinge herrscht noch viel Streit und Ungewissheit. Hier habe ich größere Klarheit zu schaffen gesucht mit unbefangener Prüfung der überreichen Literatur.

Doch will ich an dieser Stelle hervorheben, dass mir die Biographien Scharnhorsts und Steins von Max Lehmann und die Biographie Gneisenaus von Hans Delbrück besonders reiches Material geliefert haben. In der kritischen Auffassung und Würdigung der Tatsachen weiche ich freilich auch von diesen bürgerlichen Historikern weit ab.

Steglitz-Berlin, im Oktober 1912

Franz Mehring

1 Die Ermordung Kotzebues durch den Burschenschafter Sand wurde von Metternich als Anlass benutzt, auf der Ministerkonferenz der deutschen Bundesstaaten im August 1819 die sogenannten Karlsbader Beschlüsse durchzusetzen. Sie bestimmten die strenge Überwachung aller Universitäten, das Verbot von Studentenverbindungen, verschärfte Zensur für Zeitschriften und Bücher und die Einsetzung einer Zentralkommission zur Untersuchung aller „revolutionären Umtriebe".

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