3. Die agrarische Reform

3. Die agrarische Reform

Friedrich Wilhelm III., der König von Preußen, war bei den Verhandlungen in Tilsit wie ein überflüssiges Möbel herumgestoßen worden, und die Achtung des Siegers vor ihm musste auf den Nullpunkt sinken, als der König seine schöne Frau nach Tilsit kommen ließ, um durch die Macht ihrer Reize das harte Herz Napoleons zu erweichen. Nicht minder unwürdig war, dass der König seinen ehemaligen Minister Stein bei dem französischen Kaiser verklatschte.

Aber wenn die Koketterien der Königin Luise an ihrem Opfer abglitten, wie nach seinem eigenen Ausdruck das Wasser vom Wachstuch, so hatte die Verleumdung Steins immerhin eine Wirkung: Napoleon empfahl dem König, den Verleumdeten als leitenden Minister zur Wiederherstellung des zertrümmerten Staates zu berufen. Dabei mag er auch einer boshaften Regung nachgegeben haben, aber im Wesentlichen lässt sich sein Rat aus sachlichen Gründen erklären; es lag durchaus in seinem Interesse, dass bürgerliche Reformen, diese stärksten Hebel seiner Macht, überall eingeführt wurden, wo seine Befehle herrschten. Oder wenn man ihm niedrigere Beweggründe unterstellen will, so darf man auch an den Landwirt denken, der die Hühner mästet, die ihm goldene Eier legen sollen.

Mittelbar gab Napoleon selbst den ersten Anlass zu den preußischen Reformen, noch ehe der auf seinen Rat berufene Freiherr vom Stein die Zügel der Regierung ergreifen konnte. Aus der größeren Hälfte der preußischen Monarchie, die ihm zugefallen war, bildete Napoleon im Osten das Herzogtum Warschau, im Westen aber das Königreich Westfalen, und in beiden neuen Staaten begann er die Bauern zu befreien. Das waren sozusagen zwei Sporen, die er in die Flanken des preußischen Staates setzte. Namentlich der polnische Sporn schmerzte, solange sich der Machtbereich des Königs von Preußen auf Ostpreußen und ein kleines Stück von Westpreußen beschränkte mit etwa einer Million Einwohnern, während die anderen Provinzen, die ihm gelassen waren, Brandenburg, Pommern, Schlesien, noch von den französischen Truppen besetzt blieben. Nach dem urkundlichen Zeugnis der preußischen Behörden und auch des preußischen Königs machte es das polnische Vorbild zur „dringenden Notwendigkeit", mit der Aufhebung der bäuerlichen Erbuntertänigkeit nicht mehr zu zögern.

Es kamen dann noch andere triftige Gründe hinzu. Das Stück Land jenseits der Weichsel, worin der König unumschränkt gebot, befand sich in der denkbar traurigsten Lage. Es war in dem Winterfeldzug namentlich von den russischen Truppen aufs furchtbarste verheert worden. Nun sperrte ihm das Kontinentalsystem den Handel zur See und das Herzogtum Warschau das polnische Hinterland; wenn der Kornhandel nach Schweden, Holland und England bis dahin die ergiebigste Quelle des Wohlstandes für die Provinz gewesen war, so war diese Quelle nunmehr verschüttet. Und dabei sollte die unerschwingliche Kriegskontribution an Frankreich gezahlt werden. Auch dem sonst unbelehrbarsten Stumpfsinn musste einleuchten, dass ein „Retablissement des Landes" nicht aufzuschieben sei.

Aber die preußischen Behörden, auf die es zunächst ankam, gehörten nicht einmal zu jenem Durchschnitt stumpfsinniger Bürokratie, die nicht zuletzt die Katastrophe des altpreußischen Staates verschuldet hatte. Der rege Handelsverkehr mit England und die Handelsfreiheit, die auch für die kornausführenden Junker in Ostpreußen ein lockendes Ziel war, hatten den Lehren Adam Smiths ein großes Ansehen und eine weite Verbreitung in Ostpreußen verschafft. Dazu kam die bürgerliche Aufklärung, wie sie Kant vertreten hatte, und in diesem gebrochenen Spiegel auch das verführerische Bild der großen französischen Revolution. Der Minister v. Schrötter, der an der Spitze des ostpreußischen Provinzialdepartements stand, war ein naher Freund Kants gewesen, und ähnliche Gesinnungen wie er hegte sein jüngerer Bruder, Kanzler v. Schrötter, der interimistischer Justizminister war. Die bürgerlichen Räte des Provinzialdepartements, Friese, Morgenbesser, Wilckens, hatten sich ganz mit freihändlerischen oder selbst, wie Morgenbesser, mit republikanischen Gesinnungen durchdrungen.

