VI-VIII

VI

Die ökonomische Revolution des sechzehnten Jahrhunderts, die dem märkischen Adel mächtig aufhalf, rief eine geistige Revolution wach, die dem Geschlecht der Hohenzollern sehr günstige Aussichten zu eröffnen schien.

In diesem Jahrhundert hatte der Kurfürst Joachim I., von dem schon gesagt worden ist, dass er von 1499 bis 1535 regierte und den letzten Rest des adligen Raubwesens beseitigte, eine ähnliche Stellung wie im siebzehnten Jahrhundert der Kurfürst Friedrich Wilhelm und im achtzehnten Jahrhundert der König Friedrich. Er war nichts weniger als ein idealer Fürst, aber dem Fürstenideal seiner Zeit, wie es von den Humanisten vertreten wurde, kam er näher als ein anderer seines Geschlechts oder auch nur der sonstigen Fürsten seines Jahrhunderts.

Joachim war in Franken am Hofe seiner Großmutter erzogen worden und hatte eine sorgfältige Erziehung genossen. Er sprach Lateinisch, Französisch und Italienisch; auf den Reichstagen bewunderten die päpstlichen Legaten, wie er lateinisch wie deutsch „mit Geschwindigkeit und subtilen Griffen" zu disputieren wusste. Er zog humanistische Gelehrte an seinen Hof; jener Eitelwolf v. Stein, der auf Huttens Leben einen so tiefgreifenden Einfluss gehabt hat, ist lange Jahre hindurch der vornehmste Berater des jungen Kurfürsten gewesen, vor allem auch sein Gehilfe bei der Gründung der Universität Frankfurt a. d. O. Wie diese Universität, so gründete Joachim das Kammergericht, um dem römischen Recht, das mit dem Anwachsen der Warenproduktion und des Warenhandels wieder aufzuleben begann, eine sichere Grundlage zu geben.

Das Staatsideal des Humanismus war der von Gelehrten beratene Absolutismus. Joachim vertrat ihn in schroffer Form. Den Städten war er ein harter Herr, und soweit seine Macht reichte, war er es auch dem Adel. Die Sage, wonach er im Junkerblut gewatet sein und die Junker ihm drohende Verslein an seine Kammertür geschrieben haben sollen, hat bei alledem einen echten Kern. Er schlug einen sehr hohen Ton gegen die Stände an, und sie antworteten ihm immer sehr untertänig. Da er ein guter Finanzmann war – über seinen Geiz wie seine Habsucht war nur eine Stimme unter den Zeitgenossen so konnte er sich ziemlich unabhängig von dem Adel halten; er tadelte scharf dessen Schachermachei und hat sich gegen die Erweiterung der gutsherrlichen Vorrechte wenigstens nach Kräften gesträubt, wenn er auch nicht mächtig genug war, sie ganz zu verhindern; er verbot den Ständen die „Fantasey", ihm in seine auswärtige Politik dreinzureden.

Seinem Ideal eines „gewaltsamen" Regiments – wie man damals nannte, was man heute eine starke Regierung nennt – nahe zu kommen, wurde ihm durch seinen überaus eigenwilligen und übrigens nichts weniger als liebenswürdigen Charakter erleichtert. Er zählte noch nicht sechzehn Jahre, als er zur Herrschaft gelangte, wusste sich aber sofort der Vormundschaft zu entziehen, die nach Haus- und Reichsgesetzen seinem fränkischen Oheim zustand. Ebenso wusste er sich die Mitregentschaft seines um sechs Jahre jüngeren Bruders Albrecht vom Halse zu schaffen, indem er ihn für den geistlichen Stand bestimmte und dem jungen, kaum erst zum Priester geweihten Menschen im Jahre 1513 das Erzbistum Magdeburg und das Bistum Halberstadt, im Jahre darauf gar noch das Erzbistum Mainz verschaffte, dessen jeweiliger Inhaber Kurerzkanzler war und den Vorsitz im Kurfürstenrat führte. Diese Erfolge Joachims waren um so höher zu schätzen, als ihm bei der Wahl in Magdeburg wie in Mainz der Kaiser Maximilian in seinem eigenen Neffen einen Gegenkandidaten gestellt hatte.

