6. Ein Sieg der Junker

6. Ein Sieg der Junker

In den Septembervertrag hatte Napoleon in letzter Stunde noch einen Paragraphen gefügt, worin dem preußischen König geboten wurde, keinen aus seinen abgetretenen Provinzen gebürtigen Beamten zu behalten. Der Paragraph war auf Stein gemünzt, von dem Napoleon irrigerweise annahm, er stamme aus den linkselbischen Provinzen, die Preußen im Tilsiter Frieden abgetreten hatte.

Es ist begreiflich, dass der französische Kaiser gegen Stein aufgebracht wurde, als er durch den aufgefangenen Brief hinter das Doppelspiel des preußischen Ministers kam. Gleichwohl meldete der Zar bei seiner Rückkehr aus Erfurt, Napoleon verlange nur, dass Stein die Auswärtigen Angelegenheiten abgebe; die innere Verwaltung könne er behalten. Damit stimmte nun aber wieder nicht die Achtserklärung, die Napoleon gegen Stein erließ, als dieser entlassen war; sie atmete einen glühenden Hass des allmächtigen Herrschers gegen den nunmehr ohnmächtigen Gegner.

Die Lösung des anscheinenden Rätsels ergibt sich daraus, dass Napoleon, an dem die spanischen Ereignisse auch nicht spurlos vorübergegangen waren, die Insurrektionspläne Steins nicht dadurch fördern mochte, dass er kategorisch die Entlassung Steins forderte. Und zwar um so weniger, als er sicher sein durfte, dass ihn die preußischen Junker der Mühe überheben würden, seine Rache an Stein zu kühlen. Er wusste am besten, dass er unter dieser edlen Klasse einen starken und zu jedem Verrat willigen Anhang besaß, und er wird auch von seinen Behörden in Berlin erfahren haben, wer sie auf den Kurier gehetzt hatte, der den verhängnisvollen Brief Steins nach Doberan bringen sollte. Stein selbst wusste es auch; er hat stets die Königsberger Junker dieser echt adligen Handlung geziehen.

In dem Oktoberedikt und der Februarverordnung war Stein den junkerlichen Interessen weit entgegengekommen; er hatte seiner Bauernfreundschaft weit größeren Zwang angetan als seiner Adelsfreundschaft. Seitdem hatte er an agrarischen Reformen nicht allzu viel vor sich gebracht: Er hatte den Domänenbauern in Ost- und Westpreußen unentgeltlich echtes Eigentum an ihren Höfen verliehen und den Mühlenzwang beseitigt, eine der ärgsten feudalen Plackereien, die der bäuerlichen Bevölkerung das notwendigste Lebensbedürfnis verteuerte. Seitdem Stein früher, als zu erwarten stand, den Kampf gegen Frankreich ins Auge fasste, war er noch mehr geneigt, die Junker zu schonen; er brauchte den Adel notwendig für diesen Kampf, und in seinen Landsturmplänen spielte die „Aufstachelung" der Bauern durch die Gutsherren eine große Rolle.

Für solche Erwägungen war aber kein Raum in den Herzen der ostelbischen Junker. Sie bekämpften das Oktoberedikt, so günstig es ihnen war, mit einem wilden Hasse: Die Einschränkung des Bauernlegens, die die Februarverordnung immerhin noch enthielt, war ihnen unerträglich und ebenso unerträglich das Aufhören des Zwangsgesindedienstes, der mit der Erbuntertänigkeit fiel. Da sie in allen Behörden saßen und auf ihren Gütern Gerichtsbarkeit und Polizei verwalteten, so war es ihnen ein leichtes, das Oktoberedikt ganz zu verschweigen oder unausgeführt zu lassen. Dreist und gottesfürchtig, wie diese Rasse immer ist, suchte sie die Bauern sogar mit neuen Diensten und Lasten zu beschweren, und wenn diese sich dagegen sträubten, riefen die Junker französisches Militär zu Hilfe, bis ihnen dies patriotische Beginnen durch die gesalzenen Rechnungen der Helfer verleidet wurde.

