Franz Mehring 18930426 Jesuitisches

Franz Mehring: Jesuitisches

(26. April 1893)

[Die Neue Zeit, 11. Jg. 1892/93, Zweiter Band, S. 129-132. Nach Gesammelte Schriften, Band 5, S. 298]

Irgendein dunkler Ehrenmann aus dem westfälischen Junkertum, ein Graf Hoensbroech, hat sich veranlasst gesehen, aus dem Orden der Jesuiten auszutreten, nachdem er ihm dreizehn Jahre angehört hatte, und die Beweggründe seines welterschütternden Entschlusses in den „Preußischen Jahrbüchern" der Mit- und Nachwelt kundzutun. Diese Monatsschrift, die bisher den Anspruch erhob, für ein ernsthaftes Organ zu gelten, beutet die Ehre der neuen Mitarbeiterschaft mit so ohrzerreißenden Tamtamschlägen der Reklame aus, dass Herr Mosse noch etwas davon lernen könnte, und die „Vossische Zeitung" salbadert von der „ungeheuren Tat", die der Ex-Jesuit vollbracht habe. Auch sonst ist Graf Hoensbroech der Held des Tages für die liberale Presse, die das durchbohrende Gefühl ihrer schwächlichen Halbheiten in allen ernsten Fragen der Politik durch ein bisschen Kulturpaukerei betäuben zu wollen scheint. Seltsamerweise findet sie dabei eine unfreiwillige Bundesgenossin an der ultramontanen Presse, die auch eine wirksame Reklame für den Grafen Hoensbroech macht, indem sie ihm geistige Erkrankung und dergleichen schöne Dinge mehr nachredet. Hat die Fußangelei und was daran hängt der „Germania" denn wirklich so das Konzept verrückt, dass sie verlernt hat, sanft zu sein wie die Tauben und klug wie die Schlangen, dass sie gegen das heitere Zwischenspiel der Hoensbroechiade mit den zweischneidigen Waffen ins Feld rückt, die die ultramontane Diplomatie sonst doch nur da anwendet, wo für sie wirklich Matthäi am letzten ist?

Wer den Aufsatz des Grafen Hoensbroech in der Erwartung liest, ähnliche Dinge aufgetischt zu erhalten, wie Ex-Jesuiten des siebzehnten Jahrhunderts, etwa Peter Jarriges oder der Herausgeber der Monita secreta, ihrerzeit veröffentlicht haben, der wird schwer enttäuscht sein. Der Verfasser erhebt nur bewegliche Klage darüber, dass die stramme Disziplin des Jesuitenordens ihn bis zu einem gewissen Grade in seiner junkerlichen Individualität und in seinem junkerlichen Patriotismus bedrängt habe, was für ihn ja außerordentlich schmerzlich sein mag, für die sonstige Menschheit aber wirklich überaus gleichgültig ist. Von der gänzlichen Bedeutungslosigkeit des Aufsatzes kann man sich schon daraus einen Begriff machen, dass er im Wesentlichen so, wie er jetzt in den „Preußischen Jahrbüchern" vorliegt, vor Monaten im Feuilleton der „Kreuz-Zeitung" veröffentlicht worden ist, ohne dass damals ein Hahn danach krähte; nun, da der Name eines westfälischen Junkers darunter steht, ist der Pudel für die freisinnigen Kulturpauker zum Elefanten aufgeschwollen. Anzuerkennen ist immerhin, dass einzelnen liberalen Blättern der winzige Niederschlag der fürchterlichen Reklame doch unbehaglich ist; es geht ihnen namentlich gegen den Strich, dass Graf Hoensbroech uns die Jesuiten gar noch als dumme Kerle aufreden will. Das gefällt zwar sehr den Gelehrten der „Vossischen Zeitung", weil sie sich wider alles Verhoffen auf einmal in berühmter Gesellschaft zu befinden glauben, aber die „National-Zeitung" kraut sich bedenklich hinter den Ohren und deutet verständlich an, dass ihr dieser Scherz des gräflichen Ex-Jesuiten doch eigentlich über den Spaß geht.

