Erster Abschnitt

ERSTER ABSCHNITT

Die deutsche Reformation und ihre Folgen

1. Das Kaufmannskapital

In mehreren Städten entstand durch die besondere Gunst historischer und geographischer Umstände der Welthandel, zunächst in Unteritalien durch den überseeischen Verkehr mit dem Orient, mit Konstantinopel und Ägypten, von hier aus aber nach dem Norden sich ausdehnend. Er brachte große Schätze in Umlauf, die der damaligen Zeit geradezu als unermesslich erschienen und bald die Gier aller herrschenden Klassen in Europa erregten.

Das moderne Kapital erscheint hier zuerst, und zwar wesentlich noch als Kaufmannskapital. Doch übte es sofort eine zersetzende Wirkung auf die feudale Produktionsweise aus. Je mehr der Warenaustausch sich entwickelte, eine desto größere Macht wurde das Geld, für das jeder jedes erhalten konnte, das jeder brauchte und jeder nahm. An der Quelle der kapitalistischen Produktionsweise stand nicht der handwerksmäßige Zunftmeister, der bei der beschränkten Anzahl seiner Gesellen nur zu mäßigem Wohlstande gelangen konnte, sondern der Kaufmann, dessen Kapital unbeschränkter Ausdehnung fähig und dessen Profitwut deshalb maßlos war. Mit dem Kaufmannskapital, der revolutionären Macht des 14., 15. und 16. Jahrhunderts, gelangte neues Leben in die mittelalterliche Gesellschaft, und neue Anschauungsweisen erwachten.

An die Stelle des bornierten Partikularismus, der dem Mittelalter eigen war, trat ein Kosmopolitismus, der sich überall wohl fühlte, wo es etwas zu verdienen gab. Im Gegensatz zu dem Zunftbürger, der oft sein ganzes Leben lang nicht die Grenzen seiner Stadt überschritt, drängte der Kaufmann rastlos nach unbekannten Gegenden, überschritt die Grenzen Europas, eröffnete das Zeitalter der Entdeckungen, das in der Auffindung des Seewegs nach Indien und der Entdeckung Amerikas gipfelte. Auf der anderen Seite aber setzte der Kaufmann der Universalität der mittelalterlichen Kirche die Nationalität entgegen, die im Mittelalter mit seinen kleinen selbstgenügsamen Gemeinwesen nur schwach entwickelt war.

In dem Welthandel entwickelte sich der Gegensatz vom Käufer und Verkäufer zu einem nationalen Gegensatz; je mächtiger das Gemeinwesen war, dem der eine oder der andere angehörte, um so größer für den einen oder den anderen die Aussicht auf Profit. So erwuchs aus dem Welthandel ein mächtiges ökonomisches Interesse, das nach und nach das lockere Gefüge der mittelalterlichen Staaten festigte, aber sie auch schroffer voneinander abschloss, so dass sich die Christenheit in scharf geschiedene Nationen spaltete.

In gleichem Maße wie der Welthandel trug der Binnenhandel zur Erstarkung der nationalen Staaten bei. Es liegt im Wesen des Handels, sich in Knotenpunkten zu konzentrieren, wo sich die Waren des Auslandes sammeln, um über das ganze Land durch ein weitverzweigtes Netz von Straßen und Wegen verbreitet zu werden, und wo sich auch die Waren des Inlands sammeln, um nach dem Auslande vertrieben zu werden. Das ganze Gebiet, das ein solcher Knotenpunkt beherrscht, wird ein wirtschaftlicher Organismus, der um so enger zusammenwächst und um so stärker von dem Knotenpunkt abhängt, je mehr die Warenproduktion die Produktion für den Selbstgebrauch verdrängt. Damit wird er denn auch der Mittelpunkt für das geistige Leben des von ihm beherrschten Gebiets, und die nationale Sprache beginnt einerseits die lateinische Universalsprache der mittelalterlichen Kirche, andererseits die bäuerlichen Dialekte zu verdrängen.

Nicht minder leuchtet ein, dass sich die Verwaltung des Staats dieser ökonomischen Organisation anpassen und die Gewalt der Landesherren stärken musste, wo diese Gewalt noch einen Rest von Kraft bewahrt hatte. Der Handel bedurfte eines zuverlässigen Feldherrn und eines starken Heeres, das, entsprechend dem Charakter der ökonomischen Macht, der es dienen sollte, für Geld gemietet wurde, ein Söldnerheer gegenüber dem feudalen Ritterheere. Der Handel brauchte ein solches Heer, um seine Interessen nach außen und innen zu wahren, um konkurrierende Nationen niederzuwerfen, neue Märkte zu erobern, die Schranken zu sprengen, die die kleinen Gemeinwesen innerhalb des Staates dem freien Verkehr entgegensetzten, die Straßenpolizei auszuüben gegenüber den großen und kleinen Feudalherren, die sich der Handelsgewinne auf dem einfachen Wege des Straßenraubes zu bemächtigen trachteten. Genug, die Vereinigung aller administrativen und militärischen Machtmittel in einer Hand, der fürstliche Absolutismus, wurde eine ökonomische Notwendigkeit.

Es war jedoch dafür gesorgt, dass dieser moderne Absolutismus, je stärker er gegenüber den Bauern und den Handwerkern, dem Adel und der Geistlichkeit wurde, keineswegs dem Kapital über den Kopf wuchs. Im Gegenteil, je mehr seine Macht nicht mehr auf dem Grundbesitze, sondern auf dem Gelde beruhte, um so abhängiger wurde er vom Kapital.

Die Heere, die die Fürsten halten mussten, kosteten sehr viel Geld, und nicht minder kostspielig wurden ihre Hofhaltungen, durch deren Prunk und Üppigkeit der murrende Feudaladel von seinen Burgen an den Hof gelockt werden sollte. Ein wahnsinniger Luxus, der unmenschliche Summen verschlang, entfaltete sich an den fürstlichen Höfen. So begannen die Fürsten Geldabgaben zu erheben, wobei sie mehr oder minder von den reichen Städten abhängig wurden, die sich dafür neue Rechte kauften. Aber auch Geldbewilligungen genügten nicht immer, die Lücken zu füllen, die unaufhörliche Kriege und höfische Verschwendung in die fürstlichen Finanzen rissen, und die modernen Fürsten gerieten trotz ihrer scheinbar unumschränkten Macht bald in die Schuldknechtschaft des Kapitals.

Das revolutionäre Kaufmannskapital schuf aber nicht nur den modernen Absolutismus, sondern wandelte auch die mittelalterlichen Klassen der Gesellschaft nach seinen Bedürfnissen um. Die Gier nach Gold und Silber, der Ware, die alles kauft, griff aufs flache Land über; die Landwirtschaft warf sich auf die Warenproduktion; mochte der Landwirt fortfahren, für den eigenen Verbrauch zu produzieren, so musste er daneben noch einen Überschuss herstellen, der als Ware auf den städtischen Markt gebracht werden konnte. Die Landwirtschaft wurde auch eine Geldquelle, und unter besonders günstigen Umständen gelang es den Bauern wohl, durch die Verwandlung ihrer Lasten und Leistungen in Geldabgaben sich vom feudalen Joche zu befreien. Allein im Allgemeinen, und namentlich für die deutschen Bauern, wurden die Geldabgaben eine Geißel, die sie zur Verzweiflung trieb, ohne den Feudalherren viel zu nützen. Die Warenproduktion verlieh dem Grund und Boden selbst den Charakter einer Ware und damit einen Wert, der nicht bestimmt wurde durch die Zahl der Bewohner, die er ernährte, sondern durch den Überschuss, den er lieferte. Je geringer die Zahl der Bebauer im Verhältnis zum Ertrage und je anspruchsloser deren Lebenshaltung war, desto größer wurde der Überschuss und damit auch der Wert des Grund und Bodens.

Auf diese Weise entstand im ganzen westlichen Europa ein Hunger nach Land, und besonders nach solchem Land, das, wie Wälder und Weiden, nicht vieler Hände bedurfte, um bewirtschaftet zu werden. Hatte der mittelalterliche Adel nach Land und Leuten getrachtet, war er um so reicher geworden, je mehr Bauern er an die Scholle fesselte und je mehr neue Ansiedler er heranziehen konnte, so hatte der moderne Adel andere Ziele. Er trachtete danach, die bäuerlichen Äcker an sich zu reißen, namentlich auch die Gemeindewälder und Gemeindewiesen, deren die bäuerliche Produktion nicht entbehren konnte, aber gleichzeitig das geraubte Land zu entvölkern, soweit es möglich war, ohne den landwirtschaftlichen Betrieb als adlige Geldquelle zu gefährden. Die Frondienste der Bauern, die der Adel noch duldete, wurden aufs höchste angespannt. Diese Bauern verfielen jener drückendsten und schamlosesten Ausbeutung, die der auf Zwangsarbeit beruhenden Warenproduktion eigentümlich ist; findet ihre Profitwut doch nicht einmal mehr den Widerstand, den der freie Arbeiter immerhin noch der kapitalistischen Ausbeutung entgegensetzen kann.

Aus den massenhaft von ihren Schollen vertriebenen Bauern aber entstanden die Anfänge des modernen Proletariats. Dies Proletariat unterschied sich von dem antiken Proletariat dadurch, dass es sich nicht als Bodensatz ausbeutender und herrschender Klassen bildete, sondern aus der Auflösung ausgebeuteter und beherrschter Klassen. Zum ersten Male in der Geschichte erschien eine Klasse freier Proletarier als unterste Klasse der Gesellschaft, die natürlich noch keine Ahnung haben konnte von dem historischen Berufe, der ihr beschieden war, um so weniger, als ihr bäuerlicher Kern durch Elemente ganz anderen Ursprungs verstärkt wurde, durch die Auflösung der feudalen Gefolgschaften, deren der Adel nicht mehr bedurfte, seitdem er höfischer Parasit oder wucherischer Warenproduzent geworden war. Zum Teil wurde dies neue Proletariat durch die Kriegsherren und die Kaufleute verbraucht; durch jene in ihren Heeren, durch diese in den Manufakturen, in denen die bisher aus der Fremde geholten Waren nun auch im Inlande zu produzieren begonnen wurden. Aber diese Abflusskanäle genügten bei weitem nicht, zumal da die Manufakturen nur gelernte Arbeiter brauchen konnten und nach Beendigung der Kriege die Mehrzahl der Soldaten entlassen zu werden pflegte. Also verfiel dies Proletariat einem Massenelend und einer Massenverwilderung, die vergebens durch eine furchtbar grausame Blutgesetzgebung auszurotten versucht wurde.

In dem Maße, wie der Adel diese mörderische und räuberische Politik betrieb, schwand seine militärische Notwendigkeit dahin. Je stärker die staatliche Zentralgewalt heranwuchs, je mehr die Polizei die inneren Fehden unterdrückte und der Adel aufhörte, eine selbständige militärische Macht zu besitzen, desto überflüssiger wurde es für den Bauern, einen Herrn zu haben, der ihn gegen die Mächtigen schützte. Der Schirm- und Schutzherr war jetzt derjenige, gegen den die Bauern am ehesten und meisten des Schirmes und Schutzes bedurften. Der feudale Adel legte sich als schwerer Hemmschuh an die historische Entwicklung, die seine schwächeren Elemente, das sogenannte Rittertum, den niederen Adel, der zwischen den großen Grundherren und den Bauern stand, wie heute der Kleinbürger zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat, alsbald auch wegsäuberte.

Gleich den heutigen Kleinbürgern suchte das Rittertum vergebens durch eine Politik, die zwischen den herrschenden und beherrschten Klassen hin und her schwankte, seinen Untergang als selbständige Klasse aufzuhalten. Seine Todeswehen nahmen oft eine tragische Gestalt an, wie in den deutschen Rittern Hutten und Sickingen, die Ferdinand Lassalle zu Helden eines Trauerspiels gemacht hat1, aber die Literatur der aufkommenden Bourgeoisie sah in ihrem kraftstrotzenden Übermut in dem untergehenden Ritter nur eine komische Gestalt, wovon heute noch der Don Quichotte des spanischen Dichters Cervantes und der Falstaff des englischen Dichters Shakespeare zeugen.

