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Nadeschda Krupskaja 18990122 Brief an M. A. Uljanowa

Nadeschda Krupskaja: Brief an M. A. Uljanowa

[Geschickt von Schuschenskoje nach Podolsk. Zum ersten Mal veröffentlicht 1929 in der Zeitschrift „Proletarskaja Rewoluzija" Nr. 6. Nach der Handschrift. Nach Lenin: Briefe, Band 10, Berlin 1976, S. 398-400]

10. Januar 1899

Liebe Marja Alexandrowna, vielen Dank für den Brief und das Paket. Wir haben es noch nicht bekommen, denn wir haben einen neuen Postboten, und es hat Schwierigkeiten mit den eingeschriebenen Sendungen gegeben. Der Postbote nahm zuerst eine abweisende Haltung ein und weigerte sich, die Vollmacht für den Empfang der Korrespondenz entgegenzunehmen, aber jetzt hat sich alles eingerenkt. Die Festtage haben wir in Minussa ausgezeichnet verbracht, und wir haben für lange Zeit frische Kräfte gesammelt. Zum Weihnachtsfest war fast der ganze Kreis in der Stadt zusammengekommen, und so haben wir in einer großen Gesellschaft und sehr lustig Neujahr gefeiert. Bei der Abreise sagten alle: „War das eine herrliche Neujahrsfeier!" Was die Hauptsache ist – es herrschte eine ausgezeichnete Stimmung. Wir haben Glühwein zubereitet; als er fertig war, wurde der Uhrzeiger auf 12 gestellt und dem alten Jahr das Ehrengeleit gegeben, alle sangen, jeder, so gut er konnte, dann wurden allerlei treffliche Trinksprüche ausgebracht: „Auf die Mütter", „Auf die nicht anwesenden Genossen" usw., und zum Schluss haben wir zur Gitarre getanzt. Einer von den Genossen, der vorzüglich zeichnen kann, hat versprochen, einige Höhepunkte der Neujahrsfeier festzuhalten. Wenn er sein Versprechen hält, bekommen Sie eine klare Vorstellung davon, wie wir ins neue Jahr gekommen sind. Wir haben die Zeit überhaupt festtäglich verbracht, Wolodja hat von früh bis spät Schach gespielt und … natürlich alle geschlagen; wir sind Schlittschuh gelaufen (aus Krasnojarsk hatte man Wolodja als Geschenk Merkur-Schlittschuhe geschickt, mit denen man Bogen laufen und allerlei Kunststücke machen kann. Ich habe auch neue Schlittschuhe, aber ich laufe auf den neuen ebenso schlecht wie auf den alten oder, genauer gesagt, ich laufe nicht, sondern tripple wie ein Huhn, für mich ist das eine zu verzwickte Wissenschaft!), wir haben im Chor gesungen und sind sogar mit der Troika gefahren! Dafür haben wir aber auch die Gastgeber gehörig strapaziert! Sie gaben selbst zu, dass sie, wenn es noch einen Tag länger gedauert hätte, alle auf der Nase gelegen hätten. E. E. sieht trotz ihrer Krankheit (sie darf überhaupt kein Fleisch und kein Brot essen) viel wohler aus als in Petersburg, sie ist mit ihren Familienverhältnissen sehr zufrieden und fürchtet sich nur vor der Rückkehr nach Russland. Von den übrigen ist nicht so Günstiges zu berichten. Besonders schlecht sieht Tonetschka aus, die unter Blutarmut und einem Ekzem zu leiden hat. Sogar Sina hat abgenommen und ist nervös geworden. Über unser gesundes, ländliches Aussehen brachen alle in Rufe der Verwunderung aus, und E. E. erklärte sogar, ich sei viel voller als Sinotschka. Mama ist zu den Feiertagen nicht mitgefahren und hat sich gehörig gelangweilt. Zur Fastnachtswoche wollen alle zu uns nach Schuscha kommen. Wir Bewohner von Schuschenskoje, Oskar und Prominski eingeschlossen, sehnen alle die Ankunft der Gäste herbei und legen bereits fest, wer wo untergebracht wird, wie man sie am besten bewirten könnte usw.

Nun, bis zur Fastnachtswoche ist noch lange Zeit, jetzt haben wir erst einmal unsere Alltagsbeschäftigungen wieder aufgenommen, die Eisbahn geräumt, und Wolodja beeilt sich, mit den „Märkten" fertig zu werden. Anjas Brief vom 24. XII. habe ich ebenfalls erhalten, ich schreibe ihr nicht extra, weil ich sonst noch einmal dasselbe schreiben müsste, nur eine kleine Bemerkung für sie: Sie regt sich darüber auf, dass ich Wolodja meine Briefe „zum Redigieren" vorlege, aber ich beschreibe unser Schuschenskojfer Leben meistens in scherzhaftem Ton, und da bekommt auch Wolodja nicht wenig ab, nun, und ich würde solche Briefe nicht schreiben, ohne sie ihm vorher zum Lesen gegeben zu haben.

Von der Frau des écrivain1 habe ich einen Brief erhalten, aus dem hervorging, dass zwei ihrer Briefe an uns verlorengegangen sind. Das ist ärgerlich! Zu meinem Bild: Ich hatte schon im Frühjahr gebeten, dass man Ihnen meine zu Hause aufgenommene Fotografie, die Ihnen gefallen hatte, schickt. Offensichtlich wurde meine Bitte nicht erfüllt. Jetzt werde ich schreiben, dass man die letzten Bilder von mir bestellt und Ihnen nach Podolsk schickt. Ob ich D. I. erkennen würde, wenn ich ihm auf der Straße begegnete, weiß ich nicht, in einer anderen entsprechenden Umgebung würde ich ihn vielleicht erkennen. Nebenbei bemerkt, den Blos hat sich Wassili Wassiljewitsch zum Lesen geholt und in seine Fabrik mitgenommen, er bat darum, ihn einige Zeit behalten zu dürfen; Sinaida Pawlowna wollte nach Tula an ihre Schwester schreiben, dass sie ihren Blos nach Podolsk schickt. So. Nun will ich schließen. Ich umarme Sie und Anja fest und grüße alle, auch in Mamas Namen.

Ihre Nadja

1 N. A. Struve. Die Red.

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