Franz Mehring 18990328 Die Entthronung einer Dynastie

Franz Mehring: Die Entthronung einer Dynastie

28. März 1899

[Der wahre Jacob, Nr. 331, 28. März 1899. Nach Gesammelte Schriften, Band 7, S. 112-119]

Als das Jahr 1848 zur Rüste ging, war „der Freiheit Märzsaat" überall in Europa gemäht. In London lag der Chartismus darnieder, in Paris hatte der nachgemachte Bonaparte die Zügel in der Hand, in Berlin und in Wien herrschte der Belagerungszustand. Die ungarische Nationalversammlung aber floh in der Nacht vom 30. auf den 31. Dezember 1848 aus Budapest nach Debreczin hinter die bergenden Sümpfe der Theiß; am 5. Januar 1849 hielt Windischgrätz, der Henker Wiens, seinen triumphierenden Einzug in die ungarische Hauptstadt und errichtete ein blutiges Schreckensregiment, wie er es eben erst in der österreichischen Hauptstadt gehandhabt hatte.

Da raffte sich die ungarische Nation noch einmal zu heldenmütigem Widerstande auf, und in diesen Frühlingstagen vor fünfzig Jahren flatterte ihre Trikolore siegreich empor. Es war der letzte große Kampf der europäischen Revolution, den erst, zur Ehre für die Besiegten, zur Schande für die Sieger, die noch ungebrochenen Pranken des russischen Bären niederschlagen konnten.

Die ungarische Revolution, die in den Märztagen von 1848 ausgebrochen war, hatte sich von vornherein von den Revolutionen in Paris, Wien und Berlin mannigfach unterschieden. Es ist schief ausgedrückt, wenn bürgerliche Historiker sagen, dass die Anfangs- und Endpunkte der ungarischen Revolution nicht politischer, sondern nationaler Natur gewesen seien, dass die ungarische Nation bei ihrem ersten Erwachen mehr nach Selbständigkeit gegenüber dem Kaiser von Österreich, als nach Freiheit gegenüber dem Könige von Ungarn verlangt habe. Aber in dem schiefen Ausdruck ist eine richtige Auffassung enthalten.

In dem Donaureiche waren die Deutschen und die Ungarn die Träger der bürgerlichen, jedoch erst wenig entwickelten Zivilisation. Nicht die städtische Bürgerschaft, sondern der kleine Landadel bildete die einflussreichste und mächtigste Klasse der ungarischen Bevölkerung. Seine heftigste Beschwerde bestand darin, dass die Regierung „ohne ihn über ihn" verfüge, und er beabsichtigte durchaus nicht, die erstrebte Herrschaft mit Bürgern und Bauern zu teilen. Der oppositionelle Adel glaubte schon ein Wunder von Gerechtigkeit zu tun, als er im Reichstage von 1843 bis 1844 den 104 Deputierten der 52 Städte, die bis dahin nur eine Stimme geführt hatten, deren 16 zubilligte, womit sie auch noch in hoffnungsloser Minderheit blieben. In den Städten ging denn auch eine sehr starke Strömung dahin, mit der despotischen Regierung und dem stockreaktionären Hochadel gemeinsame Sache zu machen; nur verstand Metternich nicht, diese für ihn günstige Situation auszunützen.