Das Provinzialdepartement war, wie schon der Name sagte, eine ostpreußische Provinzialbehörde. Neben oder eigentlich über ihm stand die Kombinierte Immediatkommission, die vom König eingesetzt worden war, um bis zur Ankunft Steins das Innere und die Finanzen für den ganzen Staat zu verwalten, der zunächst freilich kaum über die ostpreußischen Grenzen hinausreichte. Die eigentliche Seele der Immediatkommission war denn auch ein bisheriger Rat des ostpreußischen Provinzialdepartements, Theodor v. Schön, der in Kant und Adam Smith ebenfalls die Leitsterne seines Wirkens sah; neben ihm saßen in der Kommission Altenstein, Klewiz, Niebuhr, Sack, Stägemann, durchweg bürgerliche Beamte; Schöns Adel rührte auch nur erst von seinem Vater her, der zu den persönlichen Freunden Kants gehört hatte.

Beide Behörden schlugen bereits am 17. August – zufällig an demselben Tage und unabhängig voneinander – als hauptsächliche Maßregeln für die Wiederherstellung der nationalen Wohlfahrt die Freiheit des Eigentums für die Großgrundbesitzer und die Freiheit der Person für die Bauern vor. In dem friderizianischen Staat waren die Rittergüter dem Adel vorbehalten, ein Monopol, das die Preise der Güter senkte und den Kredit ihrer Besitzer schwächte; auch hatte sich die Regierung vorbehalten, bei der Vererbpachtung oder Teilung der Güter dreinzureden. Alles das sollte aufhören. Auch Bauern oder Bürgerliche – mit Ausnahme der Juden – sollten Rittergüter erwerben und in den Genuss aller Vorrechte treten dürfen, die mit deren Besitz verbunden waren, wie denn umgekehrt dem Adel gestattet sein sollte, bürgerliche Gewerbe zu treiben, ohne dass er deshalb seine Standesvorrechte verlor.

Den Bauern sollte nun zwar keineswegs wie dem Adel die Freiheit des Eigentums gewährt werden – im Gegenteil sollte es bei allen feudalen Abgaben und Diensten bleiben, die auf den Bauernhöfen lasteten –, aber allerdings die Freiheit der Person gemäß der Lehre Adam Smiths, dass der freie Arbeiter besser arbeite als der unfreie. Der Bauer sollte das Gut verlassen dürfen, ohne Loskaufgeld zu zahlen; er brauchte die Zustimmung der Gutsherrschaft nicht, um zu heiraten oder ein Handwerk zu betreiben; er konnte nicht gezwungen werden, eine dienstpflichtige Stelle anzunehmen, und ebenso hörte für seine Söhne und Töchter der Zwangsgesindedienst auf.

Irgendwie großartig oder auch nur neu waren diese Reformvorschläge nicht. Die Aufhebung der Erbuntertänigkeit war in vorgeschrittenen Ländern längst durchgeführt, in England, Frankreich, Italien, Dänemark, auch in Österreich und selbst in einem Teil Deutschlands, wie in Schleswig-Holstein. So sehr hatte sich die Erbuntertänigkeit als ein Hemmnis der landwirtschaftlichen Kultur erwiesen, dass sie von den preußischen Königen teilweise schon, wie namentlich in Ostpreußen, auf den Domänen beseitigt worden war, ja auch einzelne Junker, wie wiederum in Ostpreußen, freiwillig auf sie verzichtet hatten. Aber auch die Freiheit des Güterverkehrs, soweit sie stattfinden sollte, änderte wenig an dem bisherigen Stande der Dinge. Schon im friderizianischen Staate haben in Notfällen Bürgerliche adlige Güter erwerben können, nur dass sie dann von den adligen Vorrechten ausgeschlossen blieben, die an den Rittergütern hafteten (Patrimonialgerichtsbarkeit, Ortspolizei, Kirchen- und Schulpatronat, Jagdgerechtigkeit, Steuerfreiheit usw.). Diese Beschränkung wurde jetzt aufgehoben. Die adligen Standesvorrechte wurden in keiner Weise beseitigt, und sie sollten selbst nicht verlorengehen, wenn ein Edelmann ein bürgerliches Gewerbe trieb; nur die Bürgerlichen, die ein Rittergut kauften, sollten fürderhin an ihnen teilnehmen, aber auch nur so weit, als adlige Vorrechte mit dem Besitz von Rittergütern verknüpft waren.

