Vorwort zum III. Teil der Erinnerungen

Teil III

Vorwort zum III. Teil der Erinnerungen

Ich habe lange geschwankt, ob ich diesen dritten Teil der Erinnerungen, der sich auf die Zeit nach dem Oktober bezieht, schreiben soll. Bis zu unserer Ankunft in Russland 1917 habe ich ständig Hand in Hand mit Iljitsch gearbeitet, meine Arbeit bedeutete eine unmittelbare Unterstützung seiner Arbeit, ich hatte Gelegenheit, ihn tagein, tagaus zu beobachten und seinen Gesprächen beizuwohnen; ich kannte bis ins Kleinste alles, was ihn beschäftigte und beunruhigte. In der Zeit nach dem Oktober war es ganz anders. Unter den Bedingungen, wie sie nach dem Oktober entstanden, hatte sich der Charakter meiner Arbeit als Sekretärin geändert, und der Aufgabenkreis war enger geworden; Iljitsch bestand darauf, dass ich an der Bildungsfront tätig sein sollte. Die Arbeit zog mich völlig in ihren Bann, und noch mehr war ich von dem stürmisch brodelnden Leben in seiner ganzen Vielfalt und Kompliziertheit gefesselt. Gewiss, dieses ganze Leben brachte uns einander noch näher. Sobald Iljitsch ein wenig frei war, ließ er mich aus dem Volkskommissariat für Bildungswesen kommen, um einen kleinen Spaziergang durch den Kreml zu machen oder eine Fahrt nach außerhalb, in den Wald, oder er kam einfach zu mir, um zu plaudern; aber er war die ganze Zeit äußerst beschäftigt. Bei uns war folgendes üblich: Ich habe Iljitsch nie über etwas ausgefragt, und er hatte auch für gewöhnlich nicht die Art, sofort über alle Erlebnisse ausführlich zu berichten, er ließ so nebenbei einige Bemerkungen fallen und sprach dann später einmal, bei irgendeiner Gelegenheit darüber. Gewöhnlich äußerte er seine Gedanken, die ihm in Verbindung mit dem, was er eben erlebt hatte, durch den Sinn gingen. Wenn ich jetzt, nach vielen Jahren, manchmal die Artikel Wladimir Iljitschs wieder lese, so höre ich seine Stimme, den Tonfall, in dem er den einen oder anderen Satz ausgesprochen hatte, der dann später im Artikel auftauchte; aber wie soll man das schildern, das kann doch nicht gelingen. Daher können die Erinnerungen nicht vollständig sein und nur einzelne Episoden wiedergeben. Ich war deshalb entschlossen, keine Erinnerungen zu schreiben, die sich auf die Sowjetperiode beziehen. Später kam ich zu der Meinung, dass diese lückenhaften Erinnerungen auf dem Hintergrund des allgemeinen Ablaufes der Ereignisse doch von gewissem Interesse sein könnten. Es kann sich hierbei nicht um eine geschichtliche Darlegung der Ereignisse handeln; sie müssen und können nur den Hintergrund bilden. Ich weiß nicht, ob es mir gelingt. Da aber die Genossen alles interessiert, was Iljitsch betrifft, will ich es versuchen. Die folgenden Kapitel sollen der Anfang von Erinnerungen dieser Art sein.

12. Dezember 1933

N. Krupskaja

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