2. Die Zerrüttung der päpstlichen Kirche

Die allmähliche Umwälzung der feudalen in die kapitalistische Produktionsweise übte nun auch ihre tiefgreifende Wirkung auf die überragende Macht des Mittelalters aus, auf die Kirche, und in erster Reihe auf die päpstliche Weltherrschaft, die als Führerin der christlichen Völker gegen die auswärtigen Feinde entstanden war und in den Kreuzzügen ihren Gipfel erreicht hatte. Gerade aber die Kreuzzüge waren ein mächtiger Hebel geworden, den Handel mit dem Orient zu fördern und jenes Element zu entwickeln, das die feudale Welt und ihren Monarchen, den Papst, stürzen sollte, nämlich das Kapital.

Als größte Grundbesitzerin des Mittelalters unterlag die Kirche demselben Prozess wie der große Grundbesitz überhaupt; um die landwirtschaftliche Produktion als Geldquelle auszunutzen, ruinierte sie die bäuerliche Klasse, riss ihre Gemeinwälder und Gemeinwiesen an sich, verjagte die Bauern entweder von ihren Schollen oder presste sie in unbarmherzigster Weise aus. Es war nicht mehr gut wohnen unter dem Krummstab. Die erwachende Habsucht veranlasste die Kirche auch, ihre Armenpflege mehr und mehr einzuschränken; die Naturaleinkünfte, von deren Überfluss sie früher gern gespendet hatte, weil sie sie selbst nicht verzehren konnte, waren jetzt verkäufliche Waren geworden, und die dadurch erweckte Geldgier ergriff auch die Kirche.

Wurde sie dadurch der bäuerlichen Klasse immer verhasster, so gewann sie deshalb noch nicht die Freundschaft des aufstrebenden Bürgertums. Wie sehr sie ihre Armenpflege vernachlässigte, so konnte sie doch nicht ganz darauf verzichten, wenn sie nicht jeden Halt in den Massen verlieren wollte. Sie bildete immer noch einen gewissen Schutzwall gegen die Verarmung der Massen, deren Proletarisierung das Kapital nicht schnell genug betreiben konnte. Der Besitzlose war der kapitalistischen Ausbeutung noch nicht mit Haut und Haaren ausgeliefert, solange er ein noch so dürftiges Almosen von der Kirche erhielt. Daneben waren die kirchlichen Feiertage den aufblühenden Städten ein Dorn im Auge; je zahlreicher sie geworden waren, um so mehr widersprachen sie der kapitalistischen Weisheit, wonach der Arbeiter nicht arbeitet, um zu leben, sondern lebt, um zu arbeiten.

Vor allem aber bedurfte die neue Produktionsweise nicht mehr der Kirche als Lehrerin und Leiterin. Sie schuf sich eine eigene Bildung und Wissenschaft; sie schuf sich auch eigene Organe der Verwaltung. Nur für das platte Land blieb die Pfarrgeistlichkeit noch unentbehrlich, wie sie heute ja auch noch in zurückgebliebenen Ländern gewisse staatliche Aufgaben zu erfüllen, zum Beispiel die Zivilstandsregister zu führen hat. Im 16. Jahrhundert war die Pfarrgeistlichkeit noch eine ökonomische Notwendigkeit, und an ihre Beseitigung dachte niemand. Um so schärfer ging das junge Kapital gegen zwei andere Mächte der Kirche vor, die in ökonomischer und sozialer Beziehung immer überflüssiger und ebendeshalb für die neue Produktionsweise immer gemeinschädlicher geworden waren, nämlich gegen die Klöster und gegen das Papsttum.

Die Klöster waren überflüssig geworden als landwirtschaftliche Musteranstalten, als Lehrer der Bevölkerung, als Beschützer der Armut, als Bewahrer von Kunst und Wissenschaft. Sie ernährten Tausende von müßiggängerischen Mönchen, statt sie aufs Pflaster zu werfen und als Lohnsklaven zur Verfügung des Kapitals zu stellen. Ohne jede Funktion im gesellschaftlichen und staatlichen Leben, roh, träge, unwissend, dabei unermesslich reich, versanken die Mönche immer tiefer in Gemeinheit, in Liederlichkeit und alle möglichen Laster. Sie wurden ein Gegenstand der allgemeinen Verachtung.

Ebenso überflüssig wie die Klöster wurde das Papsttum. Mit dem Schutze der christlichen Völker gegen die Heiden und Ungläubigen hatte es seine historische Aufgabe erfüllt; seit den Kreuzzügen drohte keine Gefahr mehr von Asien her. Allerdings trat eine neue orientalische Macht in den Osmanen, in den Türken, auf, die im Jahre 1453 Konstantinopel eroberten und von hier aus das christliche Europa bedrohten. Aber dieser Angriff kam nicht von Süden, sondern von Osten; er richtete seine Wucht nicht gegen Italien, sondern gegen die Länder an der Donau, zunächst gegen Ungarn, dann auch gegen Süddeutschland und Polen. Damit hörte der Kampf gegen die Türken auf, eine Angelegenheit der ganzen Christenheit zu sein; er war nur eine Angelegenheit ihrer östlichen Bollwerke.

Die Türkengefahr trug wesentlich dazu bei, die Ungarn, Tschechen, Süddeutschen zur habsburgischen Monarchie zusammenzuschweißen und die deutsche Kaiserkrone bei dieser Monarchie zu erhalten. Aber für das Papsttum hatte die Türkengefahr kein unmittelbares Interesse; wenn die Päpste auch noch Schätze zum Kampfe gegen die Türken sammelten, so begannen sie doch bald, diese Schätze in ihrem eigenen Interesse zu verwenden. Die Macht des Papsttums und der Glaube an seine weltgeschichtliche Mission, die bis ins 12. Jahrhundert hinein Mittel waren, die christlichen Völker zu retten, wurden seit dem 14. Jahrhundert zu Mitteln, sie auszubeuten.

Diese Ausbeutung wuchs mit der Entfaltung der Warenproduktion. Die Geldgier ergriff auch die römische Kurie. Die direkten Steuern, die das Papsttum von den Gläubigen erhob, der sogenannte Peterspfennig, war verhältnismäßig unbedeutend, aber in der Erfindung indirekter Steuern waren die Päpste des 15. und 16. Jahrhunderts so erfinderisch wie moderne Finanzkünstler. Sie erkannten im Zeitalter des Kaufmannskapitals richtig, dass der Handel das vornehmste Mittel war, die Leute zu prellen und große Reichtümer rasch zu erwerben. Sie begannen also mit den Kirchenämtern zu schachern und namentlich mit der Vergebung der Sünden gegen bares Geld, den sogenannten Ablässen, die von Jahr zu Jahr unverschämter wurden. In dieser Weise wurde das römische Kirchenregiment eine ebenso riesige und ebenso rastlos arbeitende Ausbeutungsmaschine, wie einst das römische Weltreich gewesen war.

Dabei machten die Träger der dreifachen Krone sich den christlichen Völkern immer verächtlicher. Sie waren nicht nur Kirchenfürsten, die über die ganze Christenheit herrschten und an der Erhaltung der feudalen Produktionsweise interessiert waren, sondern sie waren auch weltliche Fürsten über einen mehr oder minder großen Teil Italiens und als solche an der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise interessiert. So paarte sich in ihnen jugendliche Keckheit mit greisenhafter Lüsternheit, die revolutionäre Verachtung des Herkömmlichen, die einer aufstrebenden Klasse eigen ist, mit der unnatürlichen Genusssucht einer dem Untergange zueilenden Ausbeuterklasse. Die Päpste führten ein wüstes Leben, das nicht am wenigsten dazu beitrug, ihr Ansehen in den Augen der christlichen Völker zu erschüttern, die um so größeren Anstoß daran nahmen, je tiefer sie noch in feudal-patriarchalischen Anschauungen lebten und also von der Heiligkeit des Papsttums durchdrungen waren. Um nun aber wenigstens noch den Glauben an sich zu erhalten, die einzige Stütze, die ihm geblieben war, je mehr ihm die Umwälzung der Gesellschaft den festen Boden unter den Füßen wegzog, griff das Papsttum zu jedem Mittel des Betruges und der Lüge; es wurde eine ebenso riesige Verdummungsmaschine, wie es schon eine riesige Ausbeutungsmaschine war.

Demnach lag das Papsttum wie ein drückender Alp über allen christlichen Völkern, und sie alle hatten ein dringendes Bedürfnis, sich von diesem Alp zu befreien. Aber nicht alle hatten das gleiche Bedürfnis, sich von ihm loszureißen. Gerade die ökonomisch entwickeltsten Länder empfanden dies Bewusstsein am wenigsten. Die Italiener wurden um so päpstlicher, je mehr sich die Warenproduktion entwickelte, denn die Herrschaft des Papsttums bedeutete die Herrschaft Italiens über die Christenheit. Ebenso wenig dachten Frankreich und Spanien daran, sich vom Papsttum zu trennen. In beiden Ländern erstarkte zuerst der moderne Absolutismus. Den Königen von Frankreich gelang es schon im 15. Jahrhundert, die französische Geistlichkeit in hohem Grade von Rom unabhängig zu machen und sich selbst zu unterwerfen. Der König erhielt ein entscheidendes Wort bei der Besetzung der höheren geistlichen Stellen; Gelderhebungen für den Papst ohne Zustimmung des Königs waren verboten, und ganz ebenso wie in Frankreich auch in Spanien, wo die kirchliche Inquisition sogar ein Polizeiwerkzeug der königlichen Gewalt wurde. Diese Länder hatten sich also von der römischen Ausbeutung zu befreien gewusst, und sich nunmehr ganz vom Papsttum loszureißen, lag ihnen um so ferner, als sie nun daran denken konnten, den Papst selbst zu ihrem Werkzeuge zu machen und durch ihn über die gesamte Christenheit zu herrschen. Als Herren des Papstes wollten sie die christlichen Völker ausbeuten.

Aus diesem Grunde blieben Italien, Frankreich und Spanien katholisch, nicht aber, wie in den bürgerlich-protestantischen Historienbüchern zu lesen ist, wegen ihrer geistigen Rückständigkeit. Es ist vollkommen falsch, die Reformation, die auf einen völligen Bruch mit Rom hinarbeitete, als eine Erscheinung wesentlich geistiger Natur, als einen Kampf der höheren protestantischen Geistesbildung gegen die tieferstehende katholische aufzufassen. Da Italien, Frankreich und Spanien die ökonomisch entwickeltsten Länder waren, so waren sie auch die geistig entwickeltsten; nirgends stand die rein weltliche Bildung der Zeit so hoch wie in ihnen, wie namentlich in Italien, aber auch sie blieb eifrig katholisch, aus denselben Gründen wie diese Länder selbst.

Ihren Ursprung hatte die weltliche Bildung in Italien genommen, und zwar so, dass die neue Produktionsweise sich eine neue Weltanschauung, eine neue Kunst und Wissenschaft nicht erst mühsam zu schaffen brauchte, sondern die ihren Bedürfnissen entsprechende Denkform schon in der antiken Literatur vorfand, deren Überlieferungen in Italien und überhaupt in den Mittelmeerländern nie völlig erloschen waren. Das Studium der alten Schriftsteller begann als Mittel, die Gegenwart zu begreifen und den absterbenden Resten der feudalen Weltanschauung den Todesstoß zu geben. Die geistige Richtung, die sich unter dem Einfluss dieses Studiums entwickelte, führte den Titel der Renaissance (Wiedergeburt, nämlich des Altertums) oder des Humanismus (Streben nach rein menschlicher Bildung, im Gegensatz zur scholastischen Theologie, die sich mit göttlichen Dingen befasste). Würden wirklich die Ideen die materiellen Verhältnisse schaffen, wie die bürgerlichen Historiker behaupten, so hätte aus dieser Wiederbelebung der antiken Ideen eine Wiederbelebung der antiken Gesellschaft hervorgehen müssen. Tatsächlich bequemten sich aber die Ideen der Humanisten den ökonomischen Zuständen an. So sehr sie für die republikanischen Schriftsteller des Altertums schwärmten, so wurden sie doch die eifrigsten Vorkämpfer des modernen Absolutismus, in der ganz richtigen Erkenntnis, dass in diesem die treibende Kraft des historischen Fortschritts lebte, und so sehr ihre antike Bildung sie in schroffen Widerspruch zur christlichen Kirche setzte, so sehr sie von heidnischen Anschauungen getränkt waren, so bitter und so scharf sie das Mönchtum und das Papsttum bekämpften, so blieben sie doch entschiedene Katholiken, in der ganz richtigen Erkenntnis, dass ein völliger Bruch mit dem Papsttum sie auch von den ökonomisch und geistig entwickeltsten Ländern isolieren würde.

