Franz Mehring 18990314 Eine papierene Krone

Franz Mehring: Eine papierene Krone

14. März 1899

[Der wahre Jacob, Nr. 330, 14. März 1899. Nach Gesammelte Schriften, Band 7, S. 105-111]

Über das Schicksal der deutschen Revolution von 1848 waren in den Wiener Oktober- und den Berliner Novembertagen die entscheidenden Würfel gefallen. Der österreichische und der preußische Absolutismus hatten gesiegt. Sie konnten ihre vormärzliche Herrlichkeit nicht unverändert wiederherstellen, nicht allen Moder wieder herein karren, den der revolutionäre Sturm hinaus gefegt hatte. Aber die Macht war in ihren Händen, und ihr Schwert war deshalb nicht weniger scharf, weil seine Scheide mit einigen konstitutionellen Füttern verziert werden musste.

Noch aber lebte ein Kind der Revolution, die Frankfurter Nationalversammlung. Sie hatte je länger je mehr ihre Mutter verleugnet, in endlosen Reden ihre Kraft erschöpft, den Zusammenhang mit den revolutionären Massen aufgegeben, um mit den reaktionären Regierungen zu liebäugeln; der österreichischen und der preußischen Gegenrevolution hatte sie kaum noch mit ohnmächtigen Protesten zu begegnen gewusst. Ein Kind der Revolution war sie aber doch, und seitdem der Säbel in Wien wie in Berlin herrschte, blieb ihr nur ein Weg, auf dem sie vielleicht noch siegen und im schlimmsten Falle mit Ehren untergehen konnte, der Weg einer zweiten Revolution, zu dem sie die Nation aufrufen musste. Allein in aller unklaren Wirrnis, die sonst in ihr herrschte, war die Nationalversammlung entschlossen, diesen Weg, wenn nicht des Sieges, so doch der historischen Ehren nicht zu beschreiten.

Unter solchen Umständen lebte sie tatsächlich nur noch von der Gnade der wirklichen Sieger. So gründlich hatte sie alle eigene Macht zu vertrödeln verstanden, dass ihre ganze Existenzmöglichkeit in dem Zwiespalte zwischen der österreichischen und der preußischen Gegenrevolution wurzelte. Mit dem Siege des vormärzlichen Absolutismus war auch der vormärzliche Dualismus wiedererstanden: die Frage, ob der österreichische oder der preußische Despotismus das deutsche Volk vergewaltigen solle. Konnte die deutsche Nation im Frühling 1848 mit dem österreichischen wie mit dem preußischen Despotismus aufräumen, so hatte die deutsche Nationalversammlung im Frühling 1849, eben weil sie in schnöder Verleugnung ihres Ursprungs den revolutionären Weg wieder und wieder verschmäht hatte, nur noch die Wahl, ob sie vom habsburgischen Despotismus gebraten oder vom hohenzollernschen Despotismus gesotten werden wollte.

Diese Lage der Dinge war so durchsichtig und klar, dass ihre Konsequenzen sich auch in dem Wolkenkuckucksheim der Paulskirche geltend machten. Die bunten Kartenhäuser der Freiheit, die sich die Ideologen der Bourgeoisie erbauten, fielen im rauen Luftzuge der Wirklichkeit von selbst um, und seit der Jahreswende von 1848 auf 1849 spaltete sich die Frankfurter Nationalversammlung mehr und mehr in zwei große Lager, zwischen denen die Frage stand: preußisch oder österreichisch? eine Alternative, deren dürre Trockenheit nicht vertuscht werden konnte durch die nicht ganz so misstönende, aber dafür um so missverständlichere Formel: kleindeutsch oder großdeutsch?

Die Missverständnisse, die sich an die Formel: großdeutsch oder kleindeutsch? knüpften und die bis tief in die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie ihre Schatten geworfen haben1, entsprangen daraus, dass der dualistische Despotismus ein spezielles Leiden des deutschen Volkes bildete und deshalb verwirrend in die allgemeinen Klassengegensätze griff, die diesem Volke mit allen großen Kulturnationen gemeinsam waren.

