IX-XI

IX

Ein bekanntes Verslein preist das Haus Habsburg glücklich, weil es nicht durch Kriege, sondern durch Heiraten emporgekommen sei. Immerhin war die dynastische Familienpolitik keine habsburgische Eigentümlichkeit, sondern eine allgemeine Erscheinung in den Tagen, da der moderne Absolutismus jung war, und auch das Haus Hohenzollern hat seinen reichlichen Anteil daran.

Es schloss im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert unzählige Ehe- und Erbverträge, von denen einzelne, wie der Erbvertrag mit Mecklenburg, bis auf den heutigen Tag fortdauern, andere, wie eine Erbverbrüderung zu dritt zwischen Brandenburg, Hessen und Sachsen, immer nur auf dem Papier geblieben sind, noch andere, wie Erbverträge mit schlesischen Fürsten, von der habsburgischen Übermacht in Stücke zerrissen worden sind und höchstens fadenscheinige Vorwände für langwierige Kriege geliefert haben, endlich aber auch einige in der Tat zu wesentlichen Erweiterungen der hohenzollernschen Hausmacht geführt haben.

Der Stern oder Unstern des Hauses fügte, dass die wichtigsten dieser Anwartschaften fällig wurden, als es mit ihm am schlechtesten stand: in den ersten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts. Im Jahre 1609 starb der letzte einheimische Herzog von Jülich-Kleve-Berg, von dessen Erbtöchtern zwei mit Hohenzollern verheiratet waren: die jüngere mit dem Vater, die ältere mit dem Sohne; im Jahre 1618 erlosch die preußische Linie des Hauses Hohenzollern, und im Jahre 1637 starben die Herzöge von Pommern aus, deren Erben nach alten, immer von neuem besiegelten Abmachungen die hohenzollernschen Kurfürsten waren. Es wäre eine Vergrößerung der Kurmark Brandenburg um nahezu das Dreifache gewesen, wenn alle diese Erbschaften hätten sofort und ungeschmälert eingeheimst werden können.

Damit sah es zunächst aber sehr trübe aus. In Jülich-Kleve-Berg meldeten sich noch andere Tochtermänner des verstorbenen Herzogs, und Brandenburg verzichtete schon 1614 auf den größeren Teil des Erbes, auf die Herzogtümer Jülich und Berg mit der Hauptstadt Düsseldorf; es begnügte sich vorläufig mit dem Herzogtum Kleve und der Grafschaft Mark, aber auch dieser Besitz hing völlig in der Luft, solange Holländer und Spanier im ganzen Lande hausten, zwischen deren Heeren die zusammengelaufenen Haufen von ein paar hundert Mann, mit denen die deutschen Erben allein antreten konnten, eine sehr armselige Rolle spielten. In Ostpreußen wurde der kurfürstliche Erbe nur geduldet als eine Art Puffer zwischen dem einheimischen Adel und dem polnischen Lehnsherrn, wobei er von beiden Seiten gepufft wurde, und Pommern endlich war im Besitz der Schweden, die es als „Satisfaktion" für ihre sogenannte „Rettung des deutschen Protestantismus" beanspruchten.

Von dem alten, üblen Scherze, wonach Gustav Adolf „zum Schutze des Protestantismus" mit bewaffneter Hand in Deutschland eingebrochen sei, hält sich Herr Hintze nicht völlig frei, dagegen verfällt er nicht dem neuesten Sport der bürgerlichen Geschichtsschreibung, die Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges möglichst abzustreiten. Sie waren nirgends so arg wie in der Mark Brandenburg; in der Altmark schätzte man den Menschenverlust auf 50, in der Mittelmark sogar auf 75 Prozent. Eine Tabelle der städtischen Feuerstellen aus dem Jahre 1645 zeigt, dass in vielen märkischen Städten die Hälfte, in anderen zwei Drittel, in einigen gar fünf Sechstel der Häuser wüste geworden waren. Wie es auf dem platten Lande aussah, zeigt ein Protokoll des Kreises Oberbarnim schon aus dem Jahre 1635, also reichlich ein Dutzend Jahre vor dem Schluss des Krieges; danach lag damals schon ein Drittel der Höfe und Hufen in diesem Kreise wüste.

