Franz Mehring 18990523 Eine kleinbürgerliche Revolution

Franz Mehring: Eine kleinbürgerliche Revolution

23. Mai 1899

[Der wahre Jacob, Nr. 335, 23. Mai 1899. Nach Gesammelte Schriften, Band 7, S. 128-136]

In größerem Umfang als im Königreich Sachsen flammte vor fünfzig Jahren ein letzter Brand der deutschen Revolution im Großherzogtum Baden und der benachbarten Rheinpfalz auf, in denjenigen süddeutschen Landesteilen, die mit dem übrigen Süddeutschland zwar das kleinbürgerliche Gepräge teilten, aber sich durch ihre geschichtliche Entwicklung stärker als namentlich die altbayrischen und altwürttembergischen Gebiete aus den Netzen des deutschen Philistertums befreit hatten.

Die Rheinpfalz hatte seit den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die befreiende Gesetzgebung der Französischen Revolution mitgemacht, und sie wusste sich eine gewisse Sonderstellung zu wahren, als sie durch den Wiener Kongress zum bayrischen Staate geschlagen worden war. Räumlich von dem Hauptlande getrennt, sah sie mit derselben Abneigung auf die Münchener Vorsehung wie die Rheinprovinz auf die Berliner, voll des natürlichen Hasses, womit eine höher entwickelte Bevölkerung das Joch einer rückständigen Regierung trägt. Bereits die Bewegung, die von der Julirevolution ins südliche Deutschland übertragen worden war, hatte in dem fröhlichen und lebenslustigen Volke der Pfalz ihren Hauptherd gefunden, und die teutschen Patrioten, deren „christlich-germanische" Gesinnung nach den feudalen Fleischtöpfen des Mittelalters schmachtete, sprachen seit lange argwöhnisch von dem „vaterlandslosen Radikalismus" des schönen Grenzlandes, das sich dem modernen Leben Frankreichs näher verwandt fühlte als dem „angestammten" Throne der Wittelsbacher.

Auch auf Baden, das nicht allein von Frankreich, sondern auch von der Schweiz nur durch die belebte Wasserscheide des Rheins getrennt war, hatte die freiere Luft des Auslands in dem dumpfen Drucke der reaktionären Bundestagswirtschaft belebend eingewirkt. In seiner Art war dies Großherzogtum ebenfalls ein Geschöpf der Französischen Revolution; im vorigen Jahrhundert bestand das Markgrafentum Baden nur aus einigen Flecken deutscher Erde, die, von der Schweizer Grenze bis über Karlsruhe hinab zerstreut, kaum dreißig Geviertmeilen umfassten und zum Reichsheer 95 Mann stellten; erst durch den Erben der Französischen Revolution war diese bescheidene Fläche fast verzehnfacht worden. Napoleon hatte das buntscheckige rechtsrheinische Ufergelände von Konstanz bis Mannheim, ein unabsehbares Gewirr von geistlichen, fürstlichen, gräflichen, reichsritterschaftlichen und reichsstädtischen Trümmern, zum Großherzogtum Baden zusammengeschüttet, das, sechzig Meilen am Rheine hin gedehnt, an seiner schmälsten Stelle nur zwei Meilen breit, fast ganz aus Grenzbezirken bestand.

Die konstitutionellen Verfassungen, womit die süddeutschen Fürsten nach dem Wiener Kongress vorgingen, entsprangen der Sorge um den Zusammenhalt ihrer künstlich konstruierten Staaten. Die kleinfürstliche Souveränität lief dabei keine besondere Gefahr; im Gegenteil erhielt sie sich auf diese Weise stärker, als sie sich auf andere Weise hätte erhalten können. Wurden ihr die Kammern zu mächtig, so stützte sie sich auf den Bundestag; bedrängte sie der von Österreich und Preußen beherrschte Bundestag, so stützte sie sich auf die Kammern. Da Baden der am künstlichsten konstruierte dieser Staaten war, so erhielt er die liberalste Verfassung, von der, vielleicht mit einiger Übertreibung, aber doch nicht ohne Grund gesagt worden ist, dass sie diesen Staat gerettet habe. In dem Selbstbewusstsein des konstitutionellen Musterlandes verschmolzen die tausend Trümmer, aus denen das Großherzogtum zusammengeflickt worden war. Überall in Deutschland feierte der vormärzliche Liberalismus die badischen Kammerberühmtheiten, wie Rotteck und Welcker und Itzstein, als die Vorhut der bürgerlichen Freiheit.