Der großdeutsch-revolutionäre Standpunkt, der mit Kassierung aller fürstlichen Souveränitäten alle deutschen Länder als einige und unteilbare Republik konstituieren wollte, war der richtige Weg, um der deutschen Misere endlich einmal ein Ziel zu setzen, aber er war auch die Revolution, die Revolution und abermals die Revolution. Er wurde vertreten von den Theoretikern der Arbeiterklasse, von Marx und Engels und Lassalle und wie sie sonst hießen, ferner von der Arbeiterklasse selbst, soweit sie damals schon zum Klassenbewusstsein erwacht war, endlich noch von den radikalsten Ausläufern der Bourgeoisie, die in der Frankfurter Nationalversammlung vielleicht durch ein oder zwei Dutzend Köpfe vertreten waren. Dieser großdeutsch-revolutionäre Standpunkt verlangte das souveräne Selbstbestimmungsrecht der deutschen Nation, also in erster Reihe die Zertrümmerung sowohl des österreichischen wie des preußischen Zwangsstaats.

Grundtief von dieser großdeutsch-revolutionären Auffassung verschieden war die großdeutsch-reaktionäre Auffassung, die der großdeutsche Flügel der Frankfurter Nationalversammlung in seiner weit überwiegenden Mehrheit vertrat. Er wollte ein deutsches Reich einschließlich des österreichischen und des preußischen Zwangsstaats, was entweder ein barer Widersinn oder die simple Wiederherstellung der vormärzlichen Bundestagsschande war. Diese großdeutsche Reaktion sonnte sich ganz unverdient in dem Glänze der Einheits- und Freiheitskämpfe, worin sich die großdeutsche Revolution mit Recht sonnen durfte; beide waren voneinander soweit entfernt wie etwa Metternich von Marx. Zog man von den Großdeutschen der Paulskirche die äußerste, wenig zahlreiche Linke ab, so blieb ein wüstes Konglomerat rückständiger, namentlich feudaler, partikularistischer, ultramontaner Elemente übrig, die, bewusst oder unbewusst, aus nüchterner Berechnung oder in sentimentaler Unklarheit nur deshalb auf den Tisch trumpften: Das ganze Deutschland soll es sein!, weil sie die Revolution fürchteten.

Dieser Vorwurf ließ sich nun freilich auch gegen die Kleindeutschen erheben, die mit der großdeutsch-reaktionären Richtung darin übereinstimmten, dass sie dem österreichischen so wenig wie dem preußischen Zwangsstaat an den Kragen wollten. Ebendeshalb kennzeichnete Lassalle, der nicht minder als Marx und Engels ein großdeutscher Revolutionär war, die kleindeutsche Richtung „als das Produkt der bloßen Furcht vor Ernst, Krieg, Revolution, Republik und als ein gutes Stück Nationalverrat". Aber die kleindeutschen Liberalen unterschieden sich dadurch von den großdeutschen Reaktionären, dass sie nicht einen baren Widersinn wollten und auch nicht die simple Wiederherstellung der vormärzlichen Bundestagsschande, sondern dass sie aus dem Schiffbruche der nationalen Revolution soweit wie möglich die Klasseninteressen der Bourgeoisie retten wollten. Sie wollten im Wesen der Sache das, was seitdem wirklich historische Tatsache geworden ist: die politische Einigung des Zollvereinsgebiets unter preußischer Hegemonie, bei schiedlich-friedlicher Trennung von dem österreichischen Gesamtstaate, dem sie sonst alles Gute wünschten.

