W. M.: Thälmanns späte Erkenntnisse [Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 2. Jahrgang Nr. 1 (Januar 1932), S. 6 f.] Seit Jahren betrachtet sich das Stalinsche ZK der KPD als unfehlbar in seinen politischen Entscheidungen. Da aber ein Fehler ein Fehler bleibt, ob man ihn erkennt oder nicht, so führen die Auswirkungen der falschen Linie der Parteiführung oft zu so gefährlichen Stimmungen in der Partei, dass man es schließlich oben unbedingt notwendig erachtet, eine «Wendung vorzunehmen. Diese wird dann von höchster Stelle «theoretisch» begründet, wobei man natürlich sehr viel Aufhebens macht von der «bolschewistischen Selbstkritik», mit der das geschieht. Das Ergebnis, zu dem der «Theoretiker» der Zentrale alsdann gelangt, ist gewöhnlich dies: Die Politik der Parteiführung ist vollkommen richtig, aber untergeordnete Parteiinstanzen haben es nicht verstanden, die fehlerfreie Linie richtig durchzuführen. Ganz dieser Art ist die «Selbstkritik», mit der Ernst Thälmann in seinem umfangreichen Artikel in der Doppelnummer November-Dezember der «Internationale» bemüht ist, wie er schreibt, «eine Reihe von ideologischen Abweichungen und politischen Schwächen, ja sogar politischen Fehler in unserer revolutionären Massenarbeit festzustellen.» Um aber auch nur den Schein zu vermeiden, als wolle er die Linie des ZK selbst einer Kritik unterziehen, fügt er sogleich hinzu, dass die Fehler selbstverständlich nicht von der Gesamtpartei begangen worden seien, sondern auf einer «ungenügenden politischen Erziehung einzelner Genossen und Funktionäre» oder auf Grund eines «ungenügenden Verständnisses für die gefassten Beschlüsse internationaler und deutscher Parteitagungen» beruhten. Schon diese Bemerkungen Thälmanns kennzeichnen eigentlich die Art dieser «bolschewistischen Selbstkritik» zur Genüge. Aber gehen wir nun näher darauf ein, was der «Führer der KPD» in seinem 30 Druckseiten starken Artikel sachlich zu sagen hat. Da entdeckt Thälmann zunächst, dass der Kampf gegen die Preußenregierung bisher nicht scharf genug geführt worden sei: «Man muss darüber hinaus weitergehen bis zu der Feststellung, dass auch in den Reihen des revolutionären Proletariats nicht ohne unser Verschulden mindestens unterbewusste Stimmungen vorhanden waren, als ob die Braun-Severing vielleicht doch ein «kleineres Übel» gegenüber einer Hitler-Goebbels-Regierung in Preußen wären. Eine solche Beeinflussung revolutionärer Arbeiter durch die verlogene sozialdemokratische Ideologie, solche Überreste sozialdemokratischen Denkens in unseren Reihen sind jedoch, wie wir in voller Übereinstimmung mit den Beschlüssen des XI. Plenums aussprechen müssen, die schlimmste Gefahr für die Kommunistische Partei.» Offenbar sind also einige KPD-Genossen zu der Auffassung gekommen, dass eine Hitler-Regierung in Preußen noch reaktionärer und arbeiterfeindlicher handeln würde als die derzeitige Regierung Braun-Severing. Die betreffenden Parteigenossen haben damit sicherlich keineswegs sagen wollen, dass im Parlament die SPD-Politik des kleineren Übels richtig wäre. Aber sie waren doch wohl der Meinung, dass heute der gefährlichere Feind Hitler sei und die Partei deshalb gegen ihn den Hauptangriff führen müsse. Für Thälmann ist jedoch eine solche Meinung «die schlimmste Gefahr für die Kommunistische Partei»! Im weiteren Verlauf seiner «Selbstkritik» muss Thälmann selbst eingestehen, dass in der Einstellung der Partei gegenüber dem Faschismus schwere Mängel zutage getreten seien. Er schreibt: «Wir haben der falschen Theorie von der «Unvermeidlichkeit» der faschistischen Diktatur unter dem Monopolkapitalismus zumindest teilweise Rechnung getragen, oder jedenfalls nicht immer einen genügend scharfen Kampf gegen diese falsche und uns auf Abwege führende Theorie entfaltet». Als Beispiel hierfür zitiert Thälmann aus dem September-Heft 1931 der KPD-Zeitschrift «Der Propagandist» folgende Stelle: «Eine sozialdemokratische Koalitionsregierung, der ein kampfunfähiges, zersplittertes, verwirrtes Proletariat gegenüberstände, wäre ein tausendmal größeres Übel als eine offen faschistische Diktatur, der ein klassenbewusstes, kampfentschlossenes, in seiner Masse geeintes Proletariat gegenübertritt.» Damit wird vollkommen bestätigt, was die Linke Opposition und insbesondere Trotzki schon seit Monaten aufs Schärfste kritisiert haben: dass nämlich in der KPD Kräfte am Werk sind, die eine Machtergreifung der Faschisten in Deutschland nicht nur für unvermeidlich, sondern für unter gewissen Umständen geradezu wünschenswert halten. Dass man von der Parteiführung diesen Auffassungen jetzt in aller Öffentlichkeit entgegenzutreten gezwungen ist, beweist nur, welche Verbreitung solche defätistischen Stimmungen in der Partei bereits gefunden haben. Ein Hauptteil des Thälmann-Artikels beschäftigt sich mit der sattsam bekannten «Theorie» der Volksrevolution, wie sie von der