In diesem Enthusiasmus war viel Überschwang, denn der badische Konstitutionalismus konnte natürlich nicht über seinen Schatten springen. Die einander folgenden Fürsten des Landes, die sich nur dadurch unterschieden, dass bei dem einen mehr die Böswilligkeit und bei dem anderen mehr die Unfähigkeit überwog, benutzten die badische Verfassung zu dem Schaukel- und Gaukelsystem, das sie notwendig gemacht hatte, und je mehr der badische Konstitutionalismus seinen eigentlichen Zweck als Werkzeug der fürstlichen Souveränität erfüllte, um so illusorischer wurde sein angeblicher Zweck als Werkzeug der Volksinteressen. Die vormärzliche Reaktion wirtschaftete in dem Ländchen trotz aller schönen Kammerreden ebenso ungeniert oder noch ungenierter als anderswo. Nirgends hat die Zensur solche Orgien gefeiert wie in Mannheim, wo der berüchtigte „Musterzensor" Uria Sacharaja das Kunststück fertigbrachte, den lammfrommen Sonderling Struve in einen ganz rabiaten Durchgänger zu verwandeln. Die badische Bürokratie, aus der die Regierung nach ihrem eigenen zynischen Geständnis ein Werkzeug machen wollte und auch wirklich zu machen wusste, das in jedem Augenblick zerbrochen werden konnte, war noch viel unfruchtbarer als die preußische. Ebenso stand es um die militärische Misswirtschaft, die an junkerlichem Unverstand und nichtsnutziger Misshandlung der Mannschaften das preußische Vorbild noch übertraf.

Ebendeshalb besaß diese achselträgerische und verräterische Regierung allerdings auch nur eine geringe Widerstandskraft, und als die Gewitterwolken der Revolution heraufzuziehen begannen, musste sie ihre hochmütig sich blähenden Segel bis zu einem gewissen Grade einziehen. Seit dem Jahre 1846 begann das reaktionäre Unterdrückungs- und Verfolgungssystem in Baden ein wenig nachzulassen. Nun aber zeigte der badische Konstitutionalismus, dass er keineswegs der furchtbare Tyrannenfeind war, den die deutsche Mitwelt in ihm bewundert hatte. Gerade seine klügeren Köpfe bekundeten eine sehr patriotische Neigung, mit der trätabel gewordenen Reaktion profitable Geschäftchen zu machen, Geschäftchen, die sich nicht einmal, wie bei den rheinischen Liberalen, mit greifbaren Klasseninteressen beschönigen ließen, denn eine große Industrie gab es in Baden noch so gut wie gar nicht. Auf der anderen Seite stimmte es freilich auch sehr wenig, wenn sich einzelne Vertreter der badischen Opposition, wie der phantastisch überschwängliche Hecker,, „Sozialdemokraten" nannten, denn das waren sie nicht einmal in der damaligen kleinbürgerlich-proletarischen Bedeutung dieses Wortes.

Vielmehr wenn die nunmehrige Scheidung der badischen Opposition in Liberale und Radikale den Sinn hatte, dass die Liberalen sich als mehr oder weniger ehrgeizige Streber und rücksichtslose Stellenjäger entpuppten, so waren die Radikalen zwar ihrer ehrlichen Meinung nach revolutionäre, aber tatsächlich kleinbürgerlich beschränkte Politiker, deren Ideale durch die Lebensverhältnisse der Klasse bestimmt wurden, die hinter ihnen stand. Die badischen Bauern und Handwerker lebten, namentlich im Oberlande, wo die radikale Richtung ihren Hauptsitz hatte, in ähnlichen Zuständen wie die Bauern und Handwerker der benachbarten Schweiz, und so schwebte den badischen Radikalen das Ideal von Deutschlands Zukunft in der Gestalt einer vergrößerten Schweiz vor, in der Gestalt der Föderativrepublik.