Es war eine alte Sitte der deutschen Fürstenhäuser, ihre nachgeborenen Söhne in den behaglichen Nestern der kirchlichen Ämter unterzubringen, doch hatten die Hohenzollern seit anderthalb Jahrhunderten darauf verzichtet, seitdem in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts zwei Hohenzollern gleichzeitig die bischöflichen Stühle von Eichstätt und von Regensburg eingenommen hatten. Nun aber nahmen sie diese Politik um so nachdrücklicher auf, nicht nur in der Mark, sondern auch in Franken; noch ehe Joachim seinen Fischzug in Magdeburg und Mainz tat, hatte sein fränkischer Oheim einen zwanzigjährigen Sohn als Hochmeister des Deutschen Ordens untergebracht, der, seit seiner Niederlage bei Tannenberg arg bedrängt von Polen, doch immer noch die heutige Provinz Ostpreußen besaß; es erleichterte die Wahl dieses Jünglings, dass er ein Schwestersohn des polnischen Königs war.

So erhöhte sich der Glanz und die Macht des Hohenzollernhauses, wie es einer seiner Historiker preislich schildert: „Jetzt war der Besitz der Hohenzollern an Kirchengut ihrem weltlichen Erbe in der Mark und in Franken ungefähr gleich: das Ordensgebiet zwischen Memel und Weichsel, die magdeburgischen Stiftslande an beiden Ufern der Elbe und der Saale, das ostfälische Bistum Halberstadt in dem reichen nördlichen und östlichen Vorland des Harzes und die gesegneten Gaue des goldenen Mainz in Thüringen, auf dem Eichsfeld und auf beiden Ufern des mittleren Rheins und des unteren Mains. Und keinem deutschen Fürstenhaus vordem war es beschieden gewesen, in der Hand eines seiner Söhne zwei Erzbistümer, in den Händen zweier Brüder zwei Kurfürstentümer vereinigt zu sehen." Nur dass nicht alles Gold zu sein braucht, was glänzt.

Zunächst wurde die hohenzollernsche Macht dadurch wesentlich geschwächt, dass sie nicht im Dienste einer einheitlichen Politik stand. Schon die kirchlichen Fragen trennten die Höfe von Berlin, Mainz und Königsberg. Joachim war der starrste Anhänger des Papsttums unter den deutschen Fürsten, nicht aus katholisch frommer Gesinnung, worin er dem Kurfürsten Friedrich von Sachsen, dem Beschützer Luthers, weit nachstand, und auch nicht eigentlich, weil er, wie so viele Humanisten, in der Losreißung von Rom eine Gefährdung der Kulturinteressen sah, sondern weil er als Autokrat in der Reformation die revolutionäre Volksbewegung hasste, was sie, wenigstens in ihren Anfängen, ja auch tatsächlich war.

Ganz anders als der weltliche Hof von Berlin stellten sich die geistlichen Höfe von Mainz und von Königsberg zum Papsttum. Der Mainzer Erzbischof hatte von Rom zwar außer seinen Bistümern den Kardinalspurpur erhalten, aber er war auch damit noch nicht zufrieden und beanspruchte, für seine Lebenszeit päpstlicher Legat für Deutschland, das heißt so etwas wie deutscher Papst zu werden, worauf die Kurie natürlich nicht eingehen konnte, da sie damit das Gebiet ihrer ergiebigsten Ausbeutung preisgegeben hätte. Danach trug der enttäuschte Kardinal „auf zwei Achseln"; er nahm so erbitterte Gegner des Papsttums wie Hutten in seine Dienste und brach selbst mit Luther nicht völlig; er spielte mit dem Gedanken, die protestantische Religion anzunehmen und seine Bistümer als weltlichen Besitz in die Tasche zu stecken. Was er schließlich doch nicht auszuführen versuchte oder wagte, das führte sein fränkischer Vetter in Königsberg wirklich aus; er trat zum Luthertum über, machte den Ordensstaat zum Herzogtum und sicherte den Raub an der Kirche durch Verrat am Reich, indem er sich unter die Lehnsherrlichkeit der Krone Polen stellte.