Die Ursache dieses besonderen Elends war die völlige Wehrlosigkeit der Mark Brandenburg, die wie ein hilfloses Wrack zwischen den kämpfenden Mächten einher trieb. Bald versuchte sie – oder richtiger: Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe schloss sie sich bald der kaiserlichen, bald der schwedischen, bald überhaupt keiner Politik an. Die Stände waren auch jetzt nicht zu bewegen, die Mittel für die Aufstellung eines kriegstüchtigen Heeres zu bewilligen; höchstens rückten sie geringe Summen für eine kurze Frist heraus, womit etwa eine verlumpte Soldateska angeworben werden konnte, die nur die Plagen des Landes vermehrte. Allerdings dämmerte ihnen in dem jahrzehntelangen Jammer allmählich die Erkenntnis auf, dass sie im Grunde mit ihrer hartgesottenen Politik ein schlechtes Geschäft machten, dass sie billiger davonkommen würden, wenn sie ein schlagkräftiges Heer aufstellten, als wenn sie jedem bewaffneten Haufen, der in die Mark einbrach, mehr oder minder unerschwingliche Kontributionen zahlen mussten. Namentlich die Schweden wurden nicht müde, dem märkischen Adel diese heilsame Lehre einzubläuen. Wenn die Stände, unter Berufung auf ihre altverbrieften Rechte, den schwedischen Kontributionen etwas abdingen wollten, kam aus dem schwedischen Hauptquartier die barsche Antwort, damit möchten sie ihrer gnädigsten Landesherrschaft kommen; das Recht des Schwertes kümmere sich um keine Verfassung.

Dauernd wirkten diese Lektionen aber noch nicht auf die Stände. Der Versuch des Ministers Schwarzenberg, nach dem Anheimfall Pommerns im Jahre 1637 über ihren Kopf weg Kriegskontributionen auszuschreiben, um ein Heer zur Behauptung der Erbschaft aufzubringen, scheiterte schmählich und trug seinem Urheber nur den Ruf eines Landesverräters ein, an dem er fast zwei Jahrhunderte gelitten hat. Es war so, wie einer der kurfürstlichen Räte im Jahre 1640 schrieb: „Pommern ist dahin, Jülich ist dahin, Preußen haben wir wie einen Aal beim Schwanz, und die Marke wollen sie auch vermarketendieren." Und daran änderte zunächst auch nichts der Thronwechsel, der in demselben Jahre den Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1640-1688), einen jungen Mann von zwanzig Jahren, ans Ruder brachte.

Die Kriegsläufte, in denen er aufgewachsen war, hatten seine Jugend freudlos gemacht, aber sie auch vor den tausend Nichtigkeiten des Hoflebens geschützt; hinter den Mauern der Festung Küstrin hatte er eine gute Erziehung genossen, dann die ersten Jünglingsjahre bei seinen mütterlichen Verwandten, den Oraniern, in den Niederlanden verlebt, im Feldlager und auf der Universität Leyden. Nirgends konnte er die Blüte des damaligen Kriegswesens genauer studieren und nirgends auch schärfer erkennen, auf welche Höhe der Macht sich ein verhältnismäßig kleines Gemeinwesen durch die Herrschaft über die See emporschwingen kann; diese Eindrücke haben sein ganzes Leben bestimmt. Auch sonst hatte er seine Lehrjahre nicht vertrödelt; außer seiner Muttersprache beherrschte er das Französische, Holländische und Polnische.

Er begann seine Regierung unter den traurigsten Umständen und wusste zunächst auch nichts Besseres zu tun, als das Land von neuem zu entwaffnen, soweit durch Schwarzenbergs Bemühungen einige Regimenter zusammengebracht worden waren. Sein Haupthelfer dabei und überhaupt sein maßgebender Berater im ersten Jahrzehnt seiner Regierung war Konrad v. Burgsdorff, ein märkischer Junker und ein Mann ganz nach dem Herzen der Stände, obgleich er selbst Kriegsobrister war. Nur so viel Mannschaft wurde zurückbehalten, um die Festungen notdürftig zu besetzen, etwa 2000 Mann Fußvolk und 100 Reiter, aber selbst für diese Handvoll Leute, die sich noch fortwährend durch Desertion lichteten, war von den Ständen kein Sold zu erlangen.