In dieser Lage, hier eine innerlich schwache, aber hartnäckige und hinterlistige Regierung, dort eine innerlich gespaltene, an große Worte gewöhnte, aber in den großen Fragen des modernen Völkerlebens ratlose Opposition, wurde Baden von der Pariser Februarrevolution überrascht.

Es lag in der Natur der Dinge, dass der badische Radikalismus im Laufe der revolutionären Bewegung die Oberhand erhalten musste. Er war der getreueste Ausdruck der in den Massen der Bevölkerung herrschenden Anschauungen und schöpfte aus jeder neuen Enttäuschung, die der Lauf der Revolution herbeiführte, neue Kraft.

Allerdings waren die voreiligen Putsche, die Hecker im Frühjahr und Struve im September 1848 versuchten, schnell verunglückt, aber der Name dieser Männer behielt einen ganz anderen Klang als der Name der liberalen Führer, etwa der Mathy und Bassermann. Mathy war als Judas abgetan, seitdem er bei dem Heckerzuge seinen Freund und Wohltäter Fickler verhaftet hatte, und Bassermann hatte sich bei der Novemberkrise in Berlin als Apportenträger der Manteuffelischen Reaktion verächtlich gemacht durch den verlogenen Bericht an die Frankfurter Nationalversammlung über die unheimlichen „Gestalten", die er in Berlin gesehen haben wollte. Andere badische Liberale hatten sich in anderer Weise kompromittiert, so dass die Stellung der Regierung durch den Gewinn dieser Überläufer mehr geschwächt als gestärkt wurde. Sonst wurstelte die „Kamarilla" in der alten Weise weiter, unfähig für jede durchgreifende Reform und auch nicht einmal willig dazu, ein Bild ratloser Schwäche, konsequent höchstens in der Quälerei der politischen Gegner, die sich in ihrer Gewalt befanden; so erregte die Verschleppung des gerichtlichen Untersuchungsverfahrens gegen die Gefangenen, die bei den vorjährigen Putschen ergriffen worden waren, allgemeine Erbitterung im Lande.

Um so stärker organisierte sich die radikale Partei. Sie besaß eine große Anzahl Blätter, und namentlich verfügte sie ausschließlich über die kleine Presse; ferner überzog sie das ganze Land mit einem dichten Netze von Volksvereinen, deren schließlich mehr als vierhundert bestanden. Ihre Organisation gipfelte in dem Landesausschuss, der zu Mannheim saß und der Regierung als gleichberechtigte, ja überlegene Macht gegenübertrat. Als rastlos vorwärtstreibende Kraft wirkte in den Volksvereinen der junge Zollbeamte Amand Goegg, während der anerkannte Führer des badischen Radikalismus Lorenz Brentano war, ein Advokat in Mannheim. Kaltblütiger und überlegter als Hecker, hatte er sich von dessen romantischen Überschwänglichkeiten ferngehalten; er war aber auch frei von jedem revolutionären Schwunge und wollte nicht mehr, als seine Richtung an den Platz der „Kamarilla" setzen und für seine Person selbst großherzoglicher Minister werden. Jedoch war diese Beschränktheit nicht allein oder auch nur überwiegend seinem persönlichen Ehrgeize geschuldet, sondern in erster Reihe seiner richtigen Erkenntnis, dass der badische Radikalismus nach seinen ganzen Lebensbedingungen und bei Strafe seines Unterganges nicht mehr erstreben dürfe. Indem sich Brentano klarzumachen verstand, was die bürgerlichen Massen instinktiv empfanden, wurde er der populärste Mann in Baden, um dann der verhassteste Mann zu werden, weil er sich konsequent geblieben war und die über ihr mögliches Ziel weit hinausgegangene Revolution nach seinen Kräften gedämpft hatte.

