Vorbemerkung

Vorbemerkung

Die vorliegende Schrift ist aus den Vorträgen über deutsche Geschichte entstanden, die ich seit vier Jahren an der Parteischule gehalten habe. Es erwies sich dabei als Notwendigkeit, den Schülern eine Reihe von Sätzen an die Hand zu geben, die ihnen als Leitfaden in dem massenhaften Stoffe dienen konnten. Anfangs suchte ich mir durch Diktate zu helfen, indessen ging dabei allzu viel von der ohnehin karg bemessenen Zeit verloren.

So entschloss ich mich zunächst, Leitsätze drucken zu lassen. Allein auch dieser Plan erweiterte sich, da ich inzwischen als Lehrer an der Parteischule wie als Mitglied des Bildungsausschusses vielfach Gelegenheit hatte zu beobachten, wie dringend der Wunsch nach einem ähnlichen Hilfsmittel für den historischen Unterricht in weiten Parteikreisen vorhanden ist. Für diesen Zweck arbeitete ich den Leitfaden noch einmal gründlich durch und suchte ihn so zu gestalten, dass er Lehrenden und Lernenden, auch außerhalb der Parteischule, gleichmäßig die Arbeit erleichtern konnte. Inwieweit meine Absicht gelungen ist, kann nur der praktische Gebrauch zeigen; hier beschränke ich mich auf einige orientierende Fingerzeige.

Von vornherein stand für mich fest, dass mit bloßen Daten und Namen oder auch einer epigrammatisch knappen Kennzeichnung historischer Ereignisse, also mit äußeren Stützen des Gedächtnisses, wenig getan sei. Es musste, wenn auch nur in den allgemeinsten Grundzügen und im engsten Rahmen, die historische Entwicklung nach ihrem inneren Zusammenhange gegeben werden. Erst damit ist der Boden bereitet, worin die ausführlicheren Vorträge selbst feste Wurzeln schlagen können.

Die Wahl des historischen Stoffes war nach den Zwecken der Parteischule und des Parteiunterrichts überhaupt zu treffen. Es kam darauf an, den Schülern das Verständnis der deutschen Geschichte zu ermöglichen, soweit sie mittel- oder unmittelbar in der deutschen Arbeiterbewegung nachwirkt. Ich bin weit entfernt, die Ansicht zu teilen, dass die materialistische Geschichtsauffassung für Arbeiter unverständlich sei und deren historische Bildung auf den Biographien einzelner großer Menschen aufgebaut werden müsse. Aber freilich mag den Arbeitern wohl das Verständnis der Geschichte dadurch wesentlich erleichtert werden, dass ihnen die historischen Abwandlungen an den Gestalten klargemacht werden, die die hervorragendsten Träger dieser Abwandlungen gewesen sind. Der historische Materialismus wird dadurch nur in den Augen derer verleugnet, die ihn entweder nicht verstehen können oder nicht verstehen wollen.

So habe ich den biographischen Gesichtspunkten alles Recht eingeräumt, das sie im Rahmen der allgemeinen historischen Darstellung nur irgend beanspruchen können. Wer Luther und Müntzer im 16., wer Wallenstein und Gustav Adolf im 17., wer Kant und Lessing, Goethe und Schiller im 18., wer Hegel und Heine, Lassalle und Marx im 19. Jahrhundert gewesen sind, das zu wissen, fördert in hohem Grade das Verständnis der wechselnden Zeiten, selbst wenn man davon absehen will, dass der moderne Arbeiter ohnehin wissen muss, was es mit diesen Männern auf sich gehabt hat. Es kommt hinzu, dass über manche, wenn auch keineswegs alle diese historischen Gestalten in der Volksschule das verkehrteste Zeug gelehrt wird und dass sich auch hier das Wort bewährt: Je größer der Wahn, desto kürzer der Weg zur Wahrheit.

Zum Schluss brauche ich wohl nur mit einem flüchtigen Worte darauf hinzuweisen, dass es nicht die Aufgabe eines für Unterrichtszwecke bestimmten Leitfadens sein kann, neue Gesichtspunkte zu eröffnen. Im Gegenteil wird er seinen Zweck um so besser erfüllen, je gründlicher der historische Stoff, über den er sich verbreitet, schon durchgearbeitet worden ist. Ich habe deshalb auch keinen Anstand genommen, auf denjenigen Gebieten der deutschen Geschichte, auf denen ich nicht selbständig gearbeitet habe, historische Schriften der sozialistischen und gelegentlich auch der bürgerlichen Literatur zu benutzen.

Dies gilt namentlich von dem ersten Abschnitt des Leitfadens, etwa bis zur Reformation, wobei ich mich wieder in erster Reihe auf meinen Freund Kautsky stütze, in einem Umfange, der sich nur durch die praktischen Zwecke meiner Arbeit rechtfertigen lässt und deshalb von ihm selbst am nachsichtigsten beurteilt werden wird.

Der zweite Teil, der die neuere deutsche Geschichte behandelt, wird in gleichem Umfange zum Herbst dieses Jahres erscheinen.

Steglitz-Berlin, im Januar 1910

Kommentare