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IV

Über die Anfänge des brandenburgisch-preußischen Staates habe ich vor einiger Zeit an dieser Stelle ausführlicher gesprochen – siehe Jahrgang XXXII, 1, Nummern 16,17 und 181 -; es kann nicht meine Absicht sein, mich hier zu wiederholen, und ich hebe nur die entscheidenden Gesichtspunkte hervor, an denen sich der rote Faden der preußischen Geschichte anspinnt.

Die Mark Brandenburg hatte schon eine nahezu dreihundertjährige Geschichte hinter sich, als nach dem bekannten Wort eines preußischen Herrenhausmitglieds „die Hohenzollern ins Land kamen"; und den Hohenzollern waren drei Dynastien vorangegangen: die Askanier, die Wittelsbacher und die Luxemburger. Unter ihnen war die Mark Brandenburg in einen völligen Verfall geraten, der bereits unter der anscheinend glänzenden Herrschaft der Askanier begonnen, unter den Wittelsbachern und Luxemburgern aber reißenden Fortgang genommen hatte; aus der Grenzwacht, die die Mark nach ihrer ursprünglichen Bestimmung gegen den slawischen Osten bilden sollte, war sie eine breite Bresche geworden, durch die der aufblühende polnische Staat nach Westen vorbrechen konnte. Die vernichtende Niederlage, die die Polen im Jahre 1410 bei Tannenberg dem Deutschen Orden zugefügt hatten, war der eine Grund, der den Luxemburger Sigismund, als er in demselben Jahre zum römischen König gewählt worden war, dazu veranlasste, die Mark an den Burggrafen Friedrich von Nürnberg zu übertragen.

Der andere Grund war der Hilfeschrei der märkischen Städte, die sich vor den Plünderungs- und Raubzügen des Adels nicht mehr zu retten wussten. Dieser Adel war etwas ganz Besonderes, wie der preußische Historiker E. v. Meier („Französische Einflüsse auf die Staats- und Rechtsentwicklung Preußens im neunzehnten Jahrhundert") sehr mit Recht bemerkt. „Er unterschied sich in jeder Beziehung von dem Adel im Westen und Süden. Vom romantischen Ritterideal, welches von Frankreich ausgehend an den zahlreichen Höfen des westlichen und südlichen Deutschlands sich ausgebildet hatte, von Minnesang, von Turnieren und dergleichen war hier kaum die Rede; auch auf den Ritterschlag legte man wenig Wert." In der Tat, als „das romantische Ritterideal", wie immer sonst es darum bestellt sein mochte, in höchster Blüte stand, war die märkische „Mannschaft" schon das, was ihr Name besagte: das aus unfreien Leuten bestehende Heer des Markgrafen, der die oberste Gewalt der als erobertes Feindesland geltenden Mark innehatte.

Die „Mannschaft" bildete entweder die Besatzung der markgräfiichen Burgen, oder ihre Mitglieder waren „Zaunjunker", die in den Dörfern neben und nicht etwa über den freien Bauern saßen. Wie in dieser Militärkolonie die Rücksicht auf den Krieg die Grundlage aller Besitzverhältnisse bildete, so waren alle Grundstücke für den militärischen Zweck pflichtig; es wurde von ihnen gezinst oder Lehndienst geleistet. Der Bauer, dessen Acker zwei bis vier Hufen betrug, zahlte dem Markgrafen seinen Hufenzins und war ihm als der Landesobrigkeit sonstige Dienste schuldig; das Lehngut sollte die Mannschaft unterhalten und war für die sechs Hufen, die zur militärischen Ausrüstung eines Ritters als nötig erachtet wurden, zinsfrei, für jede Hufe darüber musste auch der Ritter zinsen. Seine Aufgabe war der Kriegsdienst, nicht der Ackerbau.

Dies war die ursprüngliche Verfassung der Mark, die schon unter den Askaniern entartete, wie ich in dem angeführten Artikel eingehender dargestellt habe. In ihren unaufhörlichen Kriegszügen, von ewiger Geldnot geplagt und auf den guten Willen ihrer Mannschaft angewiesen, überließen sie diesen gegen Geld und Gunst alle obrigkeitlichen Rechte, die ihnen über die bäuerliche Bevölkerung zustanden, Hufenzins, Hand- und Spanndienste, Wagen- und Waffendienst, höhere und niedere Gerichtsbarkeit usw., und bahnten so jenes gutsherrlich-bäuerliche Verhältnis an, das sich durch eine Reihe von Jahrhunderten steigern und die unfreie Mannschaft ebenso mächtig wie die freie Bauernschaft ohnmächtig machen sollte.

