Genf (1903) Im April 1903 übersiedelten wir nach Genf. In Genf zogen wir in die Vorstadt, in die Arbeitersiedlung Secheron. Wir mieteten dort ein ganzes Häuschen, in dem sich unten eine große Küche mit Steindiele und oben drei kleine Zimmerchen befanden. Die Küche war zugleich unser Empfangsraum. Die fehlenden Möbel ersetzten wir durch Bücher- und Geschirrkisten. Ignat (Krassikow) nannte unsere Küche gelegentlich im Scherz ein „Schmugglernest". Sie war stets gedrängt voll. Wollte man mit jemand allein sprechen, so musste man schon in den nebenan gelegenen Park oder ans Seeufer gehen. Allmählich trafen auch schon die Delegierten ein. Es kamen Dementjews. Kostja (die Frau Dementjews) verblüffte Wladimir Iljitsch durch ihre bis ins einzelne gehenden Kenntnisse des Transportwesens. „Sie ist der reinste Transportfachmann", wiederholte er, „das lasse ich mir gefallen, das ist kein Geschwätz." Es kam Ljubow Nikolajewna Radtschenko, die uns persönlich sehr nahestand. Die Unterhaltungen nahmen kein Ende. Später trafen die Delegierten aus Rostow ein, Gussew und Lokerman, sodann Rosalia Semljatschka, Schotman (Berg), Djadenka und „Jüngling" (Dmitri Iljitsch). Jeden Tag kam irgendwer. Man sprach mit den Delegierten über das Programm, über den „Bund" und hörte, was sie erzählten. Martow ging überhaupt nicht mehr von uns weg. Er wurde nicht müde, mit den Delegierten zu plaudern. Man musste den Delegierten den Standpunkt des „Juschny Rabotschi" klarmachen, der sich unter der Firma einer populären Zeitung das Recht auf eine Sonderstellung vorbehalten wollte. Man musste ihnen klarmachen, dass eine illegale populäre Zeitung niemals zur Massenzeitung werden oder mit Massenverbreitung rechnen könne. In der Redaktion der „Iskra" begannen allerlei Differenzen. Die Lage wurde unerträglich. Die Redaktion teilte sich für gewöhnlich in zwei Dreiergruppen: Plechanow, Axelrod und Sassulitsch auf der einen, Lenin, Martow und Potressow auf der andern Seite. Wladimir Iljitsch stellte erneut den Antrag, den er bereits im März eingebracht hatte, ein siebentes Mitglied in die Redaktion aufzunehmen. Bis zum Parteitag hatte man zeitweilig Krassikow kooptiert. Im Zusammenhang damit begann Wladimir Iljitsch, die Frage eines Dreierkollegiums zu erwägen. Das war eine sehr heikle Frage, und mit den Delegierten wurde darüber nicht gesprochen. Es war eben zu schwer, einzugestehen, dass die Redaktion der „Iskra" in ihrer bisherigen Zusammensetzung arbeitsunfähig geworden war. Die Delegierten beklagten sich über die Mitglieder des Organisationskomitees: dem einen warfen sie Schroffheit und Nachlässigkeit vor, einem andern Passivität. Daneben schimmerte die Unzufriedenheit durch, dass die „Iskra" zu sehr nach dem Kommando strebe. Aber es hatte trotz allem den Anschein, als ob keine Meinungsverschiedenheiten bestünden und die Sache nach dem Parteitag ausgezeichnet weitergehen würde. Die Delegierten trafen alle ein, nur Claire und Kurz waren nicht gekommen. |