Brentano richtete die radikale Politik zunächst auf die parlamentarische Aktion ein. Die lange vor Ausbruch der Revolution gewählte Kammer, in der die im Lande längst zur Minderheit gewordenen Liberalen noch die Mehrheit besaßen, sollte sich auflösen zugunsten einer auf Grund des allgemeinen Wahlrechts einzuberufenden konstituierenden Versammlung. Berechtigt, wie der Antrag war, wurde er von der liberalen Mehrheit der Kammer selbstverständlich verworfen, und es gelang der radikalen Minderheit auch nicht, durch ihren Austritt die Kammer beschlussunfähig zu machen. Soweit diese Niederlagen etwa Brentanos Ansehen im Lande erschüttert hatten, stellte es der gewandte Advokat wieder her und verstärkte es noch durch die erfolgreiche Art, womit er die endlich prozessierten Gefangenen des Vorjahrs vor den Freiburger Geschworenen herauszupauken verstand. Struve und seine Genossen wurden von der Anklage des Hochverrats freigesprochen und nur wegen geringerer Vergehen zu einigen Jahren Gefängnis verurteilt; mit lautem Jubel begrüßte das ganze Land diesen Ausgang. Und nun kam die Katastrophe der Frankfurter Nationalversammlung, die Erhebung der Pfalz gegen die Münchener Vorsehung, die von der Reichsverfassung nichts wissen wollte, der Übergang bayrischer Truppenteile zu dem pfälzischen Aufstande, die tiefe Gärung, die das ganze Süddeutschland ergriff, mit Ausnahme etwa der altbayrischen Provinzen. Goegg berief auf den 12. Mai einen Kongress von Delegierten der Volksvereine nach Offenburg und auf den 13. Mai ebendahin eine große Versammlung des badischen Volkes. Er war entschlossen, die günstige Stunde auszunutzen nach dem verständigen Programm: Nicht viel reden wollen wir diesmal, sondern handeln, während Brentano vor der instinktiven Aufwallung der Massen schon misstrauisch zu werden begann: Er hat als vorsichtiger Mann in Offenburg nicht mit getagt.

Derweil hatten sich Regierung und Kammer entschlossen, die Reichsverfassung anzuerkennen, doch war darauf nach aller ihrer bisherigen zweideutigen Politik, die heute ja sagte, um morgen doch wieder nein zu sagen, tatsächlich nichts zu geben. Sollte dieser Entschluss praktisch überhaupt etwas bedeuten, so musste Baden den Vorkampf für die Reichsverfassung übernehmen, und dann war nichts gegen die Beseitigung des kraftlosen Ministeriums, gegen die Auflösung der ebenso kraftlosen Kammer und gegen den Erlass einer allgemeinen Amnestie einzuwenden. Diese Forderungen beschloss der Kongress der Volksvereine am 12. Mai der Regierung durch eine Deputation zu überreichen, musste sich aber mit einer schnöden Abweisung bescheiden. Inzwischen trat eine entscheidende Wendung dadurch ein, dass sich das nach wie vor gemisshandelte und gequälte Heer erhob, zunächst in Rastatt, dann auch in Lörrach, Freiburg, Bruchsal und anderen Orten. Als diese Nachrichten nach Offenburg kamen, fasste die wohl fünfunddreißigtausend Köpfe starke Volksversammlung am 13. Mai ungleich kühnere Beschlüsse, als der Kongress der Volksvereine am Tage vorher gefasst hatte. In sechzehn Punkten wurde ein durchaus radikales Programm aufgestellt: Durchführung der Reichsverfassung mit bewaffneter Hand, sofortige Entlassung des Ministeriums, Einberufung einer verfassunggebenden Landesversammlung, „welche in sich die gesamte Rechts- und Machtvollkommenheit des badischen Volkes vereinigt", Volksbewaffnung auf Staatskosten, sofortige Mobilmachung des ersten Aufgebots, aller ledigen Männer von achtzehn bis dreißig Jahren, Verschmelzung des stehenden Heeres mit der Volkswehr, unentgeltliche Aufhebung der Grundlasten und ähnliches; es fehlte selbst nicht an leichten sozialistischen Anklängen, wie der Forderung einer Nationalbank für Gewerbe, Handel und Ackerbau zum Schutze gegen das Übergewicht der großen Kapitalisten oder der Forderung eines großen Landespensionsfonds, aus dem jeder arbeitsunfähig gewordene Bürger unterstützt werden sollte. Die Seele dieser Beschlüsse war Goegg, der denn auch auf die Nachricht, dass die Waage in Rastatt wieder schwanke, sofort nach dieser Festung eilte und durch eine feurige Ansprache den Sieg der aufständischen Soldaten besiegelte.