Auf diese Weise schwächte sich aber auch die Macht der Markgrafen; ihre Mannschaft wuchs ihnen über den Kopf, und auch hier fand eine stete Steigerung von den Askaniern bis zu den Luxemburgern statt. Sie erreichte ihren Gipfelpunkt, als der Luxemburger Sigismund die ungarische Königskrone gewonnen und damit jedes Interesse an der Mark verloren hatte. Er verpfändete sie für eine halbe Million Goldgulden an seinen Vetter Jobst von Mähren, und dieser geriebene Geschäftsmann betrachtete sie einfach als einen Gegenstand der Ausbeutung, aus dem er neben seiner ansehnlichen Pfandsumme einen noch viel ansehnlicheren Profit schlagen wollte. Was von landesherrlichen Rechten noch vorhanden war, verschleuderte er, in erster Reihe auch, was niet- und nagelfest war: Er verpfändete die markgräflichen Burgen der Mannschaft, die dadurch zum Herrn der Mark wurde, soweit nicht beutegierige Nachbarn größere und kleinere Stücke von ihr abrissen.

In der Tat hat Herr v. Meier darin recht, dass die Mannschaft frei von allem war, was er ritterliche Sitte nennt, aber er schätzt sie doch zu harmlos ein, wenn er meint, das Raubsystem sei hier nicht zur rechten Entwicklung gekommen; Wegelagerei habe sich nicht gelohnt, weil diese Gegenden von reisenden Kaufleuten wenig besucht und die Bewohner arm gewesen seien; alles habe sich auf gelegentliches Wegtreiben von Kuhherden und auf Pferdediebstahl beschränkt. Daran ist so viel richtig, dass der – nicht gelegentliche, sondern systematische – Kuh- und Pferdediebstahl auch von dem märkischen Adel betrieben wurde, von den Gänsen zu Putlitz, den Quitzow, den Rochow, den Alvensleben, den Schulenburg und wie sie sonst hießen, aber es gab doch auch in der Mark noch viel ergiebigere Plünderungsobjekte, auf die es die adligen Wegelagerer abgesehen hatten, nämlich die Städte.

Sie waren, als die Mark unter den Askaniern kolonisiert wurde, zahlreich entstanden, und ein Teil von ihnen, wie Stendal in der Altmark, die Schwesterstädte Berlin-Kölln in der Mittelmark, Frankfurt in der Neumark, hatten sich zu einem nicht unbedeutenden Handel aufgeschwungen. Sie waren Mitglieder der Hansa und setzten landwirtschaftliche Produkte, Getreide und Holz, Pech und Schweinefett, Leinwand und Färberwaid über Hamburg und Lübeck nach den Niederlanden und zum Teil auch nach England ab; als Zwischenhändler führten sie Zinn, Kupfer und Blei aus dem Gebirge des Hinterlandes über See und vermittelten die Versorgung des Hinterlandes mit Heringen und Tran. Am schnellsten war Berlin-Kölln empor geblüht; an Größe war es sogar schon der damals mächtigen Stadt Bern in der Schweiz überlegen. Berlin-Kölln zählte 1036 Bürgerhäuser und Wohn- oder Zinsbuden, Bern aber nur 688 Häuser und Scheunen. Auch über einen beträchtlichen Landbesitz gebot die Stadt; einzelne ihrer etwa fünfzig Patrizierfamilien, die Ryke, die Rathenow, die Aken, die Stroband, die Wins, besaßen Lehngüter bis in die Altmark hinein.