Entscheidender noch als die innere Zerrissenheit des Hauses Hohenzollern war der gewaltige Aufschwung, den im Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts das Haus Habsburg nahm. Es gewann nicht nur burgundische, italienische und spanische Besitzungen, sondern ihm fielen namentlich die Kronen Böhmens und Ungarns samt Schlesien zu. Damit waren alle anderen deutschen Fürstentümer weit in den Hintergrund gedrängt; der Angelpunkt der europäischen Politik wurde für die nächsten Jahrhunderte der Kampf zwischen den Häusern Habsburg und Valois.

Der Kurfürst Joachim fasste seinen Entschluss, sobald er diese Lage der Dinge erkannte, und beschritt zuerst die Bahn, die der Kurfürst Friedrich Wilhelm und der König Friedrich nach ihm beschreiten sollten: er suchte den Anschluss an Frankreich, um Österreich niederzuzwingen. Er war freilich nicht der einzige deutsche Kurfürst, der bei der Kaiserwahl von 1519, als der französische König dem Enkel des Kaisers Maximilian die deutsche Kaiserkrone streitig machte, für den Franzosen wühlte, und er hat auch diesem Kandidaten nicht unverbrüchliche Treue gehalten, sondern zwischenhinein mit den Unterhändlern des Habsburgers um seine Stimme geschachert, aber im entscheidenden Augenblick so hartnäckig an dem Valois festgehalten, dass ihn die Bevölkerung der Wahlstadt Frankfurt a. M. in Stücke zu reißen drohte. Für die Einzelheiten muss ich auf meine früheren Artikel über die Anfänge des preußischen Staates verweisen und will nur einen Irrtum berichtigen, der mir dabei unterlaufen ist; in der notariellen Urkunde, die der Kurfürst aufsetzen ließ, nachdem er endlich für den Habsburger gestimmt hatte, hat er nicht „in ohnmächtiger Wut über seine Niederlage" bestätigt, dass er „diese Wahl aus rechter Furcht tue und nicht aus rechtem Wissen", sondern sich vielmehr in ohnmächtiger Heuchelei gegen diese Annahme verwahrt, was im Wesen der Sache auf dasselbe hinauslief. Alle Welt wusste, dass dem Kurfürsten sein Spiel aus der Hand geschlagen worden war, ob er es nun gestand oder bestritt, und am wenigsten wurde der neue Kaiser dadurch getäuscht, der erst neunzehnjährige Karl V.

Er ließ den Kurfürsten in empfindlichster Weise spüren, wer nunmehr Herr im Hause sei; als Joachim 1521 auf dem Reichstag von Worms dienstbeflissen die Achtserklärung gegen Luther betrieben hatte, dankte ihm der Kaiser damit, dass er drei Tage darauf dem Kurfürsten die Lehnsherrlichkeit über Pommern nahm. Dagegen protestierte Joachim noch in einem „hitzigen" Schreiben und versuchte neue Mogeleien mit dem französischen König, aber dessen völlige Niederlage in der Schlacht von Pavia und der gleichzeitige Bauernkrieg von 1525, der Joachims Hass gegen die Reformation ins Ungemessene steigerte, machten aus ihm einen ebenso ergebenen wie würdelosen Diener des Hauses Habsburg. Er leitete nun jene Periode brandenburgischer Geschichte ein, auf die allerdings das von Marx geprägte und sonst nicht unanfechtbare Wort zutrifft, dass sich die preußische Geschichte zur österreichischen verhalte wie eine „schmutzige Familienchronik" zu einem „diabolischen Epos"1; selbst Droysen gesteht, dass von nun an die Politik Joachims, um nicht zu sagen sein Charakter, unter das Gewöhnliche gesunken sei.

