Dritter Abschnitt

DRITTER ABSCHNITT

Die Französische Revolution und ihre Folgen

1. Die Französische Revolution

Die große französische Revolution, die im Jahre 1789 ausbrach, machte durch ihre europäischen Wirkungen das im feudalen Sumpfe verkommene Deutschland wieder lebensfähig im historischen Sinne des Wortes.

In dieser Revolution streiften die kämpfenden Klassen und Parteien zuerst jede religiöse Verkleidung ab und rangen miteinander in rein weltlichen Formen, unter offener Verkündigung ihrer rein weltlichen Zwecke. Dadurch trat das Christentum als weltgeschichtliche Erscheinung in sein letztes Stadium. Unfähig geworden, irgendeiner historisch fortschreitenden Klasse als ideologisches Feldzeichen zu dienen, wurde es mehr und mehr Alleinbesitz der herrschenden Klassen. Sie benutzten es von nun an als bloßes Herrschaftsmittel, wobei es durchaus keinen Unterschied macht, ob sie selbst an die Religion glauben, die sie dem Volke erhalten wissen wollen, oder nicht.

In Frankreich hatte sich die absolute Monarchie in der Zeit von 1648 bis 1789, zur selben Zeit, wo sie in Deutschland nur ein abschreckendes Zerrbild darbot, zur höchsten Form entwickelt, die sie historisch überhaupt erreicht hat. In ihr erschien die Staatsgewalt nicht unmittelbar als Werkzeug der Klassenherrschaft, sondern führte scheinbar ein selbständiges Dasein über den ökonomischen Klassen und politischen Parteien, von denen keine stark genug war, die Herrschaft an sich zu reißen. Die absolute Monarchie hielt jede der bestehenden Klassen durch die andere in Schach, gebot ihnen allen Waffenstillstand, machte sie sich alle dienstbar.

Dennoch war ihre Unabhängigkeit nur scheinbar. Indem sie die feudalen Klassen gegen die modernen und die modernen Klassen gegen die feudalen ausspielte, blieb sie auf die einen wie auf die anderen angewiesen. Sie durfte keine zu mächtig werden lassen, aber ebendeshalb auch keine zu völliger Ohnmacht verurteilen. Sie musste Ackerbau, Handel, Industrie, genug alle kapitalistischen Produktionskräfte fördern, schon um ihren Behördenapparat und ihr stehendes Heer zu unterhalten, aber sie durfte auch nicht mit den feudalen Ständen brechen, die sie als Gegengewicht gegen die Bourgeoisie brauchte, und namentlich deshalb auch nicht, weil der absolute Monarch der größte Grundbesitzer des Landes zu sein pflegte, somit gemeinsame Interessen mit den anderen Großgrundbesitzern hatte, mit dem Adel und mit der Geistlichkeit.

So wohnten gewissermaßen zwei Seelen in der Brust der absoluten Monarchie, eine aufgeklärte, eine bürgerliche, die sich angelegen sein ließ, die kapitalistischen Produktionskräfte nach Möglichkeit zu entwickeln, und eine feudale, eine mittelalterliche, die nur darauf bedacht war, der Nation möglichst viel auszupressen, um die Beute im Interesse der feudalen Gesellschaftsklassen zu verzehren. Auf die Dauer vertrugen sich diese beiden Seelen aber nicht miteinander; die absolute Monarchie konnte den Adel nicht befriedigen, ohne die Bourgeoisie zu verletzen und umgekehrt, je mehr sich mit der fortschreitenden historischen Entwicklung das Gleichgewicht zwischen Adel und Bourgeoisie zuungunsten des Adels und zugunsten der Bourgeoisie änderte, um so mehr musste die absolute Monarchie ins Wanken geraten, denn gerade auf diesem Gleichgewichte der herrschenden Klassen beruhte sie.

Völlig unerträglich wurde die absolute Monarchie den beherrschten Klassen. Die ländlichen wie die städtischen Arbeiter lebten unter dem französischen Absolutismus, und zwar schon in dessen Glanzzeit, im fürchterlichsten Elend. Nach der bürgerlichen Geschichtsschreibung soll die absolute Monarchie aus dem Schutze erwachsen sein, den sie den Schwachen gegen die Starken gewährte. Darunter wird aber nichts anderes verstanden als die Eingriffe der absoluten Monarchie in die ökonomischen Zustände. Eingriffe, die dazu bestimmt waren, den sogenannten Nationalreichtum, das heißt die Warenproduktion, zu fördern. Diese Eingriffe kamen nicht den arbeitenden Klassen zugute, sondern der kapitalistischen Produktionsweise, teils direkt durch Monopole, Schutzzölle, finanzielle Unterstützungen, teils indirekt durch Aufhebung oder Milderung der Leibeigenschaft, durch Verbesserung der Schulen und ähnliches. Um die arbeitenden Klassen als solche hat sich der Absolutismus nie gekümmert; soweit er scheinbar ein gewisses Interesse für sie zeigte, kam es ihm nicht darauf an, Sklaven zu Menschen zu machen, sondern vielmehr feudalistische in kapitalistische Ausbeutungsobjekte zu verwandeln.

Lebenslang zum Hungern verurteilt, lernten die Bauern bald die Hände gänzlich in den Schoß legen; immer größere Ackerstrecken blieben wüst liegen; bereits 1750 wurde ein Viertel des pflugfähigen Bodens nicht mehr angebaut. In ebenso entwürdigenden Verhältnissen lebten die städtischen Arbeiter. Gewerbe und Handel lagen durch das ganze Reich hin in den Banden des strengsten Zunftzwanges; nach und nach waren selbst die geringfügigsten Erwerbszweige zu zünftigen Handwerken umgestempelt worden. Die Monopolisierung des Handwerks machte es unzähligen Gesellen unmöglich, je zur Meisterschaft zu gelangen; sie durchzogen ganz Frankreich, ohne einen Ort zu finden, wo es ihnen gestattet gewesen wäre, sich niederzulassen, bis sie endlich in ihre Heimat zurückkehrten, um heimlich und verstohlen, gehetzt und verfolgt von der Polizei, ihrer Hände Arbeit zu verrichten. Man musste sich schließlich damit abfinden, diese ungerechte und unsinnige Organisation der nationalen Arbeit beständig durchlöchert zu sehen, und man fand sich in sehr bezeichnender Weise damit ab. So wie es für Schuldner und selbst für Verbrecher Asyle gab, in denen die Herrschaft der Gesetze aufhörte, so gefiel man sich darin, Asyle für die heimat- und rechtlose Arbeit zu schaffen. In Paris gab es zwei solcher Zufluchtsstätten, den Bezirk des Temple und die Vorstadt St. Antoine. Namentlich in dieser Vorstadt hatten sich bis zum Ausbruche der Revolution 70.000 Arbeiter niedergelassen; jede Ecke und jeder Winkel war hier übersät von Ausgeschlossenen, die auf dem offiziellen Boden der Gesellschaft keinen Raum mehr finden konnten. Die Vorstadt St. Antoine wurde der eigentliche Herd der Revolution; aus ihrem Schoß strömten die Stürmer der Bastille, und sie war der Wall, an dem die Stöße der Gegenrevolution sich brachen.

Wenn solche Zustände der ländlichen und der städtischen Arbeiter hinlänglich den Absolutismus in seiner angeblich landesväterlichen Fürsorge kennzeichnen, so zeigen sie auch, weshalb die Bourgeoisie immer weniger ihre Rechnung bei dieser Staatsform finden konnte. Der wachsende Verfall des Ackerbaus hinderte die Entwicklung des sogenannten Nationalreichtums, dessen stetes Wachstum eine Lebensfrage der Bourgeoisie war, und die noch immer steigende Verknöcherung der Zunftverfassung hemmte sie an der freien Verfügung über die Arbeitskräfte, aus denen sie ihren Mehrwert schöpfen konnte. Während sie so gehindert wurde, ihre Produktivkräfte zu entfalten, steigerte die absolute Monarchie ihre Ansprüche an den Geldbeutel der Bourgeoisie in beispiellosem und für die damaligen Verhältnisse unerhörtem Maße. Die französischen Könige verstanden je länger je weniger die bürgerliche Seite der absoluten Monarchie zu erkennen; sie ließen sich ganz und gar von den feudalen Ständen, dem Adel und der Geistlichkeit, einfangen und trieben eine höfische Verschwendung, die den französischen Staat bis an den Rand des Bankrotts brachte.

Um diesem Bankrott zu entgehen, war das Königtum gezwungen, im Frühjahr 1789 die Generalstände einzuberufen, Vertreter des Adels, der Geistlichkeit und der Bourgeoisie. Aber in ihnen hatte die Bourgeoisie bereits ein solches Übergewicht, dass sie die feudal-ständische Körperschaft sehr bald in eine bürgerliche Nationalversammlung zu verwandeln verstand, wobei ihr freilich Spaltungen innerhalb des Adels und der Geistlichkeit trefflich zustatten kamen. Es ist ja eine alte Erfahrung, dass reaktionäre Klassen und Parteien, je mehr sie innerlich verfallen, sich um so mehr äußerlich zerklüften, wodurch den revolutionären Parteien ihr Vormarsch regelmäßig erleichtert wird. Die Nationalversammlung räumte in der Nacht vom 4. auf den 5. August 1789 mit allem feudalen und zünftlerischen Moder auf, mit der Leibeigenschaft, den Herrengerichten, den Zehnten, den Stolgebühren1, der Käuflichkeit der Ämter usw.

Diese Nacht ist in der Geschichte berühmt, und insoweit verdient sie diesen Ruhm auch, als sie binnen weniger Stunden einen Schutt beseitigte, dessen Wegräumung in Deutschland nicht weniger als sechzig Jahre beansprucht hat. Dagegen ist es unrichtig, von dem „Opfermut" zu sprechen, den die bevorrechteten Stände in der Nacht des 4. August bekundet haben sollen. Sie gaben nur preis, was Hunderte von Bauernaufständen, die im Sommer 1789 durch das Land tobten, gänzlich zertrümmert hatten, und sie taten es nur, um sich wenigstens einen Anspruch auf Entschädigung zu retten.

Freilich reichten die Bauern allein nicht aus, der Bourgeoisie den Sieg zu sichern; sie waren zu zerstreut, zu wenig organisiert, zu weit von Paris entfernt, wo die politischen Bewegungen sich konzentrierten, um bei plötzlichen Entscheidungen eingreifen zu können. Die Hauptlager der Revolution wurden so die Pariser Vorstädte, hier waren die rücksichtslosesten und tatkräftigsten Elemente des Landes, die nichts mehr zu verlieren, aber alles zu gewinnen hatten, dicht zusammengedrängt: Kleinbürger und Arbeiter und auch ein Lumpenproletariat, das noch urwüchsige Kraft genug besaß, um sich mit Begeisterung in den Strom der Revolution zu stürzen.

Man hat in tendenziöser Absicht diese revolutionäre Masse mit der heutigen Sozialdemokratie verglichen. Das ist an und für sich ein völliger Unsinn, denn einer proletarischen Arbeiterbewegung im modernen Sinne des Wortes fehlten dazumal alle Vorbedingungen. Aber zu schämen braucht sich die Sozialdemokratie dieses Vergleiches nicht; wenn die Sansculotten, wie sie nach ihrer proletarischen Tracht, oder die Jakobiner, wie sie nach ihrer mächtigsten Organisation genannt waren, auch keine modernen Sozialisten waren, so waren sie doch echte Revolutionäre.

Sie vernichteten alle konterrevolutionären Anschläge des Hofes wie der feudalen Stände, und sie haben Frankreich gerettet, als es von den europäischen Mächten mit Krieg überzogen wurde, um die Revolution zu ersticken.

2. Die Revolutionskriege

Die Revolutionskriege brachen im Jahre 1792 aus, um im Laufe von zwanzig Jahren ganz Europa umzuwälzen.

Ihren ersten Ursprung hatten sie in den Beschlüssen der Augustnacht von 1789. Durch diese Beschlüsse waren auch die feudalen Vorrechte deutscher Reichsstände, geistlicher und weltlicher Fürsten, die im Elsass große Besitzungen hatten, mit einem Schlage beseitigt worden, obgleich sich die geschädigten Reichsstände darauf berufen konnten, dass ihnen bei der Annexion des Elsass' durch Frankreich ihre feudalen Rechte durch einen internationalen Vertrag verbürgt worden waren.

Jedoch war die französische Nationalversammlung dabei von jeder herausfordernden Absicht frei. Sie konnte freilich nicht daran denken, den deutschen Junkern und Pfaffen im Elsass zu erhalten, was sie den französischen Junkern und Pfaffen überall im Lande entrissen hatte, zumal da gerade die Aufhebung der feudalen Abgaben, Dienste und Fronen das Elsass wahrhaft mit Frankreich verschmolz. Aber sie erklärte sich zu jeder Geldentschädigung bereit, und so war nichts leichter, als diesen internationalen Konflikt aus der Welt zu schaffen. Wenn es nicht dazu kam, so trugen die alleinige Schuld daran die deutschen Reichsstände im Elsass, die auf dem unmöglichen Anspruch beharrten, dass ihre feudalen Rechte wiederhergestellt würden.

Sie fanden bereitwillige Hilfe bei den deutschen Zwergdespoten, die nun in ihrer Weise gegen den Stachel der Französischen Revolution zu löcken versuchten. Namentlich die geistlichen Kirchenfürsten am Rhein gestatteten gegen alles Völkerrecht dem adligen Emigrantengesindel, das vor der Revolution aus Frankreich geflohen war, den Krieg gegen seine Vertreiber auf deutschem Boden zu rüsten. Waren diese Rüstungen auch nicht gefährlich, so reizten sie doch das französische Nationalgefühl um so mehr, als der französische König und namentlich die französische Königin, eine österreichische Prinzess, durch landesverräterische Umtriebe auswärtige Mächte zum bewaffneten Einbruch in Frankreich aufzustacheln versuchten. Als nun gar das Königspaar im Sommer 1791 einen missglückten Fluchtversuch machte, brach eine elementare Aufregung in Frankreich aus; man nahm an und war damit auch ganz auf der richtigen Fährte, dass der König beabsichtigt hatte, an der Spitze fremder Heere nach Frankreich zurückzukehren und die absolute Monarchie wiederherzustellen. Er musste nunmehr die empfindlichsten Demütigungen auf sich nehmen.