Gerade die Beziehungen zwischen der Stadt Berlin-Kölln und Dietrich v. Quitzow, dem gewalttätigsten der adligen Raubgesellen, zeigen klar, dass diese Edlen zwar auch, aber nicht allein Kuh- und Pferdediebe waren. Dietrich v. Quitzow raubte eines schönen Tages die Viehherden von Berlin-Kölln und schlug die nachsetzenden Städter blutig aufs Haupt, aber er verstand sich zugleich auf die „höhere" Wegelagerei und brachte Berlin-Kölln in die äußerste Bedrängnis, indem er mit seinen Burgen sämtliche Handelsstraßen unterband, die von den Schwesterstädten ausgingen; namentlich durch den Pfandbesitz der markgräflichen Burg Köpenick legte er den Handel zwischen Berlin-Kölln und Frankfurt völlig lahm. Als nach dem Tode des Markgrafen Jobst die Mark an Sigismund zurückgefallen war und die Vertreter der märkischen Städte nach Ofen kamen, um ihm zu huldigen, waren es ihre beweglichen Vorstellungen, die ihn – neben der von Polen drohenden Gefahr – bewogen, der Mark in dem Burggrafen von Nürnberg einen neuen Herrn zu setzen, um geordnete Zustände in ihr herzustellen.

Der neue Markgraf war für seine schwierige Aufgabe auf seine eigenen Kräfte angewiesen, und die waren bescheiden genug. Er besaß in der Nachbarschaft von Nürnberg ein paar kleine, wenn auch reiche und für die damalige Zeit hoch kultivierte Fürstentümer, aber was sie ihm an Geld und Mannschaft lieferten, reichte nicht aus, um große Sprünge zu machen. Er steckte sich deshalb auch nur das bescheidene Ziel, die markgräflichen Burgen und Schlösser, die dem Adel verpfändet worden waren, wieder in seine Gewalt zu bekommen, und ebenso die Grenzstriche der Mark, die von; den Nachbarn abgerissen worden waren, und auch dies bescheidene Ziel hat er nur in bescheidenem Maße erreicht.

Mit Hilfe seiner fränkischen Ritter, der märkischen Städte und einiger benachbarten Fürsten, wie des Erzbischofs von Magdeburg und des Herzogs von Sachsen, denen die Raubzüge der Quitzow und Putlitz lästig geworden waren, brach er einige Burgen des widerspenstigen Adels, hatte dann aber nichts Eiligeres zu tun, als sich mit den Rebellen zu vertragen, ihnen die verwirkten Lehen wiederzugeben, sie in all ihren Vorrechten zu bestätigen, einschließlich der obrigkeitlichen Rechte, die sie sich über die Bauern erschachert oder erschlichen hatten. Wenn Herr Hintze recht unterrichtet ist, haben nicht einmal, wie man bisher annahm, die Quitzows für ihre Untaten büßen müssen; auch mit ihnen ist ein „Abkommen" getroffen worden. Keinem der fränkischen Ritter, die ihr Blut bei der Besitznahme des Landes für ihn vergossen hatten, hat dieser erste hohenzollernsche Kurfürst ein märkisches Lehen anzuvertrauen gewagt, obgleich er und seine Nachfolger noch auf ein Jahrhundert hinaus, bei der geistigen und sittlichen Rohheit des märkischen Adels, auf Hilfe und Rat des fränkischen Adels in allem angewiesen waren, was sich auf ihre Regierungstätigkeit bezog.

Es ist ganz richtig und ein Fortschritt in der bürgerlichen Geschichtserkenntnis, wenn Herr Hintze bekennt: „Nicht schlechthin auf gewaltsamer Unterwerfung, sondern auf Zugeständnissen und Verträgen beruhte das neue Verhältnis der Hohenzollern zu dem Adel der Mark Brandenburg", und diese Verträge waren Löwenverträge im Sinne des Adels, Die Huldigung, die er dem neuen Landesherrn leistete, war ebenso papieren wie der „Landfrieden", den der Kurfürst verkündete; das adlige Fehde-und Raubwesen hat noch nahe an ein Jahrhundert fortgedauert.

Auch mit dem Versuch, die alten Grenzen der Mark wiederherzustellen, hatte der neue Markgraf nicht Glück und Stern; nach einer schweren Niederlage, die er durch die Pommern erlitt, hat er sich schon dreizehn Jahre vor seinem Tode für immer aus der Mark in seine fränkischen Stammlande zurückgezogen. Ganz ähnlich ging es seinem Sohn und Nachfolger, dem zweiten Kurfürsten, der, ebenfalls nach einer schweren Niederlage durch die Pommern, in die alte Heimat zurückkehrte, aber doch eine lange nachwirkende Spur seiner Herrschertätigkeit in der Mark zurückließ, indem er vernichtete, was von städtischer Blüte überhaupt vorhanden war.

