Franz Mehring 19101231 Von Gottes Gnaden

Franz Mehring: Von Gottes Gnaden

31. Dezember 1910

[Die Neue Zeit, 29. Jg. 1910/11, Erster Band, S. 473-475. Nach Gesammelte Schriften, Band 7, S. 25-28]

In diesen Tagen vor fünfzig Jahren starb der preußische König Friedrich Wilhelm IV. Er betrachtete sich als den Erben einer langen Reihe von mehr oder minder glorreichen Vorfahren, von denen er sich mindestens in einer Beziehung sehr rühmlich unterschied; er war der erste Hohenzoller, der richtig Deutsch sprechen und schreiben konnte. Jedoch er verwandte diese Fähigkeit nur dazu, um die Gnade Gottes zu preisen, die ihm die Krone aufs Haupt gesetzt und jeder Verantwortlichkeit vor den Menschen überhoben habe, bis ihn zwar nicht die Gnade, aber, wie die Frommen sagen würden, die Strafe Gottes jeder Verantwortung vor den Menschen überhob. In qualvoller Geisteskrankheit siechte er dahin, bis ihn am 2. Januar 1861 der Tod erlöste, in demselben Schlosse Sanssouci, wo einst der Witz Voltaires gesprüht hatte, des frechen Spötters, von dem das geflügelte Wort herrührt: Die Könige kommen von Gott wie der Krieg und die Pestilenz.

Es kennzeichnete die damalige Zeit, dass lange die Rede ging, der König sei schon am Silvestertag gestorben, allein die Regierung habe seinen Tod nicht zu verkünden gewagt, in der sicheren Voraussicht, dass die Trauerkunde den Jubel und Trubel der Silvesternacht und des Neujahrstags nicht beeinträchtigen würde. Und dennoch lag etwas wie ein tragischer Hauch über dem Ausgang dieses Königs. Er war ein ehrlicher Romantiker, und seine Mystik war durchaus echt; er stachelte sich nicht selbst zu eitlem Größenwahn empor, sondern glaubte mit allen Fasern seines Wesens an die Gnade Gottes, die ihn als König höher erleuchte als andere Menschen, und durch sein trauriges Ende hat er seinen Glauben gebüßt. Darin stand er hoch über seinem Bruder und Nachfolger, der nicht in tönender Künstlersprache, sondern mit der schnarrenden Stimme des preußischen Drillfeldwebels die Krone, die ihm keine Menschenhand geben könne, vom Tische des Herrn nahm, aber gleich darauf drei oder vier Kronen seiner Brüder, die ebenso von Gottes Gnaden waren wie er, mit seiner weltlichen Hand in seine weite Tasche steckte1.

Friedrich Wilhelm IV. glaubte inbrünstig an die Gnade Gottes, die ihn leite, und die furchtbare Zerstörung dieses Traumes durch das Jahr 1848 trieb ihn in die Nacht des Irrsinns, dessen erste Spuren schon aufgetreten sein sollen, als der Barrikadenkampf unter den Fenstern des königlichen Schlosses tobte. Und von allem, was danach geschah, traf ihn wohl am tiefsten ins Herz, als selbst die zahme Vereinbarerversammlung ihm am 12. Oktober 1848 den Titel von Gottes Gnaden absprach. Es ist in letzter Zeit wiederholt auf diese Verhandlung hingewiesen, und es ist nachzuweisen versucht worden, diese ehrbare Versammlung habe es gar nicht so schlimm gemeint. Das ist auch unzweifelhaft richtig. Es war, wenn man die Verhandlungen nachliest, ein langweiliges Hin- und Hergerede, mit patriotischen Bücklingen vor Sr. Majestät, dem sein treues Volk nur um so inniger anhängen werde, wenn keine überlebten Formeln mehr den Glanz der Krone verdunkelten. Weitaus am kecksten waren die Sätze von Schulze-Delitzsch: „Man pflegt, wenn ein Handlungshaus bankrott geworden ist, die Firma nicht mit ins neue Geschäft hinüberzunehmen. Nun glaube ich, dass in der Geschichte der Absolutismus mit der Firma von Gottes Gnaden vollständig Bankrott gemacht habe. Der Gesellschafter, ,die Gottes Gnade', die einstehen musste für seine Verpflichtungen, scheint sich aus dem Geschäft ganz zurückgezogen zu haben, und dadurch eben mag es vollständigen Bankbruch erlitten haben." Aber im allgemeinen huldigte damals schon der Liberalismus der famosen Illusion, die er bis auf den heutigen Tag nicht losgeworden ist, nämlich, dass sich ein König geduldig an seine Krone greifen lasse, wenn der Greifer nur den Supplikantenfrack anzieht und alleruntertänigst flüstert: Majestät, es tut nicht weh.