Seine althergebrachte Politik, die raffiniert entwickelten Ausbeutungs- und Unterdrückungsinteressen des habsburgischen Absolutismus dadurch aufrechtzuerhalten, dass er die einzelnen Nationalitäten gegeneinander ausspielte, traf die Ungarn am schwersten. Ein stolzes Herrenvolk, saßen sie über zersplitterten Slawentrümmern, die von Wien aus beständig gegen sie aufgereizt wurden; das gemeinsame nationale Interesse schmiedete immer wieder die verschiedenen Klassen der ungarischen Nation zusammen. Und wie die politische Knebelung, so traf auch die materielle Ausbeutung des Systems Metternich die Ungarn am schwersten. Ungarn wurde wie eine reiche Kolonie behandelt, die im Interesse des Mutterlandes, der sogenannten Erbländer, tatsächlich aber des kaiserlichen Säckels, geplündert wurde. Die ungarischen Reichstage wurden einberufen, um Rekruten und Geld zu bewilligen, während die Regierung nicht nur nichts tat, um das ausgepowerte Land wieder materiell zu kräftigen, sondern im Gegenteil alles daransetzte, um die Entwicklung von Ackerbau, Handwerk, Industrie und Handel zu hindern. Den überreichen Naturprodukten des Landes wurde die Ausfuhr nur unter sehr schweren Zöllen gestattet, so dass die herrlichsten Früchte, im Werte von Millionen, alljährlich verfaulten, weil ihnen die Absatzkanäle fehlten; dagegen wurden die ungarischen Märkte ohne alle Hindernisse mit einer Masse österreichischer Industrieprodukte überschwemmt: Das geldarme Land musste große Summen ans Ausland abführen, weil die sich eben erst entwickelnde nationale Industrie mit den von allen Seiten hereinströmenden fremden Industrieerzeugnissen nicht konkurrieren konnte. Darunter litt das ganze Land; Adel wie Bürgertum hatten das gleiche Interesse, diese völlig unerträglichen Zustände zu beseitigen. Ihr Bündnis wurde aber auch noch dadurch erleichtert, dass der Adel trotz aller Klassenselbstsucht einsah, wie gut sich sein Geldbeutel bei der Umwandlung des feudalen in bürgerliches Eigentum stehen würde; er war bereit, auf seine Steuerfreiheit, auf Roboten und Zehnten und allen sonstigen mittelalterlichen Kram zu verzichten. Eine Fraktion des Adels unter Führung des Grafen Szechenyi bemühte sich sogar, einen Teil der Wunden zu heilen, die Metternichs unverständige Politik dem bürgerlichen Handel und Verkehr schlug; sie gründete die Donaudampfschifffahrt, begann mit der Regulierung der Theiß, baute Straßen, Kanäle, Brücken und ähnliche Werke, die den materiellen Wohlstand des Landes in immerhin hohem Maße förderten.

Aus diesen sozialen Verhältnissen erklärt sich der eigentümliche Charakter der ungarischen Revolution. Sie schien energischer und kraftvoller aufzutreten als sonst die bürgerliche Revolution in Europa, und es war auch nicht bloß ein Schein. Aber der Grund lag nicht darin, dass die ungarische Bourgeoisie entwickelter, sondern umgekehrt, dass sie weniger entwickelt war als die deutsche oder gar die französische Bourgeoisie. Einerseits wurde sie noch nicht gelähmt durch das revolutionäre Vordringen eines zahlreichen Proletariats, andererseits stand sie Schulter an Schulter mit einem kräftigen, kriegserfahrenen, trotzigen Adel. Vieles in der ungarischen Revolution erinnert an die große französische Revolution von 1789; dem dünn bevölkerten und erst halb zivilisierten Magyarenlande standen nicht entfernt die Hilfsmittel des revolutionären Frankreichs zu Gebote, aber die vier Millionen Ungarn erwiesen sich als unbesiegbar für ganz Österreich, das sich, sechzehn Millionen fanatisierte Slawen voran, über sie stürzte.

Freilich Budapest war nicht Paris, und was 1789 ein Vorspiel war, das konnte 1849 nur noch ein Nachspiel sein. Unter all ihren glänzenden und glorreichen Außenseiten litt auch die ungarische Erhebung an den Fehlern, Halbheiten und Schwächen, die einer bürgerlichen Revolution in der Mitte des 19. Jahrhunderts anhaften mussten.