Die Städte hatten die Hohenzollern ins Land gerufen und sie bei dem Kampfe gegen die Quitzows tapfer unterstützt. Die Hoffnungen, die sie auf die neue Landesherrschaft setzten, hatten sich aber nur in geringem Maße erfüllt, denn das adlige Unwesen dauerte in kaum vermindertem Maße fort, und die Städte hatten allen Grund, sich eher auf die eigene Kraft zu verlassen als auf den Schutz des Kurfürsten. Bei einem Zwiste zwischen den Geschlechtern und den Zünften in Berlin-Kölln war diese mächtigste Stadt des Landes aber töricht genug, die Entscheidung des Kurfürsten anzurufen, wobei der Anstoß von den Zünften ausgegangen sein soll; nach einer anderen Angabe ist von den Geschlechtern das gleiche geschehen. Sobald der Kurfürst in die Stadt kam, bemächtigte er sich ihrer, zerriss ihre Briefe, verbot jedes Bündnis mit anderen Städten außerhalb und innerhalb des Landes, machte Kölln wieder unabhängig von Berlin und gab in beiden Städten den Zünften das Heft in die Hand, aber nur so, dass ihre Obrigkeiten als kurfürstliche Behörden „unserer Herrschaft Nutzen und Frommen" wahrzunehmen hätten. Endlich bedang sich der Kurfürst den Platz für den Bau einer Zwingburg aus, von der ein Turm noch in dem heutigen Berliner Schloss erhalten ist; zu ihrer Besatzung aber legte er eine starke Burgmannschaft in die Städte und stattete sie mit Burglehen aus. Darüber gingen dann den Geschlechtern wie den Zünften die Augen auf; und es kam zu dem „Berliner Unwillen" von 1448, einem Aufstandsversuch, den der Kurfürst mit Hilfe des Adels niederschlug,

Im einzelnen herrscht über den Verlauf der Dinge noch manches Dunkel, aber gerade über den Punkt, der uns heute in erster Reihe interessiert, sind wir ausreichend durch erhaltene Urkunden unterrichtet: nämlich über das Strafgericht, das über die beiden Städte wegen ihres „Unwillens" verhängt wurde. Der Kurfürst überwies die Entscheidung des Streites den in Spandau versammelten Landständen; das will sagen dem Adel, der in ihnen neben einigen Geistlichen und Städtevertretern die weit überwiegende Mehrheit besaß. Dementsprechend war der außerordentliche Gerichtshof zusammengesetzt, der zwei Prozesse einleitete: einen gegen die Städte als solche und einen anderen gegen die „Häupter" des Aufstandes, das will sagen gegen die patrizischen Geschlechter, die etwas zu verlieren hatten.

Der erste Prozess wurde dahin entschieden, dass die Städte ihre Gerichte, Mühlen, Zölle und fast ihren gesamten Landbesitz verloren. Der Kurfürst übergab diese Nutzungen seinem Küchenmeister Ulrich Zeuschel als Lehen, der dafür die Kosten des kurfürstlichen Hofhalts zu bestreiten hatte. Ferner wurde den Städten die freie Wahl ihrer Ratskörperschaften abgesprochen, und der Kurfürst fügte zum Schaden den Spott, indem er zum Bürgermeister von Berlin seinen Hofrichter und zum Bürgermeister von Kölln eine andere Person aus seiner höfischen Umgebung ernannte, die Ratsmannen beider Städte aber aus seinen reisigen Knechten wählte.

In dem anderen Prozess, der gegen die Patrizier beider Städte als Führer des Aufstandes angestrengt wurde, wurden die Angeklagten wegen „Felonie" verurteilt, wie wir heute sagen würden, wegen Hochverrats; sie verloren ihre Lehen und das Leibgedinge ihrer Frauen, und wenn ihnen ihre „fahrende Habe" belassen wurde, so wurden sie doch zu so ungeheuerlichen, nach dem Geldwert der damaligen Zeit ungeheuerlichen Strafgeldern verurteilt, dass der Zweifel berechtigt ist, ob sich in diesen Schreckensurteilen nicht vielmehr der blinde Hass des adligen Gerichtshofs gegen die Städte entladen hat, als dass ihre wirkliche Ausführung beabsichtigt worden wäre. Bestärkt wird dieser Zweifel dadurch, dass der Kurfürst; niemals der Krösus seiner Zeit geworden ist, was er nach Zahlung dieser Strafgelder hätte werden müssen.