Die deutschen Humanisten sahen zwar den Anfängen der reformatorischen Bewegung mit hoher Genugtuung zu und förderten sie nach Kräften, aber sobald als klar wurde, dass die deutsche Reformation die völlige Losreißung Deutschlands von Rom bedeute, kehrten sie fast alle in den Schoß der katholischen Kirche zurück.

3. Die deutsche Reformation

Nach alledem war die Reformation, die in Deutschland ihren hervorragendsten Schauplatz fand, in gewissem Sinne ein Kampf der Barbarei gegen die Zivilisation. Allein wenn man diesen Zusammenhang niemals aus den Augen verlieren darf, um die großen Umwälzungen des 16. Jahrhunderts richtig zu verstehen, so darf man sich nicht dadurch verleiten lassen, die Reformation zu unterschätzen, nicht einmal moralisch, geschweige denn historisch.

Wenn sich deutsche Humanisten auf die katholische Seite schlugen, um die bedrohte Zivilisation zu retten, so übersahen sie, dass die katholische Kultur die Ausbeutung und die Unwissenheit der Volksmassen zur Grundlage hatte, dass namentlich Deutschland arm und unwissend erhalten werden musste, wenn in Italien unter dem Schutze des Papsttums Kunst und Wissenschaft blühen sollten, dass nur noch der Sieg der deutschen Barbarei über die welsche Bildung den Weg eröffnen konnte, der einen historischen Aufschwung der deutschen Nation sicherte. Dazu kam, dass die Reformation, als eine Bewegung der Massen, den Humanisten, als den eifrigsten Förderern des modernen Absolutismus, in tiefster Seele verhasst war; für die Bedürfnisse der Massen hatten sie weder das geringste Interesse noch das geringste Verständnis; sie wurden bald von der revolutionären Flut an die Toteninsel ruhmloser Vergessenheit gespült. Nur einzelne von ihnen, wie die großen Dichter Dante und Petrarca in Italien, der große Spötter Rabelais in Frankreich, der große Denker More in England, der erste moderne Sozialist, und in Deutschland der große Kämpfer Hutten, sind in ihren Werken unsterblich geblieben.

Nicht an den Humanismus, sondern an die deutsche Reformation knüpfte sich der historische Fortschritt. In Deutschland litten alle Klassen der Bevölkerung gleich schwer unter der päpstlichen Ausbeutung, und in dem Maße schwerer, als das Papsttum sich mit der ganzen Kraft seiner ausbeuterischen Fähigkeiten auf die deutsche Nation geworfen hatte, seitdem ihm die übrigen Kulturnationen die Grenzen gesperrt hatten. Auch die ausbeutenden Klassen in Deutschland murrten immer stärker unter dieser unerträglichen Last. Alle einträglichen kirchlichen Stellen in Deutschland waren zu Handelsartikeln geworden, ungeheure Summen flossen dafür jahraus, jahrein nach Rom und entgingen so den großen Ausbeutern in Deutschland, den Fürsten und den Kaufleuten. Kein Wunder also, dass jetzt diese wackeren Leute sich immer heftiger erbosten, je mehr der Papst den Rahm abschöpfte und ihnen nur die magere Milch ließ.

Sie konnten aber nicht daran denken, sich in der Weise Frankreichs oder Spaniens von dem Joche des Papsttums zu befreien, die Herrschaft des Papstes zu brechen, um ihn als Werkzeug der eigenen Herrschaft zu gebrauchen. Wohl hatte Deutschland reichen Anteil an dem Wohlstande, der durch die Entwicklung der Warenproduktion geschaffen wurde. Der zünftige Gewerbebetrieb der Städte produzierte schon für weitere Kreise und für entlegenere Märkte. Die Weberei in groben Wolltüchern und Leinwand war ein stehender, weitverbreiteter Industriezweig geworden, und selbst feinere Wollen- und Leinengewebe sowie Seidenstoffe wurden in Augsburg gefertigt. Neben der Weberei hatte sich besonders jene an die Kunst anstreifende Industrie gehoben, die in dem geistlichen und weltlichen Luxus des späteren Mittelalters ihre Nahrung fand: die Industrie der Gold- und Silberarbeiter, der Bildhauer und Bildschnitzer, Kupferstecher und Holzschneider, Waffenschmiede usw. Gleichen Schritt mit der Industrie hielt der Handel. Der große Handelsweg von Indien nach dem Norden ging immer noch durch Deutschland, obgleich schon der Seeweg nach Indien entdeckt war. Augsburg war immer noch der große Stapelplatz für italienische Seidenzeuge und indische Gewürze. Die süddeutschen Städte, wie Augsburg und Nürnberg, waren die Mittelpunkte eines für jene Zeit ansehnlichen Reichtums. Ebenso hatte sich die Gewinnung der Rohprodukte bedeutend gehoben. Die deutschen Bergleute galten im 15. Jahrhundert als die geschicktesten der Welt, und auch den Ackerbau hatte das Aufblühen der Städte aus der ersten mittelalterlichen Rohheit gerissen. Ausgedehnte Strecken öden Landes waren urbar gemacht worden; man baute auch Farbkräuter und andere eingeführte Pflanzen, deren sorgfältige Kultur auf den Ackerbau im Allgemeinen günstig einwirkte.

Bei alledem konnte sich der Aufschwung der nationalen Produktion in Deutschland, bedeutend wie er an sich war, immer noch nicht mit dem Aufschwung anderer Länder messen. Die Bevölkerung war immer noch sehr dünn gesät. Die Zivilisation existierte nur erst um einzelne Mittelpunkte des Handels und der Industrie gruppiert; die Interessen dieser Mittelpunkte gingen weit auseinander, hatten kaum hier oder da leise Berührungspunkte. Der Süden hatte ganz andere Absatzmärkte und Handelsverbindungen als der Norden; der Osten und der Westen standen fast außerhalb jedes Verkehrs. Keine einzige Stadt war der industrielle und kommerzielle Schwerpunkt des ganzen Landes, wie London in England oder Paris in Frankreich. Der ganze innere Verkehr des Landes beschränkte sich fast ausschließlich auf die Küsten- und Flussschiffahrt und auf ein paar große Handelsstraßen, von Augsburg und Nürnberg über Köln nach den Niederlanden und über Erfurt nach dem Norden. Entfernt von den Flüssen und Handelsstraßen lag eine Anzahl kleinerer Städte, die, vom großen Verkehr ausgeschlossen, ungestört in den mittelalterlichen Lebensbedingungen fortvegetierten, nur wenig auswärtige Waren brauchten und nur wenig Ausfuhrprodukte lieferten.

Demgemäß konnte in Deutschland nicht wie in ökonomisch entwickelten Ländern die moderne Monarchie aufkommen, die eben dadurch entstand, dass der aufblühende Handel und die aufblühende Industrie die ökonomischen Interessen des ganzen Landes unlöslich miteinander verketteten. Deutschland brachte es nur zur Gruppierung der Interessen nach Provinzen, mit anderen Worten zur politischen Zersplitterung. Den deutschen Kaisern aus dem Hause Habsburg gelang nicht die Umwandlung der feudal-mittelalterlichen in die moderne Monarchie; trotz aller Intrigen und Gewalttätigkeiten brachten sie es nicht weiter als bis zur straffen Zusammenfassung der österreichischen Erblande, wobei die drohende Türkengefahr den wirksamsten Hebel bildete. Sonst misslangen den Kaisern alle Versuche, das Deutsche Reich zu zentralisieren. Während in Frankreich die großen Vasallen von der Krone unterworfen wurden, wuchsen sie sich in Deutschland zu nahezu unabhängigen Fürsten aus, in logischer Konsequenz der ökonomischen Tatsache, dass sie die Vertreter der Zentralisation innerhalb der Zersplitterung, die Vertreter wenigstens der provinzialen Zentralisation waren. Neben ihnen wurde der Kaiser immer mehr nur der Erste unter Gleichen.

Sieht man von dieser entscheidenden Tatsache ab, so gestaltete sich die soziale Struktur der deutschen Gesellschaft im 16. Jahrhundert ähnlich wie überall sonst unter dem Einfluss der neuen Produktionsweise. Die Ritterschaft, der niedere Adel, war in unaufhaltsamem Verfall begriffen. Innerhalb der Geistlichkeit standen sich die aristokratische Fraktion der Bischöfe und Äbte mit ihrer Gendarmerie von Mönchen und die plebejische Fraktion der Pfarrgeistlichen in der Stadt und auf dem Lande gegenüber: jene bei den Massen tief verhasst, diese eher beliebt, zumal da sie für ihre anwachsende Bewegung die Ideologen und Theoretiker lieferte. In den Städten kämpften die Zunftbürger mit den Patriziern um das Stadtregiment mit wechselndem Erfolge, während die Plebejer als dritte städtische Fraktion noch ganz unentwickelt waren, sich selbst weit mehr als verkommene Bestandteile des verwesenden Feudalismus denn als aufkommende Elemente des modernen Proletariats fühlten. Endlich bildete den gewaltigen, aber bis aufs Blut gequälten und in allen Fugen ächzenden Unterbau des ganzen gesellschaftlichen Organismus die Bauernklasse.

Dieses wirre Durcheinander der verschiedensten Klassen und Klassenfraktionen mit ihren sich durchkreuzenden Interessen verlieh den deutschen Zuständen das eigenartige Gepräge, als Luther am 31. Oktober 1517 seine Thesen (Lehrsätze) gegen den Ablass an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg schlug und damit das Signal gab zum offenen Ausbruch der Empörung gegen Rom, die seit Jahrzehnten in der deutschen Nation gärte.

Literarisch hatte diese Empörung schon viel schärferen Ausdruck gefunden als in Luthers zahmen Thesen, die nicht einmal den Ablass selbst, die Vergebung der Sünden um bares Geld, das an den Papst zu zahlen war, sondern nur den „Missbrauch" dieses Ablasses tadelten. Die berühmten Briefe der Dunkelmänner, die von deutschen Humanisten verfasst worden waren, hatten dem Papst- und dem Mönchtum ganz anders mitgespielt; sie waren satirische Pfeile von unvergleichlicher Schärfe, aber sie waren Kaviar fürs Volk; den Massen blieb die humanistische Bildung fremd und unverständlich. Dagegen berührten die Thesen Luthers, die den Humanisten als bloßes Mönchsgezänk erschienen, viel mehr die kirchliche Denkweise, die den Massen aus dem Mittelalter überkommen war und all ihre oppositionellen Regungen als theologische Ketzereien erscheinen ließ. Um die mittelalterlichen Zustände zu zerstören, musste ihnen zunächst der Heiligenschein abgestreift werden.

Dennoch wären Luthers Thesen, die an und für sich nur zu einer theologischen Disputation aufforderten, wie sie damals ganz alltäglich war, nicht wie ein Funke ins offene Pulverfass geflogen, wenn nicht ein ökonomisches Interesse sehr dringender Art hinter ihnen gestanden hätte. Nach unzähligen früheren Ablässen hatte der prachtliebende Papst Leo X. einen neuen Ablass ausgeschrieben, der ihm die ungeheure Summe von 50.000 Dukaten einbringen sollte. Er hatte diesen Ablass dem Erzbischof von Mainz, damals dem ersten Kirchenfürsten Deutschlands, in Generalentreprise gegeben gegen Teilung der Beute, und dieser Erzbischof, ein hohenzollernscher Prinz, hatte seine Ablasskrämer durch ganz Deutschland geschickt, um mit allen Mitteln der Marktschreierei, wie man sie heute etwa in den Reklamen der Börsenblätter findet, den Gläubigen das Geld aus der Tasche zu locken.