Speziell über die schlesischen Junker, die es am ärgsten trieben, schrieb Kanzler Schrötter, der Justizminister, an Stein: Es sind nicht die Untertanen, sondern die Gutsherren, die das Oktoberedikt grundsätzlich missverstehen; es ist kein Wunder, dass die erbitterten Gemeinden tumultuieren; es sind die Gutsherren, die eigentlich bestraft werden müssten; sie treiben die Bauern zur Verzweiflung. Und dennoch wusste Schrötter keinen anderen Rat, als dass man den Junkern durch eine neue Gesindeordnung den Zwangsgesindedienst wieder verschaffen solle; dieser würdige Hüter des Rechtes meinte, der Gesindezwang habe dieselbe sittliche Berechtigung wie der Schulzwang.

Damit kam er aber bei Stein an den Unrechten. Auch hier zeigte sich, dass die historische Bedeutung Steins mehr in seinem Charakter als in seiner Intelligenz lag. Unter allen preußischen Ministern, die je gelebt haben, ist er der einzige gewesen, der sich durch das Schreien der Junker nicht einschüchtern ließ, sondern, wie es sich gebührt, auf einen Schelmen anderthalbe setzte. Wollten die Junker das Oktoberedikt beseitigen, so wollte er es nun erst recht durchsetzen. Er lehnte deshalb den Vorschlag des Kanzlers Schrötter mit kurzen Worten ab und beschloss, zunächst die Gerichtsbarkeit und die Polizei der Junker auf ihren Gütern zu beseitigen als das unbequemste Hindernis für die Durchführung des Oktoberedikts. Über die Köpfe der beiden Schrötter hinweg befahl er den radikalsten Räten des Provinzialdepartements, Friese und Morgenbesser, einen entsprechenden Gesetzentwurf auszuarbeiten. Diesem Schlage wären aber andere gefolgt. Gerade auch der Hass Steins gegen Frankreich, der ihn zu einer schonenden Behandlung der Junker zwang, trieb ihn doch auch wieder gegen die Junker vorwärts. Sollten die Fesseln der Kriegskontribution zerrissen werden, so müsste die Steuerfreiheit der Junker fallen, und schon hatte Stein für Ostpreußen eine Einkommensteuer durchgesetzt. Sollten die Bauern gegen Frankreich marschieren, so mussten die „widersinnigen" Jagdgesetze beseitigt werden, die den Untertanen verboten, Waffen zu führen.

Auch kannte Stein, seitdem er in Königsberg lebte, die ostelbischen Junker gut genug, um, soweit es auf sie ankam, von seiner Vorliebe für den Adel kuriert zu werden. In dem bösen scheuen Wolfsblick der Bauern sah er die Spuren der Schandtaten, die die Junker seit Jahrhunderten an ihnen verübt hatten. Selbst für die ständische Verfassung, die er plante, sah er in dieser Klasse einen Krebsschaden. Er meinte: „Der Adel im Preußischen ist der Nation lästig, weil er zahlreich, größtenteils arm und anspruchsvoll auf Gehälter, Ämter, Privilegien und Vorzüge jeder Art ist. Eine Folge seiner Armut ist Mangel an Bildung, Notwendigkeit, in unvollkommen eingerichteten Kadettenhäusern erzogen zu werden, Unfähigkeit zu den oberen Stellen, wozu man durch Dienstalter gelangt, oder Drängen des Brotes halber nach niedrigen, geringfügigen Stellen. Diese große Zahl halbgebildeter Menschen übt nun ihre Anmaßungen zur großen Last ihrer Mitbürger in ihrer doppelten Eigenschaft als Edelleute und Beamte aus. Man verringere also die Zahl der Edelleute, man hebe den armen Adel auf. Das Übergewicht eines Standes über seine Mitbürger ist nachteilig, ist eine Störung der öffentlichen Ordnung, und man schaffe es ab." Eine Schilderung, die nach mehr als hundert Jahren noch keineswegs den Eindruck eines verstaubten Bildes macht.