Worauf der Kurfürst hinauswollte, war ein Bündnis mit den Schweden, das von diesen übermütigen Eroberern nicht zu haben war, wie sie offen erklärten, wegen der „Ohnmacht des Kurfürsten" (impotentia electoris). Sie lagen im Lande, wenn auch nicht in den Festungen, so doch in Städten und Dörfern, rekrutierten sich aus der märkischen Bevölkerung und trieben allmonatlich ihr Kontributionsquantum, 10.000 Taler und 1000 Scheffel Mehl, pünktlich ein. So ging es jahraus, jahrein. Da sie um so weniger daran dachten, Pommern herauszugeben, so würde die Politik des Kurfürsten ganz unverständlich sein, wenn sie sich nicht dadurch erklärte, dass er gleichzeitig um die Hand der Königin Christine von Schweden warb, der unverheirateten Tochter Gustav Adolfs. Nach fünfjährigem Hin und Her sagten endlich die Königin und die schwedischen Minister ab. Nunmehr bewarb sich der Kurfürst um eine Oranierin, wobei er auch nur halben Erfolg hatte, indem er zwar ihre Hand erhielt, aber nicht das mit dieser Hand erstrebte politische Bündnis der Niederlande.

So nahm der Kurfürst die Überlieferungen seines Vorfahren Joachim wieder auf und sah die „rettende Tat" in einem Bündnis mit Frankreich. Hier fand er offene Türen, nicht als ein Verbündeter von gleich auf gleich, sondern als ein Werkzeug, das der französischen Politik trefflich dienen konnte, sowohl die habsburgische Macht zu dämpfen als auch die schwedischen Bundesgenossen nicht gar zu übermütig werden zu lassen. Bei den Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück unterstützten die siegreichen Franzosen die Ansprüche des Kurfürsten, die sonst keinen Anwalt gefunden hätten, mit allem Nachdruck, wenn auch selbstverständlich nur, soweit es ihrem Interesse entsprach. Trotz seines heftigen Sträubens musste der Kurfürst die Insel Rügen, Vorpommern, die Odermündungen und Stettin an Schweden überlassen, den kleineren, aber reicheren und wertvolleren Teil des Landes; er selbst erhielt Hinterpommern und den Anspruch auf eine Entschädigung, die er selbst auf das Erzbistum Magdeburg, die Bistümer Halberstadt und Minden, einige schlesische Herzogtümer und eine große Geldabfindung bemaß. Dem widersetzte sich nun aber das Haus Habsburg, sowohl was die Bistümer als auch was die schlesischen Fürstentümer anbetraf. Die Franzosen, und diesmal die Schweden mit ihnen, schlichteten den Streit. Sie kürzten zunächst die übertriebenen Forderungen des Kurfürsten, indem sie die Geldabfindung strichen und ihm nur eines von beidem zubilligten, entweder geistliches oder weltliches Gut. Am liebsten hätten sie ihn in Schlesien angesiedelt, weil er hier dem Hause Habsburg am unbequemsten geworden wäre. Aber der Kaiser war, wie die Franzosen spotteten, um sein Hausgut viel besorgter als um den Besitz des heiligen Petrus und willigte endlich, um Schlesien ernstlich besorgt, in die Säkularisation von Magdeburg, Halberstadt und Minden. Es war immer noch eine reichliche Entschädigung für Vorpommern, wenn es dem Kurfürsten auch nicht die Odermündungen ersetzen konnte, um deren Besitz er noch vierzig Jahre gekämpft hat.

Der Westfälische Friede von 1648 gründete die deutsche „Libertät"; im Bündnis- und Waffenrecht gab er den deutschen Einzelstaaten die wesentlichen Eigenschaften der Souveränität; im Sinne völkerrechtlicher Selbständigkeit durften sie eigene Truppen halten und Bündnisse mit fremden Mächten schließen. Es war freilich nur die rechtliche Anerkennung einer tatsächlichen Entwicklung, die längst eingesetzt hatte, aber eben dadurch eröffnete sie eine neue Epoche der deutschen Geschichte, in der sich die Einzelstaaten auf und aus den Trümmern des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation entwickelten.

