Orow 19320100 Zu Coudenhoves Broschüre: Stalin & Co.

Orow: Zu Coudenhoves Broschüre: Stalin & Co.

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 2. Jahrgang Nr. 1 (Januar 1932), S. 8 f.]

Coudenhove hat für gewisse Dinge ein gutes Auge, das Wesentliche missversteht er jedoch. Seiner Ansicht nach vertritt im Kampfe Stalin-Trotzki Trotzki die Revolution, Stalin die Gegenrevolution. Das erste stimmt, das zweite nicht, denn Stalin vertritt jetzt die Reaktion und nicht die Gegenrevolution. Er ist also nicht – wie Coudenhove meint – der Bonaparte Russlands. Er ist bloß der Schrittmacher in dieser Richtung, indem er sich durch die Theorie des «Sozialismus in einem Lande» teilweise vom internationalen Kommunismus losgesagt hat und den Kampf gegen Trotzki, den Vertreter der «Permanenten Revolution», führt. Es ist aber durchaus nicht sicher, dass Stalin sich unbedingt zum Bonaparte entwickeln muss. Die revolutionären Kräfte werden eben dafür sorgen müssen, dass die Sowjetunion wieder den Kurs auf die internationale Revolution nimmt. Bei einer solchen Entwicklung bliebe für einen Bonapartismus kein Platz übrig. Coudenhove verwechselte die Reaktion mit der Gegenrevolution, den quantitativen Prozess mit dem qualitativen.

Trotz vieler klarer Gedanken ist das Weltbild Coudenhoves verworren. Von Mussolini weiß er nicht, ob er Revolutionär oder Gegenrevolutionär ist – darüber aber besteht für ihn kein Zweifel, dass Stalin ein Gegenrevolutionär ist. Coudenhove scheint die Ideologie des Kommunismus nur oberflächlich zu kennen. Er behauptet nämlich, dass Stalin mit der kommunistischen Praxis gebrochen habe, nicht aber mit der kommunistischen Ideologie. Tatsächlich hat Stalin mit beiden gebrochen mit beiden aber nur teilweise. Coudenhove verwechselt Tendenzen mit fertigen Entwicklungsstufen.

Coudenhove vergleicht die III. Internationale mit einer Weltkirche, den Kommunismus mit einer Religion. Er stützt sich auf die Theorie und Praxis jener Epigonen Lenins, die an Stelle des wissenschaftlichen Kommunismus die Dogmatik gestellt haben. Der Stalinismus besitzt tatsächlich unwissenschaftliche Eigenschaften, aber der Vergleich der III. Internationale mit einer Weltkirche ist nur eine falsche Analogie, welche überhaupt nur dadurch möglich wurde, dass auch die III. Internationale eine Weltorganisation ist. Eine zentralisierte Organisation, deren Funktionäre (Coudenhove sagt: Papst, Kardinale, Bischöfe) auf Grund des demokratischen Zentralismus gewählt werden. Allerdings kommt Stalin den Behauptungen Coudenhoves insofern entgegen, als durch ihn die Demokratie in der III. Internationale, in den Gewerkschaften, Sowjets usw. soweit es ging abgebaut wurde. Nur soweit es ging, denn die Stimme des Proletariats wird sich noch Gehör schaffen.

Für Coudenhove sind Faschismus und Kommunismus keine extremen Gegensätze. Er scheint nicht zu wissen, dass der Kommunismus die Abschaffung des Privateigentums anstrebt, der Faschismus für die Aufrechterhaltung des Privateigentums ist; dass der Kommunismus für die internationale Vereinigung der Werktätigen eintritt, der Faschismus für die nationale Separierung; der Kommunismus für die proletarische Demokratie, der Faschismus für die kleinbürgerliche Oligarchie; dass der Kommunismus gegen die Kirche Stellung nimmt, während der Faschismus für sie ist. Allerdings hat der Stalinismus durch die Vernachlässigung des internationalen Prinzips und der internationalen Praxis, durch Vernachlässigung der proletarischen Demokratie und des wissenschaftlichen Kommunismus viel Unheil und Verwirrung gestiftet.

Coudenhove sagt, der Terror sei ein unentbehrlicher Bestandteil des bolschewistischen Systems. Durch seine nationale Beschränktheit hat der Stalinismus zweifellos die kapitalistische Klasse im In- und Ausland gestärkt und dadurch auch die Notwendigkeit der Gewaltmaßnahmen gegen diese Klasse. Die internationale Revolution beschleunigt den Übergang zur klassenlosen Gesellschaft und führt zur Aufhebung jeder Art von Gewaltmaßnahmen. Aber auch die kollektiven Normen auf Grundlage der internationalen Revolution sind für die kapitalistische Minderheit viel erträglicher, als die kapitalistische Unterdrückung für die Mehrheit der Werktätigen. Nicht der Terror ist Stalin vorzuwerfen, sondern seine nationale Beschränktheit, die der Nährboden dafür ist.