Auf dem Augsburger Reichstag von 1530 tobte er so unbändig gegen die protestantischen Fürsten, dass der Kaiser diesen übertriebenen Diensteifer verleugnen musste. Erst als er im Jahre darauf die Wahl eines bayerischen Prinzen zum römischen König, das heißt zum Nachfolger des Kaisers verhinderte und die Wahl auf dessen Bruder Ferdinand ablenkte, also die Kaiserkrone im Stamme der Habsburger vererben half, durfte Joachim aufatmend gestehen: „Ich habe gottlob einen gnädigen Kaiser und König." Er meldete seinem ältesten Sohne, dass die Wahl ihm „eine redliche Summe Geldes, auch jährliche Pension" und „viel nützliche Verbesserung unserer Privilegia" gebracht habe. Freilich, das Versprechen einer reichen Partie für seinen zweiten Sohn hielt ihm der Kaiser auch jetzt nicht, und ebenso blieb ihm die Lehnshoheit über Pommern verloren; er musste sich mit dem brandenburgischen Nachfolgerecht begnügen für den Fall, dass die pommerschen Herzöge ausstürben.

In seinem Testament verleugnete Joachim selbst seine besseren Anfänge. Er schädigte schwer das Ansehen und die Macht seines Fürstentums, indem er die Mark zwischen seinen beiden Söhnen teilte; der ältere, Joachim, erhielt die eigentliche Kurmark mit der Kurwürde, der zweite, Johann, die Neumark, etwa den dritten Teil des ganzen Erbes. Beide Söhne mussten ihm „an eines rechten geschworenen Eides Statt" versprechen, der katholischen Kirche treu zu bleiben.

VII

Sie dachten nicht daran, ihr Versprechen zu halten. Der jüngere wechselte sofort den Glauben, als der Vater die Augen geschlossen hatte, der ältere wenige Jahre später. In den schweren Krisen, die nunmehr über den Protestantismus hereinbrachen, sind beide nicht seine Retter geworden, wohl aber seine Kassierer.

Johann (1535-1571) war ein echter Typus des Reformationszeitalters. Ein aufrichtiger Protestant, der in den gefährlichsten Lagen, dem zürnenden Kaiser ins Angesicht, seinen Glauben bekannte, aber tief durchdrungen von der Überzeugung, dass er nur in geistlichen Dingen Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen. Er nahm der alten Kirche die irdischen Güter, aber in seinen Händen wurden sie nicht den Motten und dem Rost zum Raube. Er machte die vorteilhaftesten Geldgeschäfte mit Kaisern und Königen und nicht zuletzt mit dem eigenen Bruder, mit polnischen Woiwoden und im geheimen auch, weil es nicht für standesgemäß galt, mit einzelnen Kaufleuten. Er war kein großer Feldherr, aber dem neuen Kriegswesen der Zeit vermochte er sofort seine lukrative Seite abzusehen; er gehörte zu den ersten jener großen Kondottieri, die Truppen warben, um sie gegen teures Geld an kriegführende Mächte zu vermieten; nicht weniger als 3500 Mann zu Ross und 4000 Mann zu Fuß meinte er in seinem kleinen Lande aufbringen zu können.

Er gehörte zu dem Schmalkaldischen Bunde, der politischen Organisation der protestantischen Fürsten, jedoch als dieser Bund mit dem Kaiser in die Haare geriet, trug er kein Bedenken, für das kaiserliche Heer gegen schweres Geld 300 Speerreiter und 400 Arkebusiere zu werben. Allein als der Kaiser in der Schlacht bei Mühlberg gesiegt hatte und auf dem „geharnischten" Reichstag in Augsburg strenges Gericht über die protestantischen Fürsten hielt, war Johann von Küstrin nahezu der einzige dieser Fürsten, der sich trotz aller kaiserlichen Drohungen weigerte, an der Fronleichnamsprozession teilzunehmen.

Als vorsichtiger Mann hielt er sich zurück, als Moritz von Sachsen mit französischer Hilfe seine Schilderhebung gegen den siegreichen Kaiser unternahm. Wenn sie gelang, so fielen ihre Früchte auch ihm in den Schoß, und er konnte daneben ein gutes Geschäft machen, indem er dem geschlagenen Kaiser wieder auf die Beine half. In der Tat hat er ihm 2000 Reiter für die Belagerung von Metz gestellt und ist vom Kaiser zum Rat mit 5000 Talern Jahresgehalt ernannt worden. Diese Würde hat er auch unter Karls Nachfolgern erhalten, ja zuletzt noch vom spanischen König Philipp II., dank der Fürsprache des Herzogs von Alba, des fanatischen Protestantenverfolgers, mit dem dieser fanatische Protestant in der Schlacht bei Mühlberg sich angefreundet hatte. Kein Wunder, dass ein so umsichtiger Geschäftsmann mehr als eine halbe Million Taler hinterließ, während sein älterer Bruder bei seinem gleichzeitigen, nur um zehn Tage früheren Tode eine Schuldenlast im fünffachen Umfang hinterlassen hatte, wohlgemerkt, nachdem im Laufe seiner Regierung schon fünf Millionen Taler landesherrlicher Schulden von den Ständen gedeckt worden waren.