Parteiführung im Zusammenhang mit der Lehre von der «nationalen und sozialen Befreiung» erfunden worden ist. Diese Losungen wurden seinerzeit aufgestellt. um die kleinbürgerlichen Schichten für den Kommunismus zu gewinnen, wobei aber, abgesehen von allem andern, völlig übersehen wurde, dass die nächstliegende Aufgabe der KPD nicht die Gewinnung der Mittelschichten, sondern die Eroberung der Mehrheit des Proletariats sein muss. Und gerade hierbei ist eine Losung wie die der «Volksrevolution» nicht nur unnütz, sondern direkt schädlich, da sie den Klassenstandpunkt nicht genügend betont. Thälmann beginnt das selbst langsam einzusehen, wenn er in seinem Artikel schreibt: «Nur wenn wir die proletarische Mehrheit für den Kommunismus gewinnen, können wir die weiteren Aufgaben der Heranziehung der Verbündeten des Proletariats aus den Mittelschichten an die antikapitalistische Einheitsfront verwirklichen und damit die Voraussetzungen für die Volksrevolution von Marx und Lenin schaffen. Jede Verwischung dieser Grundsätze, jeder Verzicht auf die Voranstellung des Kampfes um die eigene Klasse ist Bruch mit dem Marxismus, Bruch mit dein Leninismus!» Wer hat nun aber diesen «Bruch mit dem Leninismus» geradezu zur «Theorie» erhoben? Niemand anders als das ZK der KPD selbst, das z. B. in einer Resolution vom Januar 1931 die «Volksrevolution» als die «strategische Hauptlosung der Partei» festgelegt hat. Ist es da verwunderlich, wenn untergeordnete Funktionäre der Partei diese Losung dann so anwenden, wie sie gemäß dieser ZK-Auffassung verstanden werden muss? Ein solcher durchaus gutgläubiger Funktionär war A. E., der schon im Dezember 1930 in der Zeitschrift «Der Propagandist» schrieb, es komme «für die Strategie und Taktik der proletarischen Revolution vor allem darauf an, die kleinbürgerlichen Schichten für die proletarische Revolution zu gewinnen oder mindestens zu neutralisieren.» Das lag durchaus auf der Linie der damals vom ZK vertretenen und noch im Januar 1931 parteiamtlich festgelegten Auffassung von der «Volksrevolution». Jetzt – ein ganzes Jahr lang hat Thälmann zu dieser Erkenntnis gebraucht - wird plötzlich festgestellt, dass die zitierte Auffassung von A. E. «mit Marxismus und Leninismus nichts mehr gemein hat.» Was natürlich soweit richtig ist, als auch die entsprechende Linie des ZK mit Leninismus wirklich nicht mehr viel zu tun hat. (Nebenbei bemerkt: Für A. E. ist diese Behandlung als Sündenbock ein besonderes Pech. Alexander Emel wurde seinerzeit in Russland als Oppositioneller gemaßregelt. In der deutschen Partei hat er sich nach Ablauf eines Probejahres die Sporen dadurch zu verdienen gesucht, dass er bei jeder Gelegenheit, zuletzt in der Frage der spanischen Revolution, ausdrücklich von den Auffassungen Trotzkis abrückte. Und gerade ihn hat nun der große Thälmann zum Prügelknaben ausgesucht!) Schließlich kann nicht unwidersprochen bleiben, was Thälmann in seinem Artikel zur Frage des individuellen Terrors bemerkt. Zweifellos war es richtig, wenn das ZK vor kurzem öffentlich vom individuellen Terror abgerückt ist, aber es bedeutet ins andere Extrem fallen, wenn Thälmann schreibt: «Jene Arbeiter, die sich von den planmäßigen Naziprovokationen zur Abwehr mit gleichen Methoden des individuellen Terrors verleiten lassen, entfernen sich hinsichtlich der Methoden des proletarischen Freiheitskampfes von den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus.» Wörtlich genommen bedeutet das, dass den KPD-Mitgliedern nunmehr auch die gewaltsame Abwehr von faschistischen Überfällen untersagt sein soll. Das geht entschieden zu weit. Terror kann nur durch Terror gebrochen werden, und gerade der «Führer der KPD» sollte begreifen, dass man unter den Bedingungen, wie sie durch faschistische Gewaltakte geschaffen werden, nicht nach den Grundsätzen der Bergpredigt handeln kann. Abschließend sei noch auf eine Bemerkung Thälmanns hingewiesen, die er gegen Schluss seines langen Artikels macht und der man ausnahmsweise zustimmen kann: «Es erweist sich, dass trotz der großen Erfolge unserer Partei ihr theoretisches Niveau, das ideologisch-politische Niveau unserer Parteiarbeit, ungenügend ist und einer wesentlichen Besserung unbedingt bedarf.» Aber schon der nächste Satz, der die Beschlüsse der Führung als « einwandfrei und richtig» bezeichnet, lässt erkennen, dass es Thälmann gar nicht darum zu tun ist, eine wirklich ernsthafte Selbstkritik vorzunehmen. Bürokratische Oberflächlichkeit und bonzenhafte Selbstherrlichkeit sind das Wesen des Thälmannschen Artikels. Von einer Wendung zum Besseren kann keinesfalls gesprochen werden. Eine solche kann überhaupt nicht von oben erfolgen; sie muss durch den Druck der Mitglieder selbst erfolgen. Die Linke Opposition wird jeden Schritt der Parteimitglieder in dieser Richtung mit allen Kräften unterstützen. W. M. |
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