Der Fünfjahrplan ist kein Staatskapitalismus, wie Coudenhove meint, sondern ein Plan des Arbeiterstaates. Seine Hauptschwäche ist, dass er nur auf nationalem Gebiet (in einem Land) durchgeführt wird; fast alle kapitalistischen Merkmale dieses Planes kommen daher. Die Sünde des Stalinismus ist, dass er den Haupthebel einer richtigen Planwirtschaft, die internationale Revolution in Theorie und Praxis, vernachlässigt hat. Daher kommen auch die Fehler im Innern und dadurch entsteht auch Coudenhoves Irrtum; denn nicht Paneuropa ist der Ausweg, sondern die Weltrevolution.

Trotz der nationalen Beschränktheit ist der Fünfjahrplan ein positiver Beweis für die sozialistischen Wirtschaftsmethoden. Und er bleibt dies, ohne Rücksicht darauf, ob dieser Plan erfüllt werden wird oder nicht.

Der Hauptirrtum Coudenhoves besteht darin, nicht zu erkennen, dass der Stalinismus sich nur provisorisch und in nationalen Grenzen halten kann, dass er international unmöglich ist. Er wird vom internationalen, revolutionären Sozialismus abgelöst. Der Stalinismus ist kein Bonapartismus, sondern eine Abirrung vom revolutionären Marxismus.

Coudenhove meint, die Sowjetunion kämpfe für den Weltfrieden nur dem Scheine nach, in Wirklichkeit rüste sie. Wie verhält sich nun die Sache? Die neue, den Frieden anstrebende Lebensform wird erst geboren.

Coudenhove beantragt z. B. die Propaganda der Planwirtschaft der Sowjets zu unterdrücken. Ebenso unterdrücken die Kapitalisten den Beschluss der Mehrheit, die Produktion zu übernehmen, Wer ist da der Angreifer? Ist es nicht klar, dass die Mehrheit nur ihren Beschluss verteidigt. Das ist der historische Sinn von Angriff und Verteidigung. Die Mehrheit rüstet nur, weil sie den Angriff der Minderheit voraussieht. Coudenhove macht aus Angreifern Verteidiger, indem er vorgibt, dass kapitalistische profitsuchende und konkurrierende Staaten und – eine solche Formation wäre auch Paneuropa – ein gemeinsames Heer zur Verteidigung gegen die Sowjetunion aufstellen müsste. Er beantragt einen europäischen Verteidigungsrat der Generalstäbler, eine europäische Bundesarmee und Luftflotte! Gegen wen? Gegen einen proletarischen Aufstand, gegen die Sowjetunion, die einen solchen Aufstand unterstützen würde, wie Coudenhove meint

Wann kommt es zu solchen Aufständen?

Coudenhove sagt selbst «Wenn die Bevölkerung hungert». Ja, wer ist in diesem Fall der Angreifer? Die hungernde Bevölkerung – oder jene, die die Bevölkerung zum Hungern verdammen?

Wir lesen in der Broschüre Coudenhoves: «Das Abendland träumt von ewigem Frieden, der Bolschewismus bereitet den Religionskrieg gegen Europa vor.» Gewiss, der Kapitalismus wird keine Religionskriege führen, dafür aber ökonomische. Auch ist es wahr, dass die Bolschewiken nicht träumen, sondern die Gefahr klar sehen, die dem kapitalistischen System – ohne Rücksicht auf die Träume – innewohnt, und sich zur Abwehr, nicht zum Religionskrieg vorbereiten.

Zutreffend schildert Coudenhove die Planlosigkeit, das Chaos, die zwischen- und innerstaatliche Anarchie, die Uneinigkeit, Zerrissenheit, Ohnmacht in Europa. Und er fordert ein Gleichgewicht zwischen «Staatsallmacht» und «Staatsohnmacht», ein Mittelding zwischen zu viel Liberalismus und zu viel Absolutismus. Es bleibt zu befürchten, dass ein solches Mittelding nur den alten Zustand bekräftigen würde und zwar Staatsohnmacht und Liberalismus gegenüber den herrschenden Klassen, Staatsallmacht und Absolutismus gegenüber den Beherrschten.

Orow.

Kommentare