Dadurch wurden die großen Mächte in Deutschland mobil gemacht, in erster Reihe der deutsche Kaiser Leopold II., ein Bruder der französischen Königin, und dann auch der König Friedrich Wilhelm II. von Preußen, der anfangs mit der Französischen Revolution kokettiert und durch seinen Gesandten in Paris sogar mit der demokratischen Partei der Pariser Nationalversammlung vertrauliche Beziehungen angeknüpft hatte – nicht aus Begeisterung für die Ziele der Revolution, sondern aus neidischer Schadenfreude über die Schädigung der französischen Monarchie, in dem Bestreben, die Eier der hohenzollernschen Hauspolitik an dem revolutionären Feuer zu kochen. Sobald er jedoch merkte, dass mit diesem Feuer nicht zu spaßen sei, verfiel er in die entgegengesetzte Stimmung und spielte den irrenden Ritter, der mit seinem rostigen Spieß gegen den Drachen der Revolution auszog. Immerhin war das Säbelgerassel, worin sich der österreichische Kaiser und der preußische König gefielen, noch nicht sehr ernst gemeint. Aber nunmehr erwachte die Kriegslust auch in der Pariser Nationalversammlung, die im Herbst 1791 neu gewählt worden war und von den Girondisten beherrscht wurde, einer republikanischen Bourgeoispartei, die ihren Hauptsitz in den südwestlichen Handelsstädten Frankreichs hatte und mit der wachsenden Herrschaft der Pariser Jakobiner sehr unzufrieden war. Sie schürte die kriegerische Stimmung, die die deutschen Herausforderungen in der französischen Nation hervorgerufen hatten, in der Absicht und in der Hoffnung, die tatkräftigsten Elemente der kleinbürgerlich-proletarischen Bevölkerung von dem heißen Boden der Revolution in den Krieg zu treiben und sie dadurch loszuwerden, und sie zwang den König, am 1. März 1792 an den deutschen Kaiser den Krieg zu erklären.

Eine ausschließliche Schuld an dem Kriege lag weder auf der einen noch auf der anderen Seite vor; im tiefsten Grunde wurzelte der Ursprung der Revolutionskriege darin, dass ein bürgerliches und ein feudales Europa nicht nebeneinander bestehen konnten, ohne sich über kurz oder lang, bei diesem oder jenem Anlass, in die Haare zu geraten. Solange nur erst die französische Monarchie bedroht war, sahen die anderen Monarchien, in erster Reihe die preußische, mit einer gewissen Schadenfreude den Nöten der gefürchteten Nebenbuhlerin zu; dann aber begann sich ihre „reaktionäre Masse" zusammenzuballen, als die empfindlichen Demütigungen, die der französische König wegen seiner landesverräterischen Umtriebe zu erdulden hatte, eine Gefahr signalisierten, die allen europäischen Thronen drohte. Zunächst hatten die feudalen Mächte die ungeheure Überlegenheit auf ihrer Seite, aber historisch überlebt und verfallen, wie sie waren, wurden sie viel zu sehr von gegenseitigem Hass und Neid zerfressen, als dass sie mit geschlossenen Reihen gegen den gemeinsamen Feind marschieren konnten. Mehr als der Sieg selbst interessierte sie ihr Anteil an der Siegesbeute; sie wollten das Fell des Bären schon teilen, ehe sie den Bären erlegt hatten, und so betrachteten sich Österreich und Preußen mit leisem Knurren, wie zwei misstrauische Raubtiere, als sie sich im Juli 1792 zum ersten gemeinsamen Sprunge auf das revolutionierte Frankreich anschickten.

Das feudale Abenteuer offenbarte sich sogleich in seiner ganzen Kläglichkeit, als der Oberbefehlshaber des preußischen Heeres, der Herzog von Braunschweig, ein Kriegsmanifest erließ, das Paris dem Erdboden gleichzumachen versprach. Die unverschämte Drohung stürmte die französische Nation bis auf den letzten Mann auf; in Straßburg ertönten zum ersten Male die unsterblichen Klänge der Marseillaise, die alle Bürger zu den Waffen rief, und ehe das preußische Heer die französische Grenze erreicht hatte, wurde das französische Königtum am 10. August 1792 gestürzt, der König und seine Familie gefangen gesetzt. Das preußische Heer drang dann zwar in Frankreich ein, kehrte aber zaghaft um, als es bei Valmy2 auf Heereskörper stieß, die ihm einen ernsthaften Widerstand hätten leisten können, obgleich es ihnen noch weit überlegen war; durch das raue Herbstwetter, durch den tiefen Kot der Champagne, durch ansteckende Seuchen verlor es die Hälfte seiner Mannschaft, ehe es völlig zerrüttet wieder am Rhein anlangte.

In Frankreich aber war nach dem Sturze des Königtums der nationale Konvent gewählt worden, der nunmehr als alleiniger Souverän mit beispielloser Tatkraft alle Hilfsquellen des Landes entfesselte, um die Verräter im Innern und die Feinde von außen niederzuwerfen. Er machte dem schuldigen Könige den Prozess und ließ ihn am 21. Januar 1793 hinrichten; er hielt durch den roten Schrecken alle feudal-reaktionären Elemente nieder und durch das Aufgebot der Massen die feindlichen Heere im Schach, die im Jahre 1793 fast ganz Europa gegen die junge Republik aussandte. Die militärisch-technische Überlegenheit der feudalen Heere wurde wettgemacht durch eine neue Kampfesweise, die sich unter den französischen Freiwilligen entwickelte. Es waren Arbeiter, Bauern, Handwerker, die für ihre eigenen Lebensinteressen fochten, die nicht wie die Söldnerheere durch den Stock in den Kampf getrieben, in geschlossenen Lagern zusammengehalten, aus Magazinen verpflegt zu werden brauchten. Sie konnten sich schnell vorwärts bewegen, in zerstreuten Reihen kämpfen und auf jedem Gelände schlagen; sie konnten sich selbst verpflegen, indem sie sich die Lebensmittel unmittelbar von der Bevölkerung verschafften; der Krebsschaden aller Söldnerheere, die massenhafte Desertion, blieb ihnen völlig fremd.

Diese neue Kriegsweise befähigte die Französische Revolution zum siegreichen Widerstande gegen das feudale Europa. Zuerst schied der preußische Staat, bis auf den Tod erschöpft, aus dem gewaltigen Ringen. Er war bereits in voller Auflösung, geistig und materiell gleich bankrott, als er am 5. April 1795 in Basel seinen Frieden mit der Französischen Republik schloss.

In diesem Frieden verriet der preußische Staat seine feudalen Bundesgenossen, namentlich seinen österreichischen Bundesbruder; er verzichtete auf seine Besitzungen auf dem linken Rheinufer, das von den Franzosen bereits erobert war, sicherte sich aber für den Fall des allgemeinen Friedens eine Entschädigung, und zwar sollten, wie stillschweigend von beiden Seiten vorausgesetzt wurde, die geistlichen Staaten des rechten Rheinufers für diesen Zweck beraubt werden. Endlich wurde im Frieden von Basel eine sogenannte Demarkationslinie festgesetzt, die das nördliche und mittlere Deutschland umfasste; die Franzosen versprachen diese Linie zu respektieren, falls die von ihr eingeschlossenen deutschen Staaten ihrerseits strenge Neutralität beobachten würden.

In der feudalen Koalition gegen das revolutionäre Frankreich war dem preußischen Staate zuerst der Atem ausgegangen; er zog sich aus den großen Welthändeln zurück, um unter dem Schutze einer feigen Neutralität, allgemein gehasst und verachtet, ein Scheinleben zu führen; er war vollständig fertig, intellektuell und moralisch, finanziell und militärisch, nach einem kurzen Ringen mit der Revolution, das die anderen feudalen Mächte noch eine gute Weile fortsetzen konnten.

3. Die Zertrümmerung des Deutschen Reiches

Noch vor dem Frieden von Basel war die Herrschaft der Jakobiner in Paris zusammengebrochen. Der Krieg hatte ihnen zur Macht verholfen, aber sie waren keineswegs geneigt, für eine Gesellschaft Krieg zu führen, die ihnen feindlich gesinnt war. Je rücksichtsloser sie die feudalistische Ausbeutung beseitigt hatten, desto mehr bedrückte sie die kapitalistische Ausbeutung, die nach dem Sturze des Feudalismus um so üppiger gedieh. Sie einzudämmen und ihre Grundlagen zu beseitigen, wurde neben der Bekämpfung der auswärtigen Feinde das Hauptziel der Pariser Revolutionäre.3

Allein damit wagten sie sich an eine Aufgabe, die historisch noch nicht gelöst werden konnte. Noch befand sich die kapitalistische Produktionsweise im aufsteigenden Aste ihrer Entwicklung; es fehlte jede Möglichkeit, sie durch eine höhere Produktionsweise abzulösen. So waren die Jakobiner gezwungen, sich auf gewaltsame Eingriffe in das wirtschaftliche Leben zu beschränken, auf Feststellung eines Maximums für die Preise der Lebensmittel, auf das Köpfen der Ausbeuter, Börsenjobber und Spekulanten. Jedoch je mehr Köpfe sie der Hydra abschlugen, um so mehr wuchsen ihr nach. Es half nichts, dass die Jakobiner die Revolution in Permanenz erklärten und den roten Schrecken, der ihnen durch den Krieg aufgenötigt worden war, immer mehr verschärften. Sie kamen dadurch in um so schärferen Gegensatz zu allen anderen Klassen der Nation. Als der Sieg über die auswärtigen Feinde sichergestellt worden war, als der rote Schrecken aufgehört hatte, eine Notwendigkeit für die Rettung der Revolution zu sein, da wurde er immer unerträglicher als ein Hemmnis der ökonomischen Entwicklung empfunden.

Unter diesen Umständen war der Sturz der Jakobiner nicht mehr aufzuhalten. Im Juli 1794 und im Mai 1795 erlitten sie entscheidende Niederlagen, von denen sie sich nicht mehr erholten. Immer aber bleibt ihnen das weltgeschichtliche Verdienst, die Revolution gerettet und den feudalen Staat mit einer Gründlichkeit weggefegt zu haben, wie es in keinem anderen Lande der Welt geschehen ist.

Nun hatte die französische Bourgeoisie freie Hand und richtete ihre Herrschaft in der Weise ein, dass sie einem Direktorium von fünf Personen die Leitung des Staats übertrug. Jedoch da ihr nun nicht mehr andere Leute die Kastanien aus dem Feuer holten, sondern sie selbst handeln sollte, erwies sie eine politische Unfähigkeit, die den feudalen Mächten dennoch das Übergewicht zu geben drohte. Schneller Verfall nach innen und nach außen war das Kennzeichen dieses Bourgeoisregiments.

Deshalb begrüßte es die ganze Nation mit großem Jubel, als der General Napoleon Bonaparte (1769-1821) durch den Staatsstreich des 18. Brumaire (9. November) 1799 die unfähige Direktorialregierung auseinanderjagte und sich zum militärischen Diktator machte, zunächst als Erster Konsul der Französischen Republik, im Jahre 1804 aber als Kaiser der Franzosen. Es ist oberflächlich, nach Art des landläufigen Liberalismus den Staatsstreich des 18. Brumaire kurzweg einen Verrat an der Freiheit zu nennen und seine Beweggründe allein in dem Ehrgeiz eines genialen Abenteurers zu suchen. Bonaparte schöpfte seine Kraft vielmehr aus dem Erbe der Französischen Revolution, das er nach außen und innen zu liquidieren begann. So groß sein militärisches Genie war, so täuschte er sich doch nicht darüber, wo die historischen Rechtstitel seiner Eroberungen wurzelten; überall, wo er seine siegreichen Adler aufpflanzte, führte er bürgerliche Reformen ein.

Im Jahre 1801 gelang es ihm zunächst, den deutschen Kaiser zum Frieden zu zwingen. In diesem Frieden, der am 9. Februar 1801 in dem lothringischen Städtchen Luneville geschlossen wurde, verzichtete der Kaiser im Namen des Deutschen Reiches auf das linke Rheinufer, wie es von Preußen schon im Frieden zu Basel geschehen war. Der Talweg des Rheins sollte fortan die Grenze zwischen der Französischen Republik und dem Deutschen Reiche bilden. Ein Gebiet von 1150 Quadratmeilen und fast vier Millionen Einwohnern, ziemlich ein Siebentel seiner Bevölkerung, ging damit für Deutschland verloren. Dann aber legte der Friede von Luneville dem Kaiser die Verpflichtung auf, die bisherige Verfassung des Reiches aufzuopfern; die weltlichen-Fürsten des linken Rheinufers sollten im Innern des Reiches auf Kosten der geistlichen Staaten entschädigt werden.

Nun begann ein schmählicher Länderschacher der deutschen Fürsten. Nach einem Worte Treitschkes stürzten sie sich wie ein Geschmeiß hungriger Fliegen auf die blutenden Wunden des Vaterlandes. Ehr- und schamvergessen jagten sie nach Paris, um sich durch Bestechung der französischen Minister möglichst große Fetzen Landes zu sichern. Auch der preußische Staat beteiligte sich gierig an dem ekelhaften Handel, während Österreich, das soviel wie möglich von den geistlichen Staaten zu retten suchte, auch noch die Reichsstädte in die bankrotte Masse zu werfen vorschlug. Das wurde von dem Fürstengesindel mit hellem Jubel begrüßt, ohne dass sich deshalb ihr Heißhunger nach dem Kirchengute schwächte.

Nachdem sich Bonaparte über ein Jahr das widerliche Treiben angesehen und der deutsche Reichstag in Regensburg sich völlig unfähig gezeigt hatte, das Rudel reißender Wölfe zu bändigen, einigte er sich mit Russland über die neue Gestaltung der deutschen Dinge. Nach französisch-russischen Diktaten vernichtete dann der Reichstag in Regensburg durch den sogenannten Reichsdeputationshauptschluss vom 23. Februar 1803 nicht weniger als 112 deutsche Staaten; von den geistlichen Staaten und den Reichsstädten blieben nur kümmerliche Reste übrig, von jenen drei, von diesen sechs. Von der Beute erhielt Österreich nur gerade so viel, wie es verloren hatte, während Preußen reichlicher bedacht wurde, da es im französisch-russischen Interesse lag, den Dorn im österreichischen Fleische zu erhalten. Am besten fuhren Bayern, Württemberg und Baden, in denen sich Bonaparte willfährige Vasallenstaaten schaffen wollte, um durch sie das südliche Deutschland zu beherrschen.