Dieser zweite Joachim entbehrte ganz und gar der geschäftlichen Anlagen seines Vaters wie seines Bruders und war weder ein so eifriger Katholik wie jener noch ein so eifriger Protestant wie dieser. Er vertrat eine „mittlere Richtung" und brachte das immerhin schwierige Kunststück fertig, seinen Übertritt zur neuen Religion durch eine Kirchenordnung zu vollziehen, die sowohl den Beifall Kaiser Karls wie Luthers fand. Was ihn zum Protestantismus zog, war die Einheimsung der Kirchengüter, die den Umfang seiner Domänen fast verdoppelten, wenn auch nur, um alsbald wieder im Rauchfang zu verschwinden, da seine Gläubiger sofort die Hand auf sie legten. Ferner konnte er auch nur als Protestant die Mitbelehnung für das nunmehrige weltliche Herzogtum Preußen erreichen, wobei er dann freilich wieder alle mögliche Rücksicht auf den Lehnsherrn, den katholischen König von Polen, nehmen musste, der sein Schwiegervater war. Endlich war die „mittlere Richtung" am geeignetsten, im Wettbewerb um das Erzbistum Magdeburg dem schroff lutherischen Kurhause von Sachsen den Rang abzulaufen, wie denn in der Tat meistens hohenzollernsche Kandidaten auf den erzbischöflichen Stuhl gelangten, so dass Magdeburg bald als eine Art geistlicher Sekundogarnitur der Mark galt.

Dazu kam die ergebene Anhänglichkeit an den Kaiser, die Joachim von seinem alternden Vater übernommen hatte. In dem Kampfe des Kaisers gegen seine protestantischen Mitfürsten hielt er sich auf kaiserlicher Seite, wenn auch in etwas anderer Weise als sein Bruder. Zur Schlacht von Mühlberg sandte er dem Kaiser nur mehr unter der Hand ein Fähnlein von 300 Reitern, aber umso nachdrücklicher unterstützte er auf dem „geharnischten" Reichstag die Restauration des Katholizismus. Das berufene Interim, das sein Bruder hartnäckig ablehnte, war von Joachims Hofprediger mit zurecht gebraut worden. Im großen und ganzen sank das Ansehen der Mark unter dem zweiten Joachim noch tiefer, als es schon unter dem ersten gesunken war, zumal als dieser Kurfürst, eben um seiner „mittleren Richtung" willen, 1542 zum Oberbefehlshaber eines gegen die Türken entsandten Reichsheeres ernannt worden war und sich von diesen Ungläubigen eine schmähliche Niederlage geholt hatte.

Schmählicher noch und vor allem entscheidender war seine gänzliche Niederlage auf dem Gebiet der inneren Politik. Will man ihn als einen Typus des Reformationszeitalters auffassen, so war er ein klassischer Vertreter jener „verkommenen Generation", als welche selbst Männer wie Treitschke und Gustav Freytag die deutschen Fürsten des sechzehnten Jahrhunderts angesprochen haben. Er war ein arger Verschwender und Wüstling; schon nach fünf Jahren seiner Regierung musste er im Jahre 1540 die Stände um die Deckung einer landesherrlichen Schuld von 600.000 Talern angehen und sich von ihnen in einem Tone abkanzeln lassen, den sie sich gegen seinen Vater niemals erlaubt hatten.