Der König stimmte denn auch ohne alles Bedenken diesen Vorschlägen zu und beauftragte die beiden Schrötter, sie in einem Gesetz zusammenzufassen. Mehr noch: Auch die preußischen Junker ließen mit sich reden oder taten wenigstens so. Sie wollten sich mit der Freiheit der Bauern abfinden, falls erstens noch an einem fünfjährigen Zwangsgesindedienst für die Söhne und Töchter der erbuntertänigen Bevölkerung festgehalten und falls zweitens ihre freie Verfügung über den Bauernacker sichergestellt würde. Dafür erboten sie sich, an die Stelle jedes von ihnen vertriebenen Bauern einen Taglöhner mit ein paar Morgen Gartenland einzusetzen.

Im Interesse ihrer Finanzen und ihrer Rekruten hatten die preußischen Könige die junkerliche Herrschaft über die Bauern nach Möglichkeit einzuschränken gesucht, aber nicht mehr erreicht, als dass seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts das Bauernlegen der Junker mit Erfolg gehindert wurde. Dieser gesetzliche Bauernschutz war nicht ein Schutz der Bauern, sondern des Bauernackers, der nicht zugunsten des Ritterackers – des Vorwerkslandes, wie man damals sagte – verkleinert werden durfte, mochte der Junker mit dem Bauern sonst anheben, was er wollte. Diese Schranke ihrer Raubgier wollten die Junker beseitigt haben, und sie fanden damit nur zu williges Gehör bei den bürgerlichen Beamten, die auf die Freihandelslehre geeicht waren.

Friese und Morgenbesser, gerade die radikalsten Räte des Provinzialdepartements, arbeiteten den Gesetzentwurf aus, den die beiden Schrötter dem König vorlegten. Er ging zwar nicht auf das Verlangen der Junker nach der Fortdauer eines fünfjährigen Zwangsgesindedienstes ein; diesen Anspruch lehnten die beiden Schrötter als eine „temporäre Erbuntertänigkeit" ab, allein um so reichlicher wollte er den Heißhunger der Junker nach dem Bauernacker befriedigen. Er gestattete ihnen, jeden nicht erblich angesessenen Bauern – und erblich angesessene Bauern waren verhältnismäßig selten – kurzerhand wegzujagen, falls dafür ein Taglöhner angesetzt würde. Ganz so weit ging die Immediatkommission nicht; sie war zwar grundsätzlich mit dem Provinzialdepartement einverstanden, aber sie wollte eine Reihe von Übergangsbestimmungen treffen, weil sie von einer allzu starken Erschütterung des bisherigen Zustandes böse Folgen befürchtete.