In demselben Jahre 1803 besetzten französische Truppen aber auch schon einen Teil des nördlichen Deutschlands, das Kurfürstentum Hannover, das mit dem Königreich England durch Personalunion verbunden war. Der Krieg zwischen England und Frankreich tobte nach einer kurzen Unterbrechung durch den Frieden von Amiens (11. Oktober 1801) noch immer fort. Als die ökonomisch entwickeltsten Nationen rangen England und Frankreich um die Herrschaft über den Weltmarkt; dieser Interessengegensatz war durch keinen Frieden, sondern nur dadurch zu beseitigen, dass entweder die eine oder die andere Nation siegte. Die Besetzung Hannovers durch französische Truppen hatte den Zweck, dies deutsche Land als eine Einfallspforte englischer Waren auf das europäische Festland zu sperren, womit nun freilich auch die Demarkationslinie verletzt war, die zu respektieren sich Frankreich im Frieden von Basel gegen Preußen verpflichtet hatte. Aber in Berlin fehlte der Mut, gegen den dreisten Vertragsbruch ernsthaften Einspruch zu erheben.

Dagegen gelang es der englischen Regierung, Österreich und Russland zu einem neuen Kriege gegen Frankreich aufzureizen. Im April 1805 war diese neue Koalition geschlossen, die so reaktionär war wie ihre Vorgängerinnen. Aber die drei Mächte hatten inzwischen gelernt, wie schwer es war, Frankreich niederzuringen, und sie bemühten sich, den preußischen Staat als Vierten im Bunde zu gewinnen. Nun begann der preußischen Regierung das Feuer auf den Nägeln zu brennen; sie wollte es nicht mit Frankreich, aber auch nicht mit der englisch-österreichisch-russischen Koalition verderben. Nach wie vor unfähig, eine klare und konsequente Politik zu treiben, half sie sich durch ein klägliches Gaukelspiel.

Auf die Drohung des Zaren, seine Truppen durch preußisches Gebiet marschieren zu lassen, machte sie das Heer mobil, aber als nun Napoleon ohne eine Anfrage in Berlin tat, womit der Zar erst gedroht hatte, als er französische Truppen durch preußisches Gebiet marschieren ließ, da versprach der preußische König dem Zaren seine Hilfe. Er sandte den Grafen Haugwitz mit einer Kriegsdrohung an Napoleon, allein als der Gesandte an sein Reiseziel gelangt war, hatte Napoleon die verbündeten Österreicher und Russen am 2. Dezember 1805 in der Schlacht bei Austerlitz entscheidend aufs Haupt geschlagen, und nun beeilte sich der preußische Gesandte, ein Schutz- und Trutzbündnis mit Napoleon abzuschließen, das alsbald von dem preußischen Könige genehmigt wurde. Es war eine Politik, wie sie elender, feiger und nichtswürdiger noch von keinem Staate getrieben worden ist.

Ihre erste Folge war, dass Österreich am 26. Dezember 1805 den Frieden von Schönbrunn schließen musste. Österreich verstand sich darin zu Gebietsabtrennungen von 1140 Quadratmeilen mit beinahe 800.000 Einwohnern. Einen großen Teil davon erhielten wieder Bayern, Württemberg und Baden; dazu wurden Bayern und Württemberg von Napoleon mit einer Königskrone begnadet; ihnen sowie dem Kurfürstentum Baden wurde in diesen neuen Gebietsteilen wie in ihren alten Besitzungen die volle Souveränität verliehen.

Es war der Anfang des Rheinbundes, das Ende des Deutschen Reiches. Napoleon ließ seine Heere im südlichen Deutschland stehen, um jeden Widerspruch Österreichs und Preußens im Keime zu ersticken. Dann ging er daran, die Reste der Reichsverfassung zu zertrümmern, die der Reichsdeputationshauptschluss noch übriggelassen hatte, die Unzahl der kleinen reichsunmittelbaren Fürsten, Grafen, Herren und Ritter im Süden und Westen wegzufegen, zugunsten der süddeutschen Mittelstaaten, die als Gegner Frankreichs niemals gefährlich, als seine Vasallen aber sehr nützlich werden konnten. Zum zweiten Male begann die Bettelfahrt der deutschen Souveräne nach Paris, und manchem der kleinen Zwergdespoten gelang es, sich durch Bestechung der französischen Minister zu retten. Aber über ihre Masse wurde ein strenges Gericht gehalten. Was im Süden und Westen an winzigen Reichsständen noch vorhanden war, musste daran glauben. Im ganzen wurde ein Gebiet von 550 Quadratmeilen mit fast fünfviertel Millionen Einwohnern unter die sechzehn deutschen Fürsten verteilt, die sich im Jahre 1806 vom Reiche lossagten, alle Reichsgesetze für sich als null und nichtig erklärten und den Rheinbund schlossen, als dessen Protektor sie den Kaiser der Franzosen anerkannten. An der Spitze dieser Staaten standen Bayern, Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt. Damit war das alte Deutsche Reich selig entschlafen; am 6. August 1806 erklärte der deutsche Kaiser Franz, indem er sich gleichzeitig als österreichischer Kaiser proklamierte, das „reichsoberhauptliche Amt" für erloschen.

Der Zertrümmerung des Reiches auf dem Fuße folgte die Zertrümmerung des altpreußischen Staates. Er hatte sich so verächtlich gemacht, dass er von aller Welt mit Fußtritten bedacht wurde, nicht zuletzt von seinem nunmehrigen Bundesgenossen Napoleon. Nach einem besonders derben Schlage ins Gesicht glaubte der preußische König seine Peiniger durch eine Mobilmachung schrecken zu können, rannte damit aber nur in sein Verderben. Nachdem schon die Rüstungen für den Krieg die innere Auflösung des preußischen Staates in erbarmungswürdiger Weise enthüllt hatten, wurde er durch die Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 völlig vernichtet.

Es folgten die schmählichen Kapitulationen der Festungen; fast überall, mit ganz wenigen Ausnahmen, offenbarten die junkerlichen Kommandanten dieselbe feige verräterische Gesinnung. Ebenso schmählich wie das Offizierskorps brach die Bürokratie des Staates zusammen, und auch der König flehte in Briefen voll hündischer Kriecherei die Gnade des Siegers an, was den unaufhaltsamen Siegeslauf der französischen Waffen nicht aufhalten konnte.

Zunächst mussten die kleinen norddeutschen Fürsten daran glauben, so sehr auch sie um Gnade bettelten. Immerhin erging es ihnen besser als vordem den süd- und westdeutschen Fürsten. Durch den Beitritt zum Rheinbund retteten sie fast alle ihr Dasein; vertieft in die weltumfassenden Pläne, die er in dem fortdauernden Kriege mit England und Russland verfolgte, achtete Napoleon wenig auf dies nebensächliche Geschäft. Später hat er wohl gemeint, er sei dabei zum ersten Male betrogen worden; hätte er gewusst, was es mit den Lippe und Reuß und Waldeck auf sich hatte, würde er sie allesamt fortgejagt haben, womit er sich zweifellos ein Verdienst mehr um die deutsche Nation erworben haben würde.

Am besten von diesen norddeutschen Fürsten fuhr der König von Sachsen, der sich durch rechtzeitigen Abfall von Preußen das Wohlwollen Napoleons erworben hatte und von ihm mit der Königswürde begnadet wurde.

4. Die preußischen Reformen und die Befreiungskriege

Innerlich verfault und unfähig, sich selbst zu reformieren, brach der preußische Staat unter den Schlägen des französischen Eroberers rettungslos zusammen. Damit war die Fremdherrschaft über Deutschland vollendet, allein sie erwies sich heilsamer für Deutschland, als alle preußischen Siege von Fehrbellin bis Sedan4 sich erwiesen haben. Sie führte Deutschland in den Reigen der modernen Kulturvölker ein.

Es ist jedoch eine Schönfärberei, wenn die bürgerlichen Historiker behaupten, das preußische König- und Junkertum seien von Reue und Scham ergriffen worden, als sich die entsetzlichen Folgen ihrer jahrzehnte- und jahrhundertelangen Sünden enthüllten, und habe aus freien Stücken mit der sogenannten Stein-Hardenbergischen Gesetzgebung begonnen, die obendrein noch alle Vorzüge einer friedlichen und gesetzlichen Reform vor dem tumultuarischen Aufräumen der Französischen Revolution bewahrt haben soll. Davon ist in Wirklichkeit nichts zu spüren gewesen; im Gegenteil jagte der bis nach Memel geflüchtete König den Freiherrn vom Stein, den einzigen seiner Minister, der schon vor Jena auf innere Reformen gedrängt und sich dann in der Katastrophe als besonnener und tapferer Mann bewährt hatte, am 3. Januar 1807 mit Schimpf und Schande aus seinem Dienst.

Einstweilen verließ sich der borussische Despot auf die russische Hilfe, die ihm der Zar auch gewährte, wenngleich nicht um des Königs, sondern um seiner selbst willen. Der Zar hatte allen Anlass, besorgt zu sein, als die französischen Heere in siegreicher Verfolgung der preußischen Truppen bis an die russische Grenze vorgedrungen waren, und er führte den Krieg in Ostpreußen nur, um diese preußische Grenzprovinz zu einer Einöde zu machen, die die französischen Heere an der Überschreitung der russischen Grenze hindern sollte. Auf der anderen Seite war Napoleon mit der nunmehrigen Überwältigung des ganzen Deutschlands auf den Höhepunkt seiner Siegerlaufbahn gelangt; er hatte den alten europäischen Kulturkreis siegreich durchschritten und stand an den Grenzen eines ungeheuren Reiches, dessen naturwüchsige Barbarei noch nicht gebrochen werden konnte. Der Erbe der Französischen Revolution befand sich vor seinem Sündenfalle, und er tat den verhängnisvollen Schritt, der ihn von nun an abwärts führen sollte: im Frieden von Tilsit (7. Juli 1807) schloss er mit dem Zaren Bündnis und Freundschaft, um sich mit diesem Träger eines asiatischen Despotismus die Herrschaft über die Welt zu teilen.

Zunächst hatte der preußische König die Kosten der neuen Freundschaft zu tragen. Er wurde von seinem russischen Bundesgenossen ebenso verraten wie von seinem französischen Feinde misshandelt; er musste im Frieden von Tilsit die Hälfte seines Ländergebiets abtreten, die ehemals polnischen Landesteile, aus denen Napoleon das Herzogtum Warschau schuf und dem nunmehrigen König von Sachsen gab, und die Provinzen westlich der Elbe, die der Kern des neuen, an Napoleons Bruder Jerôme übertragenen Königtums Westfalen bildeten. Es waren zwei scharfe Sporen, die der Eroberer in die keuchenden Flanken des altpreußischen Staates setzte; in beiden neuen Schöpfungen wurden bürgerliche Reformen eingeführt, wurde namentlich mit der Hörigkeit und Leibeigenschaft aufgeräumt; es hing damit zusammen, dass Napoleon dem preußischen Könige befahl, den eben mit Schimpf und Schande aus dem Dienste gejagten Freiherrn vom Stein wieder zu berufen und ihm die oberste Leitung der preußischen Angelegenheiten anzuvertrauen.

Stein (1757-1831) hat nur wenig über ein Jahr, vom Oktober 1807 bis zum November 1808, an der Spitze des preußischen Staates gestanden. Er war kein Revolutionär und nicht einmal ein Liberaler im heutigen Sinne des Wortes, im Grunde nicht nur ein Adliger, sondern auch ein Adelsfreund. Aber er kam aus dem kultivierteren Westen und hatte sich einigermaßen in der Welt umgesehen; sein Ideal der aristokratischen Selbstverwaltung hatte er sich aus England geholt, so dass er noch immer hoch über dem ostelbischen Kraut- und Zaunjunkertum stand. Und wenn seine Reformen nicht allzu weit reichten, so besaß er doch das notwendige Maß von Energie und Kraft, um sie überhaupt gegen den Stumpfsinn des Königs und die hartnäckige Klassenselbstsucht der Junker durchzusetzen.

Es waren ihrer vornehmlich zwei: eine neue Städteordnung und das sogenannte Oktoberedikt vom 9. Oktober 1807. Die Städteordnung war für ihre Zeit ein ziemlicher Fortschritt; sie gab den Städten die Verwaltung ihrer Finanzen, ihres Armen- und Schulwesens zurück; sie verlegte den Schwerpunkt der städtischen Verwaltung in die Versammlung der Stadtverordneten, die zwar nicht nach dem allgemeinen, sondern durch einen nicht bedeutenden Zensus beschränkten, aber doch gleichen und geheimen Stimmrecht durch die Bürger gewählt werden sollten, und beschränkte das Aufsichtsrecht des Staates wesentlich auf die Befugnis, die städtischen Wahlen auf ihre Richtigkeit zu prüfen. In diesen für Stein entscheidenden Punkten ist seine Städteordnung sogar der heutigen Städteordnung überlegen, die seit hundert Jahren in der Tat nur rückwärts revidiert worden ist, sowohl dadurch, dass die Aufsichtsbefugnisse des Staates viel schikanöser ausgebildet worden sind, als auch dadurch, dass die städtischen Bürger mit all ihrer berühmten Selbstverwaltung das allgemeine Stimmrecht immer noch nicht erobert, aber sich dafür das gleiche und geheime Stimmrecht haben eskamotieren lassen.