An demselben 13. Mai war nun aber auch der Militäraufstand, der, wie die Flamme durch dürres Gehölz, so durch das ganze Land lief, in der Hauptstadt Karlsruhe ausgebrochen. Obgleich die reaktionäre Bürgerwehr das Zeughaus erfolgreich verteidigte, fiel der innerlich morschen Regierung das Herz sofort in die Knie; sie floh in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai, der Großherzog voran auf dem Protzkasten einer Kanone. Die bestürzte und vor den aufständischen Soldaten erzitternde Bürgerschaft rief nun selbst den in Offenburg neugewählten Landesausschuss von vierzehn Mitgliedern zu ihrem Schutze heran; am Nachmittag des 14. Mai zog er, begleitet von einigen Bataillonen und Schwadronen, unter klingendem Spiele feierlich in die Hauptstadt ein.

So hatte die badische Mairevolution vollständig unter den denkbar günstigsten Umständen gesiegt. Sie fand bei ihrem Amtsantritte ein fertiges Heer vor, reichlich versehene Arsenale, eine vollständig organisierte Staatsmaschine, einen gefüllten Staatsschatz und eine so gut wie einstimmige Bevölkerung. Sie fand ferner auf dem linken Rheinufer, in der Pfalz, eine bereits fertige Insurrektion vor, die ihre linke Flanke deckte; in Rheinpreußen eine Insurrektion, die zwar stark bedroht, aber noch nicht besiegt war; in Württemberg, in Franken, in beiden Hessen und Nassau eine allgemeine Aufregung, selbst unter den Heeren, die nur eines Funkens bedurfte, um den badischen Aufstand in ganz Süd- und Mitteldeutschland zu wiederholen und wenigstens fünfzig- bis sechzigtausend Mann reguläre Truppen der Empörung zuzuführen.

Alle diese Aussichten wurden verscherzt durch die kleinbürgerlich zaghafte Politik, die der siegreiche und nun auf vierundzwanzig Köpfe verstärkte Landesausschuss in Karlsruhe mit seinem Brentano an der Spitze trieb. Es war bezeichnend für das badische Kleinbürgertum, dass der Radikalste der Radikalen, der eben erst durch die Mairevolution aus dem Gefängnis befreite Struve, nichts Besseres zu tun wusste, als spornstreichs zu Brentano zu rennen und diesen noch zögernden Unglücksmann förmlich an die Spitze der badischen Revolution zu drängen. Ohne Zweifel meinte es Struve ehrlich, aber in seiner besonderen Weise meinte es auch Brentano ehrlich, als er zum „Leichenbitter" der badischen Revolution wurde, als er sich entschloss, der „Anarchie zu steuern" und die viel zu revolutionär entwickelten Dinge auf das Maß eines großherzoglichen Ministeriums Brentano zurückzuschrauben. Seine persönliche Verantwortlichkeit vor dem Richterstuhle der Geschichte wird dadurch nicht aufgehoben, und seine hinterhältig treulose Politik fordert das schärfste Urteil heraus, aber es ist verkehrt, ihn als einsamen Sündenbock für den traurigen Niedergang der badischen Revolution in die Wüste zu schicken. Bei allem, was er tat, hatte er die Masse der badischen Kleinbürger hinter sich, die sich vor Entzücken nicht zu lassen wussten, als Brentanos Abwiegelungen und Vertrödelungen der Revolution einen so gemütlichen, hübsch ruhigen Anstrich gaben, bis das dicke Ende nachkam. Eine Politik, die dies Ende vorhergesehen, die badische Revolution über den Rahmen einer kleinstaatlichen Angelegenheit hinausgetrieben und ihr dadurch eine mehr als episodische Bedeutung gegeben hätte, ging ein für allemal über den kleinbürgerlichen Horizont hinaus.