Es führt irre, wenn der preußische Historiker Koser sagt, das altväterliche Einvernehmen zwischen Kurfürst und Ständen hätten derartige Auseinandersetzungen doch nicht eigentlich gestört, denn nach langen Debatten und dem üblichen Gezeter hätte die Landschaft, in diesem ersten wie in allen späteren Fällen, schließlich doch immer rettende Beihilfen gewährt. Koser selbst muss schon zugeben, dass die Stände sich ihre Freigebigkeit reichlich hatten bezahlen lassen. „Joachim II. hat in seinen Reversen der kurmärkischen Ritterschaft für die Ausbildung ihrer Gutsherrlichkeit über die Bauern so viel bewilligt, dass seinen Nachfolgern nichts mehr hinzuzufügen blieb." Aber dabei ließen es die Stände keineswegs bewenden.

Um den „Strick in der Hand" zu behalten, behielten sie sich die Verwaltung der neuen Auflagen vor, die sie bewilligten; durch ihr „ständisches Kreditwerk" machten sie den Landesherrn finanziell dauernd von sich abhängig. Dann aber musste er im Jahre 1540 noch folgenden Revers unterschreiben: „Wir wollen keine wichtige Sache, daran der Lande Gedeihen oder Verderb gelegen, ohne unserer Gemeinen Landstände Vorwissen und Rat beschließen. Wir wollen uns in kein Verbündnis, wozu unsere Untertanen oder Landsassen sollten oder müssten gebraucht werden, ohne Rat oder Bewilligung gemeiner Landräte begeben." Wie in der inneren war der Kurfürst damit auch in der äußeren Politik lahmgelegt, in der sich sein Vater immer noch freie Hand behalten hatte.

Wirksamer noch als durch dies Blatt Papier sicherten die Stände die Ohnmacht des Landesherrn durch die gänzliche Entwaffnung des Landes. Seitdem der „gemeine Mann von Adel" den Ackerbau als Gewerbe trieb, vergaß er seiner militärischen Dienstpflicht; statt der 4000 Ritter, die im fünfzehnten Jahrhundert noch aufsaßen, kamen im sechzehnten nur noch 600; statt der vollen Lanze, dem Ritter mit zwei oder drei Knappen, einem Schützen, kamen „Einspänner"; endlich schickte der Vasall gar, statt selbst zu erscheinen, „einen Kutscher, Vogt, Fischer oder dergleichen schlimm und unversucht Lumpengesindel", wie es in einem kurfürstlichen Erlass von 1610 heißt. Aus demselben Jahre und derselben Quelle stammt ein Gutachten, worin es heißt, dass man den Bauern keine Waffen in die Hand geben dürfe, die sie benutzen würden, sich aus der Dienstbarkeit zu befreien, und eine Beschwerdeschrift Berliner Spießbürger, die man wenigstens zum Wachtdienst hatte eindrillen wollen, sie hätten den Tod davon gehabt, und das Schießen erschrecke gar zu sehr die schwangeren Weiber.

Die eigentliche Waffe der Zeit waren nun freilich die geworbenen Landsknechte, und was damit zu erreichen war, zeigte der Markgraf Johann von Küstrin. Aber dazu gehörte Geld, viel Geld, das zwar in den Händen eines geriebenen Kondottiere Wucherzinsen trug, aber zunächst doch einmal da sein musste; 100 Fußknechte kosteten im Jahre fast 5000, 100 Reiter 12.000 Gulden, Geschütz und dessen Bedienung ungerechnet. Der Kurfürst Joachim hatte jedoch nur Schulden, und die Stände bewilligten ihm nicht einen Pfennig, um Truppen zu werben; sie haben die Mark von 1540, wo sie den Strick in die Hand bekamen, bis zum Jahre 1648, wo eine neue Entwicklung einsetzte, in einem waffen- und wehrlosen Zustand erhalten, wie er niemals vorher oder nachher bestanden hat.

Es war ein Jahrhundert träger und wüster Anarchie, in die auch die Neumark gerissen wurde, die nach dem Tode des ohne männliche Erben verstorbenen Markgrafen Johann an die Kurmark zurückgefallen war. Auch nur die Namen der Kurfürsten zu nennen, die in diesem Jahrhundert regiert haben, würde nicht der Mühe lohnen; dagegen ist es nicht ohne Interesse, den roten Faden der preußischen Geschichte in dieser Periode unumschränkter Adelsherrschaft nachzuweisen.