Das Oktoberedikt aber enthielt zwei Hauptbestimmungen. Erstens beseitigte es die Einschachtelung des preußischen Staats in Geburtsstände, indem es den Junkern gestattete, auch Gewerbe und Handel zu treiben, während es den Bürgern und Bauern erlaubte, auch adlige Güter zu erwerben, womit nicht mehr erreicht war, als dass sich der Kastenstaat in einen Klassenstaat umwandelte, dessen Klassen auf der Gleichheit der ökonomischen Interessen beruhen. Dann aber beseitigte das Oktoberedikt die bäuerliche Erbuntertänigkeit, was auch nicht sowohl bedeutete, dass der ländliche Arbeiter von feudalen Ketten befreit, als dass er aus einem feudalen in ein kapitalistisches Ausbeutungsobjekt verwandelt wurde. Während die Gesetzgebung der Französischen Revolution den Bauern nicht nur die Freiheit der Person, sondern auch die Freiheit des Eigentums sicherte, beließ es das Oktoberedikt bei der Freiheit der Person, die ohnehin durch die berüchtigte, skandalöserweise heute noch bestehende Gesindeordnung5 sowie durch die Fortdauer der gutsherrlichen Justiz und Polizei empfindlich eingeschränkt wurde. Dagegen sollte das bäuerliche Eigentum mit allen dinglichen Lasten bepackt bleiben, mit allen Fron- und Hofdiensten, mit allen Geld- und Naturallieferungen, kurzum mit dem ganzen Wüste des feudalen Unrats, den das Junkertum der bäuerlichen Klasse im Laufe der Jahrhunderte durch Gewalt und List aufgezwungen hatte.

Unter dem Gesichtspunkte der Bauernbefreiung hinkte das Oktoberedikt der englischen, der italienischen, der holländischen, der schweizerischen, der dänischen und innerhalb Deutschlands selbst der österreichischen, der schleswig-holsteinischen, der badischen Gesetzgebung kümmerlich nach. Vor allem ließ es sich mit der französischen Revolutionsgesetzgebung nicht entfernt vergleichen. Dieser schüchterne Anfang der Bauernemanzipation war den Junkern sogar eher günstig als ungünstig; nicht mit Unrecht sagt ein neuerer Historiker, das Edikt habe die Bauern in die gefährlichste Lage gebracht, in der sie sich jemals befunden hätten. Von ihrer persönlichen Freizügigkeit hätten die Bauern nur spärlichen Gebrauch machen können, dagegen hätten die Junker sie nunmehr von ihrer Scholle jagen und diese zum Ritteracker einziehen können; die hörigen Bauern seien durch das Edikt zu besitzlosen Tagelöhnern geworden.

Gleichwohl erbosten sich die Junker in ihrem verbohrten Eigennutze gegen das Edikt, zumal da sie wussten, dass Stein keineswegs sich damit zu begnügen gedachte. Stein war ein abgesagter Feind des Bauernlegens; er pflegte die Schlösser der ostelbischen Edelleute, die ihre Bauern legten, statt deren Zustand zu verbessern, mit den Höhlen von Raubtieren zu vergleichen, die alles um sich verödeten und sich mit der Stille des Grabes begnügten. Ein Minister von so gefährlichen Gesinnungen musste beseitigt werden, und die Junker beseitigten ihn durch das niederträchtige Mittel, dass sie einen Brief, worin Stein seine franzosenfeindliche Gesinnung aussprach, in die Hände der französischen Polizei spielten. Nunmehr gegen den Zorn Napoleons gedeckt, entließ der elende König den von ihm nicht minder als von den Junkern gefürchteten Minister zum zweiten Male.

Damit waren die Junker wieder obenauf, aber schließlich konnten sie doch nicht mit dem Kopfe gegen die Wand rennen. Ein Ministerium von Mittelmäßigkeiten, das nach Steins zweiter Entlassung eingesetzt wurde, machte binnen Jahr und Tag völlig bankrott. Es konnte die Kriegskontributionen nicht mehr aufbringen, die an Frankreich zu zahlen waren, und das Königreich Westfalen wurde durch seine bürgerlichen Reformen ein allzu gefährlicher Nachbar und Nebenbuhler. Im Juni 1810 wurde Hardenberg (1750-1822) leitender Minister. Gleich Stein war er kein geborener Preuße und besaß ein gewisses Maß bürgerlicher Bildung; er konnte sogar eher als Stein ein Liberaler im modernen Sinne des Wortes genannt werden. Oberflächlich und schmiegsam, klatschte er in der nun beginnenden zweiten Periode bürgerlicher Reformen das Vorbild des Königreichs Westfalen einfach ab; seine Gewerbe- und Steuergesetzgebung, sein Gendarmerieedikt, seine Judenemanzipation usw. ahmten in manchmal selbst grotesker Weise die westfälischen Gesetze nach. Der König „Morgen-Wieder-Lustig" wurde das Muster dieses preußischen Reformers. Auch Hardenberg war den Junkern ein Dorn im Auge, und er hat sogar einmal einige ihrer Führer ohne Urteil und Recht auf die Festung Spandau geschickt, aber sie ertrugen ihn eher, da er in liberaler Manier doch auch wieder ihre Geschäfte zu führen verstand.

Es geschah namentlich durch das Regulierungsedikt vom 14. September 1811, das angeblich das gutsherrlich-bäuerliche Verhältnis regeln sollte. Darin wurden die politischen Vorrechte der Rittergüter gar nicht angetastet, und zwar den Bauern mancherlei leidliche Versprechungen über die Ordnung ihrer Besitzverhältnisse gemacht, aber zu keinem anderen Zwecke, als sie zum Kampfe gegen die Franzosen auf die Beine zu bringen. Kaum war der Feind aus dem Lande geschlagen, als die Bauern um so ärger geprellt wurden durch 121 Artikel, die am 29. Mai 1816 zur „Deklaration" des Regulierungsedikts von 1811 erlassen wurden. Nach diesen Artikeln wurden alle nicht spannfähigen Bauern, das heißt ihre große Masse, den Junkern recht- und schutzlos ausgeliefert, während die Minderheit der spannfähigen Bauern durch kolossale Opfer an Acker und Geld einen Teil des Landes erwerben durfte, das ihre Vorfahren als freie Leute besessen hatten. Es war noch die Revolution von 1848 nötig, um endlich mit allen feudalen Vorrechten aufzuräumen, und tatsächlich endete diese preußische Bauernbewegung erst im Jahre 1865; sie hatte zwei Menschenalter gebraucht, um in ungleich kläglicherer Weise das zu erreichen, was die Französische Revolution immerhin in einer Nacht durchgesetzt hatte. Das höchst profitable Geschäft, das die Junker mit dem Regulierungsedikt von 1811 und der Deklaration von 1816 gemacht haben, erklärt es aber zur Genüge, dass sie dem Urheber dieser Gesetze eine gewisse Nachsicht für seine liberalen Sünden gewährt haben.

Kümmerlich und lückenhaft, wie die preußischen Reformen nach der Schlacht von Jena waren, kommt noch nicht einmal ein Atom von dem, was gut daran war, auf die freiwillige Einsicht des König- und des Junkertums. Sie fügten sich zähneknirschend dem unerbittlichen Zwange der Umstände. Die Fremdherrschaft lastete auch auf ihnen mit erstickender Gewalt. Preußen hat in den Jahren 1807 bis 1812 mehr als eine Milliarde Kriegskontributionen an Frankreich gezahlt, eine geradezu fabelhafte Summe für ein bettelarmes Volk von drei Millionen. Aber wenn je daran gedacht werden sollte, die Fremdherrschaft abzuschütteln, so waren militärische Reformen notwendig, die wieder bürgerliche Reformen zur unumgänglichen Voraussetzung hatten.

Hauptvertreter der militärischen Reform war Scharnhorst (1755-1813). Er war sowenig ein geborener Preuße wie Stein und Hardenberg und nicht einmal ein Junker; vielmehr stammte er aus einer hannoverschen Bauernfamilie, und als Bauer hatte er sozusagen ein angeborenes Verständnis für die moderne Kriegsweise. Die Junker waren natürlich auch ihm aufsässig; aber geduldiger als Stein, wenn auch keineswegs so schmiegsam wie Hardenberg, wusste Scharnhorst mit niedersächsischer Zähigkeit seine Pläne durchzusetzen und das preußische Heer mit Ach und Krach, unter unsäglichen Mühseligkeiten, nach dem Muster des französischen Heeres zu reorganisieren.

Gründlicher als in Preußen wurden bürgerliche Reformen in den Ländern des Rheinbundes eingeführt, und am gründlichsten auf dem linken Rheinufer, das unmittelbar unter französischer Herrschaft stand. In dem Maße nun aber, wie die Fremdherrschaft zu bürgerlichen Reformen führte, schwand ihr historischer Rechtstitel. Napoleon selbst hatte sich das Recht verscherzt, sich einen Befreier der Völker zu nennen, seitdem er sich mit dem russischen Despoten verbündet hatte, um die Herrschaft über die Welt zu teilen. Beide spielten dabei die betrogenen Betrüger. Als sie endlich dahinterkamen, entstand der Französisch-Russische Krieg von 1812, der dann zu den Befreiungskriegen führte. In ihnen brach das verbündete Europa endlich die militärische Diktatur Napoleons; er wurde 1814 zum ersten, 1815 zum zweiten Male und nun für immer entthront. Frankreich musste alle seine Eroberungen herausgeben, und die zwanzigjährige Ära der Revolutionskriege schloss nun doch mit dem Siege des alten Europas.

Freilich das alte Europa war es bei alledem nicht mehr. Zu tief hatte der Pflug der Revolution seinen Boden bis an die russischen Schneegefilde aufgewühlt; eine Wiederkehr der europäischen Zustände, wie sie bis 1789 geherrscht hatten, war unmöglich. Dafür boten das schlagendste Zeugnis die berauschenden Freiheitsphrasen, womit der preußische wie der russische Despot ihre Truppen in den Kampf getrieben hatten. In dem Aufruf von Kalisch6 versprachen sie, ein freies und selbständiges Deutschland herzustellen, und der König von Preußen verhieß seinen Untertanen sogar eine richtige Verfassung, wenn sie ihm seine Krone retteten.

Aber freilich, dass die Fürsten ihre Versprechungen nach erfochtenem Siege in der schamlosesten Weise brechen konnten, bewies doch den zwiespältigen Charakter dieser Kriege. Hatten die Völker den fremden Despoten, so hatten die Fürsten den Erben der bürgerlichen Revolution niedergeworfen, und wenn auch nicht die Wiederherstellung des alten Europas, "so folgte doch eine fade und öde Reaktion.

5. Das restaurierte Deutschland

Die bürgerliche Klasse in Deutschland verdankte ihre soziale Emanzipation, soweit sie erreicht war, einer Fremdherrschaft, die ihr nationales Dasein zertrümmerte; sie musste ihren Befreier bekämpfen, und sie konnte es nur im Dienste ihrer Unterdrücker; sie half den Sieg der Reaktion erfechten, aber an ihren Früchten hatte sie keinen Teil.

Aus dem freien und selbständigen Deutschland, das der russische Zar und der preußische König im Aufruf von Kalisch versprochen hatten, wurde der Deutsche Bund, ein wahrer Hohn auf die deutsche Einheit. Deutschland blieb in einige dreißig Despotien gespalten, von denen die kleinste so souverän war wie die größte; der Bundestag in Frankfurt a. M., der von den Gesandten der Fürsten beschickt wurde und die deutsche Nation mundtot machte, erfüllte nur die eine nationale Aufgabe, der gemeinsame Büttel der Despoten gegen das Volk zu sein, und bald lastete auf ihm die Verachtung der zivilisierten Welt.

Einen Versuch mannhaften Widerstandes machte wenigstens noch die bürgerliche Jugend, indem sie die Burschenschaft an den deutschen Universitäten errichtete. Aber die Burschenschaft blieb eine Vorhut, um die sich kein Heer sammelte, und ihr selbst fehlte auch jedes klare Klassenbewusstsein. In der Burschenschaft kreuzten sich mittelalterliche Träume von Kaiser und Reich mit einem jakobinischen Ingrimm, der den Dolch des Rächers gegen die wortbrüchigen Fürsten und ihre Helfershelfer zückte. In solcher Unklarheit erdolchte der Burschenschafter Sand den russischen Spion Kotzebue, der ein gewissenloses, aber völlig ungefährliches Werkzeug des Zaren war. Die politisch sinnlose Tat kam der despotischen Reaktion sehr gelegen, die schon lange auf der Lauer gelegen hatte; die Karlsbader Beschlüsse (1819) entfesselten eine ruchlose Hetze gegen die sogenannten Demagogen7, und diese Hetze erstickte alles aufkeimende politische Leben in den deutschen Grenzen.

Erklärlich wurde das Übermaß politischer Reaktion, worin das deutsche Bürgertum erstickte, durch seinen Mangel an ökonomischer Entwicklung. Noch nicht ein Drittel der deutschen Bevölkerung lebte in den Städten, in denen das zünftige Handwerk, herabgekommen wie es war, immer noch das Heft in der Hand hatte. Es stand bis zum Jahre 1830 auf derselben Stufe wie im Jahre 1800. In der zweiten Hälfte dieses Zeitraumes hatte es notdürftig die Wunden geheilt, die ihm in der ersten Hälfte durch die ewige Kriegsnot geschlagen worden waren. Es arbeitete nach Urväterweise für den örtlichen Verbrauch, allen technischen Fortschritten abhold, in Betrieben von zwerghaftem Umfange, so dass es fast noch einmal so viele Meister wie Gesellen gab und somit auch die Spannung sozialer Gegensätze fehlte.

Unter den Gesellen war immerhin noch eine Art dumpfen Klassenbewusstseins lebendig. Die Grausamkeit, womit sie namentlich durch die preußische Handwerksordnung an jeder selbständigen Regung gehindert wurden, machte sie unruhig und unzufrieden, und durch den zünftigen Wanderzwang wurden sie mit den fortschreitenden Zuständen des Auslandes bekannt, von denen die heimische Verrottung grell genug abstach. Viele Gesellen blieben im Auslande hängen oder brachten freiere Anschauungen in die Heimat zurück. Die Handwerksmeister aber waren im preußischen Staat durch die neue Städteordnung nicht sogleich aus dem lethargischen Schlaf zu erwecken, in den sie durch jahrhundertelange Unterdrückung versenkt worden waren; gewöhnt an die ausbeuterischen Praktiken der Zunft, sahen sie in der Städteordnung nur einen Ersatz für das, was ihnen die Gewerbefreiheit genommen hatte, und plünderten das städtische Vermögen für ihre eigensüchtigen Zwecke.