Hinter dem kleindeutschen Programm standen die entwickeltsten und verhältnismäßig weitsichtigsten Elemente der deutschen Bourgeoisie, und es war kein Zufall, so sehr es ein Zufall zu sein schien, dass die kleindeutsche Richtung in der Frankfurter Nationalversammlung siegte. In einer Reihe verwickelter Debatten und verworrener Abstimmungen, aber verhältnismäßig sehr schnell, denn die drängende Not ließ selbst den scheinbar unerschöpflichen Quell der bürgerlich-parlamentarischen Schwatzhaftigkeit versiegen, wurde die Reichsverfassung vom 28. März 1849 fertiggemacht und der preußische König Friedrich Wilhelm IV. zum Kaiser der Deutschen gewählt. Die Bourgeoisie schob den österreichischen Despotismus gleichmütig beiseite und bot dem preußischen Despotismus Halbpart an beim Leichenraub an der Revolution,

Der äußerlich wirksamste Hebel dieser schnellen Entwicklung war die konsequent ablehnende Haltung gewesen, die von den österreichischen Gewalthabern, namentlich seit der Erstürmung Wiens und der Ermordung Blums, gegen die Frankfurter Nationalversammlung eingehalten worden war. Ihnen lag nur daran, den österreichischen Staat als europäische Macht wiederherzustellen, womit die sicherste Bürgschaft dafür gegeben war, dass die habsburgische Hegemonie über das zerrissene Deutschland wieder aufgerichtet werden konnte; jede Befestigung der deutschen Zustände widersprach dem habsburgischen Herrschaftsinteresse, selbst wenn sie diesem Interesse äußerlich entgegengekommen wäre, selbst wenn die deutsche Nationalversammlung den österreichischen Kaiser zum Kaiser der Deutschen gewählt hätte. Noch hatte die österreichische Regierung mit dem ungarischen Aufstande schwer zu schaffen und konnte sich nicht mit ungeteilter Kraft den deutschen Dingen zuwenden, aber wie zurückhaltend ihre deutsche Politik auch noch war, so ließ sie doch klar erkennen, dass die habsburgische Dynastie nicht daran dachte, freiwillig aus Deutschland zu scheiden oder auch nur einer andern Dynastie die Hegemonie über Deutschland abzutreten.

Anders standen die Berliner Gewalthaber zu der deutschen Nationalversammlung. Die preußischen Überlieferungen wiesen darauf hin, die Artischocke Deutschland ohne viele Gewissensskrupel blattweise zu verspeisen, und die preußische Reaktion hatte nicht soviel zuzusetzen, um nicht das moralische Gewicht brauchen zu können, das die feierliche Berufung zur Führung der deutschen Nation durch eine, sei es auch sehr heruntergekommene Volksvertretung immer doch noch haben mochte. Auf der andern Seite verboten freilich auch alle preußischen Überlieferungen, eine Krone anzunehmen, die ein Parlament aus souveräner Machtvollkommenheit zu vergeben beanspruchte. Es handelte sich dabei weniger um die einzelnen Bestimmungen der Reichsverfassung, die für den preußischen Magen unverdaulich waren, denn es war vorauszusehen, dass die Bourgeoisie – trotz aller erhabenen Schwüre, an dieser Verfassung kein Tipfelchen mehr zu ändern – mit sich handeln lassen würde, wie sie denn auch sehr bald mit sich handeln ließ. Das Wesentliche war eben der Anspruch der Nationalversammlung, über die Köpfe der deutschen Dynastien hinweg die deutsche Verfassung schaffen und die deutsche Krone vergeben zu wollen. Dazu kam, dass die deutsche Bourgeoisie bei dem Geschäfte, das sie der preußischen Krone vorschlug, sich den Löwenanteil sichern wollte. Sie hatte die Reichsverfassung ganz nach ihrem Herzen gemacht, und um dieser Verfassung willen sollte das preußische König- und Junkertum Kopf und Kragen riskieren in einem Kampf auf Leben und Tod mit Österreich und Russland, den alten Bundesgenossen gegen alle revolutionären Bestrebungen!