Diese Krämer stürzten sich mit besonderem Eifer auf das Kurfürstentum Sachsen, das damals durch den Segen seiner Bergwerke das reichste Land in Deutschland war. Der Kurfürst Friedrich von Sachsen war für seine Person ein sehr frommer, gläubiger, ja selbst bigotter Katholik, aber auch damals schon hörte in Geldsachen die Gemütlichkeit auf, und er verbot den Ablasskrämern das Betreten seines Landes. Jedoch sie schwärmten in gefährlicher Nähe der Grenzen umher, und deshalb duldete der Kurfürst sehr gerne, dass Luther gegen den Ablasskrämer Tetzel auftrat, der in Jüterbog sein Unwesen trieb.

Luther selbst war sich dessen völlig unbewusst, dass er gewissermaßen nur als finanzpolitisches Werkzeug seines Fürsten handelte, aber ihm sollte sehr bald klarwerden, dass es sich bei diesem Handel nicht um theologische Ketzereien, sondern um sehr reale Interessenkämpfe handelte.

4. Luther, Müntzer, Hutten

Sobald die Thesen Luthers das Signal zum offenen Kampfe gegen Rom gegeben hatten, vereinfachte sich der bunte Wirrwarr der deutschen Interessenkämpfe, indem sich die verschiedenen Klassen und Klassenfraktionen in drei große Lager schieden, das konservativ-katholische, das bürgerlich-reformatorische und das plebejisch-revolutionäre.

In dem konservativ-katholischen Lager sammelten sich alle Elemente, die an der Erhaltung des Bestehenden interessiert waren, an ihrer Spitze der Kaiser. So tief war die mittelalterliche Reichsgewalt in Deutschland gesunken, dass sich bei der Kaiserwahl von 1519 der französische und der spanische König um die Krone gerauft hatten; von den sieben Kurfürsten, denen die Wahl oblag, hatten sich fast alle bald durch französisches, bald durch spanisches Gold bestechen lassen; endlich siegte der spanische König Karl, der aus dem Hause Habsburg stammte und zugleich Herr der österreichischen Erblande war. Sowohl als spanischer König wie als Herr der österreichischen Erblande hatte er das dringendste Interesse, nicht mit Rom zu brechen; er hat Rom durch seine Söldner stürmen lassen, um den Papst seinem Willen zu unterwerfen, aber der päpstlichen Kirche konnte er nicht absagen, da sie sein stärkstes Herrschaftsmittel sowohl in Spanien wie in den österreichischen Erblanden war. Deshalb blieb Kaiser Karl V. ein entschlossener Gegner der deutschen Reformation, wobei er sich auf die geistlichen und einen Teil der weltlichen Fürsten, den reichen Adel, die aristokratische Fraktion der Geistlichkeit und das städtische Patriziat stützen konnte.

Diesem katholisch-konservativen Lager gegenüber stand nun die große Masse der Nation, die sich in leidenschaftlicher Empörung gegen die päpstliche Ausbeutung erhob. Sie spaltete sich aber sehr bald in zwei Lager, in deren einem sich die besitzenden Elemente der Opposition zusammenfanden, die Masse des niederen Adels, die Zunftbürger und ein Teil der weltlichen Fürsten, die sich durch Konfiskation der geistlichen Güter zu bereichern hofften und auch die Gelegenheit auszunutzen gedachten, sich von Kaiser und Reich noch immer unabhängiger zu machen. Diese bürgerlich-gemäßigte Partei wollte sich wohl vom Joche der päpstlichen Ausbeutung befreien, aber die weltliche Ausbeutung, soweit sie namentlich von ihr selbst betrieben wurde, nicht angetastet wissen. In schroffem Gegensatz zu ihr bildete sich sehr bald eine revolutionäre Partei, die sich aus den Bauern und den städtischen Plebejern rekrutierte und mit der päpstlichen Ausbeutung zugleich alle weltliche Ausbeutung beseitigen wollte. Das Wesen dieser beiden Parteien spiegelt sich treffend wider im Wesen ihrer Führer: in Martin Luther, der an der Spitze der nur reformierenden, und in Thomas Müntzer, der an der Spitze der gründlich revolutionierenden Partei stand. Beide waren Geistliche und entstammten der plebejischen Fraktion der Klerisei.

Martin Luther (1483-1546) war in Eisleben geboren, ein Bauernsohn, der nach einer harten und strengen Erziehung sich dem geistlichen Berufe gewidmet hatte. Er war kein geistig überlegener Kopf; an kühnem und originellem Denken wurde er von manchem Zeitgenossen übertroffen. Als Student in Erfurt hatte er sich dem humanistischen Kreise angeschlossen, der sich an dieser Universität gebildet hatte, allein mit seiner humanistischen Bildung war es nicht weit her. Eher scheint ihn das lustige Leben der Humanisten angezogen zu haben; darauf deutet der moralische Katzenjammer hin, der ihn im Jahre 1505 in das Erfurter Augustinerkloster und zu den schwersten Bußübungen trieb. Vom Kurfürsten Friedrich von Sachsen wurde er dann im Jahre 1509 als Professor der Theologie an die neu gegründete Universität von Wittenberg berufen, wo er im Jahre 1517 seine Thesen gegen den Ablass veröffentlichte oder vielmehr gegen den allzu unverschämten Missbrauch des Ablasses, denn in einer dieser Thesen sagt er noch selbst, dass wer wider die Wahrheit des päpstlichen Ablasses rede, verflucht und vermaledeit sein sollte.

Luther selbst war denn auch von der Wirkung seiner Thesen aufs höchste überrascht. Er war noch ganz im geistigen Bannkreise der römischen Kirche befangen, aber die täppischen Versuche des Papsttums, ihn zum Schweigen zu bringen – Versuche, wie sie von ausbeuterischen Klassen, die am Ende ihres Lateins sind, ja immer unternommen zu werden pflegen, und immer mit dem gleichen Misserfolge –, reizten seinen bäuerlichen Trotz, und die Bewegung, die er wider seinen Willen und wider sein Wissen entfacht hatte, trieb ihn weiter und weiter. Er war weit mehr der Getriebene als der Treibende, aber er gewann einen bestimmenden Einfluss auf die Masse dadurch, dass er den Bauer nie über dem Professor vergaß, dass er eine hinreißende und packende Sprache besaß, worin er alle seine Zeitgenossen übertraf, wie denn auch seine Verdienste um die deutsche Sprache seine bleibenden Verdienste geworden sind. Je härter er von Rom aus bedrängt wurde, um so rücksichtsloser ging er gegen Rom vor. Er predigte den gewaltsamen Widerstand gegen die päpstliche Ausbeutung; nicht mit Worten, sondern mit Waffen müsse die Pest des Erdkreises ausgerottet werden; in römischem Blut müssten sich die deutschen Hände waschen. Und nicht minder scharf ging Luther gegen die weltlichen Fürsten ins Zeug, die ihm nicht zustimmten; wer heute gegen deutsche Fürsten die Sprache des „teuren Gottesmannes" führen wollte, käme von wegen Hochverrats nicht mehr aus dem Zuchthause.

Allein wenn Luther über dem Professor nicht den Bauernsohn vergaß, so doch auch nicht den Professor über dem Bauernsohn. Je länger der revolutionäre Sturm brauste, je tiefer er die Massen ergriff und ihnen das Joch ihrer heimischen Ausbeuter ebenso fühlbar werden ließ wie das Joch der päpstlichen Ausbeutung, um so mehr kam Luther in die Lage des Zauberlehrlings, der die Geister nicht mehr bannen konnte, die er gerufen hatte. Und nun traf der Professor der Wittenberger Universität, der Schützling des Kurfürsten Friedrich von Sachsen, seine Entscheidung, indem er sich für die friedliche und gesetzliche Entwicklung erklärte. Nachdem Luther von 1517 bis 1522 mit allen demokratisch-revolutionären Elementen geliebäugelt hatte, verriet er sie von 1522 bis 1525 alle, die einen nach den anderen.

Dem bürgerlichen Reformator Luther trat gegenüber der bäuerlich-plebejische Revolutionär Thomas Müntzer (1490-1525). Man kann auch ihn nicht eigentlich einen selbständigen Kopf nennen; neue Gedanken hat er nicht in die Bewegung seiner Zeit geworfen. Aber ihre revolutionären Elemente hat er mit scharfem und weitem Blicke zu erkennen, mit unübertrefflicher Tatkraft zu erfassen verstanden, ein Mann aus einem Gusse, von kühner Entschlossenheit, unerschütterlich in seinem Bekennen und Handeln. Er stammte aus Stolberg im Harz, wo sein Vater, ein Opfer der Willkür stolbergischer Grafen, am Galgen gestorben sein soll. Wie Luther, erwählte Müntzer den geistlichen Beruf, aber früh regte sich in ihm der Revolutionär; schon in seinem fünfzehnten Jahre stiftete er auf der Schule in Halle einen geheimen Bund gegen den Erzbischof von Magdeburg und die römische Kirche überhaupt, deren Gebräuche und Lehren er mit größter Verachtung behandelte. Aus seinen geistlichen Ämtern wurde er bald vertrieben, erst aus Zwickau, dann aus Prag, auch in Allstedt in Thüringen war seines Bleibens nicht lange. Schon vor Luther schaffte er die lateinische Sprache im Gottesdienst ab und organisierte die revolutionäre Propaganda in der Umgegend, indem er die gewaltsamen Predigten Luthers fortsetzte, nachdem dieser sich für den friedlichen Fortschritt entschieden hatte.

Die Lehre Müntzers griff alle Hauptpunkte nicht nur des Katholizismus, sondern des Christentums an. Die eigentliche, die lebendige Offenbarung sei die Vernunft, eine Offenbarung, die zu allen Zeiten und bei allen Völkern existiert habe und noch existiere. Der Vernunft die Bibel entgegenhalten, wie es der zahm gewordene Luther tat, heiße den Geist durch den Buchstaben töten. Der Himmel sei nichts Jenseitiges, er sei in diesem Leben zu suchen, und der Beruf des Gläubigen sei, den Himmel, das Reich Gottes, schon auf Erden herzustellen. Wie keinen jenseitigen Himmel, so gäbe es keine jenseitige Hölle. Christus sei ein Mensch gewesen wie wir, ein Prophet und Lehrer, kein Gott. Unter dem Reiche Gottes aber, das schon auf Erden herzustellen der Beruf der Gläubigen sei, verstand Müntzer einen Gesellschaftszustand, worin keine Klassenunterschiede, kein Privateigentum und keine den Gesellschaftsgliedern gegenüber selbständige, fremde Staatsgewalt mehr beständen. Sämtliche bestehenden Gewalten, sofern sie sich nicht fügen und der Revolution anschließen wollten, sollten gestürzt, alle Arbeiten und alle Güter gemeinsam gemacht und die vollständigste Gleichheit durchgeführt werden. Ein Bund sollte gestiftet werden, um dies alles durchzusetzen, nicht nur über ganz Deutschland, sondern über die ganze Christenheit. Fürsten und Herren sollten eingeladen werden, sich anzuschließen, wenn nicht, sollte der Bund sie bei der ersten Gelegenheit mit den Waffen in der Hand stürzen und töten.

Diese Lehren trug Müntzer unter dem Deckmantel mystischer Redeweisen vor, aber sie wirkten dadurch nur um so tiefer auf die Massen, die noch ganz und gar in religiöser Denkweise befangen waren. Von allen Seiten lief ihm das Volk zu, und Luther wusste sich nun nicht anders zu helfen, wie sich in solchen Fällen halbe Reformer gegenüber ganzen Revolutionären zu helfen pflegen: Er denunzierte Müntzer bei den sächsischen Fürsten. Gegen diese trat Müntzer mit herausfordernder Kühnheit auf, und sie wagten auch noch nicht, ihn anzutasten, aber der Rat von Allstedt vertrieb ihn. Müntzer ging zunächst nach Mühlhausen, dann nach Nürnberg; aus beiden Orten wurde er wieder vertrieben, und nun siedelte er nach Süddeutschland über, als eifriger Schürer der Gärung, die einen baldigen gewaltigen Ausbruch der Bauernklasse verkündete.