Die formelle Auffassung der bürgerlichen Historiker, dass die ungarische Revolution nicht politisch, sondern national gewesen sei, findet ihre Begründung in den zwölf Forderungen, in denen sich das Programm dieser Revolution erschöpfte. Obenan stand ein der Nation verantwortliches, von Österreich unabhängiges Ministerium, und auch sonst überwogen die nationalen Gesichtspunkte. Und als der erschreckte Kaiser den Grafen Batthyanyi sofort mit der Bildung eines ungarischen Ministeriums betraute, schrumpfte der Liberalismus der Revolution noch mehr zusammen.

Es entsprach den tatsächlichen Machtverhältnissen, dass in dem neuen Ministerium nur zwei Portefeuilles der Bourgeoisie, alle übrigen aber dem Adel zufielen. Weniger notwendig war vielleicht, dass sich die beiden bürgerlichen Minister, Kossuth und Szemere, ohne besonderen Anstoß in ihre bescheidene Rolle fanden. Kossuth feierte in dem überschwänglichen Stil eines vormärzlichen Romantikers den Adel, „dem Ungarn allein seine Entstehung und seine Erhaltung verdanke", und Szemere brachte ein Pressgesetz ein, das fast noch gefährlicher war als die vormärzliche Zensur, indem es für die Herausgabe von Zeitschriften unerschwingliche Kautionen forderte; erst eine drohende Volksbewegung erzwang die Herabsetzung der ungeheuerlichen Summen um die Hälfte. Auch das Wahlgesetz, auf Grund dessen die neue Nationalversammlung gewählt werden sollte, war sehr engherzig; durch eine Reihe von Beschränkungen schloss es viele Tausende von Staatsbürgern aus, bezeichnenderweise aber nur, wenn sie nicht zum Adel gehörten; jeder Adlige sollte ohne weiteres wahlfähig und wählbar sein. Als die neue Versammlung zusammentrat, zählte sie unter 370 Mitgliedern kaum 40, die über einen blassen Liberalismus hinausgingen.

Inzwischen war in Wien der erste Schreck überwunden und sofort der Entschluss gefasst worden, das ergiebige Ausbeutungsobjekt Ungarn nicht fahrenzulassen. Unter der Hand wurden die Kroaten und andere slawische Natiönchen gegen das selbständige Ungarn aufgereizt, und es war logisch genug, dass Kossuth als Finanzminister von der Nationalversammlung auf ein Jahr die Summe von 42 Millionen Gulden verlangte, um eine disponible Streitmacht von 200.000 Mann auszurüsten und zu unterhalten. Aber unbegreiflich war, dass die adlige Mehrheit des Ministeriums diese Machtmittel verwenden wollte, um die italienische Revolution unterdrücken zu helfen, wofür dann das Wiener Kabinett den unter der Leitung des Banus Jellachich beginnenden Aufstand der Slawen dämpfen sollte. Kossuth war schwach genug, sich auf den schmählichen Handel einzulassen; er sagte, dass er seine persönlichen Sympathien mit den italienischen Freiheitskämpfern seinen amtlichen Pflichten unterordnen müsse. Vergebens erschöpfte sich die Opposition in beredten Warnungen: „Wird Österreich, sieggekrönt in Italien, dabei stehenbleiben? Wird es dann nicht seine Soldaten mit derselben freiheitsmörderischen Absicht gegen Ungarn wenden? Die aus Italien im Triumph heimkehrenden Truppen werden die ungarische Freiheit erwürgen." Die überzeugenden Prophetenworte verhallten im Winde; mit 236 gegen 33 Stimmen beschloss die Nationalversammlung die Waffenhilfe gegen die italienische Revolution. Ein drohender Volksaufstand wurde mit der Einflüsterung beschwichtigt, der Beschluss sei ja gar nicht ernstlich gemeint, das unabhängige, aber noch ungerüstete Ungarn bedürfe unbedingt einiger Zeit, um sich zu sammeln; hätten die Kabinette so oft die Völker durch politische Masken getäuscht, weshalb solle nicht auch einmal ein Volk ein Kabinett durch eine politische Maske täuschen? Es war jene unheilvolle Politik, die so oft schon die bürgerlichen Revolutionen ruiniert hat: Statt die getäuschten Feinde nicht vor sich und die Freunde hinter sich zu haben, enden solche diplomatischen Revolutionsrechner immer damit, umgekehrt die Feinde vor sich und Anhänger nicht hinter sich zu haben.