Von alledem weiß Herr Hintze nichts, vermutlich weil die Urkunden, die darüber berichten, in den städtischen Archiven Berlins und nicht in den staatlichen Archiven des preußischen Staates aufbewahrt werden. Sonst hätte er doch wohl ein Wort über den klaffenden Unterschied verloren zwischen der vollkommenen Straflosigkeit des um so viel schuldigeren Hochverrats des Adels und dem grausamen Weißbluten der Städte für einen Hochverrat, über den immerhin recht verschiedene Urteile möglich waren. Herr Hintze begnügt sich, seine Befriedigung darüber auszusprechen, dass die märkischen Städte als die „damals gefährlichsten Gegner der landesherrlichen Hoheit" niedergezwungen worden seien. An dieser Stelle seiner Darstellung schimmert der rote Faden der preußischen Politik allerdings auch nicht im Entferntesten durch.

V

Wie die beiden ersten Hohenzollern noch vor Ablauf ihrer Regierung nach Franken zurückwichen, so hat sich der dritte nur von Zeit zu Zeit in der Mark blicken lassen; erst nach seinem Tode im Jahre 1486, also nach etwa siebzig Jahren, begann sich die Dynastie einzuwurzeln. Die fränkischen Fürstentümer fielen an jüngere Söhne und blieben – mit einer kurzen Ausnahme im achtzehnten Jahrhundert – fortan von der Mark getrennt.

Der erste Kurfürst, der seine Tätigkeit auf die Mark beschränkte — ihrer ganzen Reihe nach der vierte –, hieß Johann und regierte von 1486 bis 1499. Die preußischen Historiker wissen von ihm nicht viel mehr zu erzählen, als dass er ein stillvergnügtes Dasein geführt, sich in die Angelegenheiten von Kaiser und Reich nicht mehr gemischt und selbst seine Ansprüche an Pommern aufgegeben habe. Nach Herrn Hintzes Erzählung ist seine Hauptsorge die Befriedung des Landes gewesen, die Ausrottung des adligen Raubsystems, wofür er sich mit benachbarten Fürsten verband; er hat einmal fünfzehn Raubburgen gebrochen. Ausgerottet hat er das Unwesen aber doch nicht; das ist erst seinem Nachfolger Joachim I. (1499 bis 1535) gelungen; der hat noch in 146 Fällen adlige Friedensbrecher gerichtet und in drei Fällen sogar die Todesstrafe über sie verhängt.

Wenn diesen Fürsten gelang, was dem ersten Kurfürsten misslungen war, so war das jedoch nicht ihr Verdienst, sondern das Verdienst des Adels selbst, der inzwischen eine ungleich breitere Grundlage seiner Existenz gefunden hatte, als der Straßenraub bot, und die Fürsten mit Rat und Tat in der Ausrottung der räudigen Schafe unterstützte, die sich nicht in die neue Zeit zu schicken wussten. Gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts begann jene große ökonomische Umwälzung, die aus dem ritterlichen Grundherrn einen warenproduzierenden Gutsbesitzer machte, der die Waffen ablegte, um Bier zu brauen und mit Korn, Holz, Vieh und Wolle zu handeln. Diese Umwälzung ist in der sozialistischen Literatur so ausführlich und so häufig geschildert worden, dass ihre Kenntnis bei den Lesern dieses Blattes als bekannt vorausgesetzt werden darf. Auch Herr Hintze schildert sie im ganzen und großen nicht unrichtig, wenn auch ziemlich flach und mitunter recht schief, so wenn er das Elend, das sie über die bäuerliche Klasse brachte, mit der kühlen Bemerkung erledigt: „Ihr Los war früher, in den Zeiten, wo Raub und Brand namentlich die Bewohner des platten Landes so vielfach heimgesucht hatten, schwerlich ein besseres gewesen", dafür aber an der Kehrseite der Medaille den erhebenden Seelentrost entdeckt, in der örtlichen Herrenstellung des grundbesitzenden Edelmanns habe sich „der eigenartige Typus des ostelbischen Junkers gebildet, der sich von der Art des west- und süddeutschen Edelmanns so wesentlich unterscheide und in der Geschichte des Hohenzollernstaats weiterhin eine so bedeutsame Rolle spiele"; wenn anders Herr Hintze den Nagel auf den Kopf trifft, so hat der märkische Adel im Einziehen der Bauernäcker und in der Versklavung der Bauern „eine Fähigkeit, zu leiten und zu disponieren, den eigenen Vorteil wahrzunehmen, zu handeln und zu befehlen, in sich ausgebildet", die im diplomatischen und militärischen Dienst des Staates die reichsten Früchte getragen habe. Was denn auch eine Geschichtsauffassung ist.