Vorher jedoch brach ein Aufstand des niederen Adels, der Ritterschaft, aus, im Herbste 1522. Seine Führer waren Franz v. Sickingen und Ulrich v. Hutten (1488-1523), durch deren populär gebliebene Namen doch nicht der innerlich reaktionäre Charakter ihrer Schilderhebung verdunkelt werden darf. Der glühende Hass, den Hutten und Sickingen gegen Fürsten und Pfaffen hegten, und ihre ebenso glühende Begeisterung für die Wiederherstellung eines nationalen Reiches machte sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu Lieblingen der deutschen Bourgeoisie, die von ähnlichen Stimmungen beseelt war. Allein das Reich, das Hutten und Sickingen wiederherstellen wollten, war das mittelalterliche Reich: eine Art Adelsdemokratie mit einem machtlosen Kaiser an der Spitze, mit Ausrottung der Fürsten, aber auch der Städte und mit fortdauernder Unterdrückung der Bauernklasse. Gegen dies Ideal stellten nicht nur die Städte, sondern selbst die Fürsten einen historischen Fortschritt dar. Bedeutete die Fürstenherrschaft auch die Zersplitterung Deutschlands, so fasste sie doch innerhalb der Zersplitterung die nationalen Kräfte bis zu einem gewissen Grade zusammen, während die junkerliche Demokratie, die Hutten und Sickingen vertraten, zu jener junkerlichen Anarchie geworden wäre, an der Polen elend untergegangen ist.

Der Aufstand des niederen Adels war von vornherein verloren; die Städte dachten nicht daran, ihn zu unterstützen, und ebenso wenig die Bauern; damit hatten die Fürsten leichtes Spiel. Sickingens Burgen wurden schnell erstürmt und gebrochen; er selbst fiel bei der Belagerung seiner Feste Landstuhl, und Hutten starb wenige Monate später, im September 1523, als Flüchtling auf der Insel Ufenau im Züricher See.

5. Der Bauernkrieg und die Wiedertäufer

Anderthalb Jahr nach Huttens Tode brach der große Bauernkrieg aus. Die wachsende Not, die mit der Umwandlung der Natural- in die Geldwirtschaft über die bäuerliche Klasse gekommen war, hatte seit dem Jahre 1476 eine Reihe von bäuerlichen Aufständen namentlich in Süddeutschland hervorgerufen, darunter die Bauernverschwörungen, die unter dem Namen des Bundschuhs und des armen Konrads historischen Ruf gewonnen haben. Aber sie alle blieben örtlich beschränkt und wurden bald niedergeschlagen. Erst als die Reformationsbewegung die Nation in ihren Tiefen aufgewühlt hatte, gelang eine Bauernverschwörung über das ganze Reich hin, die am 2. April 1525 losschlagen sollte und in der Tat auch losschlug.

Wie der ritterliche Aufstand innerlich reaktionär war, so ist die bäuerliche Revolution in ihrem historischen Kern innerlich reaktionär gescholten worden, und zwar gerade auch von Lassalle, der die Ritter Hutten und Sickingen dichterisch verherrlicht hat. Allein Lassalle hat die Bewegung der Ritter ebenso überschätzt, wie er die Bewegung der Bauern unterschätzte. Die zwölf Artikel, in denen die Bauern ihre Forderungen zusammenfassten, lagen durchaus im Zuge des historischen Fortschritts; sie verlangten Wahl und Absetzbarkeit der Geistlichen durch die Gemeinden, Abschaffung der Leibeigenschaft, des adligen Fischerei- und Jagdrechts, Beschränkung der übermäßigen Fronen und Steuern, Wiederherstellung der den einzelnen oder den Gemeinden entrissenen Waldungen und Weiden, Beseitigung der willkürlichen Justiz und Verwaltung. Alle diese Forderungen waren durchaus billig und gerecht, und vor allem entsprachen sie den Bedingungen und Voraussetzungen der bürgerlichen Geschichtsperiode; was die deutschen Bauern im Jahre 1525 forderten, lief wesentlich auf dasselbe hinaus, was die französischen Bauern im Jahre 1789 erobert haben. Lassalle ist in seinem abfälligen Urteil über den deutschen Bauernkrieg durch eine allzu formalistische Auffassung missleitet worden; er wollte eine wirkliche Revolution nur anerkennen, wo ein altes Prinzip durch ein neues ersetzt werde, und indem er den Grundbesitz als das Prinzip des Mittelalters, die Industrie als das Prinzip der neuen Zeit auffasste, sprach er dem Bauernkrieg mit Unrecht den revolutionären Charakter ab, weil er am Prinzip des Grundbesitzes festgehalten und vom Prinzip der Industrie nichts gewusst habe.

Es war den Bauern gelungen, ihre große Verschwörung geheim zu halten; als sie sich unerwartet erhoben, wurden die herrschenden Klassen so überrascht, dass die Sache der Bauern zunächst günstige Aussichten hatte oder doch zu haben schien. Auch Luther riet noch am 16. April zu einer gütlichen Einigung; er meinte, nicht die Bauern, sondern Gott selbst erhebe sich gegen die Wüterei der Fürsten. Was die Bauern in ihren zwölf Artikeln forderten, sei meist als berechtigt anzusprechen, und so riet er zu einer friedlichen Verständigung auf Grundlage dieser Artikel. Wären nun die bürgerlich-protestantischen Historiker im Recht, nach denen Luthers übermächtige Persönlichkeit die Reformation gemacht hat, so hätte dieses Einschreiten Luthers dem Bauernkriege eine andere Wendung geben müssen. Allein tatsächlich hatte es nicht die geringste Wirkung, und als sich nun die herrschenden Klassen von ihrem ersten Schrecken erholten, als sich namentlich die Fürsten mit Macht erhoben, um den Aufstand im Blute der Bauern zu ersticken, da fiel Luther gänzlich um und veröffentlichte am 6. Mai seine Schrift wider die räuberischen und die mörderischen Bauern, durch die er in blutdürstigem Henkerstone die Niedermetzelung der Bauern betrieb. Doch war es auch nur eine leere Prahlerei, wenn er sich rühmte, alles Bauernblut sei auf seinem Hals; denn die Fürsten, evangelische wie katholische, bedurften seiner Mahnung gar nicht, um ein grausames Blutbad unter den Bauern anzustiften.

Im Gegensatz zu Luther hielt Müntzer tapfer zu den aufständigen Bauern. Er war in Thüringen die Seele des Bauernkrieges. In der damaligen Reichsstadt Mühlhausen hatte er sein Hauptquartier, und hier richtete er eine Art kommunistischer Gemeinde ein, die freilich nicht viel über zwei Monate gedauert hat (fast genauso lange wie die Pariser Kommune von 1871, vom 17. März bis zum 25. Mai 1525). Als dann die fürstlichen Heere herandrängten, begab sich Müntzer nach Frankenhausen, wo sich die thüringischen Bauern in ihrer Masse gesammelt hatten, und erlitt hier mit ihnen eine entsetzliche Niederlage. 8000 schlecht bewaffnete, undisziplinierte Bauern, die fast gar keine Geschütze besaßen, wurden durch ebenso viele wohlgeübte und gutgerüstete Kriegsknechte mit zahlreichem Geschütz erschlagen. Müntzer selbst wurde gefangen und nach grausamer Folter hingerichtet; die Behauptung, dass er als reumütiger Sünder gestorben sei, ist durch nichts bewiesen und nur eine jener verleumderischen Nachreden, wie sie die Soldschreiber der herrschenden Klassen gegen tote Volkskämpfer zu richten pflegen.

Wie in Thüringen, so wurden auch in Franken und Schwaben, im Elsass, im Schwarzwalde und wo immer sich die Bauern erhoben hatten, ihre Haufen mit leichter Mühe von den fürstlichen Heeren zersprengt. Tatsächlich scheiterte die Bauernbewegung nicht daran, dass sie Forderungen aufstellte, die historisch schon überholt waren, sondern umgekehrt, weil sie verfrüht war, weil ihr der nationale Boden fehlte, weil es eine deutsche Nation im modernen Sinne des Wortes noch nicht gab. Einzelne Städte schlossen sich wohl den Bauern an, aber auch sie nur lau und zaghaft; die städtischen Patrizier zeigten sich durchweg feindlich; die Zunftbürger trieben eine ähnliche Politik wie Luther; die städtischen Plebejer waren als Klasse noch viel zu unentwickelt, um den Bauern eine wirksame Stütze zu sein. Noch viel unzuverlässiger als die Städte waren die Ritter; sie schlugen sich meist auf die Seite der Fürsten, oder wenn sie sich anfangs zu den Bauern hielten, verrieten sie bald den Aufstand, wie Götz von Berlichingen. Nur einzelne Ritter, wie Florian Geyer, neben Müntzer die glänzendste Gestalt des Bauernkrieges, hielten treu zu den Aufrührern.

Im allgemeinen ruinierte die lokale und provinzielle Zersplitterung und in ihrer Folge die lokale und provinzielle Beschränktheit die ganze Bewegung; in jeder Landschaft handelten die Bauern auf eigene Faust, verweigerten sie ihren Klassengenossen in den Nachbarprovinzen ihre Hilfe und wurden in einzelnen Gefechten und Schlachten nacheinander von Heeren aufgerieben, die meist nicht dem zehnten Teil der insurgierten Gesamtmasse gleichkamen. Eine Hauptwaffe der Fürsten war der niederträchtigste Verrat, der eben auch nur gelingen konnte, weil die Bauern in jahrhundertelanger Knechtschaft zu verelendet worden waren, um den handgreiflichen Lug und Trug zu durchschauen. Die Fürsten köderten die Bauernhaufen durch gleißende Versprechungen und metzelten dann, wenn die Bauern in gläubigem Vertrauen auf diese Versprechungen die Waffen niederlegten, um sich nach Hause zu begeben, die Wehrlosen massenhaft nieder. In Strömen floss das Blut der Bauern über die deutsche Erde; nach geringster Schätzung sind hunderttausend Bauern entweder im Kriege gefallen oder nachher hingerichtet worden.

Dennoch verschlechterte diese furchtbare Niederlage die Lage der Bauernklasse auf die Dauer nicht. Sie waren schon vor dem Kriege so ausgeschröpft worden, dass ihnen nichts mehr zu nehmen war. Manche wohlhabenden Mittelbauern wurden freilich ruiniert, eine Menge von Hörigen in die Leibeigenschaft hinab gedrückt, ganze Striche Gemeindeländereien konfisziert, eine große Anzahl durch die Zerstörung ihrer Wohnungen und die Verwüstung ihrer Felder zu Vagabunden oder zu städtischen Plebejern gemacht. Aber Kriege und Verwüstungen gehörten zu den alltäglichen Erscheinungen jener Zeit, und im Allgemeinen stand die Bauernklasse zu tief für eine dauernde Verschlechterung ihrer Lage.

Schwerer hatten Geistlichkeit, Adel und Städte unter dem Bauernkriege zu leiden. Klöster und Stifte waren verbrannt, die Kostbarkeiten der Geistlichen geplündert oder eingeschmolzen worden. Auch dem Adel waren viele Burgen und Schlösser zerstört worden; er hatte sich ohnmächtig erwiesen, aus eigener Kraft den Bauern zu widerstehen; da er nur durch die fürstlichen Heere gerettet worden war, so geriet er immer mehr unter die Botmäßigkeit der Fürsten. Die Städte wurden wegen der halben Teilnahme, die sie für die Sache der Bauern gezeigt hatten, von den siegreichen Fürsten gebrandschatzt und ihrer Privilegien beraubt.