Demgemäß ist es ganz verkehrt, in allerlei kleinen Intrigen die Ursachen der Antwort zu suchen, die Friedrich Wilhelm IV. von seinem preußischen Throne herab gab, als ihm eine Deputation die papierene Krone der Nationalversammlung überbrachte. Es ist wahr, die Stimmungen des Königs schwankten lange hin und her. Am 12. Dezember 1848 schrieb er an Bunsen: „Die Krone, die ein Hohenzoller annehmen dürfte, wenn die Umstände es möglich machen könnten, ist keine, die eine, wenn auch mit fürstlicher Zustimmung eingesetzte, aber in die revolutionäre Saat geschossene Versammlung macht, sondern eine, die den Stempel Gottes trägt, die den, dem sie aufgesetzt wird, nach der heiligen Ordnung ,von Gottes Gnaden' macht, weil und wie sie mehr denn 34 Fürsten zu Königen der Deutschen von Gottes Gnaden gemacht hat. Die Krone, welche die Ottonen, die Hohenstaufen, die Habsburger getragen, kann natürlich ein Hohenzoller tragen; sie ehrt ihn überschwänglich mit tausendjährigem Glänze. Die aber, die Sie meinen, verunehrt überschwänglich mit ihrem Ludergeruch der Revolution von 1848, der albernsten, dümmsten, schlechtesten, wenn auch gottlob nicht bösesten dieses Jahrhunderts. Einen solchen imaginären Reif, aus Dreck und Letten gebacken, soll ein legitimer König von Gottes Gnaden und nun gar der König von Preußen sich geben lassen, der den Segen hat, wenn auch nicht die älteste, doch die edelste Krone, die niemandem gestohlen ist, zu tragen? Soll die tausendjährige Krone deutscher Nation, die 42 Jahre lang geruht hat, wieder einmal vergeben werden, so bin ich es und meinesgleichen, die sie vergeben werden, und wehe dem, der sich anmaßt, was ihm nicht zukommt." Das schrieb gewiss der verbohrte Legitimitätsfanatiker und mittelalterliche Romantiker; als ob die papierene Krone der Nationalversammlung nicht wenigstens in unschuldigem Weiß gestrahlt hätte gegenüber dem von Blut und Schmutz und Verrat triefenden Reif, den mehr denn 34 Fürsten als „Könige der Deutschen von Gottes Gnaden" getragen hatten! Aber wenig über einen Monat später, als Bunsen von seinem Londoner Gesandtschaftsposten nach Berlin gekommen war, sagte ihm sein königlicher Freund ganz nüchtern: „Halten Sie fest, wie überzeugt ich bin, dass die deutsche Sache verloren ist, wenn Frankfurt untergeht und die Angelegenheit in die Hände der Fürsten fällt." Das war eben die andere Seite der Sache, und in den wechselnden Stimmungen des Königs spiegelte sich nur die preußische Politik wider, die immer ein wunderliches Gemisch von verzücktem Feudalismus und trockenster Geschäftspraxis gewesen ist.

Sie spiegelte sich nicht minder scharf wieder in der „Kreuz-Zeitung", dem Organ des preußischen Junkertums. Einmal höhnte das Blatt: „Was, eine Kaiserkrone bringt Ihr? Bettler seid Ihr! Ihr habt kein Geld, kein Land, kein Recht, keine Macht, kein Volk, keine Soldaten! Ihr seid bankrotte Spekulanten in zurückgesetzter Volkssouveränität. Macht Euch nicht mausig und seid froh, wenn man Euch freie Station in den Gasthäusern gibt und Euch heimschickt mit Redensarten, wie Ihr mit Redensarten hergekommen seid." Aber dann hieß es auch wieder in derselben Zeitung: „Nicht ungnädig, wie an sich ihre Dreistigkeit wohl verdiente, nicht einmal bloß negativ sollen die Männer der Paulskirche aufgenommen werden, wenn sie aus deren märzerrungenen Räumen in das altersgraue Schloss in Berlin eintreten. Der König muss entschieden, aber freundlich mit Frankfurt brechen und so Frankfurt vernichten." Wagener, der damals die „Kreuz-Zeitung" leitete, war nichts weniger als ein romantischer Kopf, und doch sprach er genau ebenso wie der König in seinen geheimen Verhandlungen mit Bunsen, die erst nach Jahrzehnten bekannt geworden sind.