Im Übrigen ist die Vorstellung der liberalen Kulturpauker, als ob der Jesuitismus gewissermaßen die Quintessenz des religiösen Fanatismus sei, ja eine vollkommene Luftspiegelung. Kautsky hat in seiner Schrift über Thomas More eingehend nachgewiesen, dass der Jesuitismus in seiner Entstehung der innerlich etwas herabgekommene, seiner geistigen Selbständigkeit beraubte, in den Dienst der Kirche gepresste und stramm organisierte Humanismus war. Im Jesuitismus reformierte sich die katholische Kirche und stellte sich im Gegensatze zu ihrer bisherigen feudalen Basis auf die Grundlage, auf der die Gesellschaft vom sechzehnten bis ins achtzehnte Jahrhundert beruhte. Der Jesuitismus war die der kapitalistischen Produktionsweise entsprechendste Form der katholischen Kirche, und er passte sich nicht nur dieser Produktionsweise an, sondern er nahm sie auch in seinen Dienst. Die Jesuiten wurden die größte Handelsgesellschaft, die ihre Kontore in allen Teilen der Welt hatte; sie waren die ersten, welche erkannten, wie gut der Missionar als Handlungsreisender verwendbar sei und so weiter. Man lese das Nähere bei Kautsky nach! Oder wenn man vor dem sozialistischen Pentagramma scheut, so kann man auch aus einem so gut bürgerlichen und obendrein allbekannten Geschichtswerke wie Rankes Geschichte der Päpste sehr wohl lernen, dass der Jesuitismus und der Protestantismus aus gemeinsamer Wurzel entsprossen sind. Luthers und Loyolas Redekämpfe glichen sich wie ein Ei dem andern; was einzelnen Jesuiten in Sachen des Tyrannenmordes, des Kadavergehorsams, der laxen, geschlechtlichen Moral nachgeredet worden ist, das findet sich auch, mindestens ebenso scharf oder gar noch schärfer, bei Luther und sonstigen protestantischen Kirchenvätern. Gegen die Tagedieberei der alten Mönchsorden kehrte sich Loyola ebenso wie Luther; er verwarf ebenso das Übermaß der religiösen Übungen. Und dass für die „Freiheit des Christmenschen" im Jesuitenorden noch ein wenig besser gesorgt war als unter den von Luther mit der landesbischöflichen Gewalt bekleideten Duodezdespoten, das kann man wenigstens insofern auch aus Ranke lernen, als er sehr richtig hervorhebt, dass der Jesuitenorden neben seiner strammen Disziplin die „individuelle Entwicklung nicht allein begünstigte, sondern forderte". Der Unterschied war nur, dass Luther ein deutscher Mönch, Loyola ein spanischer Soldat war, dass Luther seine Kirche in dem „alten Dorfe" Wittenberg, wie er selbst sagte: in termino civilitatis, an der Grenze der Zivilisation, gründete, Loyola seinen Orden aber in Rom, dem Mittelpunkte der damaligen Zivilisation. Der römische Jesuitismus überflügelte unendlich den deutschen Protestantismus, und in der besonderen Wut der protestantischen Richtungen gerade gegen den Jesuitenorden steckt nichts als der zehrende Neid bankrotter Krämer gegen einen immer noch zahlungsfähigen Großkaufmann.

In seinen großen Tagen wusste das europäische und insbesondere das deutsche Bürgertum auch sehr gut, dass der Jesuitismus nicht die überlebteste, sondern die modernste Form des Katholizismus sei, und es trat überall für ihn ein, wo er von feudal-rückständigen Elementen innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche bedrängt wurde. Bayle und Voltaire, von denen jener in der ersten, dieser in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts der für die europäische Aufklärung einflussreichste Schriftsteller war, verleugneten sogar ausdrücklich die witzigste Streitschrift, die je gegen den Jesuitismus erschienen ist: Blaise Pascals Lettres Provinciales. Und wenn der Domkapitular Moufang die Aufhebung des Jesuitenordens, zu der Papst Clemens XIV. durch die bourbonischen, in feudaler Fäulnis verkommenen Höfe gedrängt wurde, im deutschen Reichstage einen „Bockstreich" nannte, so konnte er sich auf keinen schlechteren Gewährsmann als Lessing berufen, wie denn bekanntlich auch Goethe die „Jesuitenschnoperei" als das alberne Gebaren des allerseichtesten Aufklärichts gebrandmarkt hat.