So weit war die Sache gediehen, als Stein am letzten Septembertag 1807 am Hofe des Königs in Memel eintraf. Er war kein habgieriger Junker, aber auch kein eingefleischter Freihandelsmann. Die eigentümliche Mischung von mittelalterlichen und modernen Anschauungen, die seine Politik kennzeichnete, erklärt sich aus seinem sozialen Ursprung. Karl Freiherr vom Stein gehörte dem reichsunmittelbaren Adel an, dessen Überlieferungen in ihm lebendig blieben, auf ein wie winziges Maß die Besitztümer seiner Familie zusammengeschrumpft waren. Er hasste die Fürsten und deren Schreiber, die seiner Klasse seit Jahrhunderten so übel mitgespielt hatten, und erkannte nur Deutschland als sein Vaterland an. Diese nationale Gesinnung bewahrte ihn vor aller borussischen Beschränktheit, vor der ihn auch noch ein anderer Umstand schützte. Aus dem Nassauischen stammend, hatte er zwar schon in jungen Jahren preußische Dienste genommen, aber seine amtliche Tätigkeit hatte ihn bis zum Jahre 1804, wo er ins Ministerium berufen wurde, an die westlichen Landesteile des Staates gefesselt, deren höhere Kultur und industrielle Entwicklung dem Berliner „Regierungsmischmasch von Despotismus, Bürokratie und Feudalismus"1, wie Marx das friderizianische System einmal genannt hat, einen starken Wall entgegensetzten. Hier hatten die Stände noch eine gewisse Macht, und mittelalterliche Überbleibsel, wie sie waren, wurden sie doch durch die Interessen der Industrie vom Hauche einer neuen Zeit berührt.

Soweit man von einer Weltanschauung Steins überhaupt sprechen kann, war ihr Kern die Wiederbelebung mittelalterlicher Korporativbildungen auf moderner Grundlage. Über den ständischen Staat ist er nie hinausgekommen, und nichts ist verkehrter, als wenn ihn der heutige Liberalismus zu seinen Heiligen zählt. Adel, Bauern und Bürger waren als historische Stände für Stein die Grundfesten auch des modernen Staates; er wollte sie reformieren, aber nicht aufheben. Was unter diesen Ständen sich bewegte, die Häusler und Taglöhner auf dem Lande, die Gesellen und Fabrikarbeiter in den Städten, das kümmerte ihn nicht; es war für ihn eigentum- und heimatloser, durch Hass und Neid verzehrter Pöbel.

Mit diesen Gesinnungen war Stein ein grimmiger Gegner der großen französischen Revolution. Er hat sie in allen ihren Handlungen aufs härteste verurteilt; nur für die Energie, womit der revolutionäre Wohlfahrtsausschuss Heere aus dem Boden stampfte, um das Vaterland zu verteidigen, hatte er ein Wort des Lobes. Ihm imponierte der mächtige Wille, weil er auch seines Wesens bester Teil war. Das Ziel, dem Stein sein Leben widmete, war eine Utopie, und wenn man seine schriftlichen und mündlichen Kundgebungen mustert, so stößt man auf die unheilbarsten Widersprüche. Allein an jede praktische Aufgabe, die ihm gestellt war, setzte er eine staunenswerte Kraft. Auch dies verdankte er seinem sozialen Ursprung, dass er den Mächtigen dieser Welt mit der Sicherheit des Gleichberechtigten und dem Hasse des Unterdrückten entgegentrat; ihnen grob zu kommen, wo sie es nach seiner Meinung verdienten, war ihm allemal eine Herzensfreude. Das gab ihm einen revolutionären Anstrich, an dem sich seine liberalen Bewunderer erbauen. Tatsächlich durfte ihm der landläufigste Liberale das politische Konzept verbessern; von seinem gewaltigen Willen aber hat der deutsche Liberalismus seit hundert Jahren noch nicht den hundertsten Teil aufgebracht.

Schön hat in späteren Jahren behauptet, Stein sei im Grunde ein Reaktionär gewesen; nur seiner aufgeklärten Umgebung seien die Reformen von 1807 und 1808 zu danken gewesen. Daran ist insofern etwas Wahres, als Stein von einzelnen seiner Mitarbeiter, und namentlich von Schön selbst, an logischer Konsequenz der Weltanschauung übertroffen wurde. Aber es ist nicht minder wahr, dass der preußische Karren überhaupt nicht aus dem Sumpfe gekommen wäre, wenn sich Stein nicht mit seinen mächtigen Schultern gegen die Räder gestemmt hätte. Seine Mitarbeiter waren allesamt nicht die Leute, den stumpfsinnigen König und die nicht minder stumpfsinnigen Junker wie die Puppen tanzen zu lassen. König wie Junker haben den halb feudalen Stein mit einem Hasse verfolgt, mit dem der ganz liberale Schön nie von ihnen geehrt worden ist.