Derweil reiste die Deputation der Nationalversammlung wohlgemut, wenn auch langsam, nach Berlin. Um nicht just am Narrentage des ersten April an ihrem Ziel einzutreffen, und womöglich noch einige „Volksbegeisterung" für ihre Machenschaft zu erwecken, vertrödelte sie unterwegs einige Tage, wenn auch nicht ganz mit dem gewünschten Erfolge. In den demokratischen Gegenden, namentlich am Rhein, wurde sie übel genug empfangen, in Köln sogar mit einer Katzenmusik begrüßt. Auch die Berliner Bevölkerung, die noch unter dem völlig ungesetzlichen Belagerungszustand litt, blieb kühl bis ans Herz hinan, und als die Deputation am 3. April im „altersgrauen Schlosse" an der Spree antrat, hatte sie sogar unter den Frechheiten der Lakaien zu leiden. Die Bedienten des Königs wollten dem Führer der Deputation, dem „tönenden Rhapsoden" Simson, nicht einmal ein Glas Wasser reichen, womit er seine Kehle zur feierlichen Ansprache an den neuen Kaiser der Deutschen anzufeuchten gedachte.

In dieser Ansprache betonte Simson den Standpunkt der Nationalversammlung, wonach die Annahme der Kaiserkrone nur auf Grund der Verfassung vom 28. März erfolgen könne, wonach also der preußische König durch die Annahme der Krone sich verpflichten sollte, diese Verfassung durchzuführen, wenn nötig mit dem Schwerte in der Hand. Der König erwiderte, dass er das Anrecht zu schätzen wisse, das ihm der Ruf der deutschen Volksvertretung gewähre, aber dieser Ruf fordere „unermessliche Opfer" von ihm und lege ihm die „schwersten Pflichten" auf. Er könne „ohne das freie Einverständnis der gekrönten Häupter und der freien Städte Deutschlands" keine Entschließung fassen, und „an den Regierungen der einzelnen deutschen Staaten werde es jetzt sein, in gemeinsamer Beratung zu prüfen, ob die Verfassung dem einzelnen wie dem Ganzen fromme". Dessen aber möge Deutschland gewiss sein, und dies möge die Deputation in allen deutschen Gauen verkünden: Gegen äußere und innere Feinde werde es am preußischen Schilde und Schwerte nicht fehlen.

Mit dem Schlag an Schild und Schwert wurde die betäubte Deputation entlassen. Was diese Waffen gegen den „äußeren" Feind vermochten, zeigte die schmachvolle Kriegführung in Schleswig-Holstein; das Säbelgerassel galt tatsächlich dem „inneren Feinde", wie denn auch der König an Bunsen schrieb, er habe der Deputation „zum Abschiede die Wahrheit" mitgegeben: „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten. Adieu." Die papierene Krone war zerrissen, mochten sich die bürgerlichen Kaisermacher auch noch bemühen, bei ihrer „freien Station" in den Gasthäusern die Fetzen wieder zusammenzukleben. Einige von ihnen dachten sogar würdelos genug, der Einladung des Königs zu einem Mahle im Charlottenburger Schlosse zu folgen, unter ihnen der jüdische Arzt Rießer aus Hamburg, den der König mit den Worten empfing: „Nicht wahr, Herr Doktor, Sie sind auch überzeugt, dass ich die Verfassung nicht unbeschnitten annehmen konnte?" Das wiehernde Gelächter, womit die höheren und niederen Hoflakaien den schäbigen Witz des Königs begrüßten, beschloss würdig die Kaiserposse vom 3. April 1849.