Es versteht sich, dass wir mit diesen historischen Richtigstellungen nicht etwa eine Lanze für den Jesuitenorden brechen wollen. Er ist in religiöser Verkleidung eine kapitalistische Organisation, und so ist seine Geschichte, wie die Geschichte des Kapitalismus überhaupt, mit Blut und Tränen geschrieben. Wir haben nur keine Neigung, uns den Teufel durch Beelzebub vertreiben zu lassen. Wie pechrabenschwarz immer der jesuitische Mohr sein mag, so schimmert er doch sehr stark ins Weißliche, wenn man ihn neben zwei andere historische Erscheinungen stellt; nämlich erstens neben den preußischen Militarismus und zweitens neben den kapitalistischen Liberalismus, der gegenwärtig leider noch in Deutschland das große Wort führen darf. Als der Jesuitenpater Faulhaber in Glatz einem friderizianischen Söldner in der Beichte gesagt hatte, das Desertieren sei zwar eine sehr große Sünde, aber allerdings keine Sünde, die niemals vergeben werden könne, da ließ der Philosoph von Sanssouci diesen Jesuiten ohne Verhör und Urteil an den Spionengalgen hängen, was jedenfalls von einer außerordentlich zarten Schonung der „individuellen Entwicklung" zeugte. Und wenn der General Albedyll es kürzlich eine elende Gemeinheit oder so ähnlich genannt hat, dass deutsche Staatsbürger nach Ableistung ihrer militärischen Dienstpflicht die ihnen in der Kaserne widerfahrene „Verkümmerung ihrer Individualität" an die große Glocke hängen, so stellt diese Auffassung der Dinge die „ungeheure Tat" des Grafen Hoensbroech doch in ein eigentümliches Licht. Wie nun gar die kapitalistisch-liberale Presse, soweit ihre Macht reicht, jede nicht platt vor dem Moloch des Kapitalismus auf dem Bauche liegende „Individualität" durch Boykotten, Hungerpeitschen, Falschschwören, kurzum durch Mittel zu „verkümmern" weiß, denen man eine ganz unverdiente Ehre antun würde, wenn man sie im landläufigen Schimpfsinne des Worts „jesuitisch" nennen würde, das ist zu bekannt, als dass wir darüber viele Worte zu verlieren brauchten.

Neben seinem allgemeinen Zwecke, die schlotternden Glieder des kapitalistischen Liberalismus einmal wieder in einem ungefährlichen Kriegstanze zu üben, hat der mit dem Aufsatze des Grafen Hoensbroech getriebene Humbug noch den besonderen, Stimmung gegen den ultramontanen Antrag auf Beseitigung des deutschen Jesuitengesetzes zu machen. Bekanntlich ist dieser „Bockstreich" ein Erbstück der Ära Bismarck, die ihren „welthistorischen" Beruf nicht anders erfüllen konnte, als indem sie alle Dummheiten machte, die menschenmöglicherweise irgend gemacht werden konnten; die Zentrumspartei erfüllt nur eine Pflicht der Dankbarkeit mit ihrem Antrage, denn wenn die katholische Kirche im kapitalistischen Zeitalter noch eine Macht geblieben ist, so verdankt sie es allein dem Jesuitismus. Daneben wird auch die sozialdemokratische Fraktion für den ultramontanen Antrag stimmen, als grundsätzliche Gegnerin aller Ausnahme- und Proskriptionsgesetze, wie auch als Bewahrerin aller wirklich großen Überlieferungen des deutschen Bürgertums. Als Zeugnis gegen den Antrag möchten nun gern die liberalen Kulturpauker die „verkümmerte Individualität" des Grafen Hoensbroech auf den Tisch des Hauses niederlegen. Gelingt es ihnen, das Jesuitengesetz aufrechtzuerhalten, so wird freilich nichts bewiesen sein, als dass die liberalen Jesuiten – aus guten Gründen – die Konkurrenz der römischen Jesuiten fürchten.

Abgesehen von ihrer Stellung zu den grundsätzlichen Fragen, die dabei mit ins Spiel kommen, steht die Arbeiterklasse dem Streite der liberalen und der römischen Jesuiten als der lachende Dritte und dann freilich auch als der lachende Erbe gegenüber. Der Jesuitismus ist eine ideologische Form des Kapitalismus, und mit der materiellen Grundlage wird auch der geistige Überbau dahinsinken. Der Kampf gegen den, gleichviel in welcher ideologischen Verkleidung steckenden Kapitalismus ist der bittere Ernst, dagegen ist es nur ein Possenspiel, wenn sich die jesuitischen Ideologen des Kapitalismus am Vorabend des gemeinsamen Untergangs noch den Luxus eines inneren Krieges gönnen. Grotesker kann sich dies Possenspiel denn allerdings wohl nicht darstellen, als darin, dass der liberale Jesuitismus im Löwenfell eines Freiheits- und Kulturhelden den römischen Jesuitismus anfällt.

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