Nächst dem Hause Habsburg war nach dem Westfälischen Frieden aber das Haus Hohenzollern das mächtigste in Deutschland, wenigstens insofern, als es über das verhältnismäßig ausgedehnteste Gebiet verfügte. Was es durch den Westfälischen Frieden gewann, erreichte an Umfang fast die Mark Brandenburg, und noch umfangreicher als dies alte Stammland war Ostpreußen, das sich der junge Kurfürst gleich nach seinem Regierungsantritt durch eine demütigende Vasallenfahrt an den Hof des polnischen Königs in Warschau gesichert hatte. Dazu kamen noch die Besitzungen am Niederrhein, die zwar noch von deutschen Nebenbuhlern bestritten, aber wenigstens nicht mehr von fremden Heeren verwüstet wurden. Die ganze Ländermasse war schon dreimal größer als Kursachsen, fünfmal größer als die Welfenlande, so groß wie heute Bayern, Württemberg und Baden zusammen sind.

Aber es war noch immer eine Masse, von der es heißen konnte: Wie gewonnen, so zerronnen, und es kommt nun darauf an, dem roten Faden nachzuspüren, der sie dennoch zusammenhielt.

X

Wenn der Kurfürst Friedrich Wilhelm mit der Abrüstung begonnen hatte, so wurde er bald durch den Zwang der Verhältnisse belehrt, dass er ohne Wehr und Waffen ein willenloser Spielball zwischen dem Kaiser und den Schweden bleiben werde. Sobald er sich entschlossen hatte, sein Schicksal der Krone Frankreichs anzuvertrauen, begann er mit neuen Rüstungen, wobei er von Burgsdorff unterstützt wurde. Anders jedoch, als er nach dem Frieden sich weigerte, die Truppen abzudanken, und ihre dauernde Unterhaltung von den Ständen beanspruchte. Dem widersetzten sich die Stände, und Burgsdorff, der ihr Fürsprecher war, kam darüber zum Falle.

Was der Kurfürst verlangte, ein stehendes Heer und als dessen unentbehrliche Grundlage ständige Steuern, war für ihn eine unerbittliche Notwendigkeit, wenn er anders die hohenzollernsche Hausmacht aufrechterhalten wollte. Darüber braucht kein Wort verloren zu werden und am allerwenigsten allerlei ideologisches Gerede über die Erhabenheit einer modernen Staatsidee und dergleichen mehr. Was jedoch ausdrücklich zurückgewiesen werden muss, ist die von mehr als einer Generation preußischer Historiker aufgepäppelte Legende, als habe der Kurfürst mit eiserner Faust die Macht der Stände gebrochen, nun gar im Interesse der „armen Klassen", die unter der ständischen Selbstsucht gelitten hätten, und den Adel der Zucht des monarchischen Staatsgedankens unterworfen. Es ist immerhin ein Fortschritt, wenn Herr Hintze schreibt: „Nicht die sozialen Vorrechte des Adels im Rechts- und Wirtschaftsleben sind unter dem Großen Kurfürsten angegriffen worden, sondern der kurzsichtige Missbrauch seines politischen Mitregierungsrechts … Die alte ständische Gesellschaftsordnung mit den Privilegien des Adels und der Zünfte blieb bestehen." Richtiger noch wäre es gewesen, wenn Herr Hintze von dieser neuen Ordnung der Dinge dasselbe gesagt hätte, was er von der Begründung der hohenzollernschen Herrschaft in der Mark Brandenburg sagt, sie habe nicht auf der gewaltsamen Unterwerfung des Adels beruht, sondern auf Verträgen mit dem Adel, die sich in dem neueren wie in dem älteren Falle als Löwenverträge zugunsten des Adels herausstellen sollten.