Rühriger als die norddeutschen Kleinbürger erschienen die süddeutschen, aber es war mehr Schein als Wirklichkeit. Die süddeutschen Mittelstaaten waren ihrem Stifter Napoleon treu geblieben, solange sie es bei Strafe des sofortigen Unterganges konnten, und nach seinem Sturze suchten sie ihre hastig zusammengezimmerten und noch sehr wackligen Throne auf konstitutionellen Verfassungen fester zu gründen. Jedoch mit diesem süddeutschen Konstitutionalismus war es nicht weit her, wenn er auch noch so große Worte machte. Seinen Worten folgten keine Taten und konnten auch keine Taten folgen. Er stellte nur eine Art Zwickmühle dar; mit ihren Landtagen wollten die süddeutschen Fürsten der österreichisch-preußischen Macht am Bundestag ein Gegengewicht geben, während sie doch sicher auf den Bundestag rechnen konnten, falls ihre Landtage einmal ungebärdig werden sollten. Dieses Scheinwesen erzeugte in dem süddeutschen Kleinbürgertum eine partikularistische Kantönlipolitik, die mit allen demokratischen Gebärden doch nicht die Tatsache beseitigen konnte, dass sie innerlich reaktionär war, indem sie sich bemühte, die deutsche Entwicklung aus dem großen Strom der Geschichte auszuschalten.

Neben dem überwiegenden Handwerk fehlte es in Deutschland nun freilich auch nicht an mancherlei Anfängen der kapitalistischen Produktionsweise. Trotz der allgemeinen Verarmung hatten sich in den alten Handels- und Seeplätzen noch mehr oder minder beträchtliche Reste von Kapital erhalten. Dann waren die unersättlichen Geldbedürfnisse des Despotismus, seine wachsende Steuerwucht und seine wachsenden Staatsschulden, auch seine Monopol-, Privilegien- und Protektionswirtschaft, nicht zu vergessen die ungezählten Millionen, die die größeren Despoten durch den Massenverkauf ihrer Landeskinder an die Kriege des Auslandes lösten, zu Hebeln der kapitalistischen Produktionsweise geworden, der die Proletarisierung der Bauern, die drakonische Ausrottung des blauen Montags8, die summarische Verkürzung der kirchlichen Feiertage das menschliche Material lieferten, um Muskel und Nerv in heckenden Mehrwert zu verwandeln.

Aber hinter dem französischen oder gar englischen Kapitalismus blieb der deutsche weit zurück; ihrer überlegenen Konkurrenz vermochte er auf dem Weltmarkt nur mit Hungerlöhnen und kleinlichen Geschäftskniffen ein Bein zu stellen. Seine breite Basis blieb die Hausindustrie, die wie die älteste, so auch die rückständigste Form der kapitalistischen Produktionsweise ist. Entweder nistete sich das Kapital in die Risse der Zunft und sprengte den morschen Bau, so dass einzelne Handwerker zu kapitalistischen Verlegern, die meisten aber zu hausindustriellen Lohnsklaven wurden, oder das Kapital warf sich aufs platte Land, wo es frei war von den immer doch beengenden Schranken der Zunft, auf den hörigen Bauern, den der Junker schon wehrlos gemacht hatte, auf den Zwergbauern, der in Gegenden mit geringer Fruchtbarkeit und mit stark feudalem Grundbesitz auf karger Hufe saß, vom Ackerbau allein nicht leben konnte, im Spinnen und Weben, im Schnitzen von mehr oder minder kunstvollem Hausgerät schon lange eine Nebenbeschäftigung gesucht hatte; namentlich die Höhen und Abhänge aller deutschen Gebirge waren mit hausindustriellem Jammer besät.

Im östlichen Deutschland bildeten die Provinz Schlesien und das Königreich Sachsen die Mittelpunkte der kapitalistischen Produktionsweise. Das schlesische Leinengewerbe war eine ländliche Hausindustrie, die auf feudaler Grundlage beruhte. Alle Weber hatten den Weberzins an die Gutsherren zu entrichten, die freien und die unfreien. Die freien waren aber in der Minderzahl, die ungeheure Mehrzahl der Weber war gutsuntertänig und musste neben dem Weberzins noch feudale Abgaben und Dienste leisten. Sie begannen schon im 18. Jahrhundert der britisch-irischen Konkurrenz zu unterliegen, die ihnen im 19. Jahrhundert mit einem zweiten, gewaltigeren Schlage drohte, mit dem Kampfe nicht mehr nur des freien Arbeiters gegen den unfreien, sondern auch mit dem Kampfe der Maschine gegen die Hand. Die Zeiten kamen heran, in denen die schlesischen Weber nach dem Worte eines amtlichen Berichterstatters „die elendesten Bewohner von vielleicht ganz Europa" wurden.

Auch das Königreich Sachsen steckte noch tief in den feudalen Fesseln; in den sächsischen Städten war noch nicht einmal die Zunft beseitigt, der König von Sachsen hatte als freiwilliger Bundesgenosse Napoleons sein Land vor den wohltätig aufrüttelnden Folgen der französischen Eroberung zu bewahren gewusst, und als er, zur Strafe für die den Franzosen bewiesene Treue, die Hälfte seines Gebietes an Preußen abtreten musste, dachten er und seine Nachfolger an alles andere eher als an bürgerliche Reformen, so sehr die kapitalistische Entwicklung des Landes darauf hindrängte. Die Leipziger Messen wurden für das östliche Europa die großen Märkte erst der französischen, dann auch der englischen Manufakturwaren, und die verschiedensten Zweige der Textilindustrie standen in hoher Blüte. Kleine Spinnmaschinen für Baumwolle waren schon seit dem Ende des 18. Jahrhunderts eingeführt worden, doch gab es weit bis Mitte des 19. Jahrhunderts noch keinen mechanischen Webstuhl. Die Hausindustrie überwog, und ihre Hungerlöhne waren weit und breit verrufen; Kartoffeln und Zichorienbrühe nährten ausschließlich die Hausarbeiter des Erzgebirges.

Wenn so die industriellen Mittelpunkte des östlichen Deutschlands noch mehr oder minder im feudalen Sumpfe lagen, so war der industrielle Mittelpunkt des westlichen Deutschlands nahezu auf die Höhe der modernen bürgerlichen Gesellschaft gelangt. Die preußische Rheinprovinz besaß eine ausgebildetere und mannigfaltigere Industrie als Schlesien und selbst Sachsen; sie war ihnen aber auch darin überlegen, dass sie seit dem Jahre 1795 die bürgerlich befreiende Gesetzgebung der Französischen Revolution mitgemacht hatte. Es gab am Rhein fast alle Industriezweige, die eine Bevölkerung von einer in Deutschland sonst unerhörten Dichtigkeit beschäftigten. Auch darin zeichnete sich die rheinische Industrie aus, dass sich in ihr schon früh der Manufaktur- und Maschinenbetrieb entwickelte; die erste mechanische Spinnmaschine in Deutschland wurde 1783 von einem Elberfelder Fabrikanten mit Wasserkraft betrieben.

Auf das rasch anwachsende rheinische Proletariat begannen bereits alle Leiden zu drücken, die die moderne Großindustrie für die von ihr ausgebeuteten Arbeiterschichten schafft, namentlich der furchtbarste Kindermord. Aber die Berliner Regierung hatte dafür weder Auge noch Ohr; sie bemühte sich nur nach ihren Kräften, die höher entwickelte Rheinprovinz wieder auf die Kulturhöhe der ostelbischen Provinzen herabzudrücken, und es war nochmals eine französische Revolution nötig, um ein öffentliches Leben in Deutschland zu erwecken.

6. Das Reich des ästhetischen Scheins

In den Tagen der Revolutionskriege, aber in schroffem Gegensatze zu ihnen, hatte sich die klassische Literatur und Philosophie auf ihre höchste Höhe erhoben. Nach Goethes Rückkehr aus Italien, wohin er sich vor der erdrückenden Enge des deutschen Lebens geflüchtet hatte, lastete das dürftige Philistertum von neuem auf ihm, und zwar um so mehr, als er eine Gewissensehe mit einer Arbeiterin, einem frischen und hübschen Naturkinde, eingegangen war und dadurch den ekelhaften Klatsch der höfischen Gesellschaft entfesselt hatte.

Bald aber drängten tiefere Konflikte heran, die in sein innerstes Wesen trafen. Mit dem Ausbruche der Französischen Revolution umbrausten die Stürme der Außenwelt die umfriedete Welt der Schönheit, die er sich erbaut hatte, und er wandte sich widerwillig von ihr ab, ohne eine Spur des historischen Verständnisses, das doch weit geringere Menschen unter den deutschen Zeitgenossen besaßen. Die geschmacklosen Possen, durch die Goethe die große Revolution verhöhnen wollte, werfen einen tieferen Schatten auf seinen Dichterruhm als selbst die Maskenzüge und leeren Versspiele, die er den höfischen Festen in Weimar gewidmet hat.

Allein was in der Mitte der achtziger Jahre die italienische Reise für Goethe getan hatte, das tat in der Mitte der neunziger Jahre seine Freundschaft mit Schiller. Nach seinen revolutionären Jugenddramen war Schiller an seinem dichterischen Berufe irre geworden und hatte sich zunächst in historische Studien gestürzt, durch die er sich eine außerordentliche Professur an der Universität Jena erwarb, mit dem kümmerlichen Gehalt von 200 Talern jährlich. In dieser armseligen Stellung hatte er ein adliges, aber armes Mädchen geheiratet; in rastloser Überarbeit brach seine Gesundheit im Jahre 1791 völlig zusammen, und er wäre ein verlorener Mann gewesen, wenn ihm nicht eine Hilfe von auswärts gekommen wäre: aus Dänemark, wo ihm der Erbprinz von Augustenburg und der Minister Schimmelmann für drei Jahre ein Jahresgehalt von tausend Talern auswarfen, unter keiner anderen Bedingung, als dass Schiller sich von seiner Krankheit gründlich erhole.

Wenige Monate darauf kam ihm eine andere Kunde vom Auslande; im August 1792 war ihm von der Pariser Nationalversammlung das Ehrenbürgerrecht der Französischen Republik verliehen worden, zugleich mit Washington, Pestalozzi, Klopstock und anderen. Darüber entsetzte sich der Herzog von Weimar, was sich Schiller wenig anfechten ließ, aber als nun die Herrschaft der Jakobiner in Paris begann, ging auch ihm der revolutionäre Atem aus. Er wollte erst eine Verteidigungsschrift für den gefangenen König von Frankreich verfassen, in der seltsamen Einbildung, dass er dadurch auf die „richtungslosen" Köpfe in Paris einigen Eindruck machen werde. Jedoch als dann, ehe er mit seiner Schrift fertig war, das schuldige Haupt des Königs unter dem Messer der Guillotine gefallen war, erklärte Schiller, dass ihn diese elenden Schinderknechte nur noch anekelten. So verhüllte der kühnste Vertreter des deutschen Sturmes und Dranges entsetzt sein Haupt, als ihm die bürgerliche Revolution leibhaftig entgegentrat.

Unfähig, die Französische Revolution zu begreifen, warf sich Schiller ihrem blassen Abbilde, der Kantschen Philosophie, in die Arme. Er war kein unbedingter Bewunderer Kants und wollte namentlich nichts von Kants Sittenlehre wissen, allein er gab der Kantschen Philosophie die eigentümliche Wendung, dass, wie Kant das Reich der Kunst als verbindendes Glied zwischen das Reich der Natur und das Reich der Freiheit gestellt hatte, so Schiller aus dem absolutistisch-feudalen Naturstaat über die Brücke der ästhetischen Kultur in den Staat der bürgerlichen Freiheit gelangen wollte.

Namentlich in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen führte er diese Gedanken in sehr geistreicher Weise aus, nicht ohne die Konsequenzen des bürgerlichen Vernunftsrechts mit radikaler Schärfe zu ziehen, nicht ohne die Gewaltherrschaft zu brandmarken, nicht ohne dem, der sie feige erleide, den Vorwurf zu machen, dass er seine Menschheit wegwerfe, nicht ohne eine Ausdehnung des Eigentumsrechts zu verleugnen, bei der ein Teil der Menschheit verhungern könne, nicht ohne den Ausblick auf eine künftige Gesellschaft zu eröffnen, worin spätere Geschlechter in einem seligen Müßiggange ihrer moralischen Gesundheit warten und den freien Wuchs ihrer Menschheit entfalten könnten.

Jedoch wollte Schiller nichts von dem Kampfe zwischen den „niederen und zahlreicheren Klassen" mit ihren „rohen und gesetzlosen Trieben" und den „zivilisierten Klassen" mit dem noch widrigeren Anblick der charakterlosen Schlaffheit wissen; in der gleichförmigen Kultur der menschlichen Kräfte sah er die einzige Möglichkeit, glückliche und vollkommene Menschen zu erzeugen, und er geriet ins Bodenlose, indem er den Weg zu entdecken versuchte, der von der ästhetischen Schönheit zur politischen Freiheit führe. Er meinte, vor dem Richterstuhle der Erfahrung ließe sich diese Frage nicht entscheiden; seine gedankenreichen Untersuchungen gelangen nicht zu dem politischen Staat, sondern bleiben in dem Reiche des ästhetischen Scheins hängen, worin sich allein das Ideal der Gleichheit erfülle, das der Schwärmer so gern auch dem Wesen nach verwirklicht sehen möchte. Und auf die Frage, wo es ein solches Reich des ästhetischen Scheins gebe, wusste Schiller nur zu antworten: Es werde sich wohl nur, wie die reine Kirche und die reine Republik, in einigen wenigen auserlesenen Kreisen vorfinden. Dieser ästhetisch-philosophische Idealismus war also nach Schiller selbst nur ein Spiel, womit sich auserlesene Geister die traurigen Wände ihres Kerkers vergoldeten.