Drei Tage schon nach dem Beschluss, der „die Gnade Gottes" zur Tür hinauswarf, zog die Versammlung den Supplikantenfrack an und beglückwünschte den König zu seinem Geburtstage durch eine Deputation, die sich in loyalen Redewendungen förmlich überschlug. Der also Begrüßte aber ödete sie an: „Sie lassen kein Recht unangetastet, das Heiligste selbst ist vor Ihren Angriffen nicht sicher. Sie haben mein mir von Gott verliehenes Recht auf die Krone angetastet; Sie wollen mir das von Gottes Gnaden nehmen. Aber hierzu wird keine Macht der Erde stark genug sein … Sagen Sie dieses den Herren, die Sie gesandt haben … Sagen Sie ihnen, dass ich den Aufruhr und die Aufrührer, wo ich sie finde, bekämpfen und zerschmettern werde und dass ich mich hierzu durch Gottes Gnade stark genug fühle." Und nun geschah das ewig Unbegreifliche, aber in der Geschichte des deutschen Liberalismus ewig Wiederkehrende. Statt diese dreiste Herausforderung des Königs in das Volk zu werfen und den einschlafenden revolutionären Groll von neuem zu entfachen, verschwieg die Deputation sorgfältig die Antwort des Königs; am nächsten Tage erklärte der Präsident v. Unruh in der Versammlung, der König habe in freier Rede gesprochen, und ein Konzept seiner Erwiderung sei von der Regierung nicht eingereicht worden, womit also die Sache erledigt sei.

Ein paar Wochen darauf machte dann nicht die Versammlung, sondern die Regierung das „neue Geschäft" auf, und es versteht sich von selbst, dass sie die Firma von Gottes Gnaden mit hineinnahm. Aber die alte Firma war es bei alledem doch nicht mehr, nicht wirkliches Silber, sondern höchstens Neusilber. Das empfand niemand tiefer als ein so echter und rechter Gottesgnadengläubiger wie Friedrich Wilhelm IV., und an dieser grausamen Enttäuschung ist er elend gestorben. Mit dem „Zerschmettern" der neuen Zeit hatte es seine guten Wege, und sich an leeren Drohungen zu berauschen, dazu war er doch zu gescheit. Dieser Letzte der Mohikaner starb lieber, als dass er sich als großer Häuptling nur noch auf der großen Trommel produziert hätte.

Die fünfzigste Wiederkehr seines Todestags erinnert aber daran, dass die neusilberne Firma von Gottes Gnaden nun auch reichlich genug ihres Daseins genossen hat. Man sucht es ihr wohl zu retten, indem man sagt, sie sei ja eine harmlose Sache, eher ein Bekenntnis der Demut vor Gott als des Hochmuts vor den Menschen, und wie diese Redensarten sonst noch lauten, die schon am 12. Oktober 1848 in der Berliner Vereinbarerversammlung bis zum Überdruss abgeleiert worden sind. Mit alledem ist nichts gesagt und war noch weniger getan. Die Gnade Gottes kann freilich die feudale Wirtschaft auf dem Lande oder die zünftlerische Wirtschaft in der Stadt nicht wiederherstellen, aber wenn sie uns nicht mehr mit Geißeln zu strafen vermag, so ist damit noch nicht gesagt, dass sie uns nicht mit Skorpionen züchtigen kann. Die neusilberne Firma ist nicht nur viel hässlicher als die altsilberne, eben weil sie innerlich viel unwahrer ist, sondern sie ist auch viel gefährlicher, weil sie eine tiefe Verderbnis des nationalen Geistes voraussetzt, die sie fortdauernd züchten muss, wenn sie sich am Leben erhalten will.

Mit ihr muss also auch in dem Jahre des großen Reinemachens, das morgen beginnt, gründlich aufgeräumt werden. Man kann sagen, dass sie mit dem Siege über die Ritter und Heiligen von selbst dahinsinke, und das ist auch ganz richtig, allein aus dieser zutreffenden Voraussetzung ist in der deutschen und namentlich auch der preußischen Geschichte allzu oft die falsche Schlussfolgerung gezogen worden, dass man, aus Rücksicht auf die Firma von Gottes Gnaden, mit den Rittern und Heiligen nur halben Prozess machen dürfe. So im Jahre 1848, so vor fünfzig Jahren, als die vom Tische des Herrn genommene Krone den biederen Fortschrittlern einen ebenso ungebührlichen wie verhängnisvollen Respekt einflößte. Solche Irrungen dürfen nicht wieder vorkommen, wenn das Jahr 1911 ein wirklicher Wendepunkt der deutschen Geschichte werden soll.

Zum Glück ist die Arbeiterklasse vor allen Einbildungen in dieser Beziehung behütet. Sie weiß, dass sie ihren Todfeinden keine Erfolge ablisten oder gar abschmeicheln kann, sondern dass hier nur hart auf hart gilt. Sie hat schon allen Lockungen der echten Firma von Gottes Gnaden widerstanden, und über die neusilberne Firma hat sie sich erst recht niemals getäuscht. Sie nimmt dieses nicht, wie es von Angstmeiern und Schönfärbern frisiert wird, sondern wie es selbst genommen sein will, womit sie ihm am Ende noch sogar die höchste Ehre erweist.

Der nahende Sturm wird vor nichts „ehrerbietig" stillstehen, wie es frühere Stürme leider getan haben, er wird das alte Geschäft gründlich demolieren, damit endlich einmal ein „neues Geschäft" begonnen werden kann.

1 Nach dem Preußisch-Österreichischen Kriege 1866 annektierte Preußen das Königreich Hannover, die Herzogtümer Schleswig und Holstein, das Herzogtum Nassau und das Kurfürstentum Hessen-Kassel sowie die Freie Stadt Frankfurt.

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