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Nadeschda Krupskaja 18990715 Brief an M. A. Uljanowa

Nadeschda Krupskaja: Brief an M. A. Uljanowa

[Geschrieben am 3. Juli 1899. Geschickt von Schuschenskoje nach Podolsk. Zum ersten Mal veröffentlicht 1931 in dem Sammelband: W. I. Lenin, „Briefe an die Angehörigen". Nach der Handschrift. Nach Lenin: Briefe, Band 10, Berlin 1976, S. 405 f.]

3. Juli

Liebe Marja Alexandrowna; gestern erhielt ich Ihren Brief vom 16. VI. Wir erledigen die Post heute, da wir heute zu Besuch fahren wollen. Übrigens wird aus der Fahrt wohl kaum etwas werden, denn das „Wetter" beginnt. Zweifellos hat Wolodja das heraufbeschworen: immerfort rühmte er das „schöne, schöne Wetter", und nun ist es alles andere als schön geworden. Tagaus, tagein Wind, er knallt nur so mit den Fensterläden. Kalt ist es übrigens nicht, und wir gehen wie bisher jeden Tag spazieren. Die Jagdsaison hat jetzt zwar schon angefangen, aber Wolodja ist vom Jagdfieber noch nicht gepackt, er ist wohl zweimal auf Jagd gegangen, hat Birkhühner geschossen, und wir hatten dann tüchtig zu essen. Jetzt sind wir ständig im Begriff, zu Besuch zu fahren: wir haben die Erlaubnis, in die Stadt zu fahren, aber vorläufig liegt die Erlaubnis noch beim Amtsbezirk, und wir wissen selber nicht, ob wir fahren werden oder nicht. Wir wollten schon fahren, aber wie sich herausstellte, befindet sich Wassili Wassiljewitsch in der Fabrik, er wird auf der Rückfahrt bei uns vorbeikommen und lädt uns ein, gemeinsam zu fahren; wir haben jedoch schon Gleb und Sina eingeladen, zu diesem Zeitpunkt zu uns zu kommen Ich möchte Sina wiedersehen und mit ihr plaudern, ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen. Nur bleibt nach den Begegnungen mit den Genossen immer ein gewisses Gefühl der Unzufriedenheit: man hat sich vorgenommen, ausgiebig zu plaudern, wenn man sich dann aber sieht, so rücken die Gespräche ungewollt in den Hintergrund, und im Vordergrund stehen alle möglichen Spazierfahrten, das Schachspiel, Schlittschuhlaufen u. dgl. m. Und im Endergebnis ist man eher ermüdet als befriedigt. Doch wie dem auch sei, es ist trotzdem sehr schön, sich einmal zu sehen. Aus Jermakowskoje schreiben sie, dass es Anatoli sehr schlecht geht, Lepeschinskis Frau ist Arzthelferin, und sie meint, das Ende sei nicht mehr fern. Der Arzt in Jermakowskoje ist ein großer Optimist, und er macht Dominika noch Hoffnung. Was Mich. A. betrifft, so bleibt er allein, da seine Braut1 ihr Kommen bis zum Ende des Sommers aufgeschoben hat. Jermakowskoje ist jetzt der am stärksten besiedelte Ort in unserem Kreis. Ich dachte immer, ob man nicht noch jemand nach Schusch schicken wird, aber nein, man hat niemand geschickt. Im Herbst läuft Promińskis Zeit ab, und für sie ist jetzt die Frage, ob man sie auf Staatskosten fahren lässt oder nicht, auf eigene Kosten können sie hier nicht wegkommen, die Familie ist groß – acht Personen. Während dieser Zeit haben wir uns doch mächtig an unsere Genossen in Schuscha gewöhnt; wenn Oskar oder Promiński an einem Tag aus irgendwelchen Gründen nicht kommen, dann fehlt einem geradezu etwas … Wieso hat denn Lirotschka Langeweile! Hierher schrieb sie, dass sie eine Menge zu tun hat und morgens zwischen 5 und 6 Uhr aufsteht, damit sie alles schafft. Freilich sind das alles Dinge, die sie wenig befriedigen, aber daran lässt sich nichts ändern, in Kasatschinskoje ist es nicht schlechter als anderswo. Ich möchte sie sehr gern wiedersehen, nur wird daraus kaum etwas werden; selbst wenn man sie jetzt in unsere Gegend überweisen würde, dann wäre das zu einem Zeitpunkt, da wir schon nicht mehr hier sein werden. Nun auf Wiedersehen. Ich küsse Sie herzlich. Mama lässt vielmals grüßen. Ist Anjuta schon abgereist? Wenn nicht, so geben Sie ihr und Manja ebenfalls einen ganz, ganz herzlichen Kuss von mir.

Ihre N. Uljanowa

1 O. A. Papperek. Die Red.

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