Es waren nur einzelne Männer, wie Fickler und Goegg, die einen weiteren Blick hatten, aber nicht sowohl an Brentanos bösem Willen, als vielmehr daran scheiterten, dass dieser böse Willen durch die kleinbürgerliche Beschränktheit der plötzlich in die Revolution geworfenen Massen legitimiert wurde. Brentanos unermessliche Popularität machte es ihm leicht, die paar vorwärtstreibenden Kräfte zu lähmen; die bloße Drohung seines Rücktritts genügte, um im Landesausschusse jeden Widerspruch niederzuschlagen. Noch leichteres Spiel hatte er durch die Aufreizung des badischen Kantönligeistes gegen die „ausländischen" Revolutionäre, die aus allen Teilen Deutschlands zur Unterstützung der badischen Revolution herbeigeeilt waren und teilweise wenigstens sehr wirksame Dienste hätten leisten können.

Um die badische Revolution zu retten, wäre der erste und notwendigste Schritt ein entschlossener Vorstoß nach Frankfurt gewesen, zum Schutze der eben zusammenbrechenden Nationalversammlung, aber daran dachte niemand. Ein paar vereinzelte Versuche, in Hessen und in Württemberg eine aufständische Bewegung zu entfachen, misslangen sofort aus Mangel an Kraft und Nachdruck. Nicht einmal mit der aufständischen Pfalz kam es, trotz eines am 17. Mai abgeschlossenen Bündnisvertrages, zu einem wirksamen Hand-in-Hand-Gehen, und zwar wesentlich durch Brentanos Schuld. Vergebens schickte die Pfalz, deren aufständische Regierung aus sehr gemäßigten Leuten bestand, Gesandte über Gesandte um Waffen und Geld; von Brentano war nichts oder so gut wie nichts zu erlangen. Sein Hauptaugenmerk blieb immer darauf gerichtet, wie er sich vor dem Großherzog bei dessen etwaiger Rückkehr verantworten könne, während dieser edle Landesvater selbst unbekümmert um die preußischen Bajonette warb, womit er seine geliebten Landeskinder über den Haufen zu rennen gedachte, zur Strafe dafür, dass sie seine despotische Misswirtschaft nicht mit ganz unerschöpflicher Schafsgeduld ertragen hatten.

Die äußere Politik Brentanos entsprach seiner inneren. Nicht mit Unrecht spotteten die reaktionären Gegner, dass es den öffentlichen Kundgebungen des Landesausschusses an „innerer Wahrheit und Würde", an „echt revolutionärem Feuer" fehlte. Wie hätte Brentanos verkniffene Advokatenseele auch dazu kommen sollen? Auf dem Papier musste das Offenburger Programm freilich aufrechterhalten werden, aber soweit die praktische Durchführung seiner Forderungen revolutionär elektrisierende Wirkungen hätte haben können, blieben diese Forderungen tote Buchstaben. So in erster Reihe die unentgeltliche Aufhebung der Grundlasten, die eine gefährliche Begeisterung in der bäuerlichen Klasse zu entzünden drohte. Die ganze innere Verwaltung wurde dadurch völlig gelähmt, dass Brentano die alten unfähigen Bürokraten, die sich in der Angst ihres Schuldbewusstseins nicht schon freiwillig gedrückt hatten, auf ihren Posten beließ; die Beamten brauchten dem Landesausschusse nur zu schwören, „vorbehaltlich der durch die alte Landesverfassung übernommenen Verpflichtungen". Mit einer Bürokratie, die von der vormärzlichen Reaktion geflissentlich so zermürbt worden war, dass sie in jedem Augenblick zerbrochen werden konnte, sollte jetzt eine Revolution durchgeführt werden! Neue Wahlen auf Grund des allgemeinen Stimmrechts wurden zwar sofort angeordnet, doch trat die neue Kammer erst am 10. Juni zusammen, zu einer Zeit, wo auch ein Konvent nichts mehr hätte retten können, und diese aus allen kleinbürgerlichen Selbsttäuschungen geborene Volksvertretung hatte durchaus kein Zeug zu einem Konvent.

Als sie eröffnet wurde, wälzten sich schon überwältigende Heersäulen gegen den badisch-pfälzischen Aufstand heran, der ihnen nicht entfernt eine ebenbürtige Macht entgegenzustellen hatte. Wie überall, so hatte sich diese kleinbürgerliche Revolution auch auf militärischem Gebiet ihren Aufgaben nicht gewachsen gezeigt, doch gehört dieser Teil ihrer Versäumnisse in die Geschichte des badisch-pfälzischen Feldzugs, die eine besondere Darstellung beansprucht.

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