Doch im Reiche des ästhetischen Scheins fanden sich nun Goethe und Schiller zusammen, nachdem sie sechs Jahre lang, Goethe als Minister in Weimar und Schiller als Professor in Jena, nebeneinander gelebt hatten, ohne sich nähergetreten zu sein. Von ganz entgegengesetzten Seiten waren die Lebenswege beider Männer gelaufen, bis sie sich endlich trafen. Goethe gehörte zu den herrschenden Klassen seiner Zeit; seine Rebellion gegen die Misere der deutschen Zustände war die Rebellion eines genialen Künstlers gegen ein dumpfes Spießbürgertum; an den sozialen Zuständen seiner Zeit rüttelte er auch dann nicht, wenn er rebellierte. Gerade aber im Kampfe mit diesen Zuständen war Schiller als Dichter emporgewachsen, und als er das unwürdige Joch nicht mehr spürte, gegen das er sich wieder und wieder aufgebäumt hatte, war er an seinem Dichterberufe irre geworden. Goethe war immer der große Künstler, der nicht anders als in der Atmosphäre der Kunst leben und weben konnte; Schiller gehörte im letzten Grunde zu den bürgerlichen Aufklärern, die auf dem Gebiet der Ästhetik, der Geschichte, der Philosophie, der Poesie nach scharfen Waffen gegen die feudale Weltanschauung suchten. Treffend sagte ein bürgerlicher Literaturhistoriker von beiden Dichtern: Goethe findet seine Stoffe, Schiller sucht sie.

Die erste freundschaftliche Berührung zwischen beiden Männern erfolgte im Sommer 1794, als Schiller die Herausgabe einer großen Monatsschrift plante, die die ersten literarischen Kräfte Deutschlands um sich scharen sollte, und um Goethes Mitarbeit warb. Die Zeitschrift hieß „Die Horen", und es ist charakteristisch für die damalige Zeit, dass sie alles aus ihren Spalten ausschloss, was an Politik oder Religion erinnerte. Sie sollte gewissermaßen das Reich des ästhetischen Scheins verwirklichen, aber es zeigte sich nun sofort, dass sich dieses Reich wirklich nur auf einige auserlesene Kreise beschränkte. Obgleich „Die Horen" die ersten literarischen Kräfte für sich gewonnen hatten, neben Goethe und Schiller auch Männer wie Fichte und Herder, so fielen sie doch beim großen Publikum gänzlich ab und mussten schon nach drei Jahren eingehen. Was Lassalle zu seiner Zeit von der bürgerlichen Klasse in Deutschland sagte, dass nämlich ihre großen Dichter und Denker wie die Kraniche über sie dahingeflogen seien, das gilt schon für die Zeit, wo Goethe und Schiller ihre Meisterwerke schufen. Sie vereinigten sich dann zu dem Xenienkampfe9, durch den sie ein vernichtendes Strafgericht über das literarische Elend in Deutschland abhielten. Nach diesem tollen Wagstück, wie Goethe sagte, wollten sie sich nur großer und würdiger Kunstwerke befleißigen; es folgte ihr Wettkampf in der Balladendichtung, und dann trat Goethe mit seinem herrlichen Epos „Hermann und Dorothea", Schiller mit seiner gewaltigen Tragödie „Wallenstein" hervor.

Goethes Gedicht verschmolz in vollendeter Weise antike Form mit modernem Geiste. Mitten hinein in die kleinbürgerlichen Kreise, die nun doch einmal seit Jahrhunderten den Schwerpunkt des deutschen Lebens gebildet hatten, schritt der Dichter, und was er aus ihnen schöpfte, war die schlichte, die unversiegliche Kraft, die in aller Not und allem Wirrsal der Zeit den deutschen Namen für eine große Zukunft rettete.

Schiller aber schuf sein dramatisches Meisterwerk im „Wallenstein". Er wollte damit, die alte Bahn verlassend, aus des Bürgerlebens engem Kreis auf einen höheren Schauplatz gelangen. Man mag darüber streiten, ob „Wallenstein" wirklich auf einem höheren Schauplatze spielt als „Kabale und Liebe"; eine bürgerliche Dramatik, die sich wurzelecht entwickelt und verzweigt hätte, wäre leicht aller historischen Dramatik überlegen gewesen. Aber Schiller hatte am eigenen Leibe erfahren, wie sehr in Deutschland die sachlichen Vorbedingungen fehlten, das bürgerliche Drama auf eine klassische Höhe zu erheben. Da sich eine Erneuerung des deutschen Lebens nur dadurch vollzog, dass europäische Kriege über seine Grenzen hereinbrachen, so brachte Schiller große historische Kämpfe auf die Bretter, die nach seinem eigenen Wort die Welt bedeuteten.

Die oft gehörte Ansicht, dass Schiller im „Wallenstein" ein Bild Napoleons habe geben wollen, trifft nicht zu; zu der Zeit, wo er dieses Drama schuf, war der General Bonaparte noch ganz unbekannt. Nichts lag dem Dichter ferner, als die Wirkung seines Dramas im Stoffe zu suchen. Je mehr sich Schiller seiner revolutionären Jugenddramatik entfremdet hatte, um so viel hat seine Mannesdramatik an genialer Ursprünglichkeit verloren, aber auch an durchgebildetem Kunstverstande gewonnen. Im „Wallenstein" bemühte sich Schiller gerade, das objektive Kunstschaffen Goethes zu erreichen und das subjektive Empfinden auszuschalten, das er ehedem in seine dramatischen Gestalten gelegt hatte. Es gelang ihm in so hohem Maße, dass Goethe für den Mitverfasser des „Wallenstein" gehalten wurde, während Goethe selbst meinte, das Drama sei so groß, dass ihm nichts an die Seite gestellt werden könne.

Mit dem „Wallenstein" hatte Schiller die Höhe seines dichterischen Schaffens erreicht, im vierzigsten Jahre seines Lebens. Er hatte nunmehr die dramatische Produktion als seinen eigensten Beruf erkannt, und er warf sich um so rastloser auf sie, als er, immer von schwerem Körperleiden bedrängt, auf keine lange Frist mehr rechnen konnte. Um dem Theater näher zu sein, siedelte er Ende 1799 nach Weimar über.

7. Goethe und Schiller. Die Romantische Schule

Damit begannen die goldenen Tage von Weimar, von denen die bürgerliche Literaturgeschichte so viel zu singen und zu sagen weiß. Das Schlagwort enthält eine gewisse Übertreibung. In dem Maße, wie Goethe und Schiller nun Tür an Tür wohnten, schlief ihre gemeinsame Arbeit ein, und es trat wieder der alte Gegensatz hervor zwischen dem geborenen Künstler, der seine dichterischen Gebilde nach der Gunst der Stunde langsam reifen ließ, und dem poetischen Aufklärer, der die Poesie zum Sturm kommandierte, nachdem ihm die glänzende Waffenprobe des „Wallenstein" das Bewusstsein seiner Feldherrngabe erweckt hatte. Schiller klagte über Goethes „Hinschlendern", während Goethe der dramatischen Produktion Schillers, die nun jedes Jahr ein neues Stück ans Tageslicht brachte, ziemlich zurückhaltend gegenüberstand.

Ganz unleidlich wurde das Verhältnis beider Männer zu Herder. Doch trug daran keineswegs, wie es die bürgerlichen Literaturhistoriker darzustellen belieben, Herders persönliche Eitelkeit und Verdrießlichkeit die Schuld, wenn sich auch Herder manche Blößen gegeben haben mag, wie übrigens auch Goethe und Schiller keineswegs immer gerecht gegen Herder gewesen sind. Der Anstoß, den Herders universaler Geist an der einseitig ästhetischen Kultur nahm, die Schiller und Goethe pflegten, war im Kern der Sache durchaus berechtigt.

Herder starb bereits im Jahre 1803, und zwei Jahre später, am 5. Mai 1805, endete auch Schillers arbeits- und ruhmreiches Leben. Er hat noch vier große Dramen veröffentlicht, von denen jedoch keines mehr an den „Wallenstein" heranreichte, auch nicht „Wilhelm Teil", ein Schauspiel, das zwar in der herrlichen Rütliszene Schillers Freiheitspathos noch einmal mächtig aufflammen ließ, aber sonst an mancherlei ästhetischen und auch historischen Gebrechen leidet.

Nach seinem Tode wurde Schiller der gefeierte Lieblingsdichter der Nation. Die bürgerliche Klasse hob ihn auf den Schild, weniger wegen dessen, was er tatsächlich gesagt und gesungen hatte, als was sie in seine Werke hineinlegte. Schiller wurde der liberale, der nationale, der ideale Dichter von Gnaden der bürgerlichen Klasse und im Sinne ihrer Tendenzen. Ihrem engbrüstigen Liberalismus kam es schmeichelnd entgegen, dass er die bürgerliche Revolution bekämpft und selbst geschmäht und sich in jenen ästhetischen Idealismus gerettet hatte, der nach seiner eigenen Ansicht nur das Geheimnis eines engen Kreises von auserlesenen Geistern sein sollte, aber nunmehr, gänzlich missverstanden, eine Stütze für alle Halbheit und Zaghaftigkeit der deutschen Spießbürger wurde.

Er zeitigte namentlich das blöde Vorurteil, mit dem wir uns noch täglich herumzuschlagen haben, nämlich dass der philosophische Idealismus, d. h. die Weltanschauung, die nicht die Natur, sondern Gott für das Ursprüngliche hält, der Glaube an sittliche Ziele sei, der philosophische Materialismus dagegen, d. h. die Weltanschauung, die nicht in Gott, sondern in der Natur das Ursprüngliche sucht, eitel Fressen, Saufen, Augenlust, Fleischeslust und hoffärtiges Wesen, so dass jeder brave Philister, der einige Brocken von Schillers Gedichten aufgeschnappt hat, sich über Männer wie Darwin und Haeckel, Feuerbach und Marx erhaben dünkt. Am ärgsten grassierte dieser Idealismus, verzerrt, wie er von der bürgerlichen Literatur war, in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als sich die Wolken der Märzrevolution zu sammeln begannen; damals schrieb Karl Marx zornig, Schillers Flucht in das Reich des Ideals vertausche nur die gemeine Misere mit der überschwänglichen10, und aus diesen Tagen datiert die Abneigung, die unverkennbar hervortritt, wenn Marx und Engels auf Schiller zu sprechen kommen.

Es trifft nicht zu, dass Schillers Geist die Märzkämpfe des Jahres 1848 beseelt haben soll. Die einfachste Wahrheitsliebe verbietet, ihn als Schwurzeugen für eine bürgerliche Revolution anzurufen. Schiller hat diese Revolution in Frankreich gesehen, aber nicht verstanden; sie ist ihm ein Gräuel geworden, sobald sie mit ehernen Sandalen einherzuschreiten begann. Die heutige Arbeiterbewegung kann in Schiller nicht mehr einen unfehlbaren Lehrer und Wegweiser betrachten; sie wandelt ganz andere Wege, als Schiller gewandelt ist. Aber was ihr von seinem Erbe gebührt, hält sie in vollen Ehren; sein Ruf gegen die Tyrannen wird in ihren Reihen immer ein Echo finden, und sie wird stets begeistert auf dies Leben der Arbeit, des Kampfes und des Leidens blicken, das nicht müde wurde zu schaffen, bis der letzte Funken körperlicher Kraft erloschen war.

Goethe hat Schiller um nahezu ein Menschenalter, um 27 Jahre, überlebt und in dieser Zeit ununterbrochen weitergearbeitet. Seine genialste Dichtung, der „Faust", erschien drei Jahre nach Schillers Tode, im Jahre 1808, zum ersten Male in geschlossener Form. Goethe hatte schon früher Bruchstücke aus dem unsterblichen Werke veröffentlicht, das ihn sein langes Leben hindurch begleitet hat; sie waren wenig beachtet worden, aber als nun, mitten in den Tagen tiefster Erniedrigung, die vollendete Dichtung erschien, da schlug sie zündend ein, und aus ihr schöpften die Deutschen ein weit stolzeres Selbstvertrauen als aus den kümmerlichen Reformen, zu denen die Not der Fremdherrschaft die heimischen Despoten zwang.

Von nun an stand Goethe, sein langes Greisenalter hindurch, auf einsamer Höhe über der Nation. Selbst der Kampf, den sie um ihr nationales Dasein führte, bewegte ihn nicht; den Kriegen gegen Napoleon stand er völlig teilnahmslos gegenüber, was ihm mit Unrecht und auch mit Recht zum Vorwurfe gemacht worden ist. Mit Unrecht, insoweit er viel zu sehr Kulturmensch war, um an der abgeschmackten Franzosenfresserei irgendwelchen Geschmack zu finden, mit Recht, insoweit als er sich in einer Zeit weltbewegender Kämpfe in dem kläglich kleinen Käfig eines deutschen Fürstenhöfchens gefiel. Der große Dichter verschwand jetzt allzu oft und allzu weit hinter dem kleinen Minister, wie sich der gewaltige Sprachmeister in einem feierlich nichtssagenden Greisenstil gefiel.

Eine Macht aber blieb Goethe im deutschen Leben, wie der größte, so der letzte Vertreter der klassischen Literatur, die, solange er lebte, den einzigen unanfechtbaren Anspruch des deutschen Volkes auf den Ruhm einer modernen Kulturnation bildete. Mit russischen Barbaren im Bunde waren die sogenannten Freiheitskriege gegen den Erben der Französischen Revolution geschlagen worden, und ihnen folgte eine trostlose Reaktion. Die klassische Literatur aber hatte sich selbst ihren Wert erschaffen, und hieran dachte Goethe, als er die großsprecherischen Anmaßungen der romantischen Dichterschule, die unter dem Rückstoße des feudalen Ostens auf den bürgerlichen Westen entstanden war, mit den Worten abfertigte: das Klassische ist das Gesunde und das Romantische ist das Kranke.

Anders stand es mit der Opposition, die ehedem die noch lebenskräftigen und zukunftsfrohen Elemente des Bürgertums gegen Goethe erhoben. Er starb am 22. März 1832, als die Pariser Julirevolution den traurigen Tagen der europäischen Reaktion ein Ziel gesetzt hatte und sich die Völker ihrer Rechte gegen die Fürsten entsannen. Die deutsche Jugend, die politisch zu denken und zu handeln begann, die nur den alten Goethe gesehen hatte und selbst in seinen jugendlichen Dichtungen nur wenig von dem fand, was ihr Herz bewegte, musste sich ablehnend und feindlich zu Goethe stellen. Es ist dabei nicht ohne bittere, harte und ungerechte Urteile abgegangen, es sei nur an das erinnert, was selbst Börne und Heine über Goethe geschrieben haben. Aber deshalb darf man nicht in das Geschrei über das Unrecht einstimmen, das die Nation ihrem größten Sohne zugefügt haben soll. Eine Nation ist immer noch viel größer als ihr größter Sohn; sie muss ihre Gaben und Kräfte auf allen Gebieten menschlichen Schaffens entfalten, was der einzelne niemals kann, der schon in Raum und Zeit so ungleich beschränkter ist. Wie harte und ungerechte Urteile damals über Goethe laut geworden sind, so entsprangen sie doch einer historischen Notwendigkeit; sollte das deutsche Volk wieder zu einer selbstbewussten Nation werden, so musste der einst belebende und nun erstarrende Bann des großen Namens Goethe gebrochen werden.