Danach zogen allein die Fürsten wirkliche Vorteile aus dem Bauernkriege. Sie rafften die geistlichen Güter an sich, ein mehr oder minder großer Teil des Adels musste sich unter ihre Oberhoheit begeben, und die Brandschatzungsgelder der Städte flossen in ihre Kassen. Neben den weltlichen Fürstentümern gab es zwar noch geistliche Souveränitäten, städtische Republiken, souveräne Grafen und Herren, aber im allgemeinen drängte die historische Entwicklung in Deutschland auf die provinzielle Zentralisation, auf die Unterwerfung der übrigen Reichsstände durch die Fürsten.

Ein Nachspiel des Bauernkrieges war die blutige Verfolgung und Ausrottung der Wiedertäufer. Sie teilten die kommunistischen Anschauungen Müntzers, unterschieden sich aber darin von ihm, dass sie seine gewaltsame Politik nicht billigten, sondern durchaus friedliebend gesinnt waren. Wenn sie sich aber nicht im Kriege gegen den Staat auflehnen wollten, so wollten sie doch auch nichts von ihm wissen und ebenso wenig von der Kirche. Ihren Namen hatten sie daher, dass sie die Taufe verwarfen, die die Kirche an neugeborenen Kindern vollzog. Sie verlangten die Wiedertaufe oder richtiger die Spättaufe, der sich erst der denkfähige erwachsene Mensch unterziehen dürfe; was bei den heutigen Baptisten eine religiöse Schrulle geworden ist, war damals ein revolutionäres Programm, vor dem die herrschenden Klassen zitterten.

Da die Wiedertäufer friedlicher Gesinnung waren, so wurden sie nicht in das Schicksal Müntzers verflochten, aber ihre friedliebende Gesinnung war für die evangelischen wie für die katholischen Fürsten kein Hindernis, nach der Niederwerfung des Bauernaufstandes eine blutige Menschenjagd auf sie zu eröffnen. Selbst die ohnmächtige Reichsgewalt beteiligte sich an dieser nichtswürdigen Verfolgung; im Jahre 1529 setzte der Reichstag in Speyer die Strafe des Feuertodes auf die Wiedertaufe. Überall in Deutschland flammten die Scheiterhaufen, auf denen gefangene Wiedertäufer einen heldenmütigen Märtyrertod erlitten. So wurden sie in Deutschland ausgerottet oder über die Grenze getrieben, und endlich erwachte in den niederländischen Wiedertäufern das Bewusstsein, dass sie sich mit denselben Mitteln wehren müssten, mit denen sie gepeinigt wurden, nämlich mit Waffen. Jan Mathys, ein Bäcker in Harlem, und Johann Bockelson, ein Schneider in Leyden, wurden die Häupter dieser wiedertäuferischen Richtung. In der altkatholischen Stadt Münster, einem Hauptsitze des römischen Wesens im nordwestlichen Deutschland, fanden sie eine Stätte, um den gewaltsamen Widerstand gegen die Verfolger ihrer Brüder zu rüsten. Die Stadt lag in heftigem Kampfe mit ihrem Bischof, dessen sich die Bürgerschaft nicht ohne Hilfe der städtischen Plebejer erwehren konnte, wodurch diese eine große Macht erhielten. Es gelang der wiedertäuferischen Bewegung, sich in vollkommen gesetzmäßiger Weise der städtischen Ämter zu versichern und den Angriffen des Bischofs einen so hartnäckigen wie hochherzigen Widerstand entgegenzusetzen, den zu brechen schließlich das ganze Reich aufgeboten werden musste.

Erst nach fünfvierteljährlicher Belagerung fiel die durch Hunger bezwungene Stadt, und in dem scheußlichen Morden ihrer tapferen Verteidiger feierte der christliche Bischof seinen Sieg. Was aber seit vier Jahrhunderten ein bürgerlicher Historiker dem anderen nacherzählt von dem Wiedertäuferregiment in Münster, das eine wüste Orgie von unmenschlicher Grausamkeit und viehischer Wollust gewesen sein soll, das ist dreist erlogen oder frech entstellt.

6. Jesuitismus, Calvinismus, Luthertum

Der Sieg der Fürsten in dem großen Bauernkriege, dessen tiefste Ursache darin wurzelte, dass der Widerstreit der wirtschaftlichen Interessen in den verschiedenen Teilen Deutschlands das Entstehen einer großen modernen Nation hinderte, wurde noch verstärkt durch die nun beginnende Verarmung der deutschen Städte, die ihre tiefste Ursache darin hatte, dass sich der Welthandel von den Gestaden des Mittelländischen Meeres an die Ufer des Atlantischen Ozeans zu verlegen begann.

Die Eroberung Konstantinopels durch die Türken versperrte die Handelswege nach dem Orient, so dass die sich immer stärker entwickelnde Warenproduktion neue Absatzmärkte und Handelswege zu suchen gezwungen war. Mit dem Zeitalter der großen geographischen Entdeckungen hob die moderne Kolonialpolitik an, von der Deutschland durch seine geographische Lage ausgeschlossen war. Sein ökonomischer Aufstieg wurde mehr und mehr unterbunden, und damit schwand auch die Möglichkeit seiner politischen Zentralisation. Die allmählich, aber unaufhaltsam fortschreitende Verarmung Deutschlands wurde eine neue Stütze der Fürstenherrschaft, machte sie freilich auch um so unerträglicher für das deutsche Volk, da die Heftigkeit der Plünderung in gleichem Maße mit ihrer Schwierigkeit wuchs.

Von den drei großen Parteigruppen, die sich beim Ausbruch der deutschen Reformation gebildet hatten, war die plebejisch-revolutionäre in den Blutströmen des Bauernkrieges erstickt worden, während die bürgerlich-reformierte durch diesen Krieg einen Stoß erhalten hatte, von dem sie sich lange nicht erholen konnte. Aber auch an der katholisch-konservativen ging der Sturm der Zeit nicht spurlos vorüber. Es bildeten sich nunmehr drei neue Parteien, die auf deutscher Erde miteinander rangen, aber freilich weit über die deutschen Grenzen hinaus europäische Bedeutung gewannen.

Es waren der Jesuitismus, der Calvinismus und das Luthertum. Sie trugen alle noch die religiöse Färbung, waren aber unter ihrer kirchlichen Form ökonomisch-politische Organisationen. Alle drei entsprangen, trotz aller dogmatisch-religiöser Gegensätze, einem gemeinsamen Boden; sie unterschieden sich von der feudal-mittelalterlichen Kirche wie die feudalistische von der kapitalistischen Produktionsweise. Der Jesuitismus war der auf kapitalistischer Grundlage reformierte Katholizismus. War das Papsttum zu einem Mittel und Werkzeug der großen modernen Monarchien geworden, die sich aus den Bedürfnissen der kapitalistischen Produktionsweise entwickelt hatten, so musste es auf kapitalistische Füße gestellt werden, um ein wirksames Mittel und Werkzeug der Herrschaft zu sein, und ebendieses besorgte der Orden Jesu, indem er die katholische Kirche den neuen ökonomischen und politischen Verhältnissen anpasste. Er reorganisierte das gesamte Schulwesen durch die klassischen Studien, die höchste Bildung, die es damals gab, und nahm insoweit die Erbschaft des Humanismus auf; er wurde die größte Handelsgesellschaft der Welt, die ihre Kontore hatte, soweit die Erde entdeckt war; er lieferte den Fürsten in der Form von Beichtvätern die erfahrensten und gescheitesten Minister.

Jedoch der moderne Absolutismus entsprach nur zeitweise, nur soweit es auf die Bildung großer einheitlicher Handels- und Wirtschaftsgebiete ankam, nicht aber dauernd den Interessen der aufblühenden Städte. Für diese war er nicht Zweck, sondern nur Mittel zum Zweck, und sobald er sich selbst als Zweck zu fühlen gedachte, erinnerten sie ihn nachdrücklich daran, dass er von ihren Gnaden sei. Das Banner aber, unter dem sich zuerst die niederländischen Städte gegen den spanischen und die französischen Städte gegen den französischen Absolutismus erhoben, war der Calvinismus. Calvin hatte ihn in der reichen Handelsstadt Genf verkündet, und durch seine demokratische Kirchenverfassung entsprach er den Interessen der vorgeschrittensten Städtebürger. Wohl bekannten sich auch Teile des Adels in Holland und Frankreich zum Calvinismus, aber nur, weil sie mit den rebellischen Städten mehr oder minder gemeinsame Interessen hatten; wo der Calvinismus eine begeisternde und fanatische Macht wurde, standen die bürgerlichen Interessen im Vordergrunde. Neben der absolutistisch-kapitalistischen Gesellschaft Jesu kann man ihn die bürgerlich-kapitalistische Religion nennen.

Endlich das Luthertum war die Religion der ökonomisch zurückgebliebenen Länder, die am stärksten von Rom ausgebeutet worden waren, aber am wenigsten daran denken konnten, Rom zu beherrschen oder Rom zu vernichten, die also vollständig mit Rom brechen mussten, jedoch in die großen Wettkämpfe um sein Erbe nicht entscheidend eingreifen konnten. Das Luthertum herrschte im nördlichen und östlichen Deutschland, in Dänemark, in Schweden. Es waren Länder mit verhältnismäßig geringer Entwicklung der Städte und starkem Übergewicht des Adels; im westlichen Deutschland, wo die Städte stärker und zahlreicher waren, wog der Calvinismus vor. Wo das Luthertum herrschte, arbeitete sich die kapitalistische Entwicklung erst langsam aus dem feudalen Chaos heraus. Sie schuf noch kein revolutionäres Bürgertum, dagegen machte sie aus dem Grundherrn einen Gutsherrn, aus dem Ritter einen Warenproduzenten. Dies geschah namentlich in den ackerbautreibenden Landstrichen östlich der Elbe; die Kirche bezahlte hier mit ihren Gütern und die Bauern mit immer wachsender Ausbeutung die Zeche der „reinen Gotteslehre".

Entsprechend diesen rückständigen Verhältnissen war das Luthertum eine rückständige Religion. Seit seinem Verrat an den Bauern war Luther ein kriechender Fürstenknecht geworden; aus seiner Bibelübersetzung, die mit ihrer Darstellung des einfachen Urchristentums nicht wenig dazu beigetragen hatte, die Massen aufzuregen, machte er nunmehr einen Fürstenkatechismus, wie ihn kein Tellerlecker der Monarchie widerwärtiger hätte erfinden können. Die Fürsten, die Bischöfe, die Junker waren die Patrone der lutherischen Kirche, wodurch diese sich von der demokratischen Kirchenverfassung des Calvinismus viel tiefer unterschied als durch alle dogmatischen Haarspaltereien über das Abendmahl; dem geistigen Leben der lutherischen Kirche sagten die holländischen Calvinisten eine „mehr als viehische Dummheit" nach.

Dergestalt wurde die deutsche Reformation, nachdem das revolutionäre Feuer im Blut der Bauern erstickt worden war, ein Raub- und Plünderungszug der deutschen Fürsten und ihre immer mehr wachsende Emanzipation von der kaiserlichen Gewalt. Die Fürsten „reformierten", indem sie sich zu obersten Bischöfen ihrer Landeskirchen erklärten, das Luthertum durch ihre Hofpfaffen zu einer Religion des beschränkten Untertanenverstandes ausbilden ließen und namentlich die reichen Kirchengüter in ihre Tasche steckten. Bei aller buntscheckigen Verschiedenheit der äußeren Verhältnisse liefen diese fürstlichen „Reformationen" stets auf dasselbe hinaus, wofür namentlich die Geschichte der Hohenzollern ein klassisches Beispiel liefert. Einen Anteil an der Beute erhielten nur noch die Junker und etwa die städtischen Patrizier, die freilich, dank dem Verfalle der Städte, sehr vorliebnehmen mussten. Nicht im Entferntesten kam der Raub der Kirchengüter den Massen zugute, den Bauern und den städtischen Plebejern.