Mit solchen Plänen war Stein den Junkern bis in den Tod verhasst geworden, und um ihn zu stürzen, war ihnen jedes Mittel recht, zumal auch ihre Lieblingswaffe, die heimtückische Intrige. Indem sie jenen verhängnisvollen Brief Steins an die französischen Behörden denunzierten, hatten sie schon ein gut Teil der Arbeit getan: Es galt jetzt in Königsberg nachzubohren und die Entlassung Steins beim König zu betreiben.

Hier fand ihre Saat einen gut vorbereiteten Boden. Der König hatte jetzt das Übergewicht über seinen Bändiger, dem er sofort die Auswärtigen Angelegenheiten abnahm. Mehr noch als durch die Person fühlte er sich durch das Amt Steins bedrückt. Stein hatte nun auch die Reform der Bürokratie durchgeführt, wegen deren er nach Jena so hart mit dem König aneinandergeraten war. Die Kabinettsregierung, in der einige Schreiber unter dem Schutze des königlichen Namens regierten, während die Minister in das Schattendasein unmaßgeblicher Berater gedrängt waren, hatte ihr Ende gefunden. Es bestand ein Ministerium (Auswärtige Angelegenheiten, Inneres, Finanzen, Justiz und Krieg), an dessen Vortrag der König gebunden war; nur im Übergangsstadium verwaltete Stein die drei ersten Ressorts zusammen.

Stein wollte damit nicht den modernen Konstitutionalismus anbahnen, wie man oft übertreibend gesagt hat. Es war der Stolz des Reichsfreiherrn, der sich vor Jena gegen die heimliche Regierung der Kabinettsräte aufgelehnt hatte; das souveräne Recht des Monarchen, seine Minister nach seiner Wahl zu ernennen, hat Stein niemals bestritten. Aber indem er die Minister zu öffentlich verantwortlichen Werkzeugen des königlichen Willens machte, stärkte er ihre Macht auch gegenüber dem König, der diese Einschränkung seiner allerhöchsten Willkür ihrem Urheber nie verziehen hat. Während Stein in späterer Zeit in unverdient günstiger Weise von dem König sprach, hat dieser Jammermann nach Steins zweiter Entlassung ihn ebenso bei dem französischen Gesandten verklatscht wie nach der ersten Entlassung beim französischen Kaiser selbst.

Nun wankte aber auch die Stütze, die Stein bisher gegenüber dem König an der Königin gehabt hatte. Schlecht erzogen und mangelhaft unterrichtet, war die Königin Luise ein lustiges Kind, kokett und oberflächlich, aber gutmütig und im letzten Grunde doch liebenswürdig, so dass Alexander v. Humboldt sie wohl zu scharf beurteilt hat, wenn er sagte, sie sei äußerst selbstsüchtig, verschlagen und versteckt gewesen. Der oft gehörte, jedoch von ihr selbst stets bestrittene Vorwurf, dass sie durch ihren Einfluss auf den König den Krieg von 1806 veranlasst habe, scheint in der Tat hinfällig zu sein. In den Tagen des Glückes wurde sie von den tausend höfischen Nichtigkeiten beansprucht, in den Tagen des Unglücks hat sie sich freilich mit der Politik beschäftigt, aber nur, soweit ihre Lustbarkeiten dadurch gestört wurden. Auf Stein hatte sie anfangs ihre Hoffnungen gesetzt in einer Art abergläubischer Zuversicht, dass dieser Wundermann nun alles wieder zum Besten kehren werde, und ihm die Wege zu bahnen gesucht.

Stein aber hatte sie schnell erkannt; er betrachtete sie, wie der Biograph der Königin Luise klagt, als eine Femmelette, ein Weiblein, auf dessen Schwächen seine tatkräftige Herrennatur geringschätzig herabsah. Das ist richtig, aber es ist falsch, Steins Abneigung damit zu begründen, dass seiner ernsten Würde das Verständnis für die Anmut und Liebenswürdigkeit der Königin gefehlt habe. Gerade Männer von so ausgesprochen männlichen Eigenschaften, wie Stein besaß, sind den Frauen, die Kopf und Herz auf dem rechten Fleck haben, immer sympathisch, wie ihnen solche Frauen; Steins Leben war reich an echten Frauenfreundschaften. Wenn er also auf die Königin geringschätzig herabsah als auf eine Femmelette, so lag das nicht an seinem mangelhaften Verständnis für weibliche Naturen, sondern eben nur daran, dass die Königin wirklich nicht mehr war.