Am törichtesten ist es, wenn man die Opposition, die sich mit der Entwicklung des politischen Lebens in Deutschland gegen Goethe erhob, dadurch entkräften zu sollen glaubt, dass man sagt, sie habe die Kunst durch Vermischung mit politischen Tendenzen ruiniert; die politische Dichtung Heines, Herweghs, Freiligraths und anderer sei ein ästhetisches Unding, das vor dem Richterstuhle des guten Geschmacks nicht bestehe. Es ist gewiss richtig, dass Poesie und Politik getrennte Gebiete sind, dass eine Dichtung, die nicht durch künstlerische Mittel wirkt, sondern nur auf die politischen Leidenschaften und Neigungen spekuliert, die gerade im Vordergrunde der politischen Interessen stehen, wie etwa die Hohenzollerndramen Wildenbruchs, verwerfliche Tendenzpoesie ist. Allein daraus darf man nicht folgern, dass die Poesie überhaupt nicht politische Probleme oder soziale Katastrophen behandeln dürfe. Die Forderung scheitert schon an ihrer inneren Unmöglichkeit. Die Dichter und Künstler schneien nicht vom Himmel, sie wandeln auch nicht in den Wolken; sie leben vielmehr mitten in den Klassenkämpfen ihres Volkes und ihrer Zeit. Die einzelnen Köpfe können dadurch in der allerverschiedensten Weise angeregt und beeinflusst werden, aber darüber hinaus kann kein Dichter und Denker.

So war unsere klassische Literatur nichts anderes als der beginnende Emanzipationskampf des deutschen Bürgertums. Sich einzubilden, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch einen glücklichen Zufall oder durch einen unerforschlichen Ratschluss die Vorsehung eine große Anzahl literarisch begabter Köpfe gerade auf deutschem Boden erwachsen ließ, ist haltlos. Vielmehr gab die ökonomische Entwicklung jenes Zeitalters den bürgerlichen Klassen in Deutschland einen starken Anstoß; da aber diese Klassen bei alledem nicht stark genug waren, um wie in Frankreich um die politische Macht zu ringen, so schufen sie sich in der Literatur ein Idealbild der bürgerlichen Welt. In Klopstock und Lessing und dem jungen Schiller trat der bürgerlich-revolutionäre Gedanke klar und scharf genug hervor, aber da er kein Echo in den Volksmassen fand, so begnügte er sich gerade in der Blütezeit unserer klassischen Literatur, die durch die Freundschaft Goethes und Schillers gekennzeichnet wird, mit einem Reiche des ästhetischen Scheins, das sich geflissentlich auf einen kleinen Kreis erlesener Geister beschränkte und sich sorgfältig von allen politischen und sozialen Tendenzen abschloss, noch dazu in einer Zeit, wo die Revolutionskriege das feudale Europa von oben bis unten umkehrten.

Es ist nun klar, dass dies Reich des ästhetischen Scheins in dem Maße verblassen musste, je mehr das politische und soziale Selbstbewusstsein in den bürgerlichen Klassen erwachte. Was ehedem ein Fortschritt gewesen war, die höchste Ausbildung der ästhetischen Kultur durch Goethe und Schiller, das wurde zu einem Rückschritt, sobald die Möglichkeit des politischen und sozialen Kampfes gegeben war; was früher das Ideal der ausgezeichnetsten Köpfe gebildet hatte, harmonische Schönheit und Vollendung im Reiche des ästhetischen Scheins, das wurde zum plumpen Schlagworte des reaktionären Philisters, der seine Ruh' haben und nichts vom historischen Fortschritt wissen wollte, zu dem Schlagworte von der politischen Tendenzpoesie, die mit wirklicher Kunst nichts zu tun habe. Gegenüber solchem rückständigen Gerede ist immer daran festzuhalten, dass nicht die ehrliche und offene, nicht die politische und soziale Tendenz künstlerisch verwerflich ist, sondern nur ihre Darstellung mit künstlerisch unzulänglichen Mitteln. Und hieran hat namentlich die Arbeiterklasse festzuhalten, die sich sonst zu der unsinnigen Ansicht bekehren würde, dass alles, was ihres Lebens besten Inhalt ausmacht, kein Gegenstand dichterischer oder künstlerischer Darstellung sein dürfe.

Betrachtet man die Kehrseite der Medaille, so ist Goethe durch die Einseitigkeit seiner rein ästhetischen Weltanschauung in die Hände der Pedanten und Philister geraten, wie schon Gottfried Keller, der nicht ohne Grund der schweizerische Goethe genannt worden ist, mit derben Worten festgestellt hat. Es gibt in der Weltliteratur keine Gestalt, die so sehr zur Heldenverehrung verleitet wie Goethe, aber wer sich dem Goethekultus ergibt, irrt weltfremd in der Gegenwart umher. Ein klassisches Beispiel dafür ist das Buch Victor Hehns über Goethe, das wundervolle Abschnitte enthält, die Goethes Geheimstes enthüllen, aber daneben die beschränktesten und gehässigsten Urteile über Schiller, Lessing, Bürger, Heine und überhaupt diejenigen Größen der deutschen Literatur fällt, in denen ihr bürgerlich-revolutionäres Wesen am kräftigsten lebte, das die deutsche Märzrevolution als einen politischen Kinderstreich verurteilt, kurzum den absolutesten Stumpfsinn gegenüber den politischen und sozialen Problemen der Gegenwart verrät. Zu diesen Konsequenzen führt der unbedingte Goethekultus; er verdammt zu völliger Unfruchtbarkeit in den großen Fragen der Gegenwart, und er macht sich lächerlich, wenn er über den Stumpfsinn der Massen jammert, die von Goethe nichts wissen oder wissen wollen.

Darauf gibt es nur die eine Antwort: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, aber er lebt auch nicht allein von der Kunst; ehe er sich ein schönes Leben schaffen kann, muss er sich sein Leben selbst gesichert haben. Die heutige Arbeiterklasse besitzt wenigstens ein Stück der ökonomischen und politischen Freiheit, die der bürgerlichen Klasse des 18. Jahrhunderts noch fehlte; sie kann unmittelbar an den Feind heran und braucht keinen künstlichen Umweg einzuschlagen. Es ist kein Nachteil, sondern ein Vorteil des proletarischen Emanzipationskampfes, dass er seine Kraft zunächst auf politischem und sozialem Gebiete konzentrieren kann und deshalb auch konzentrieren muss, dass er die Forderung ästhetischer Kultur, sowenig er sie vernachlässigt, doch nur in zweiter Reihe vertreten darf.

Bösartig und kurzsichtig wie immer, ziehen die Gegner daraus die Schlussfolgerung, dass die Kunst das Vorrecht einer hervorragenden Minderheit sei, und sie haben sich zu Ehren sogar das freche Dogma geprägt, dass die Massen niemals das volle Sonnenlicht der Kunst, sondern höchstens einige gedämpfte Strahlen dieses Lichtes ertragen könnten. Dies Dogma kann sich breitmachen, solange es herrschende Klassen gibt, solange die unterdrückten Massen um ihr nacktes Dasein ringen müssen und erst, wenn sie es sich gesichert haben, daran denken dürfen, sich ein schönes Dasein zu schaffen. Allein nichts ist törichter als die Einbildung, dass, wenn die herrschenden Klassen fallen, auch die Kunst fallen wird. Sie wird dann freilich fallen, aber nicht als Kunst, sondern als Vorrecht; sie wird eine verkrüppelnde Hülle abwerfen, um erst zu werden, was sie ihrem Wesen nach sein soll: ein ursprüngliches Vermögen der Menschheit. Dann und dann überhaupt erst wird Goethe zu seinem vollen Rechte kommen; der Tag, an dem sich die deutsche Nation ökonomisch und politisch befreit hat, wird der Jubeltag ihres größten Künstlers sein, weil dann die Kunst ein Gemeingut des ganzen Volkes sein wird.

In die Tage des alternden Goethe fiel die Blüte und auch schon der Untergang der romantischen Dichterschule. In ihr spiegelte sich der Zwiespalt wider, den die Fremdherrschaft zwischen den nationalen und den sozialen Interessen des Bürgertums geschaffen hatte. Nationale Ideale ließen sich nur in dem Mittelalter finden, wo die ausgeprägteste Klassenherrschaft der Junker und Pfaffen bestanden hatte. So flüchteten die romantischen Dichter in die „mondbeglänzte Zaubernacht des Mittelalters", aber da die mittelalterlichen Ideale sich doch nicht in unverstümmelter Herrlichkeit wiederherstellen ließen, nachdem ein revolutionärer Sturm über den europäischen Boden gefegt war, so mischten sie den feudalen Wein, den sie aus den Kellern der Burgen und Klöster holten, mit manchem Tropfen vom nüchternen Wasser der bürgerlichen Aufklärung.

Daher ist diese Schule nicht ohne anerkennenswertes Verdienst. Sie hat die Schätze der mittelalterlichen Dichtung wiederentdeckt, nicht nur die höfischen und ritterlichen Dichter, sondern auch die Nibelungen, ein nationales Epos, das sich wohl mit den homerischen Gesängen messen darf. Vor allem hat die romantische Dichterschule die köstlichen Schätze der Volksdichtung gehoben; die Märchen der Gebrüder Grimm und „Des Knaben Wunderhorn", eine Sammlung alter Volkslieder, die Arnim und Brentano herausgaben. Daneben verdanken wir ihr eine außerordentliche Erweiterung unseres poetischen Gesichtskreises; da sie keinen festen Boden unter den Füßen hatte, so schweifte sie hinweg zu den Kunstschätzen aller Völker und Zeiten und brachte vieles Treffliche heim wie die klassische Übersetzung Shakespeares durch Schlegel.

Von den eigenen Dichtungen der Romantiker hat sich freilich nicht allzu viel erhalten, am wenigsten von Tieck, der als das eigentliche Dichterhaupt der Schule galt und von ihr neben, ja selbst über Goethe gestellt wurde. Von Arnim und Brentano wird wohl noch dieses Märchen und jene Novelle gelesen, auch manche Gespenstergeschichte E. T. A. Hoffmanns, vor allem aber die Lyrik Eichendorffs, der oft in wunderbarer Weise den Ton des Volksliedes getroffen hat. Auch die Sänger der Befreiungskriege gehören gewissermaßen zur Romantischen Schule, Max v. Schenkendorf mit seiner katholisierenden Richtung, Ernst Moritz Arndt, der weniger wegen seiner Gedichte als wegen seines höchst antimonarchischen Soldatenkatechismus erwähnenswert ist, und Theodor Körner, dessen mittelmäßige Dichtungen durch seinen tapferen Tod auf dem Schlachtfelde einen größeren Ruf erhalten haben, als sie an sich beanspruchen können.

Der genialste Dichter aber der Romantischen Schule war Heinrich v. Kleist (1776-1811), der Sohn einer alten ostelbischen Adelsfamilie. Ihren Überlieferungen gemäß war er von früh auf bestimmt, preußischer Offizier zu werden, doch ekelte ihn dieser Beruf bald an, und schon mit zwanzig Jahren nahm er seinen Abschied. Das Leben, das er von nun an führte, ist eine entsetzliche Krankheitsgeschichte. Zweifel an seinem Berufe, Siechtum des Leibes und der Seele, der ungerechte Kaltsinn der Zeitgenossen, die Hindernisse, die ihm seine eigene Junkersippe bereitete, der Druck der Fremdherrschaft, die ewige Sorge ums tägliche Brot und endlich der Selbstmord in der fürchterlichsten Verzweiflung: alles das ergibt ein erschütterndes Bild.

Inmitten dieses Elends aber hat Kleist eine Reihe von Dramen geschaffen, die von einer Kraft der Gestaltung zeugen, wie sie weder Lessing noch Schiller besessen hatten: „Der zerbrochene Krug", ein Lustspiel, das in seiner Art keinen Nebenbuhler in unserer Literatur hat, „Das Käthchen von Heilbronn", ein Ritterschauspiel, das nicht frei ist von der romantischen Schönfärberei des Mittelalters, aber trotzdem schon mehrere Menschenalter eine unverwüstliche Lebenskraft bewährt hat, ferner die „Hermannsschlacht", ein Tendenzdrama, das tatsächlich gegen die französische Fremdherrschaft gerichtet war, aber mit künstlerischen Mitteln arbeitete und mit ergreifender Lebenswahrheit den Kampf der alten Cherusker gegen die römischen Eroberer und ihren Sieg im Teutoburger Walde schildert, und endlich den „Prinzen von Homburg", ein Stoff aus der preußischen Geschichte, die einzige dichterische Verherrlichung des Hohenzollernhauses und von ihm dadurch belohnt, dass es den Dichter verhungern ließ. Kleist wurde den ostelbischen Junker nicht los, der in ihm steckte, dafür war er ein romantischer Dichter, allein der junkerliche Trotz ist bei ihm geadelt als ein Kampf des Rechts gegen die moralische Gebrechlichkeit der Welt, wie namentlich auch in „Michael Kohlhaas", der größten seiner prosaischen Erzählungen.

Fast in allem das Widerspiel Heinrich v. Kleists war der andere Dichter der Romantischen Schule, der bis auf diesen Tag lebendig geblieben ist, Ludwig Uhland (1787-1862). Er stammte aus einem schwäbischen Bürgerhause und hat all sein Lebtag das ruhige Leben des schwäbischen Kleinbürgers geführt. Vor den meisten Dichtern der Romantischen Schule zeichnete er sich durch seine strenge Form und die klare Erkenntnis seines dichterischen Vermögens aus, doch vermisste schon Goethe an ihm die Leidenschaft, und seine Balladen, auf die sich hauptsächlich sein Dichterruhm gründet, können sich mit Goethes und Bürgers Balladen nicht messen. Und wenn es sein Verdienst ist, die politische Poesie wiedererweckt zu haben, so zollte er auch in ihr der Romantik seinen Tribut, denn das „alte gute Recht in Schwaben", wofür er kämpfte, war ein feudales und historisch überlebtes Recht.

