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Nadeschda Krupskaja 18990205 An M. I. Uljanowa

Nadeschda Krupskaja: An M. I. Uljanowa

[Geschrieben am 24. Januar 1899. Geschickt Von Schuschenskoje nach Brüssel. Zum ersten Mal veröffentlicht 1931 in dem Sammelband: W. I. Lenin, „Briefe an die Angehörigen". Nach der Handschrift. Nach Lenin: Briefe, Band 10, Berlin 1976, S. 400-402]

24. Januar

Liebe Manja! Du denkst sicher von mir: Ist das eine Treulose, hat versprochen zu schreiben und schickt keine Zeile. Was wahr ist, ist wahr, ich verdiene es, ausgeschimpft zu werden. Ich hatte mir zwar schon lange vorgenommen zu schreiben, habe es aber immer und immer wieder aufgeschoben. Als erstes muss ich Dir erzählen, wie wir Weihnachten gefeiert haben. Sehr vergnügt. Der ganze Kreis war in der Stadt zusammengekommen, die meisten übrigens für 3-4 Tage. In Schuscha sind wir nur ein paar Leute, so war es sehr angenehm, einmal unter Menschen zu sein. Jetzt kennen wir schon alle aus dem Kreis. Die Zeit haben wir ganz festtäglich verbracht. Wir sind Schlittschuh gelaufen, ich wurde sehr ausgelacht, aber seit Minussa habe ich schon Fortschritte gemacht. Wolodja hat aus Minussa eine Menge Schlittschuhkunststücke mitgebracht und setzt nun die Einwohner von Schuscha durch alle möglichen „Riesenbogen" und „Spanischen Sprünge" in Erstaunen. Ein weiterer Zeitvertreib war das Schachspiel. Es wurde buchstäblich von früh bis spät gespielt. Nur Sina und ich haben nicht Schach gespielt. Übrigens habe auch ich mich anstecken lassen und einmal mit jemand gespielt, der sich nur wenig darauf verstand, und habe ihn sogar matt gesetzt. Dann haben wir noch gesungen – auf polnisch und auf russisch, W. W. hat eine Gitarre, und so sangen wir zur Gitarre. Gelesen haben wir auch, nun, und auch genug geschwatzt. Besonders schön haben wir die Neujahrsnacht verlebt (unter anderem wurde Wolodja „in die Luft geworfen", ich habe das zum ersten Mal gesehen und mächtig gelacht). In der Fastnachtswoche erwarten wir bei uns Gäste. Ich weiß nicht, ob sie wirklich kommen werden, aber ich möchte es sehr gern. Ich kann nicht sagen, dass die Minussinsker gut aussehen: Tonetschka leidet schrecklich an Blutarmut, sie ist furchtbar mager und blass, Sina hat auch abgenommen, und vor allem ist sie sehr nervös geworden, mit den Mannspersonen ist auch nicht viel los. Gleb legte sich immer wieder hin, bald aufs Sofa, bald aufs Bett. Man muss aber auch sagen, dass wir unsere Gastgeber äußerst strapaziert haben, sie hatten die letzten Tage jeweils 10-16 Personen zum Mittag. Sie gaben selbst zu, noch ein solcher Tag, und sie hätten es nicht mehr durchgehalten. Mama ist nicht mit uns gefahren, sie hatte Angst vor der Kälte. – Nach Minussa haben wir wieder unsere gewohnten Beschäftigungen aufgenommen, Wolodja hat sich an die „Märkte" gemacht. Jetzt schreibt er das letzte Kapitel, und im Februar wird die Arbeit dann fertig sein. Mit der letzten Post habe ich einen Brief von der Frau des écrivain bekommen. Der Brief war voll Jubel. Die neue Zeitschrift „Natschalo" ist genehmigt, die Genehmigung kam völlig unerwartet, sie haben dort jetzt furchtbar viel Laufereien und Unruhe. Wenn man den Brief liest, so spürt man richtig, wie dort das Leben pulsiert. Sie schreibt unter anderem, dass die Übersetzung des Webb sehr gut ist und schon bald erscheinen wird. Das ist erfreulich. Wir haben hier einen wundervollen, ausgeglichenen Winter, von der schrecklichen sibirischen Kälte hat man bisher überhaupt nichts gespürt, die Sonne scheint wie im Frühling, und wir reden schon davon, dass wir gar nicht gemerkt haben, wie der Winter vergangen ist (obwohl er noch gar nicht vergangen ist). Wie geht es Dir dort? Offensichtlich zählst Du die Briefe nach, und dabei kann man von Dir selbst nicht gerade sagen, dass Du sehr oft schreibst. Das ist nicht in Ordnung. Siehst Du viel vom belgischen Leben? Und überhaupt, wie bist Du mit Deinem Dasein zufrieden? Schreib doch häufiger, und ich werde mich auch bemühen, regelmäßiger zu schreiben. Mama küsst Dich. Wann wirst Du nach Hause fahren? Du bist sicher schon eine richtige Französin geworden. Ich beneide Dich schon im Voraus um Deine Sprachkenntnisse, ich möchte so gern wenigstens eine Fremdsprache richtig können. Nun leb wohl. Alles Gute.

Nadja

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