Und es hatte selbst sein Gutes, dass Stein kein ganz moderner Denker war. Die erste Handlung, die er als leitender Minister zu vollziehen hatte, war die Entscheidung zwischen jenen beiden Gesetzentwürfen, die das Provinzialdepartement und die Immediatkommission ausgearbeitet hatten. Das Bauernlegen, das Schön wenigstens prinzipiell als eine Konsequenz seiner freihändlerischen Grundsätze anerkennen, die beiden Schrötter sogar schon praktisch gestatten wollten, war nicht nach dem Geschmack Steins. Er hatte erst kürzlich die Wohnung des mecklenburgischen Edelmannes, der seine Bauern vertreibe, statt ihre Lage zu verbessern, mit der Höhle eines Raubtiers verglichen, das alles um sich veröde und sich mit der Stille des Grabes begnüge. Er meinte, es müsse eine gesetzliche Einschränkung der freien Disposition über das Eigentum bleiben, diejenige nämlich, die dem Eigennutz der Reicheren und Gebildeteren Grenzen setze und das Einziehen des Bauernlandes zu Vorwerksland verhindere, um so mehr, als der steigende Kaufwert der Güter die neuen Besitzer immer mehr reizen werde, ihren Vorteil zu suchen. Stein wollte also den Bauernschutz beibehalten, von dessen Beseitigung die ostpreußischen Junker in erster Reihe ihre Zustimmung zur Aufhebung der Erbuntertänigkeit abhängig gemacht hatten.

Leider aber steht von dieser Einschränkung nichts im Edikt vom 9. Oktober 1807, das sich darauf beschränkt, die Freiheit des Güterverkehrs und die Aufhebung der Erbuntertänigkeit anzuordnen, so wie beides gemeinsam von der Immediatkommission und dem Provinzialdepartement beantragt worden war. Die Entscheidung über das Einziehen von Bauerngütern hatte Stein einer besonderen Instruktion vorbehalten. So sehr er das Bauernlegen verabscheute, so mochte er doch auch dem Adel nicht wehe tun. Mindestens das Einziehen der Bauernhöfe, die durch den Krieg völlig verwüstet waren, so dass weder der Gutsherr noch der Bauernwirt sie wiederherstellen konnte oder mochte, wollte er gestatten. Eine bevorrechtete Stellung sollte, gemäß den ständischen Anschauungen Steins, dem Adel vor den Bauern bleiben: Das gutsherrlich-bäuerliche Verhältnis sollte verbessert, aber nicht völlig aufgehoben werden. Diese ganz unklare Vorstellung musste jedoch ins Hintertreffen geraten, sobald sie mit der zielbewussten Habgier der Junker oder mit den freihändlerischen Grundsätzen der bürgerlichen Beamten zusammenstieß.

Vor seiner endgültigen Entscheidung holte Stein den Rat des Provinzialdepartements ein. Dieses blieb bei seiner Anschauung: Der Bauer mit erblichen Rechten werde sich seines Hofes nur entäußern, wenn er seinen Vorteil dabei sähe; wo der Bauer aber kein erbliches Recht habe, dürfe der Gutsbesitzer in der freien Verfügung über das Bauernland nicht beschränkt werden; ihm dürfe nur die Verpflichtung auferlegt werden, für jeden vertriebenen Bauern einen Taglöhner anzusetzen. Das war wieder mehr, als Stein vertragen konnte; er schrieb zornig an den Rand des Briefes: Fort damit! Dagegen machte die Immediatkommission, die von vornherein eine Reihe von Übergangsbestimmungen befürwortet hatte, nunmehr einen Vorschlag, dem Stein zustimmte. Schön, der auch diesmal die treibende Kraft der Kommission war, wollte zunächst für Ost- und Westpreußen die Dinge so regeln, dass alle in Ostpreußen seit 1752 und in Westpreußen seit 1774 angesetzten Bauern den Gutsherren preisgegeben würden. Das war ein Zugeständnis an die Junker, für das Schön nur den fadenscheinigen Grund geltend machen konnte, jene neueren Bauernstellen seien als Folge eines erhöhten Wohlstandes entstanden und hätten also keine Existenzberechtigung mehr, nachdem der erhöhte Wohlstand durch den Krieg vernichtet worden sei.