Es ist bereits angedeutet worden, dass die schmerzlichen Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges nicht unbemerkt an dem Adel vorübergegangen waren, und ihre Nachwirkungen dauerten noch lange an. Die bäuerliche Bevölkerung war durch den Krieg aus ihrem dumpfen und stumpfen Sklavendasein aufgerüttelt worden; viele „Untertanen" hatten eigenmächtig die „Hufe" verlassen, zu der sie „geboren" waren, oder sie hatten gar Waffen führen gelernt, was der „Herrschaft" die grauenvollste Aussicht war. Wer eine Kriegsfeder am Hute getragen hatte, ließ sich schwer wieder in das harte Joch eines Hörigen spannen. Die großen Menschenverluste des Krieges hatten einen Mangel an Arbeitskräften geschaffen, der dem Adel um so empfindlicher auf die Nerven fiel, als er sich der wüst gewordenen Bauernhöfe bemächtigte, um sie zum Rittergut zu schlagen; der Umfang der Rittergüter, die damals durchschnittlich nur 12 Hufen gleich 360 Morgen groß waren (den siebenten Teil von ihrem durchschnittlichen Umfang im neunzehnten Jahrhundert), hat sich in den nächsten fünfzig Jahren um 30 Prozent vergrößert. Dass die Klagen des Adels über das „boshafte und mutwillige Gesinde", die in den ersten Jahrzehnten nach dem Kriege unaufhörlich ertönten, in seinem Sinne nicht grundlos waren, beweist die Tatsache, dass Kost und Lohn in dieser Zeit viel eher ein menschenwürdiges Leben ermöglichten als in den Jahrhunderten vor- oder nachher. Viel billiger war das nötige Menschenmaterial für ein Söldnerheer in dem massenhaften Lumpenproletariat zu beschaffen, das der Krieg hinterlassen hatte. Es rekrutierte sich nicht nur aus den „Gartbrüdern", den verlumpten Kriegsknechten, die haufenweise bettelnd oder raubend durchs Land zogen, sondern auch aus junkerlichen „Krippenreitern", die sich ebenfalls, wie man damals sagte, koppelweise herumtrieben und, wenn sie sich überhaupt von den „Gartbrüdern" unterschieden, es in einer dem Adel peinlichen Weise taten, indem sie auf seinen Gütern schmarotzten. Sie waren durch den Krieg aus ihrer Klasse geworfen worden, die sich, seitdem sie „den Strick in der Hand hielt", allzu massenhaft vermehrt hatte, und ein stehendes Heer konnte ihnen wieder zu einer „standesgemäßen" Versorgung verhelfen.

Alle diese Umstände haben dazu beigetragen, den Widerstand der märkischen Stände gegen den miles perpetuus1 abzuschwächen, und sie erklären auch die Bedingungen, unter denen sie nach vierjährigem zähem Feilschen endlich nachgaben, indem sie 1653, zunächst auf sechs Jahre, dem Kurfürsten jährlich 560.000 Taler für den Unterhalt seiner Truppen bewilligten. In dem berühmten Landtagsabschied dieses Jahres, den der märkische Adel hinfort als seine Magna Charta betrachtete und wie seinen Augapfel hütete, werden ihm alle seine Vorrechte feierlich bestätigt und verbrieft, „sein Vorrecht auf den Besitz von Rittergütern, seine Herrenstellung im Gutsbezirk, seine obrigkeitlichen Rechte über die Bauern, seine Steuer- und Zollfreiheit, seine Verfügung über die Frondienste der Bauern", genug, das ganze gutsherrlich-bäuerliche Verhältnis, wie es sich im Laufe der Jahrhunderte durch die fortgesetzten Übergriffe des Adels herausgebildet hatte. Er sicherte sich sogar eine immer noch ausgedehntere Herrschaft über die Bauern durch die Bestimmung, dass es bei der „Leibeigenschaft", wo sie herkömmlich sei, ihr Bewenden haben solle. Denn eine „Leibeigenschaft" im juristischen Sinne des Wortes gab es wenigstens in der Mark Brandenburg nicht; für ihre Personen waren die Bauern erwerbs- und prozessfähig; sie konnten nicht verkauft oder vertauscht werden.