Nun kam es sehr schnell so, wie die Opposition vorausgesagt hatte. Nach Radetzkys Siegen in Italien machte sich der habsburgische Despotismus daran, Ungarn niederzuwerfen. Der Banus Jellachich, von Wien her erst heimlich, aber bald auch öffentlich unterstützt, brach mit Waffengewalt ins Land; der Kriegsminister Latour sandte den ungarischen Festungs- und Truppenkommandanten den strengen Befehl, sich dem Ban zu unterwerfen; er selbst sammelte alle verfügbaren Truppen zum Einfall in Ungarn, wohin zugleich der Feldmarschallleutnant Lamberg als kaiserlicher Kommissar gesandt wurde, um zwischen den kriegführenden Teilen zu vermitteln, das heißt, um dem Banus recht und der ungarischen Regierung unrecht zu geben. Jedoch Lamberg wurde in Budapest von der empörten Menge erschlagen, dann erhob sich das Wiener Proletariat, um den Abmarsch der Truppen nach Ungarn zu hindern; auch Latour wurde getötet, und der entsetzte Hof flüchtete nach Olmütz, mitten in slawisches Gebiet. Vereinte sich jetzt der Aufstand in Budapest mit dem Aufstand in Wien, so war eine große Entscheidung möglich.

Aus dem treulosen Doppelspiele des Hofes hatten die Ungarn viel, aber leider noch nicht genug gelernt. Das Adelsministerium Batthyanyi war unmöglich geworden; ein Landesverteidigungsausschuss, dessen belebende Seele Kossuth war, leitete die Dinge. Kossuth zeigte in dieser Stellung, dass ein Stück von einem Danton und ein Stück von einem Carnot in ihm steckte; seine hinreißende Beredsamkeit entflammte die Massen, und mit fieberhaftem Eifer betrieb er die Rüstung des Landes, die schnell soweit vorgeschritten war, um Jellachich in schmähliche Flucht zu werfen. Kossuth verlangte jetzt den energischen Vorstoß nach Österreich hinein; mit ihm sagten alle entschlossenen Revolutionäre, dass Ungarn – auf allen Seiten von Österreich umgrenzt, im eigenen Lande überall von magyarenfeindlichen Volksstämmen umgeben – im Kampfe gegen Österreich unterliegen müsse, sobald es sich in den engen Grenzen des eigenen Landes fangen lasse. Es könne nur siegen, wenn es diese Grenzen mutig überschreite, den Kampf auf Österreichs Boden trage, die deutschen Provinzen, in denen die Elemente der Gärung massenhaft aufgehäuft waren, zum Bündnis aufrufe. Allein auch jetzt drang diese revolutionäre Richtung nicht durch. Ein großer Teil des Adels, namentlich viele Offiziere des noch schwachen und ungeübten Heeres wollten von einem revolutionären Bruche mit Österreich nichts wissen. Sie konnten unzweifelhaft manche triftigen Gründe für ihre Ansicht geltend machen, aber der entscheidende Gesichtspunkt blieb doch immer die eindringliche Lehre der Geschichte, dass eine Revolution, die zu weit zu gehen fürchtet, nicht weit genug gegangen ist. Im offenen Kampfe gegen die Dynastie begriffen, wollten sie sich in den Loyalitätsmantel hüllen. Indem sie eine Herrschaft von dreihundert Jahren zu stürzen versuchten, pochten sie noch immer auf ein sogenanntes historisches Recht. Gewalt mit Gewalt vertreibend, klammerten sie sich an die Einbildung, den „Rechtsboden" nicht zu verlassen.