Immerhin waren dieser Bauern nicht allzu viele. So auch waren die Bauern mit erblichem Rechte, die Schön unerwähnt ließ, nicht zahlreich. Mit der großen Masse der unerblichen Bauernhöfe wollte es Schön so halten, dass sie in größere Höfe zusammengeschlagen werden durften, die jedoch nicht größer sein sollten als je – nach der Güte des Ackers – vier bis acht Hufen; ferner sollte Verwandlung in Vorwerksland erlaubt sein, wenn zu gleicher Zeit eine ebenso große Fläche Bauernlandes, wie zu Vorwerksland gemacht werde, in große erbliche und freie Bauerngüter umgeformt würde. Diesen Vorschlägen Schöns gab Stein in einer Verordnung vom 14. Februar 1808 gesetzliche Kraft, zunächst für Ost- und Westpreußen; bald darauf wurde die Verordnung auch auf die übrigen Provinzen ausgedehnt.

Es liegt auf der Hand, dass Schön dabei etwas von seinen freihändlerischen Grundsätzen, Stein aber viel mehr von seiner bauernfreundlichen Gesinnung opferte. Die Verordnung gestattete das Bauernlegen zwar nicht unbedingt, aber doch in weitem Umfang. Worin Schön und Stein zusammentrafen, war ihre Vorliebe für einen Stand von freien Großbauern, wie sie Stein aus seiner westfälischen Tätigkeit, Schön aber aus seiner ostpreußischen, von ihm leidenschaftlich geliebten Heimat in den sogenannten Kölmern kannte, die in den ostelbischen Provinzen sonst nicht ihresgleichen hatten. Schön machte von seinem Prinzip eine Ausnahme, Stein aber opferte einer Ausnahme sein Prinzip. Da die Junker durch den Krieg hart mitgenommen waren, so haben sie die Februarverordnung nicht so ausbeuten können, wie an und für sich möglich gewesen wäre. Was sonst eingetreten wäre, schilderte der Kriegsrat Scharnweber, ein guter und vielleicht unter den damals Lebenden selbst der beste Kenner dieser Zustände: „Der größte Teil des Bauernstandes wäre verschwunden, die meisten Bauern hätten Taglöhner werden müssen, und die Inhaber der neugebildeten großen Stellen wären aus der Last der Dienste in die Last der Abgaben geraten, da keine Grenze für die Belastung derselben vorgeschrieben war. Die Vorteile der Aufhebung der bisherigen bäuerlichen Verhältnisse hätten dann nur auf Seiten der Grundherren gelegen." Und ähnlich urteilte der agrarkonservative Schriftsteller v. Bülow-Cummerow, dem irgendeine Missgunst gegen die Junker nicht nachzusagen war.

Die agrarische Reform, die in dem vielberühmten Oktoberedikt von 1807 ihren Ausdruck fand, war also viel mehr eine Reform für die Junker als eine Reform für die Bauern. Die Junker blieben im ungeschmälerten Besitz ihrer Standesvorrechte, sie blieben auch im unverkümmerten Genuss aller feudalen Abgaben, Fronden und Leistungen. Das Oktoberedikt hob ihre wirtschaftliche Lage, und wenn ihnen dabei durch die Aufhebung der Erbuntertänigkeit ein wohltätiger Zwang angetan werden musste, so wurden sie reichlich entschädigt durch ein weitreichendes Recht des Bauernlegens, das ihnen selbst der friderizianische Staat grundsätzlich versagt hatte.

Diese Erfolge verdankten die Junker nicht zuletzt den bürgerlichen Reformern, denen deshalb jedoch nicht der Vorwurf gemacht werden darf, dass sie sich selbst untreu wurden. Denn die bürgerliche Freiheit besteht nicht nur darin, dass die Arbeiter nicht mehr Produktionsmittel sein dürfen, wie es Sklaven, Leibeigene und Hörige sind, sondern auch darin, dass sie von ihren Produktionsmitteln los und ledig sein müssen wie der Bauer von seinem Acker.

Kommentare