Aber ihre „Erbuntertänigkeit" unterschied sich freilich nicht so sehr von der Leibeigenschaft. Sie waren samt ihren Kindern an den „angeborenen Grund und Boden" gebunden und durften das Gut ohne Bewilligung der Herrschaft nicht verlassen; entwichene Untertanen samt ihren auswärts geborenen Kindern konnten von der Herrschaft überall und zu allen Zeiten aufgesucht und zur Rückkehr genötigt werden. Die Untertanen mussten die herrschaftliche Genehmigung zur Heirat nachsuchen, die versagt werden durfte nicht nur, wenn die Braut als liederlich, sondern schon, wenn sie als widerspenstig bekannt oder auch nur unfähig war, den ihr obliegenden Arbeiten vorzustehen; wer ohne herrschaftliche Erlaubnis heiratete, verfiel Gefängnisstrafen oder Strafarbeiten. Die Kinder der Untertanen waren der Herrschaft zum Gesindedienst verpflichtet; fremde Dienste durften sie erst annehmen, wenn sie sich zuvor der Herrschaft angeboten und einen Erlaubnisschein zum Auswärtsdienen erhalten hatten, der gewöhnlich nur auf ein Jahr erteilt wurde; ebenso hatte die Herrschaft ihre Genehmigung zu erteilen, wenn sie ein bürgerliches Gewerbe erlernen oder ein Studium ergreifen wollten. Die Herrschaft konnte faules, unordentliches und widerspenstiges Gesinde mit der ledernen Peitsche züchtigen, die Bauern oder deren Frauen durch Gefängnis oder Strafarbeiten zu ihrer Pflicht anhalten.

Innerhalb des allgemeinen Bereichs der Erbuntertänigkeit stufte sich das Besitzrecht der Bauern an ihren Höfen und Hufen mannigfach ab. Verhältnismäßig am günstigsten waren die Erbzinsbauern gestellt, die ihre Stellen erblich und so wenigstens ein Untereigentum an ihnen besaßen; sie hatten dem grundherrlichen Obereigentümer nur die Abgaben, Dienste und Fronden zu leisten, die auf ihrer Scholle lasteten. Doch war ihrer nur eine verhältnismäßig geringe Minderzahl. Die große Masse der Bauern waren sogenannte Lassiten; sie hatten nur ein Nutzungsrecht an ihrer Stelle und zerfielen wieder in solche, die erblich oder nur lebenslänglich oder gar nur auf Kündigung angesetzt waren; die erblichen waren hier wieder die Minderzahl, und ihr Erbrecht war insofern beschränkt, als der Herrschaft gestattet war, unter mehreren Miterben demjenigen, den sie für den Tüchtigsten hielt, die Stelle zuzuwenden, eine Bestimmung, die dazu missbraucht wurde, dass fleißige Bauern ein oder gar mehrere Male einen durch ihre Bemühungen emporgebrachten Hof mit einem verwüsteten vertauschen mussten.

Der Herrschaft standen die Hand- und Spanndienste der Untertanen zur Verfügung, hier gemessen, dort ungemessen, hier nach Tagen, dort nach Ackermaß berechnet, hier auf Hofarbeit beschränkt, dort auch auf den Forst oder die Jagd oder die Reise oder das Botenlaufen ausgedehnt.

Die Musterkarte dieser Dienste ist so bunt wie das System der bäuerlichen Abgaben und Fronden überhaupt. Doch galt ein drei- bis viertägiger Hofedienst in der Woche schon für mäßig; er wurde oft genug auf fünf und sechs Tage in der Woche ausgedehnt.

Damit waren die Rechte des Gutsherrn aber noch nicht erschöpft. Er war Patron der Gutskirche, ernannte den Geistlichen und den Küster. Ihm stand die Polizei und die Gerichtsbarkeit zu. In seiner Patrimonialgerichtsbarkeit gipfelte seine Machtstellung. Er konnte die Bauern, selbst ganze Gemeinden in seinen Gerichten belangen, während sie ihn ohne seine Einwilligung nicht wiederbelangen durften. Nicht mit Unrecht nannten sich die Rittergüter Dominien; die 1262 adligen Güter der Mark Brandenburg waren in der Tat ebenso viele kleine Fürstentümer.

Neben ihren unzähligen Pflichten hatten die Bauern freilich auch einige Rechte – auf dem Papier. Sie durften Gelegenheit zum Erwerb ihres Unterhalts beanspruchen, was natürlich die Gutsherrschaft nicht am „Bauernlegen" hinderte und auch nicht einmal hindern sollte; ferner sollten sie in vorkommenden Notfällen unterstützt und vor Übervorteilung geschützt werden, in den Gerichten, in denen sie verklagt werden, aber nicht klagen durften; der Hohn überschlug sich endlich in der Verpflichtung der Gutsherren, den Kindern der Untertanen eine gute christliche Erziehung zu geben.