8. Fichte und Hegel

Es erübrigt noch, die Entwicklung unserer klassischen Philosophie in der Zeit von 1789 bis 1830 zu verfolgen. An Kants Erkenntnistheorie, wonach wir die Dinge außer uns nicht sehen, wie sie sind, sondern wie sie unseren Sinnen erscheinen, wonach die ganze Erscheinungswelt, die ganze Welt, die sich unseren Sinnen darbietet, bis auf die Anschauung von Raum und Zeit nur in der menschlichen Vorstellung vorhanden sei, während sich hinter ihr das absolute Wesen der Dinge, das Ding an sich, in einem undurchdringlichen Dunkel verberge, knüpfte Johann Gottlieb Fichte an (1763-1814). Hatte Kant die gegenständliche Welt gleichsam zertrümmert, indem er ihr Dasein in die Tätigkeit des menschlichen Bewusstseins auflöste, so baute Fichte sie aus dem menschlichen Bewusstsein wieder auf. Für Fichte ist das Ich, das heißt nicht der einzelne Mensch, aber der Mensch als Gattung, das wirkliche Ding an sich; das menschliche Selbstbewusstsein ist für ihn nicht der Spiegel, sondern der Schöpfer der Dinge.

Fichte sagt: „Die Dinge werden erst durch unser Ich geschaffen; es gibt kein Sein, sondern ein Handeln; der sittliche Wille ist die einzige Wirklichkeit." Das Denken ist für Fichte ein selbständiger Prozess, der sich mit innerer Notwendigkeit vollzieht. Mit jedem Satze ist sein Gegensatz gegeben, und in der steten Überwindung dieses steten Widerspruches durch eine höhere Einheit bewegt sich der Gedanke vorwärts, womit Fichte an die dialektische Methode der altgriechischen Philosophie anknüpfte.

Auf Fichtes Spiel mit philosophischen Begriffen brauchen wir nicht näher einzugehen. Den unzähligen guten und schlechten Witzen, die über sein Ich und Nicht-Ich gemacht worden sind, hat er selbst schon die Spitze abgebrochen durch den Satz: Was für eine Philosophie man wählt, richtet sich danach, was für ein Mensch man ist. Wie sich Kants Philosophie im letzten Grunde daraus ableitet, dass Kant niemals aus der Philisterhaut herauskam, so erklärt sich die Philosophie Fichtes, der als der Sohn eines blutarmen Bandwebers in der Oberlausitz geboren war, im letzten Grunde daraus, dass dies Proletarierkind vom Scheitel bis zur Sohle ein Revolutionär war. Fichte verkündete frank und frei den Atheismus und das Recht auf Revolution, das Kant verleugnet hatte; er begriff die nationale Idee, von der Kant keine Ahnung gehabt hatte; er unterschied nicht, wie Kant, zwischen Staatsbürgern mit ganzem und Staatsgenossen mit halbem Rechte, sondern erklärte es für den Beruf des Deutschen, ein wahrhaftes Reich des Rechts zu schaffen, gegründet auf Gleichheit alles dessen, was Menschengesicht trägt.

Wie Kants Geist an den Naturwissenschaften, so war Fichtes Geist an den Geschichtswissenschaften genährt. Und wie für Kant das historische Leben der Völker ein Buch mit sieben Siegeln war, so war es für Fichte ein offenes Buch. So wusste auch Fichte Kants theologisch verseuchte Ethik auf historische Höhe zu erheben; der Lehre von dem radikal Bösen der Menschennatur gab er die schlagende Wendung, dass die Schlechtigkeit der Menschen im Verhältnis des höheren Standes zunehme. Und während Kant, als Königsberg von den russischen Barbaren erobert worden war, bei der Zarin um Beförderung einkam, so rief Fichte, als der Erbe der Französischen Revolution in Berlin gebot, die deutsche Nation in flammenden Reden auf, sich aus ihrem geistigen und moralischen Verfall zu erheben.

Kant verleugnete diesen Schüler frühzeitig, worauf Fichte seinen Meister einen „Dreiviertelskopf" schalt, der nicht fortzuführen wisse, was er begonnen habe. In nicht minder scharfen Gegensatz trat Fichte zu der einseitig-ästhetischen Kultur, wie sie Goethe und Schiller gepflegt hatten. Schiller schalt über den „unästhetischen" Fichte und verspottete ihn als Weltverbesserer, aber Fichte fragte in seinen Reden an die deutsche Nation, was denn die Literatur eines Volkes ohne politische Selbständigkeit sei? Was könne denn der vernünftige Schriftsteller anders wollen, als eingreifen in das allgemeine und öffentliche Leben, um es nach seinem Bilde zu gestalten; wenn er das nicht wolle, so sei all sein Reden leerer Laut zum Kitzel müßiger Ohren.

Deshalb ist es völlig sinnlos, wenn bürgerliche Historiker von einem Idealismus Fichtes und Schillers sprechen. Freilich war die Philosophie Fichtes idealistisch, indem sie das Denken über das Sein stellte, aber von dem Idealismus Schillers unterschied sich Fichtes Idealismus, wie sich die politische Revolution von der ästhetischen Kultur unterscheidet. Sie brauchen keine ausschließenden Gegensätze zu sein, und am wenigsten sind sie es in der Arbeiterbewegung der Gegenwart, aber wo sie sich einmal geschieden haben, da darf man sie nicht unter einem allgemeinen Schlagworte zusammenkoppeln, wenn man nicht heillose Verwirrung anstiften will. Gerade in seinen Reibungen mit Schiller arbeitet sich Fichte als das heraus, was er historisch gewesen ist, als der revolutionäre Denker, der das ungeheure Wagnis unternahm, mit der Gewalt seines Geistes eine ganze Nation umzuschaffen.

Ein Sozialist, zu dem man ihn hat machen wollen, ist Fichte deshalb nicht gewesen. Dieser Anspruch gründet sich namentlich auf seine Schrift über den geschlossenen Handelsstaat, doch hat sie mit dem Sozialismus nichts zu tun. Sie zeichnet vielmehr den altpreußischen Staat, so wie er nach den Forderungen der bürgerlichen Vernunft hätte eingerichtet werden müssen. Fichte steht in ihr sogar den Bedürfnissen der modernen bürgerlichen Gesellschaft verständnislos gegenüber.

Wie Fichte auf Kant, so folgte auf Fichte der dritte unserer klassischen Philosophen, Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770-1831). Auch seine Philosophensprache ist für uns unverständlich geworden; es genügt, das historische Schwergewicht seiner Philosophie zu erkennen. Hatte Kant durch seine Theorie des Himmels die Entwicklung in die Natur eingeführt, so führte Hegel sie in die Geschichte ein. Hatte Fichte an die dialektische Methode der altgriechischen Philosophie angeknüpft, so machte Hegel diese Methode zum Springquell alles Lebens. Mit dem Begriff des Seins ist auch der Begriff des Nichts gegeben, und aus dem Kampfe beider entsteht der höhere Begriff des Werdens. Alles ist und ist zugleich nicht, denn alles fließt, ist in steter Veränderung, in stetem Werden und Vergehen begriffen.

Hegel fasste die Geschichte der Menschheit als einen in steter Bewegung, Veränderung und Umbildung begriffenen, vom Niederen zum Höheren aufsteigenden Prozess auf, und er versuchte mit gewaltiger Geistesarbeit, in den verschiedensten Fächern der historischen Wissenschaft, den inneren Zusammenhang, den allmählichen Stufengang dieses Prozesses durch alle scheinbaren Irrwege und Zufälligkeiten zu verfolgen. Da er die Dinge für Abbilder der Begriffe nahm, so gelangte er wohl zu sehr willkürlichen Geschichtskonstruktionen, aber da so halsstarrige Dinge, wie geschichtliche Tatsachen, sich nicht so leicht unter das Joch der Begriffe spannen ließen, so kam er auch zu genialen Blicken in den Zusammenhang der Menschheitsgeschichte.

Bescheidener als Kant oder doch als Kants Bewunderer, beanspruchte Hegel kein „zeitloser Denker" zu sein, sondern seine Philosophie war ihm nur seine Zeit, in Gedanken erfasst. Hieraus ergab sich schon der eminent historische Charakter seiner Lehre. Mit seiner historischen Dialektik eroberte Hegel ungezählte Provinzen des Geistes und befruchtete durch das Prinzip der Entwicklung die historischen Wissenschaften in einer Weise, deren die Kantsche Philosophie völlig unfähig war.

Von 1815 ab bis zu Hegels Tode im Jahre 1831 und noch darüber hinaus beherrschte seine Philosophie das deutsche Geistesleben. Da es eine Zeit der politischen und sozialen Reaktion war, so herrschte ihre konservative Seite vor; das Ideal des Rechtsstaates, das Hegel in seiner Rechtsphilosophie aufbaute, spiegelte den preußischen Staat von 1821 ebenso wider, wie Fichtes „Der geschlossene Handelsstaat" den preußischen Staat von 1801 widergespiegelt hatte, mit dem begreiflichen Unterschiede, dass Hegel unter dem Drucke der Karlsbader Beschlüsse sein Vorbild viel weniger idealisierte, als Fichte unter begeisternder Nachwirkung der Französischen Revolution das seinige idealisiert hatte. Hegels Rechtsphilosophie überflügelte den preußischen Staat der zwanziger Jahre in nicht viel mehr als darin, dass sie Öffentlichkeit der Rechtspflege und Schwurgerichte forderte.

So wurde sie gewissermaßen zur preußischen Staatsphilosophie erklärt, da die preußische Staatsräson das revolutionäre Wesen ihrer Dialektik nicht ahnte. Aber dieses Wesen musste sie offenbaren, als die französische Julirevolution neues Leben in Deutschland hervorrief, und wie diese Revolution zum ersten Male die moderne Arbeiterklasse als Macht auf die weltgeschichtliche Bühne rief, so keimte aus der Hegelschen Philosophie der wissenschaftliche Kommunismus.

Quellen. Eine populäre Darstellung der großen Umwälzung von 1789 gibt Blos, Die Französische Revolution, im Stuttgarter Parteiverlage. Nach Kenntnis des tatsächlichen Verlaufs ist mit vielem Nutzen zu lesen Kautsky: Die Klassengegensätze im Zeitalter der Französischen Revolution, im Stuttgarter Parteiverlage. Noch eingehender und in der Tat erschöpfend behandelt Cunow die damaligen Klassenkämpfe in seiner Schrift Die revolutionäre Zeitungsliteratur Frankreichs während der Jahre 1789 bis 1794. Wer diese Schriften eingehend studiert, kann sich die bürgerliche Literatur über die Französische Revolution schenken.

Über die Katastrophe von 1806 siehe die kürzere Schrift von Mehring, Jena und Tilsit, im Leipziger Parteiverlage, und die ausführlichere Darstellung von Eisner, Das Ende des Reichs, im Verlage des Vorwärts. Über Goethe und Schiller ist die schon erwähnte Biographie Mehrings einzusehen, über Fichte die beiden Schriften, die Lassalle dem revolutionären Denker gewidmet hat, über Hegel Engels, Anti-Dühring und Feuerbach, im Stuttgarter Parteiverlage11.

1 Abgaben für die in der Amtstracht, zu der in der katholischen Kirche die Stola gehört, von den Geistlichen verrichteten Handlungen.

2 Die Schlacht bei Valmy (20. September 1792) war der erste Sieg des revolutionären Frankreichs über die konterrevolutionäre feudale Koalition.

3 Die Formulierung ist irreführend. Es konnte nicht das Hauptziel der Jakobiner sein, die Grundlagen der kapitalistischen Ausbeutung zu beseitigen, auch wenn sie im revolutionären Kampfe gegen die feudale Reaktion diktatorisch gegen einige kapitalistische Erscheinungen vorgingen. Marx formuliert genauer: „Der ganze französische Terrorismus war nichts als eine plebejische Manier, mit den Feinden der Bourgeoisie, dem Absolutismus, dem Feudalismus und dem Spießbürgertum, fertigzuwerden." (Die Bourgeoisie und die Kontrerevolution. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 6, S. 107.)

4 Bei Fehrbellin siegte am 28. Juni 1675 Kurfürst Friedrich Wilhelm über die mit Frankreich verbündeten Schweden.

Der Sieg des deutschen Heeres bei Sedan am 1. September 1870 führte am 2. September zur Gefangennahme der eingeschlossenen französischen Armee und Napoleons III. und war entscheidend für den Ausgang des Deutsch-Französischen Krieges 1870/1871.

5 Verordnung über die Rechte und Pflichten der Dienstboten und Hausangestellten, wodurch diese in Abhängigkeit von der sogenannten Dienstherrschaft gehalten wurden. Unter anderem war die Führung von Gesindezeugnisbüchern vorgeschrieben. Die preußische Gesindeordnung fiel erst am 12. November 1918 durch Erlass des Rates der Volksbeauftragten, und nicht einmal vollständig. (Siehe auch Anmerkung 28.)

6 Die Proklamation von Kalisch wurde als offizielles Programm der Alliierten von General Kutusow, dem Oberbefehlshaber der verbündeten russischen und preußischen Armeen, am 25. März 1813 erlassen. Es hieß in ihm unter anderem: „Je schärfer in seinen Grundzügen und Umrissen das Werk heraustreten wird aus dem ureigenen Geiste des deutschen Volkes, desto verjüngter, lebenskräftiger und in Einheit gehaltener wird Deutschland wieder unter Europas Völkern erscheinen können."

7 Nach dem griechischen: Volksführer – so wurden in den Karlsbader Beschlüssen vom August 1819 die Teilnehmer oppositioneller Bewegungen der deutschen Intelligenz und studentischer Vereinigungen genannt.

8 Ein von den Handwerksgesellen überkommener Brauch, montags nicht zu arbeiten (blau machen); ursprünglich der Montag nach den Fasten, wegen der an diesem Tage beginnenden violetten (blauen) Bekleidung des Altars.

9 Xenien – zeit- und literaturkritische Distichen, die Goethe und Schiller 1797 im Musenalmanach veröffentlichten.

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