Die Medaille hat aber sonst zwei Seiten, und wenn die eine hier als bekannt vorausgesetzt werden muss, so trägt die andere noch so verwischte Züge, dass zu ihrer richtigen Erkenntnis eine genauere Betrachtung notwendig ist. In diesem Trauerspiel hat nicht nur der Junker und der Bauer, sondern auch der Städter seine Rolle. Um sie zu studieren, muss man sich das Material mühsam aus den Werken der preußischen Historiker zusammensuchen. Keinem von ihnen ist es gelungen, das geschichtliche Problem zu erfassen, um das es sich dabei handelt. Dagegen hat es Rosa Luxemburg in ihren Arbeiten über polnische Geschichte in aller Klarheit und Schärfe erfasst, und Polen ist in der Tat die klassische Stätte dieses Problems.

Durch die Verschiebung des Welthandels an die Ufer des Atlantischen Ozeans wurde Polen schwerer als Deutschland und Italien, und zwar in dem Maße schwerer betroffen, worin es ökonomisch rückständiger war als diese Länder. Jedoch die ökonomischen Umwälzungen des Reformationszeitalters schufen einen neuen Handel für Polen; je mehr sich die westeuropäische Geldwirtschaft entwickelte, um so mehr wurde Polen der „europäische Speicher", die Kornkammer für Spanien, Frankreich, Flandern, England, zu ebender Zeit, wo sich aus ähnlichen Ursachen in dem benachbarten Ostelbien der ritterliche Grundherr in den warenproduzierenden Gutsbesitzer verwandelte. Für den polnischen Bauer ergaben sich daraus – in größerem Maßstab und deshalb in noch grauenvollerer Form – dieselben verheerenden Folgen wie für den märkischen Bauer. Aber auch die polnischen Städte mussten daran glauben, da der polnische Adel nicht nur die Getreideproduktion, sondern auch den Getreidehandel zu monopolisieren verstand. Jeder grundbesitzende Edelmann wurde zugleich ein Kaufmann, der sein Getreide selbst aus- und für den Erlös fremde Waren einführte. In dem Junker erstand dem städtischen Kaufmann ein Konkurrent, der umso gefährlicher war, als er die Klinke der Gesetzgebung in der Hand hatte. Soweit der Adel bei der Verfrachtung und dem Vertrieb seiner landwirtschaftlichen Produkte kaufmännischer Hilfe bedurfte, zog er fremde Kaufleute ins Land, die immer seine willigen Handlanger bleiben mussten; Kaufleute aller Nationen überschwemmten Polen, deutsche, italienische, schottische, armenische, russische und namentlich auch jüdische.

Was die Historiker als Ursachen für den Untergang des polnischen Staates angeben, die Schwäche der monarchischen Gewalt, das geile Überwuchern des Junkertums, den Verfall der Städte, die entsetzliche geistige und körperliche Verkommenheit des ländlichen Proletariats, das neun Zehntel der gesamten Bevölkerung umfasste, ergab sich durchweg aus der Tatsache, dass dem Adel die Monopolisierung des nationalen Handels in seinen Händen gelungen war. Polens Schicksal ist ein klassisches Beispiel dafür, wie eine bestimmte Austauschweise die gesamten Geschicke eines großen Staates bestimmen kann. Auf den ersten Schein handelt es sich nur um einen Personenwechsel, aber wie viel mehr dabei auf dem Spiele stand, zeigt ein Blick auf die historische Rolle des mittelalterlichen Handels, der durch Ansammlung des Kaufmanns- und Wucherkapitals die Manufaktur schuf, den Ausgangspunkt der modernen industriellen Entwicklung, zu der das zünftige Handwerk aus sich selbst heraus nicht zu gelangen vermochte.