Nach dem Falle Wiens lag Ungarn offen dem Vorstoße des Feindes da. Obgleich der unfähige Gamaschenknopf Windischgrätz ganz nutzlos lange Wochen vertrödelt hatte, war es doch wenig übertrieben, wenn er sich rühmte, in einem „Parademarsch" bis Budapest vorgedrungen zu sein. Die ungarischen Truppen waren vor seinem erprobten und zahlreichen Heere von Position zu Position gewichen. Nur in Siebenbürgen hatte Bern mit glänzendem Erfolge gekämpft und das gewaltige Netz, womit Ungarn umsponnen werden sollte, an einer Stelle zerrissen. Dem wunderbaren Organisationstalente Berns war es gelungen, aus ganz unzulänglichen Streitkräften eine achtunggebietende Macht zu schaffen; die untere Theißgegend blieb von Feinden frei, und die Ungarn behielten ein großes, durch seine Naturbeschaffenheit sehr günstiges Terrain, worauf sie ihr junges Heer organisieren und zu erfolgreichen Kämpfen rüsten konnten.

Dennoch wäre die ungarische Revolution verloren gewesen, wenn Windischgrätz auch nur ein mäßiges militärisches und politisches Talent besessen hätte. Während er auf Batthyanyis und anderer Friedensvorschläge nur die stereotype Antwort hatte: Mit Rebellen unterhandle ich nicht! verschwendete er, wie nach dem Falle Wiens, so auch jetzt nach der Einnahme Budapests, die kostbare Zeit in der nutzlosesten und selbst zweckwidrigsten Weise. Statt die entmutigten Gegner zu verfolgen und ihre letzten Hilfsquellen abzuschneiden, wütete er unter der Bevölkerung mit dem Standrechte, womit er selbst einen Widerstand großzog, den er schon nach wenigen Wochen nicht mehr bändigen konnte.

Der Landesverteidigungsausschuss und die Nationalversammlung kamen in voller Auflösung nach Debreczin. Sie fanden dort einen kalten und selbst unfreundlichen Empfang. In der ersten Sitzung der Nationalversammlung erklärte sogar Kossuth selbst, er würde der erste sein, Verhandlungen anzuknüpfen, wenn Verhandlungen überhaupt noch möglich wären. Aber Windischgrätz verlange unbedingte Unterwerfung, er wolle die völlige Vernichtung Ungarns. Schlimmer könne es in keinem Falle kommen, bei fortgesetztem Widerstand wäre nichts zu verlieren, aber vielleicht noch etwas zu gewinnen. Es war der Mut der Verzweiflung, womit die 145 anwesenden Volksvertreter schworen, nie in die unbedingte Unterwerfung Ungarns zu willigen, vielmehr der heiligen Sache der Nation bis zum letzten Atemzuge treu zu bleiben.

Kossuth selbst entfaltete in diesen Tagen eine bewundernswerte Tätigkeit, die es wohl erklärlich macht, dass er immer der Liebling der Nation geblieben ist. Die Banknotenpresse und die Regierungsbüros wurden in Debreczin, die Gewehrfabriken und Pulvermühlen in Großwardein errichtet, die Werbung und Einübung der Honveds mit rastlosem Eifer betrieben. Einzelne militärische Erfolge, die neben Bern nun auch schon Görgey, Klapka und Perczel errangen, erhöhten den Mut, und es war mehr zum Heil als zum Unheil der ungarischen Sache, dass die Österreicher Ende Februar 1849 in einer zweitägigen Schlacht bei Kapolna einen ziemlich unfruchtbaren Sieg erfochten, dessen kümmerliche Früchte Windischgrätz nicht einmal einzuheimsen verstand. Trotzdem vertraute die österreichische Kamarilla in Olmütz seinen großsprecherischen Bulletins und glaubte den rechten Augenblick für eine große politische Gewalttat gekommen. Der Staatsstreich vom 4. März oktroyierte eine streng zentralistische Verfassung, durch die Ungarn seine achthundertjährige autonome Verfassung verlor und zur österreichischen Erbprovinz herabgedrückt wurde. Das fehlte nun gerade noch, um die letzten Ungarn, die durch Kossuths Beredsamkeit und die Mordgier des Windischgrätz noch nicht aufgestürmt worden waren, in den Harnisch zu jagen. Nun erklärten auch die Friedfertigsten und Zaghaftesten den Krieg gegen die Dynastie für ihre Pflicht wie für ihr Recht; einer Nation, die durch brutale Gewalt aus der Reihe der selbständigen Staaten gestrichen werden solle, bleibe nur der Verteidigungskampf auf Tod und Leben übrig.