Ins Praktische übersetzt, hieß der Bescheid des preußischen Königs an die deutsche Nationalversammlung: Leichenraub an der Revolution, jawohl, aber nicht wie ihr wollt, sondern wie ich will, für mich der Löwenanteil und für euch die Abfälle. Die „freie Entschließung" der deutschen Fürsten und freien Städte würde nimmermehr die preußische Hegemonie anerkennen, das wusste die preußische Politik sehr gut: So sollte denn die „freie Entschließung" beeinflusst werden, einerseits durch das „Anrecht", das der Ruf der Nationalversammlung gab, andererseits durch den Schutz gegen die „inneren Feinde", der den Mittel- und Kleinstaaten süß ins Ohr klingen sollte und wirklich auch süß ins Ohr klang. Sie haben keinen Augenblick gezögert, diesen Schutz anzurufen, sobald sie ihn brauchten; nur dass sie sich deshalb nicht von dem „Anrechte" imponieren ließen, woraus die preußische Krone moralisches Kapital für ihren dynastischen Ehrgeiz schlagen wollte.

In Wahrheit behandelten sie den Möchte-Gern-Zukunftskaiser als ihren Büttel, der nach Ableistung seines Bütteldienstes mit höhnischem Büttellohne heimgeschickt wurde. Man mag die damalige preußische Politik herzbrechend dumm nennen, aber preußische Politik war sie schon: Nach allen ihren Überlieferungen konnte sie die papierene Krone der Nationalversammlung weder unbedingt annehmen noch unbedingt ablehnen. Und die Zeiten sollten kommen, wo unter gänzlich veränderten Verhältnissen die gleiche Politik keineswegs dumm, sondern außerordentlich schlau war. Die deutsche Kaiserkrone, die in Versailles geschmiedet wurde, ist völlig frei von dem, was der romantische König „Dreck und Letten" nannte; die Kaiserproklamation vom 18. Januar 1871 richtet sich zwar „an das deutsche Volk", aber in ihr selbst wird der Wille des Volkes mit keiner Silbe erwähnt, sondern nur der „einmütige Ruf der deutschen Fürsten und freien Städte", deren „freie Entschließung" 1871 ganz anders gekirrt werden konnte als 1849, wo die preußische Politik noch nicht nach Versailles gelangte, sondern nur erst nach Warschau und Olmütz.

Derselbe Simson aber, der im April 1849 als Führer einer parlamentarischen Deputation eine über die Köpfe der deutschen Dynastien hinweg fabrizierte Krone nach Berlin trug, kam im Januar 1871 nach Versailles, abermals als Führer einer parlamentarischen Deputation, um in der demütigen Haltung eines überflüssigen Supplikanten den preußischen König um die Annahme der Kaiserkrone zu bitten, die ihm die „freie Entschließung" der deutschen Dynastien anbot. So war für die deutschen Bourgeois der Ruhm der Welt in dreimal sieben Jahren dahingeschwunden. Die Kaisermacherei bekam ihnen spottschlecht: Im Frühling 1848 konnten sie allen deutschen Dynastien die Stirn bieten, im Frühling 1849 brachen sie ohnmächtig zusammen, als ihnen der preußische König zuherrschte: Nicht ihr regiert in Deutschland, sondern die Fürsten. Was wollten sie auch tun? Sie hatten, wie das Organ der preußischen Junker zutreffend sagte, „kein Geld, kein Land, kein Recht, keine Macht, kein Volk, keine Soldaten"; sie hatten alles, alles verspielt im Laufe eines kurzen Jahres. Auf ihre papierene Krone hatte die deutsche Nationalversammlung ihre letzten Hoffnungen gesetzt; als dieser Talisman zerrissen war, starb sie selbst in kläglichen Agonien.

Die Ehre der deutschen Revolution rettete allein eine Reihe von Volksaufständen, denen die Reichsverfassung nur den Namen, nicht aber den Inhalt gab.

1 Gemeint sind die grundsätzlichen Auseinandersetzungen Marx' und Engels' mit dem „königlich-preußischen Sozialismus" der Lassalleaner, bei denen neben der Kompromissbereitschaft im Kampfe um ein allgemeines, gleiches und geheimes Wahlrecht besonders auch die faktische Unterstützung Bismarcks in der nationalen Frage durch Schweitzer von ihnen bekämpft wurde. (Siehe dazu Marx/Engels: Werke, Bd. 16, S. 79, sowie Friedrich Engels: Die preußische Militärfrage und die deutsche Arbeiterpartei. In: Ebenda, S. 37-78.)

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