Ihr Unwille gegen Stein begann schon zu erwachen, als der Minister die verschwenderische Hofhaltung einschränkte, die noch immer in den Tag hinein lebte, als wäre alles beim alten. Während der Hungertod durch die Massen jagte, begann die Königin zu jammern, sie müsse von der Luft leben, mittags gebe es nur vier, abends nur drei Gerichte. Vollends verdarb es Stein mit der Königin, als er eine prunkhafte Vergnügungsreise hindern wollte, die sie im Herbste des Jahres 1808 plante, um ihren „einzigen Alexander", wie sie den Zaren zu nennen pflegte, in Petersburg zu besuchen. Diese Reise zeugte von einer beschämenden Würdelosigkeit; der „einzige Alexander" hatte im Frieden von Tilsit seinen preußischen Bundesgenossen aufs schnödeste verraten und eben jetzt, bei der Zusammenkunft in Erfurt, von neuem sein Bündnis mit dem „Teufel" besiegelt, in dessen eiserner Faust der preußische König aufs jämmerlichste zappelte. Auf seiner Rückkehr von Erfurt hatte der Zar seine Einladung an das preußische Königspaar erlassen, das sich nach der Ansicht Steins und übrigens auch seiner Mitreformer moralisch und politisch gleich arg bloßstellen musste, wenn es diese echte Vasallenfahrt unternahm.

Es kam hinzu, dass kein Geld da war, die ansehnlichen Reisekosten zu bestreiten. Der Plan, für diesen Zweck Gelder anzulegen, die dem verheerten Ostpreußen gehörten und für die Wiederherstellung dieser Provinz bestimmt waren, mochte nach dem Geschmack der Königin sein, aber Stein war dafür unter keinen Umständen zu haben. So war er denn der Stein des Anstoßes für die Sehnsucht der Königin nach ihrem „einzigen Alexander"; die Wohnung ihrer Oberhofmeisterin, der durch sechzigjährigen Hofdienst korrumpierten Gräfin Voß – Stein nannte sie ein Urbild und eine Urquelle alles Gemeinen und Platten, Gneisenau aber kürzer und noch unhöflicher ein altes Weib von üblem Rufe –, wurde das Hauptquartier der gegen Stein gerichteten Intrigen. Zum Hauptwerkzeug aber ihrer Umtriebe wählte die Königin den Staatsrat Nagler, den Stein, Schön, Boyen und selbst der milde urteilende Scharnhorst als eine gemeinpfiffige, zu jedem Schuhputzerdienst bereite Canaille schildern, ein Urteil, das Nagler später durch seine Briefdiebstähle als preußischer Generalpostmeister und durch seine Demagogenverfolgungen als preußischer Gesandter am Bundestag vollauf als richtig bestätigt hat. Mit diesem verächtlichen Menschen ließ sich die Königin in die größte Intimität ein, um ihn gegen Stein zu hetzen. Wie weit sie darin ging, zeigt schon die Tatsache, dass sie nach dem Sturze Steins ihre an Nagler gerichteten Briefe zurückforderte, zeigt noch mehr die Tatsache, dass Nagler sich weigerte, diese Dokumente herauszugeben, zeigt am Schlagendsten die Tatsache, dass dieser dreiste Hohn ihm nicht nur ungenossen hinging, sondern auch seine preußische Beamtenkarriere keineswegs gehindert hat.

So, von allen Seiten umstrickt, musste Stein fallen, und man hat ihm selbst von befreundeter Seite den Vorwurf gemacht, das schnöde Spiel allzu lange ertragen zu haben; er hätte mindestens gehen müssen, als der König hinter seinem Rücken den Septembervertrag mit Frankreich genehmigt hatte. Indessen wenn Stein allzu lange gezögert haben sollte, so geschah es aus dem ehrenwerten Grunde, dass er wenigstens noch die wichtigste seiner Reformen unter Dach und Fach bringen wollte.

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