Am treffendsten hat dies „patriarchalische Verhältnis" der König Friedrich von Preußen – versteht sich in seinen Schriften – gekennzeichnet, indem er sagte: „Unter allen Lebenslagen ist es unzweifelhaft die unglücklichste und das menschliche Herz am meisten empörende, wo die Bauern dem Acker angehören und Knechte ihrer Edelleute sind. Gewiss ist kein Mensch geboren, um der Sklave von seinesgleichen zu sein."

XI

Aber auch in diesem Trauerspiel hatte nicht nur der Adel und der Bauer, sondern auch der Bürger seine Rolle. Es verstand sich von vornherein von selbst, dass der Adel keinen Pfennig zu den „Heeresgefällen" beitrug, wie die neuen Auflagen genannt wurden, die zur Unterhaltung des stehenden Heeres bestimmt waren, aber seine alte Praxis, den Städten mehr aufzubürden als den Bauern, bewährte er auch hier.

Allerdings ließ sich bei der ungeheuren Verarmung der Städte das alte Verhältnis von 2:1 nicht völlig aufrechterhalten; nach dem sogenannten „Quotisationsrezess" von 1643 zahlten die Städte 59, die Ritterschaft (das heißt die Bauern) 41 vom Hundert. Allein auch dieser Maßstab erwies sich für die Städte als unmöglich. Die neue Steuer, Kontribution genannt, wurde auf den Grundbesitz der Bauern und der Bürger gelegt; sie wirkte hier wie dort zerstörend, jedoch in der Stadt noch zerstörender als auf dem Lande. Sie hinderte den neuen Anbau der wüsten Stellen und das Wiederaufleben des städtischen Verkehrs; namentlich den ärmeren Schichten fiel sie zur unerträglichen Last; die Zünfte überschütteten den Kurfürsten nicht nur mit „Winseln und jammerlichen Klagden", sondern sie drohten auch wohl, „den Exekutoribus die Hälse zu brechen".

Der Kurfürst hörte nicht ungern weder auf die Klagen noch auch nur auf die Drohungen. Er schlug als Heeressteuer nach holländischem Vorbild die Akzise vor, nicht einfach eine bloße Verbrauchssteuer, sondern ein zusammengesetztes System verschiedener Steuern, unter denen freilich, neben einer mäßigen Grund-, Gewerbe- und Kopfsteuer, die indirekten Abgaben auf fast alle Gegenstände des Verbrauchs, Getränke, Lebensmittel, Kaufmannswaren die Hauptrolle spielten. Eine ganze Menge von Vorteilen empfahl dem Kurfürsten diese Steuer; sie machte ihn von der ständischen Bewilligung unabhängig und musste mit dem Anwachsen von Handel und Verkehr immer ertragsfähiger werden; sie wurde sozusagen unmerklich erhoben und beseitigte die gehässigen Exekutionen, die oft genug schon in den Städten zu Tumulten geführt hatten. Endlich aber beseitigte sie die Steuerfreiheit des Adels; sie war eine allgemeine und sozusagen eine demokratische Steuer, die demgemäß in Holland „gemeene middelen" hieß. Ebendieser Gesichtspunkt machte die Akzise den Städtern begehrenswert und willkommen; sie erkannten noch nicht, dass die neue Steuer die ärmeren Klassen verhältnismäßig stärker belasten musste als die wohlhabenden, und sie ahnten nicht einmal, dass sie mit diesem goldenen Halsband sich selbst erwürgten.