VIII

Bekanntlich hat der schwedische Kanzler Oxenstierna zu seinem Sohne gesagt: Du ahnst nicht, mit wie wenig Weisheit die Welt regiert wird, und die Geschichte des märkischen Adels zeigt in der Tat, dass es ein entschlossener Wille in den rauen Klassenkämpfen dieser unvollkommenen Welt viel weiter zu bringen vermag als die tiefgründigste Weisheit. Aber ein gewisses Maß von Weisheit gehört schließlich doch zur Ausübung jeder Klassenherrschaft, und dieses Maß, bescheiden wie es sein mochte, hat der märkische oder der ostelbische Adel überhaupt niemals aus eigener Kraft aufzubringen vermocht.

Bei ihrer gänzlichen Rohheit und Unbildung hatten sich die ersten Hohenzollern damit beholfen, ihre Kanzler und Räte aus ihren fränkischen Fürstentümern zu beziehen. Aber seitdem sich diese von der Mark getrennt hatten, war die Not groß. Der erste Joachim hat noch eine Reihe fränkischer Adliger zu seinen Beratern gehabt, allein daneben schon hessische oder schwäbische Junker oder auch bürgerliche Gelehrte aus Sachsen und Schlesien. Das Aufkommen des römischen Rechts gab jetzt den Juristen eine ähnliche Stellung im Rate der Fürsten, wie sie bis dahin die Geistlichen behauptet hatten. Jedenfalls klagte der erste Joachim, er müsse sich des Rates von Leuten bedienen, die er außer Landes herhole, zu seinem und des Landes nicht geringem Schaden. Durch die Gründung der Universität Frankfurt und mancherlei Bemühungen um die bessere Bildung der Geistlichkeit hat er sich nach Kräften bemüht, dem Übel zu steuern, aber ohne besondere Erfolge. Für den märkischen Adel blieb es bei dem, was der Kurfürst in seinem Ausschreiben zur Gründung seiner Universität gesagt hatte, dass nämlich in der Mark ein gebildeter Mann so selten sei wie ein weißer Rabe.

Nach der Schilderung des Humanisten Tritheim, dem die Zustände seiner pfälzischen Heimat einen Maßstab an die Hand gaben, war die Mark in der Kultur außerordentlich zurück: Sie war arm an Menschen, aus Mangel an fleißigen Arbeitern blieben weite Strecken des Landes unbebaut, der rohe Adel kannte nur Trinken und Müßiggang, die Geistlichkeit war so ungebildet wie zahlreich. So der eine Humanist im Jahre 1505; ein anderer, kein Geringerer als Melanchthon, schrieb noch ein Menschenalter später, im Jahre 1539 nach einem Besuch in der Mark, Pfaffen gebe es eine ganze Menge, aber er habe nie dümmere und schlechtere, nie so ungebildete, rohe, anmaßliche, widerwärtige Menschen gesehen. Und noch ein paar Jahre später heißt es in einem Schreiben, das etwa fünfzig märkische Edelleute, „unser viele vom armen unverständigen Adel", unterzeichnet haben, sie bäten um Vergebung, dass sie es plattdeutsch abgefasst hätten; sie hätten gern hochdeutsch geschrieben, aber sie könnten es nicht.

So konnte selbst das bescheidenste Maß von Regierungsgeschäften nicht erledigt werden ohne die Hilfe ausländischen Adels oder auch bürgerlicher, sei es ausländischer oder einheimischer Gelehrter. Das ist so geblieben bis ins neunzehnte Jahrhundert und gehört zum roten Faden der preußischen Geschichte. Insoweit freilich ist er mit dem Katzengold der Legende umsponnen worden, als schon früh das Schlagwort auftauchte, der preußische Staat verdanke sein Emporkommen der Weisheit seiner Regenten, die immer mehr „auf die Federn als auf die Ahnen" gesehen hätten, und wie oft ist die unwiderstehliche Anziehungskraft dieses Staates dadurch zu beweisen gesucht worden, dass er mit der Kraft eines Magnets die Talente des deutschen „Auslandes" an sich gezogen habe.