Die Entwicklung der nationalen Produktion, die unumgängliche Bedingung der geschichtlichen Fortschritte im westlichen Europa, wurde in Polen dadurch abgeschnitten, dass der Adel den ganzen Handel an sich raffte und die Handelskapitalien in einem verschwenderischen Leben verzehrte, statt sie in gewerblicher Produktion anzulegen. Die Verödung der polnischen Städte beseitigte vollständig den Haupthebel der gewaltigen politischen und sozialen Umwälzungen, durch die sich im westlichen Europa der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit vollzog, den Klassenkampf des dritten Standes mit dem feudalen Adel. Erst aus diesem Kampfe entwickelten sich die moderne Monarchie und der moderne Staat, die Zentralisation der Verwaltung, das stehende Heer, ein ergiebiges Finanzsystem. All das besaß Polen nicht, weil es keinen dritten Stand besaß. Der vorwärtstreibende Klassenkampf fehlte, weil der Adel die wichtigsten städtischen Funktionen mit dem feudalen Grundbesitz vereinigt hatte, aber der verseuchende und zersetzende Klassengegensatz blieb, der Gegensatz zwischen dem ausbeutenden Adel und der ausgebeuteten Volksmasse, die, in den Städten ihrer geschichtlichen Führer beraubt, unaufgeklärt und unorganisiert, höchstens einmal in zwecklosen Revolten explodierte, aber jedes politischen und sozialen Bewusstseins entbehrte.

Was die Genossin Luxemburg über diese polnische Entwicklung ausgeführt hat und was wir natürlich nur in den allgemeinsten Umrissen andeuten können, das trifft auch auf die märkische Entwicklung derselben Zeit vollkommen zu. Man kann sogar chronologisch ihre ersten noch schüchternen Keime feststellen. Auf dem märkischen Landtag von 1488 wurde der Zwang aufgehoben, dass die Bauern ihr Getreide nur zum Verkauf auf die städtischen Märkte bringen durften, und zugleich wurde dem Kurfürsten die erste indirekte Steuer oder, wie man damals sagte, das erste „Ungeld" bewilligt, eine städtische Bierziese. Das Braugewerbe war damals und noch lange nachher der wichtigste Nahrungszweig der Städte und musste daher nach dem späteren Ausdruck Bismarcks zuerst „bluten". Von jeder Tonne sollte ein Groschen gezahlt werden, von dem acht Pfennig in die kurfürstliche und vier Pfennig in die städtische Kasse flossen. Prälaten und Ritter blieben von dieser Steuer frei, doch durften sie kein Bier zum Verkauf brauen. So ist in dem Landtagsabschied von 1488 bestimmt. Der Landtag war die Organisation des märkischen Adels; jeder adlige Rittergutsbesitzer hatte auf ihm Sitz und Stimme; die geistlichen Stifter und die städtischen Obrigkeiten der „Hauptstädte" waren nur durch Bevollmächtigte vertreten, und die städtischen Vertreter befanden sich in einer um so hoffnungsloseren Minderheit, als die Prälaten gewöhnlich mit den Rittern zusammenhielten. In der „gemeinen Landschaft" hatten die „Oberstände" das Heft in der Hand; nur wenn es auf die Bezahlung landesherrlicher Schulden ankam, hatten die Städte die Ehre des Vortritts; sie mussten zwei Drittel übernehmen, Prälaten und Ritterschaft zusammen aber nur ein Drittel, das natürlich auch nicht von ihnen, sondern von ihren Hintersassen, „Bauern, Kossäten, Gärtnern, Müllern, Hirten, Schäfern, Schmieden", aufgebracht wurde.