Der Adel war sich, wie gewöhnlich, von vornherein klar über seine Klasseninteressen. Er widersetzte sich mit aller Kraft der Ausdehnung der Akzise auf das platte Land. Solle er von seinen verbrieften Vorrechten nichts als den Namen behalten? Und könne er seine Kinder nach Einführung der Akzise noch in adligen Tugenden und guten Künsten erziehen? Neben diesen gemütvollen Tönen des Ritters kam dann auch die nüchterne Forderung des Kaufmanns zu ihrem Rechte, dass die Kommerzia frei sein müssten. Auf jeden Fall forderte der Adel, dass die Landbewohner nicht dem Zwange des städtischen Marktes unterworfen werden dürften, da sie sonst durch Verteuerung der Lebensmittel die Akzise mitzuzahlen hätten. Dagegen erklärten dann die Städte, sie würden dem sicheren Ruin preisgegeben sein, falls nicht Gewerbe und Handel des Adels gleichfalls der Akzise unterworfen würden. Die Städte hatten ihre Erfahrungen mit der Bierziese gemacht und machten sie fort und fort von Jahrhundert zu Jahrhundert; als sie auf dem Landtag von 1683 die endliche Ausführung der kurfürstlichen Edikte verlangten, wonach das Brauen und Branntweinbrennen auf dem Lande abgeschafft und die Krüge in die Städte verlegt werden sollten, kehrte der Adel ihnen einfach den Rücken, und den Städten blieb nur die „jammerliche Klagde", sie hätten „zuletzt mit Bestürzung erfahren, dass die Herren Deputati der Ritterschaft nobis insciis (ohne unser Vorwissen) davon gereist seien".

Mit so wackeren Gesellen war natürlich schlecht Kirschen essen. Der Kurfürst musste ihnen schließlich nachgeben und sich darauf beschränken, den Städten anheimzustellen, ob sie Kontribution oder Akzise zahlen wollten. Sie entschieden sich nach und nach für die Akzise, die anfangs von den städtischen Behörden verwaltet wurde, um aus ihrem Ertrag die nach dem Quotisationsrezess auf die Städte entfallenden 59 Prozent der Heeresgefälle aufzubringen. Aber sobald sich die Akzise als eine Goldgrube erwies, wurde sie, seit 1682, in eine obligatorische Staatssteuer verwandelt; ihr Überschuss über das bisherige Steuerkontingent floss nicht mehr in die städtischen, sondern in die kurfürstlichen Kassen. Die Städte mussten nun völlig, durch Mauern oder Palisaden, gegen das platte Land abgesperrt werden. Die Torschreiber hatten den Verkehr zu überwachen; bei dem Einnehmer in der Stadt war nach den von ihnen ausgestellten Zetteln die Akzise zu entrichten; in Stadt und Umgegend waren Kontrolleure und Visitateure tätig. Und als ein neuer, höchst wichtiger Beamter erschien der „Commissarius loci", der „Kriegs- und Steuerkommissarius", später einfach „Steuerrat" genannt, der in je einer Anzahl von Städten die Akziseverwaltung zu überwachen hatte.

Hatte der Adel die Akzise von dem platten Lande abgewälzt, so schaffte er sie sich auch vom Halse, soweit er Burglehen und Rittersitze innerhalb der Städte besaß, obgleich es in der neuen Akziseordnung hieß, dass niemand, wer es auch sei, in den Städten von der neuen Steuer frei sein und nicht einmal durch den Landesherrn eine Ausnahme gemacht werden dürfe. Ferner sicherte sich der Adel davor, dass im Interesse ausgleichender Gerechtigkeit zwischen Stadt und Land die Kontribution in demselben Maße gesteigert werden konnte, wie die Akzise stieg. Sie blieb ein für allemal fixiert; der Anteil des Landesherrn und des Adels an der Leistungsfähigkeit des Bauern durfte nicht zuungunsten des Adels verschoben werden.

Indem die verschiedene Steuerart zwischen Land und Stadt jede Interessengemeinschaft zwischen Ritter- und Bürgerschaft gegenüber dem Landesherrn aufhob, gab sie dem alten landständischen System einen Stoß, den es nicht überwinden konnte. Aber es ist eine irreführende Behauptung, daraus zu folgern, dass die Macht des Adels nunmehr gebrochen und die Souveränität des Landesherrn gesichert gewesen sei. Der Kurfürst hatte das stehende Heer und die stehenden Steuern damit erkauft, dass er das unbedingte Herrenrecht des Adels über den weitaus größten Teil der Bevölkerung feierlich verbriefte und versiegelte. Bei dem ersten Versuch, die Vorrechte des Adels im Interesse des Heeres anzutasten, war er scheu zurückgewichen, und dieser Adel hätte nicht er selbst sein müssen, wenn er nicht versucht hätte, mächtiger zu werden denn je, indem er das stehende Heer selbst aus einer Waffe des Landesherrn zu seiner eigenen Waffe machte. Das ist ihm denn auch gelungen.

1 miles perpetuus (lat.) – stehendes Heer.

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