In Wirklichkeit hat sich kein Kalb je so gegen die Schlachtbank gesträubt wie der märkische Adel gegen die „Butenländer". In ebenjener Eingabe des „armen unverständigen Adels" heißt es, ins Hochdeutsche übersetzt, man müsse das Übel da steuern, wo es herkomme, „und jedermann wisse ja, wer die Vögel seien. Wir müssen die bösen Räte abtun und mit unseren eigenen Ochsen pflügen"; namentlich „keinen Meißner" dürfe man zu Rate im Lande leiden. Damit war auf Eustachius v. Schlieben angespielt, einen meißnischen Edelmann, der lange Jahre hindurch der hauptsächlichste Berater des zweiten Joachim war, neben dem Kanzler Lampert Distelmeyer, dem Sohne eines Leipziger Schneiders.

In der Stellung des märkischen Adels zu diesen beiden Ministern tritt recht sichtbar der rote Faden hervor, der sich bis in unsere Tage fortgesponnen hat, wo wir es ja alle erlebt haben, dass „Onkel Chlodwig" den Junkern ein Stein des Anstoßes, Herr Miquel dagegen Hahn in ihrem Korbe war. So verfolgte der märkische Adel den Schlieben mit den bittersten Stachelreden, während er den Distelmeyer ins Herz geschlossen hatte. Distelmeyer hat sogar fertiggebracht, woran selbst Bismarck gescheitert ist: Er hat seine Kanzlerschaft seinem Sohne Christian vererbt.

Die Sache erklärt sich so, dass der ostelbische Adel in den adligen „Butenländern" stets nur Konkurrenten, und zwar überlegene Konkurrenten um seinen Einfluss und seine Einkünfte erblickt und sie sich demgemäß nach Möglichkeit vom Leibe gehalten hat, während ihm die bürgerlichen Gelehrten und Politiker, die zur Erledigung der Regierungsgeschäfte notwendig waren, stets nur als Handlanger und Werkzeuge seines eigenen Willens galten und in der Tat auch nicht mehr waren. Gerade die fähigsten dieser Leute, die Distelmeyer im sechzehnten und die Miquel im neunzehnten Jahrhundert, erkannten am ehesten, wo in diesem Staate Bartel den Most holte, und ihnen lag mehr an der Gunst der Junker als an der Gunst der Landesherren. Sie hatten nichts hinter sich, was der Adel zu fürchten brauchte, und am wenigsten waren sie Vorkämpfer einer Klasse, was die stillschweigende Voraussetzung jenes Geredes von der bürgerlichen Entwicklung des brandenburgisch-preußischen Staates ist.

Die märkischen Städte verkamen im Laufe des sechzehnten Jahrhunderts mehr und mehr. Zum Teil war das der Unterdrückungspolitik der Kurfürsten und des Adels geschuldet, zum Teil aber auch ökonomischen Gründen, worüber Herr Hintze bemerkt: „Im Süden und Westen wurde die Mark Brandenburg von den großen Handelswegen umgangen, auf der hohen Straße über Leipzig und auf der Elbe über Magdeburg und Hamburg, während der Oderverkehr durch den Streit zwischen Stettin und Frankfurt gehemmt war." Die Berliner Geschlechter, die die Gewalttat von 1448 überstanden hatten, waren hundert Jahre später ausgestorben oder verfielen, wie die Blankenfelde und Ryke, hoffnungsloser Armut.

Überhaupt verschwand das städtische Patriziat, das sich auf Grundbesitz und Handel gegründet hatte; an seine Stelle trat ein kleines Bürgertum, das, ohne starkes Selbstbewusstsein, seinen höchsten Ehrgeiz darin sah, seinen fähigen Söhnen die Beamtenlaufbahn zu eröffnen. Der Geheime Rat, der 1604 als oberste Behörde gegründet wurde, bestand ziemlich zur Hälfte aus bürgerlichen Mitgliedern, und wenn die Stände gegen den obersten Berater des damaligen Kurfürsten, einen böhmischen Grafen Schlick, protestiert hatten als gegen „unbekannte, fremde, auswärtige und solche Leute, welche der Herrschaft wenig nutz, sondern dem Lande und dessen Einwohnern nur beschwerlich und schädlich sind", so haben sie sich mit einem Doktor Pruckmann, der nach Schlick ans Ruder kam, einem Frankfurter Bürgerkind, über zwei Jahrzehnte vertragen.

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