Die unscheinbaren Keime des Landtagsabschieds von 1488 wuchsen sich mit unheimlicher Schnelligkeit aus. Bereits dem Landtag von 1525 ließ der Kurfürst Joachim eröffnen, die Beschwerde der Städte über den Getreidehandel des Adels kehre immer wieder; die von Adel verführen nicht bloß ihr eigenes Getreide, sondern kauften es bei ihren Bauern und außer ihren Gütern auf; sie seien Getreidespekulanten; sie benutzten ihre Zollfreiheit, um auch mit anderen Artikeln zu spekulieren, so dass der Kurfürst ihnen androhen ließ, wenn sie Kaufmannschaft treiben wollten, müssten sie auch Kaufmannsbürde tragen.

Bei der Schwäche der landesherrlichen Gewalt nutzten diese Mahnungen natürlich gar nichts; sie schlugen vielmehr in das Gegenteil um. Auf dem Landtag von 1602, wo wieder einmal 600.000 Taler landesherrlicher Schulden zu decken waren, protestierten die Städte aufs heftigste dagegen, dass der Adel „den Verkauf des Getreides, der Wolle, des Viehes, der Fische, Hanf, Flachs, Fette, Talg, Schmer, Hühner, Gänse, Butter, Eier, Käse, Futter und andere Waren den Hamburgern, Stettinern und anderen Ausländischen" zuschanze, sie verlangten, dass „die umlaufenden Schotten, Niederländer, Tablettenkrämer" im Lande nicht zu dulden seien. Mit diesen Klagen kamen sie bei dem damaligen Kurfürsten aber an den Unrechten; er verwies sie ihnen „mit genügsamer Deduktion und ernstlicher Bedrohung", und sie hatten einfach zu blechen. Droysen, der diese Verhandlungen aus den Archiven mitteilt, macht dazu die harmlos-gutmütige Bemerkung: „Ein Bild des Verkehrs jener Zeit"; er ahnt noch nicht, um wie einschneidende, in die künftige Entwicklung des preußischen Staates tief einschneidende Fragen es sich dabei handelt.

Viel näher kommt dem Zusammenhang der Dinge ein jüngerer Forscher, Max Lehmann (in seinen Historischen Aufsätzen, in der Abhandlung über Agrariertum und Steuern in Preußen). Er führt namentlich aus, dass der Adel nicht nur den Handel, sondern auch den Gewerbebetrieb der Städte lahmgelegt habe, und zwar in Anknüpfung an die – übrigens bald beträchtlich erhöhten – Bierziese von 1488. Wenn dem Adel gestattet worden war, zum Bedarf seines Hauses steuerfrei Bier zu brauen, so braute er auch für andere, schenkte selbst aus, verkaufte an die Bauern und die Wirte der Krüge, zwang sie geradezu, kein anderes Bier als das seinige zu schenken, und hielt sie an, selbst zu brauen, indem er ihnen teils mit Geld, teils mit Gerste zu Hilfe kam. Er gab den Handwerkern anstatt baren Geldes Bier und Malz in Zahlung und was dieser Praktiken sonst noch waren.

Die Landesherren trieben auch hier eine halbschlächtige Politik. Dadurch, dass auf diese Weise der Ertrag der Bierziese geschmälert wurde, erlitt ihre Kasse große Ausfälle; sie verboten dem Adel eine „seinem Stande missständige Kaufmannschaft und Nahrung" und sprachen gelegentlich selbst von „offenbarem Betrug", aber die lange Reihe von Verordnungen, die sie im Laufe der Jahrhunderte dagegen erließen, scheiterten an dem Widerstand des Adels, und schließlich waren sie selbst, wie Lehmann wohl mit Recht vermutet, nur mit halbem Herzen dabei. Sie waren selbst die größten Grundbesitzer des Landes und fanden es einträglich, auf ihren Domänen brauen zu lassen, ohne Ziesezahlung, zum Schaden des bürgerlichen Brauwesens.

Lehmann meint: „Es war fast wie eine Erneuerung des eben erst gebrochenen Raubrittertums." Noch richtiger würde er gesagt haben: Es war mehr als eine solche Erneuerung. Der Gewalt der Raubritter hatten die Städte widerstanden; der ökonomische Krieg des Adels machte sie zu elenden und traurigen Nestern, was denn auch einen Beitrag zu der Gewalttheorie der Dühring und Genossen darstellt.

1"Die Anfänge des preußischen Staats" (1914)

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