In einem herrlichen Aufschwung erhob sich das ganze Volk und fegte den Boden des Vaterlandes rein von seinen Unterdrückern. Die „Rebellenhaufen" jagten die dünkelhaften k. k. Generale vor sich her und trieben namentlich dem Henker Windischgrätz die junkerlichen Marotten gründlich aus. In den letzten Tagen des März war das ungarische Heer bereits diesseits der Theiß in einem großen Halbkreise konzentriert, der sich, durchschnittlich sechs bis acht Meilen von Pest entfernt, von Balassa-Gyarmat bis Szolnok erstreckte. Vom 1. bis 7. April schlugen die Ungarn eine Reihe siegreicher Gefechte, die das österreichische Heer auf Budapest zurückwarfen; am Abend des 7. April schlief Kossuth in Gödöllö in demselben Bette, worin Windischgrätz am Morgen des gleichen Tages noch von der Vernichtung der Rebellen geträumt hatte. Nun haselierte dieser unverbesserliche Polterer, dass er von der Zentralstellung der Hauptstadt aus den vernichtenden Schlag gegen die Rebellenhaufen führen werde, aber das ging selbst der Olmützer Kamarilla über den Spaß, und sie berief ihn ab. Seine Nachfolger waren vielleicht nicht ebenso unfähig wie er, aber nicht weniger unglücklich. Überall wo die ungarischen Waffen im Felde erschienen, krönte sie der Sieg; vom Rotenturmpass bis zu den Preßburger Schlossruinen, von der Drau bis zu den nördlichen Karpaten flatterte die Trikolore, herrschte die Honveduniform, ertönte der Rakoczymarsch.

Kossuth hatte die ungarischen Heerhaufen ins Feld begleitet; wie er sie durch seine begeisternden Reden zur höchsten Kraftanspannung anspornte, so stählte er den eigenen Mut durch den Blick auf ihre Heldentaten. Berauscht von dieser wundergleichen Erfüllung seiner patriotischen Hoffnungen und Träume, eilte er von Gödöllö nach Debreczin zurück, um nun auch an seinem Teile zu handeln. Am 14. April erstattete er dem Reichstage den ausführlichen Bericht über den Siegeslauf der ungarischen Heere, schilderte in beredten Worten das gute Recht und die unzerbrechliche Kraft Ungarns, die Gewalttätigkeit und die Schwäche Österreichs und schloss mit dem Antrag, dass „Ungarn samt allen dazugehörigen Teilen und Provinzen in seine unveräußerlichen Naturrechte wieder eingesetzt, der Reihe der selbständigen europäischen Staaten wieder angeschlossen und das meineidige habsburgisch-lothringische Haus vor Gott und der Welt des Thrones verlustig erklärt" werde. Der Antrag wurde ohne jede Debatte angenommen und am 15. April in einem feierlichen Manifest verkündet; die zukünftige Feststellung der Regierungsform blieb der Nationalversammlung vorbehalten, einstweilen sollte Kossuth unter seiner eigenen und der von ihm ernannten Minister Verantwortlichkeit das Land in seiner ganzen Ausdehnung regieren.

Mit der Entthronung der habsburgischen Dynastie hatte die ungarische Revolution ihren Höhepunkt erreicht.

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