So wuchs die Macht der Fürsten immer mehr an. Der Versuch der kaiserlichen Gewalt, sich noch einmal durchzusetzen, das heißt, ideologisch2 ausgedrückt, die katholische Glaubenseinheit Deutschlands wiederherzustellen, scheiterte vollständig und bewies nur, dass sich das Teilfürstentum nicht mehr beseitigen ließ, weil es viel zu tief in den ökonomischen Zuständen Deutschlands wurzelte. Allerdings siegte Kaiser Karl V. 15453 in der Schlacht bei Mühlberg über einige protestantische Fürsten, aber nur, weil andere protestantische Fürsten um eigennütziger Vorteile willen, die er ihnen versprach, ihn unterstützten. Gerade diese Fürsten erhoben sich sofort gegen ihn, als er nach seinem Siege sich anschickte, die kaiserliche Gewalt tatsächlich wiederherzustellen. Sie erkauften das Bündnis des französischen Königs durch schmählichen Verrat am Reich, durch die Preisgabe der Bistümer Toul, Metz und Verdun an Frankreich, und so gelang es ihnen, den Kaiser niederzuwerfen. Im Vertrage zu Passau und danach im Religionsfrieden von Augsburg wurde im Jahre 1555 Religionsfreiheit für die Reichsstände, das will sagen für die Landesobrigkeiten, ausgemacht. Jeder Reichsstand, jede Landesobrigkeit erhielt das Recht, es in ihrem Gebiete mit der Religion einzurichten, wie ihr beliebte. Der Augsburger Religionsfriede beruhte auf dem Grundsatze: Cuius regio, eius religio, das heißt: Wer das Land besitzt, besitzt auch das Recht, die Religion der Landesbewohner zu bestimmen. Den Landesbewohnern gewährte der Religionsfriede nur das Recht, auszuwandern, falls sie sich durch das „Seligmachen" ihres Landesherrn in ihrem Gewissen bedrängt fühlten. Dies „Seligmachen", das heißt die gewaltsame Bekehrung der Landesbewohner zur Religion des Landesherrn, betrieben die protestantischen Fürsten nicht weniger als die katholischen.

So beließ es der Augsburger Religionsfriede bei der Kirchenspaltung, bei der fürstlichen Souveränität. Aber dieser Friede ließ zwei entscheidende Fragen in der Schwebe. Er drückte zwar das Siegel auf die bisherigen Kirchenplünderungen der deutschen Fürsten, aber er bestimmte nicht, was mit den geistlichen Gebieten geschehen solle, deren es noch eine große Zahl in Deutschland gab. Nach protestantischer Forderung sollte für diese Gebiete der Grundsatz Cuius regio, eius religio nicht gelten; ihre protestantischen Bewohner sollten unbeschwert ihres Glaubens leben dürfen. Dagegen forderten die Katholiken, die geistlichen Fürsten sollten dasselbe Recht des „Seligmachens" haben wie die protestantischen. Die andere Meinungsverschiedenheit aber bestand in dem sogenannten „geistlichen Vorbehalte", der von katholischer Seite gefordert wurde. Danach sollte jeder geistliche Reichsstand, Kurfürst, Erzbischof, Bischof oder Abt, der zur protestantischen Lehre abfiele, dadurch von selbst seiner geistlichen Ämter und Würden verlustig gehen. Hiervon wollten nun wieder die protestantischen Fürsten nichts wissen, denen dadurch der bequemste Weg abgeschnitten wurde, geistliche Güter in ihre Tasche zu stecken.

Über diese Meinungsverschiedenheiten kam es zu keiner Einigung; die reellen Machtfragen, die dabei mitspielten, waren viel zu gewichtig, als dass man sich gegenseitig mit ideologisch-religiösen Gründen hätte überzeugen können. Einerseits gelang es den protestantischen Fürsten, in den sechzig Jahren nach dem Augsburger Religionsfrieden über hundert geistliche, zum Teil sehr große Gebiete, Erzbistümer und Bistümer, Stifte und Abteien, zu ergattern, mit Missachtung des geistlichen Vorbehalts; andererseits aber machten die geistlichen Fürsten, die ihrer Religion treu blieben, von dem Grundsatze Cuius regio, eius religio reichlichen Gebrauch und begannen eine Gegenreformation, die von den Jesuiten geschickt geleitet wurde und namentlich im südlichen wie im westlichen Deutschland der katholischen Religion wieder einen weiten Spielraum eröffnete.

Einen Hauptfang taten die Jesuiten an den bayerischen Herzögen, die sie – freilich noch mehr durch die Gewährung materieller Vorteile als durch ihre geistliche Beredsamkeit – an die Interessen der katholischen Kirche zu ketten verstanden. Als dann Herzog Max von Bayern im Jahre 1607 irgendeine religiöse Zänkerei zum Vorwand nahm, um die freie Reichsstadt Donauwörth zu überfallen und seinem Gebiete einzuverleiben, gab diese kecke Gewalttat das Signal zum Sammeln der Heere. Ein Teil der protestantischen Fürsten schloss sich zur Union zusammen unter Führung der Kurpfalz, worauf sich die katholischen Fürsten unter Führung von Bayern zur Liga zusammentaten. Die protestantische Union blieb ein totgeborenes Kind, zumal da der erste und mächtigste protestantische Fürst, der Kurfürst von Sachsen, sich ihr fernhielt, aus Eifersucht auf Kurpfalz und aus Ländergier, die er von dem katholischen Kaiser befriedigt zu sehen hoffte. Dagegen wurde die katholische Liga eine wirkliche Macht; sie hatte im Herzoge Max von Bayern ein entschlossenes und fähiges Oberhaupt, und eine große Zahl geistlicher Reichsstände, zumal die drei geistlichen Kurfürstentümer4, bildeten ihr festes Knochengerüst.

7. Der Dreißigjährige Krieg

So standen sich die beiden Heere gegenüber, als eine innere Krisis der österreichischen Erblande Böhmen, Mähren, Schlesien, Ober- und Niederlausitz, Ober- und Niederösterreich den Kampf eröffnete. Auch in diesen Ländern hatte die jesuitische Gegenreformation große Erfolge errungen; sie hatte namentlich in dem Thronfolger Erzherzog Ferdinand von Steiermark einen fanatisierten Zögling gewonnen, der, als er zur Regierung gelangte und auch zum deutschen Kaiser gewählt wurde, gemäß der Tradition, die die deutsche Kaiserkrone mit dem habsburgischen Herrscherhause verknüpfte, nur die eine Politik verfolgte, seine Erblande in der Einheit des katholischen Glaubens zu bändigen. Jedoch er stieß damit auf einen heftigen Widerstand, namentlich im Königreich Böhmen, dessen protestantische Stände ihn sogar wegen seiner katholischen Restaurationsversuche der böhmischen Krone für verlustig erklärten und den Kurfürsten Friedrich von der Pfalz zu seinem Nachfolger erwählten, in der Hoffnung, dadurch den Beistand der Union zu erhalten. Allein die Union erwies sich völlig unfähig zum Handeln. Um so kräftiger unterstützte die Liga den Kaiser; ihr General Tilly schlug am 8. November 1620 in der Schlacht am Weißen Berge bei Prag den neugebackenen und übrigens völlig unfähigen König aufs Haupt. Böhmen fiel wieder in die Hand des Kaisers, der es erbarmungslos einer blutigen politischen und religiösen Restauration unterwarf.

Damit schien der Kriegsbrand ausgetreten zu sein. Aber die Bundesgenossen des Kaisers verlangten nunmehr ihren Lohn aus der Beute des landesflüchtigen Kurfürsten von der Pfalz. Namentlich der bayerische Herzog beanspruchte als Haupt der Liga die pfälzische Kurwürde und einen Teil der pfälzischen Besitzungen, und der Kaiser ließ sich bereit finden, als deutscher Kaiser die Schulden zu zahlen, die er als böhmischer König gemacht hatte; auf einem Reichstage in Regensburg erfüllte er die bayerischen Wünsche, unter ohnmächtigem Protest der protestantischen Fürsten. Damit war die Macht des Kaisers so hoch gestiegen, dass die auswärtigen Mächte, Frankreich, England, Holland, mit scheelen Augen darauf blickten, zumal da der österreichische und der spanische Zweig des Hauses Habsburg in engem Einvernehmen miteinander standen. Zunächst putschten England und Holland den König von Dänemark durch reiche Geldmittel auf, an der Elbe und Weser ein stattliches Heer aufzubieten als Sammel- und Stützpunkt für die protestantischen Fürsten in Deutschland. Allein auch der Kaiser war nunmehr hinreichend erstarkt, um eine große Kriegsmacht aufzustellen; er nahm das Anerbieten des böhmischen Magnaten Wallenstein an, ihm ein starkes Heer zu werben, und dieser erprobte Feldhauptmann löste seine Aufgabe noch weit über sein Versprechen hinaus. Im Jahre 1625 begann der Krieg mit Dänemark, und vier Jahre später, im Jahre 1629, verpflichtete sich Dänemark im Frieden von Lübeck, sich nicht mehr in die deutschen Angelegenheiten zu mischen; auch über dem nördlichen Deutschland herrschten die kaiserlichen Waffen.

In erster Reihe verdankte der Kaiser diese Erfolge seinem General. Albrecht Wallenstein (1583-1634) verfolgte in Deutschland dasselbe Ziel, das Richelieu in Frankreich gleichzeitig verfolgte: die Herstellung einer rein weltlichen Monarchie, die sich frei von allen konfessionellen Gegensätzen über die hadernden Fürsten erheben, die Klassengegensätze im Innern mildern und die gesamte Kraft der Nation nach außen kehren sollte. Wallenstein unterwarf die katholischen Reichsstände nicht minder als die protestantischen der kaiserlichen Autorität; er war kein phantastischer Politiker, sondern hatte ein sehr klares Ziel, das, wie das französische Beispiel zeigte, nicht nur erreichbar war, sondern auch im Sinne des historischen Fortschritts lag. Allem religiösen Hader war Wallenstein in tiefster Seele abhold; obgleich er selbst ein Katholik und von Jesuiten erzogen war, so meinte er wohl, dass nicht eher Ruhe im Reiche werden würde, bis einem Bischof der Kopf vor die Füße gelegt sei. Gescheitert ist Wallenstein daran, dass die Souveränität der Reichsstände viel zu tief in den ökonomischen Zuständen des damaligen Deutschlands verankert war, als dass er sie hätte losreißen können. Nicht nur die Fürsten, katholische wie protestantische, widersetzten sich ihm, sondern auch die Städte; die Hansastädte Hamburg, Bremen, Lübeck und andere weigerten sich, ihre Schiffe für die Beherrschung der Ostsee zu stellen, und während Wallenstein sich schon mit weitaussehenden Plänen trug, Konstantinopel zu erobern und die Türken aus Europa zu vertreiben, widerstand ihm die Stadt Stralsund siegreich, als er die Aufnahme einer kaiserlichen Besatzung von ihr verlangte.

Zur selben Zeit, wo Wallenstein an den Wällen Stralsunds scheiterte, eroberte Richelieu nach vierzehnmonatiger Belagerung die Festung Rochelle, den Hauptsitz der französischen Protestanten (Hugenotten). Er hatte nunmehr die Hände frei für seine auswärtige Politik und unternahm in weitem Umfange den Kampf gegen das Haus Habsburg, um der französischen Monarchie die europäische Vorherrschaft zu sichern. Obgleich Richelieu ebenso wie Wallenstein Katholik, ja sogar Kardinal der römischen Kirche war, hielt er seine Politik frei von allen konfessionellen Vorurteilen; er hetzte ebenso die katholischen Fürsten in Deutschland gegen den Kaiser auf, wie er den protestantischen König von Schweden zu einem Einfall in Deutschland zu bewegen versuchte. Den wirksamsten Bundesgenossen aber fand Richelieu in dem deutschen Kaiser selbst. Er hatte an seinem Teile die besiegten Hugenotten nicht grausam verfolgt, sondern ihnen im Gegenteil die politischen Rechte eingeräumt, die sie nach Lage der tatsächlichen Rechtsverhältnisse beanspruchen konnten, wodurch ihm eben ermöglicht wurde, die gesammelte Kraft Frankreichs gegen das Ausland zu kehren. Dagegen wusste der deutsche Kaiser, als ihm Wallenstein das nördliche, überwiegend protestantische Deutschland durch den Frieden von Lübeck zu Füßen legte, nichts Besseres zu tun, als neue Zwietracht zwischen die Konfessionen zu säen. Zu Wallensteins heftigem Verdrusse und in scharfem Gegensatze zu Wallensteins Politik erließ Ferdinand II. im Jahre 1629, gleichzeitig mit dem Lübecker Frieden, das Restitutionsedikt, das heißt, er verfügte, dass alle seit dem Augsburger Religionsfrieden eingezogenen geistlichen Güter den Katholiken wieder zurückgegeben werden sollten. Er entfachte den konfessionellen Hader im nördlichen Deutschland gerade in dem Augenblick, wo der Einbruch eines ausländischen Feindes ins nördliche Deutschland bevorstand.

Im Sommer 1630 landete der König Gustav Adolf von Schweden (1594 bis 1632) mit einem Heer an der pommerschen Küste. Von Frankreich lange bearbeitet, hatte er lange gezögert, ehe er mit den Hilfsmitteln des kleinen Schweden, das damals nicht mehr als anderthalb Millionen Einwohner zählte, das große Deutschland anzugreifen wagte. Es ist eine grobe Geschichtsfälschung zu sagen, dass er sich endlich auf das schwierige Unternehmen eingelassen habe, um das Evangelium, den protestantischen Gottesglauben, in Deutschland zu retten. Solche Gedanken lagen ihm vollkommen fern; er hat nach seinem Einbruch in Deutschland wohl den vom Kaiser frisch angefachten Hader der Konfessionen für seine Eroberungszwecke auszunutzen gesucht, aber den Gedanken, das Schicksal seines Königreiches aufs Spiel zu setzen, um das deutsche Luthertum zu retten, hat er nicht einen Augenblick gehabt, was ihm auch keineswegs zur Schande gereicht. Im Gegenteil: Er war in seinem historischen Rechte, wenn er sich allein durch die ökonomisch-politischen Interessen der schwedischen Monarchie bestimmen ließ, die aufs schwerste gefährdet werden mussten, wenn Wallensteins Plan gelang, die kaiserliche Herrschaft über die Ostsee auszubreiten. Als Monarch seiner Zeit handelte Gustav Adolf mit seinem Einbruch in Deutschland durchaus konsequent und logisch; den zweifelhaften Ruhm, ein irrender Ritter des Luthertums gewesen zu sein, kann er dagegen nicht beanspruchen.

Die Zeitgenossen sahen denn auch in seinem Angriff auf Deutschland nichts anderes, als was dieser Angriff in Wirklichkeit war: den Krieg eines ausländischen Eroberers. Wie viel schon die Fürsten und Städte an Kaiser und Reich gesündigt hatten, so weigerten sich auch die protestantischen unter ihnen, sich an Gustav Adolf anzuschließen. Nur in der Stadt Magdeburg, allerdings der beherrschenden Position des nördlichen Deutschlands, gab es eine schwedische Partei, und Gustav Adolf sandte ihr in dem Obersten Falkenberg ein Haupt zu, bis er selbst herankommen könne, sie zu schützen, woran er einstweilen durch den Widerstand gerade der protestantischen Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen gehindert wurde. Was ihm dagegen das Vordringen in Deutschland ermöglichte, war ein Verrat, den die katholischen Fürsten an Kaiser und Reich begingen, aufgehetzt von Frankreich, wie Gustav Adolf von Frankreich aufgehetzt worden war. Den katholischen Fürsten war das Erstarken der kaiserlichen Autorität, wie es Wallenstein betrieb, nicht weniger ein Dorn im Auge als den protestantischen; auf einem Reichstage in Regensburg verlangten sie vom Kaiser die Entlassung Wallensteins und zum Teil auch seines Heeres unter der Drohung, sonst nicht den Sohn des Kaisers, sondern den französischen König zu seinem Nachfolger zu wählen. Der Kaiser musste nachgeben; er musste Wallenstein und einen Teil seines Heeres entlassen, dessen Rest dann unter den Befehl Tillys gestellt wurde, der der General der Liga und als solcher von den Befehlen der katholischen Fürsten abhängig war.

So stieß Gustav Adolf auf keine ebenbürtige Macht in Deutschland. Tilly war nicht der Wüterich, den protestantische Geschichtschreiber aus ihm gemacht haben, aber doch ein mittelmäßiger General; nach längerem Hin-und Herschwanken, ob er das schwedische Heer angreifen oder Magdeburg erobern solle, warf er sich auf diese Stadt. Es gelang ihm auch, sie zu erobern, aber nur als einen Schutthaufen; der schwedische Oberst Falkenberg, der bei dem Sturm fiel, hatte sie anzünden lassen, als er sah, dass sie nicht mehr zu halten war. Die grauenvolle Katastrophe wurde jedoch den Eroberern der Stadt zugeschrieben, und da alle Welt wusste, wie der Kaiser nach dem Siege Tillys am Weißen Berge bei Prag in Böhmen gehaust hatte, so entstand eine heftige Erregung in allen protestantischen Gegenden. Auch die Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen gaben nun ihren Widerstand gegen Gustav Adolf auf, der die sächsischen Truppen an sich zog und am 17. September 1631 in der Schlacht bei Breitenfeld Tillys Heer vernichtend aufs Haupt schlug. Damit fiel das nördliche Deutschland in die Hände des schwedischen Königs, und das südliche Deutschland lag als wehrlose Beute vor ihm.

Er zögerte keinen Augenblick, sich dieser Beute zu bemächtigen, obgleich er selbst vom Standpunkte der schwedischen Interessen aus den Frieden hätte suchen können, nachdem er die kaiserlichen Waffen aus Norddeutschland vertrieben hatte. In Raubzügen, die ihm unermesslichen Gewinn einbrachten, verheerend und verwüstend, zog er durch die reichen geistlichen Gebiete in den Maingegenden; in Mainz hielt er während des Winters von 1631 bis 1632 einen prunkenden Hof; dann brach er nach Bayern auf, wo er wieder wie ein Vandale hauste. Mit dem allzu starken Anwachsen seiner Macht war auch sein Patron Frankreich unzufrieden, aber zwei unerschütterliche Beschützer hatte dieser protestantische Gottesstreiter an dem Großtürken und dem Papste, die in ihm den Bedränger der habsburgischen Macht ehrten. Der damalige Papst Urban VIII., der sich durchaus als italienischer Fürst fühlte und durch seine Interessen mehr auf die französische als auf die österreichisch-spanische Seite gezogen wurde, sah in dem Ketzerkönige seinen von Gott gesandten Erretter. Klüger als mit den erfolglosen Bemühungen um den päpstlichen Segen handelte der Kaiser, indem er Wallenstein wieder zu seinem Generalissimus ernannte. Mit überraschender Schnelligkeit brachte Wallenstein ein neues Heer auf die Beine und zwang den schwedischen König aus Süddeutschland in die sächsische Ebene zurück, wo Gustav Adolf am 16. November 1632 in der Schlacht bei Lützen fiel.

Sein Tod änderte nichts an dem allgemeinen Verlauf der Dinge. Gustav Adolf hatte den Höhepunkt seiner Erobererlaufbahn längst überschritten. Der Rückschlag, den die schwedische Sache erfuhr, lag in der Natur der Dinge selbst; Schweden konnte Deutschland nicht unterwerfen, und daran hätte Gustav Adolf bei längerem Leben auch nichts geändert. Aber ebenso wenig konnte die kaiserliche Gewalt aufgerichtet werden. Als der Kaiser sich Wallensteins Plänen abermals versagte und Wallenstein nun auf eigene Faust sein politisches Ziel verfolgen wollte, zerbrach ihm das mächtige Werkzeug, das er sich in seinem Heere geschaffen zu haben glaubte; seine Generale und Obersten verließen ihn; und er fiel unter den Dolchen kaiserlicher Meuchelmörder. Von allen Parteien, die auf deutscher Erde miteinander rangen, konnte keine die Entscheidung bringen, und so fielen die Zügel des Krieges in Frankreichs Hand. Die schwedischen Eroberer waren nun nicht mehr als französische Söldner, wie es im Grunde auch schon Gustav Adolf gewesen war; als solche sind sie unter den Plünderern und Verheerern Deutschlands die ärgsten gewesen.

Nach dreißigjähriger Dauer starb der Krieg an der allgemeinen Erschöpfung. Eine ähnliche Zerstörung hat ein großes Kulturvolk niemals zu erdulden gehabt. Um zweihundert Jahre wurde Deutschland in seiner Entwicklung zurückgeworfen; zweihundert Jahre hat es gebraucht, bis es wieder auf die ökonomische Höhe gelangte, die es bei Beginn des Dreißigjährigen Krieges behauptete. Im Westfälischen Frieden, der 1648 den Dreißigjährigen Krieg beschloss, raffte Frankreich die reichsten Striche des westlichen Deutschlands an sich; im Norden raubte Schweden die Mündungen der Oder, Elbe und Weser; beide Länder erhielten das Recht, sich in die deutschen Angelegenheiten zu mischen. Die letzte Autorität von Kaiser und Reich war unwiederbringlich dahin. Die ökonomischen Ursachen der deutschen Reformation wirkten fort und fort. Die „Libertät der Stände", das heißt die Souveränität der Landesobrigkeiten, siegte auf der ganzen Linie; selbst das Recht, Bündnisse mit dem Auslande zu schließen, wurde ihnen durch den Westfälischen Frieden verbürgt.

Quellen. Für die ersten Kapitel dieses Abschnittes, die revolutionär-umwälzenden Wirkungen des Kaufmannskapitals, bietet wiederum die eingehendsten und treffendsten Aufschlüsse Kautsky im ersten Abschnitt seines Buches über Thomas More. Ebenso sind Kautskys Vorläufer des Neueren Sozialismus in ihrem zweiten Bande die reichhaltigste Quelle über die revolutionären Bewegungen der Reformationszeit. Die ausführlichste Darstellung des großen Bauernkrieges, die in manchen Einzelheiten veraltet, aber im Ganzen noch nicht überholt ist, gibt Zimmermann. Das Werk ist in neuer Bearbeitung von Blos vom Stuttgarter Parteiverlage herausgegeben worden. Auf das tatsächliche Material Zimmermanns gestützt, hat Engels in seiner Schrift über den deutschen Bauernkrieg5 das gewaltige Ereignis zuerst in seinen entscheidenden Grundzügen nach historisch-materialistischen Gesichtspunkten durchgearbeitet; obgleich vor sechzig Jahren geschrieben, ist diese Arbeit eine vortreffliche Einführung in das Zeitalter der deutschen Reformation. Sie ist kürzlich im Verlage des Vorwärts in neuer Auflage erschienen. In demselben Verlage ist erschienen: Mehring: Gustav Adolf, eine Darstellung der deutschen Reformationsbewegung vom Schluss des Bauernkrieges bis zum Schluss des Dreißigjährigen Krieges.

1 „Franz von Sickingen". Trauerspiel von Ferdinand Lassalle – Mehring widmet dem Stück einen besonderen Abschnitt in seiner „Geschichte der deutschen Sozialdemokratie" (Bd. 1 der „Gesammelten Schriften", Dietz Verlag, Berlin 1960, S. 594-603). Siehe dazu aber die Briefe von Marx und Engels an Lassalle (Marx/ Engels: Werke, Bd. 29, S. 590-593 u. S. 600-605).

2 Mehring gebraucht das Wort „ideologisch" immer im Sinne von „idealistisch".

3 Die Schlacht bei Mühlberg fand am 24. April 1547 statt.

4 Gemeint sind die Erzbistümer Mainz, Köln und Trier.

5 Friedrich Engels: Der deutsche Bauernkrieg. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 7, S. 327-413. – Siehe auch Friedrich Engels: Vorbemerkung zu „Der deutsche Bauernkrieg" (Ausgabe von 1870 und 1875). In: Ebenda, S. 529-542.

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