Permanente Revolution 19320116 Die Stalinisten in Bulgarien

Permanente Revolution: Die Stalinisten in Bulgarien

Die Tragödie im Gefängnis von Philippopel [=Plowdiw]

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 2. Jahrgang Nr. 2 (Mitte Januar 1932), S. 10 und Nr. 2 (Anfang Februar 1932), S. 11 ]

Am Nachmittag des 11. Oktober 1931 fand ein blutiger Streit im Hofe des Gefängnisses zu Philippopel unter den politischen Gefangenen statt – alles Genossen, die gekämpft und gebüßt hatten für die Sache des Proletariats. Dieser Zwist, hervorgerufen durch fraktionelle Meinungsverschiedenheiten und wechselseitige Beleidigungen, rüttelte die Geister in den Arbeiterkreisen tief auf.

Die Presse der Werkzeuge Stalins – «Echo», «L’Action Travailliste» usw. – wurde mit Erklärungen und Protesten der Gefangenen von der stalinistischen Fraktion angefüllt. Unsere ausgezeichneten Genossen, an der Spitze der edle und standhafte D. Gatschew, zum Tode verurteilt gleich so vielen anderen von der Opposition, wurden dabei behandelt wie eine Horde von Banditen, wie eine Faschistenbande, mit Zustimmung der Gefängnisdirektoren, deren Bestrafung und Absetzung man fordert. Die Parteigänger Stalins, der in Russland, um den Triumph der Ideen seiner Fraktion zu sichern, nicht vor Erschießungen, Inhaftierungen und der Verbannung von Leuten im Range Leo Trotzkis und Christ. Rakowskis zurückgeschreckt hat, schlagen Alarm wegen der Zwischenfälle im Gefängnis zu Philippopel. Sie rufen die Intervention der bürgerlichen Justiz an, der sie den Schiedsspruch in diesen Parteistreitigkeiten anvertrauen. Hierin gleich all den Lakaien, die es in der ganzen Welt gibt, behandeln sie ihre Gegner von der Opposition wie Verräter oder Werkzeuge der Bourgeoisie und des Faschismus, denn sie haben weder den Mut noch den Anstand eines freien und ehrlichen Kampfes, um die beiden Methoden zu vergleichen: diejenige Lenins und Trotzkis, welche die Ausrufung und die Erstarkung der Revolution in Russland sicherte, und diejenige Stalins und Molotows, welche durch Schwächung, Zerstörung und durch die Demoralisation, die sie in die Befreiungsbewegung gebracht hat. alle Errungenschaften der großen russischen Revolution, sowohl die ideellen wie die organisatorischen. einer internationalen Gefahr aussetzt. Mehr noch: die politischen Gefangenen, vergiftet durch das stalinistische Opium, die genau ebenso Klassen- und Kampfgenossen sind, zögern nicht, vor der ganzen Arbeiterklasse im Lande, vor dem gesamten Weltproletariat mit Billigung der stalinistischen Presse, die kein Wort brüderlicher Versöhnung und gegenseitiger Duldung hat finden können, die Erklärung abzugeben: «Es wird unmöglich sein, neue Angriffe auf uns zu verhindern. Blutige Konflikte sind unvermeidlich.» Und da die Stalinisten in der Mehrheit sind, so ist es augenscheinlich, dass sich ein neuer blutiger Angriff gegen unsere tapferen Genossen organisiert, der schon jetzt psychologisch vorbereitet und im Voraus gerechtfertigt wird.

Genossen auf beiden Seiten, kommt doch zur Besinnung! Wem nützen denn diese traurigen Zwistigkeiten? Könnt ihr nicht genügend sittliche Kräfte in euch finden, um euch über diese ganz primitiven Methoden des Kampfes, der Zuflucht zum Urteilsspruch der Autoritäten unsres Klassenfeindes zu erheben? Zeigt ihr euch unfähig, euch auf die Höhe der proletarischen Sittlichkeit zu erheben? Findet ihr zu dem allen nicht die Kraft, indem ihr die Ansichten eurer Genossen achtet, die von dem aufrichtigen und tiefen Bemühen geleitet sind, einen geraderen Weg zur sozialen Befreiung des Proletariats zu finden?

«Oswoboschdenie» veröffentlicht keine Provokationsartikel, wie die politischen Gefangenen im Gefängnis von Philippopel behaupten (siehe «Echo». Nr. 227). «Oswoboschdenie» geißelt die Verräter und die Lockspitzel vom Typ des Assen Bovadjeff und des ganzen Haufens von Lakaien, der Karriere gemacht hat.

Die Tragödie im Gefängnis von Philippopel muss das Gewissen des Proletariats wecken und wachrütteln bis zu dem Tag, wo die stalinistische Fraktion verpflichtet sein wird, sich nicht mehr mit dem Proletariat zu identifizieren und anzuerkennen, dass das höchste Gesetz, das die regelmäßige Entwicklung des proletarischen Kampfes beherrscht, der Grundsatz der innerparteilichen Demokratie ist, welche die weiteste und fruchtbarste Entwicklung der Freiheitsidee des Proletariats zulässt! Im Namen dieser innerparteilichen Demokratie haben die politischen Gefangenen der Linken Opposition im Gefängnis von Philippopel die ersten Opfer gebracht. Wünschen wir, dass diese Opfer die letzten sind und dass sich die Gegner vor dem gemeinsamen Klassenfeind brüderlich vereint Wiedersehen! '

Als ein Dokument des traurigen Vorfalls im Gefängnis zu Philippopel, infolgedessen wir unsere Stimmen erhoben, haben, um neuen Ausschreitungen zuvorkommen, veröffentlichen wir das freie, mutige und kühne Gesuch des politischen Gefangenen D. Gatschew, gerichtet an den Staatsanwalt des Gerichts in Philippopel, worin wir eine genaue und objektive Darstellung der Ereignisse und der Beziehungen zwischen den beiden fraktionelle Gruppen finden.

(Das Dokument folgt)

(Schluss)

Hier das Gesuch selbst:

Durch Vermittlung des Gefängnisdirektors an den Herrn Staatsanwalt des Gerichts in Philippopel. Gesuch des Gefangenen Dimitre Mich. Gatcheff, verurteilt zu L. D. P., zugehörig der internationalen linken Opposition der tapferen Genossen Trotzki und Rakowski, gegen G. Ognianoff, T. Nicoloff, Boris Dimitroff usw.

Herr Staatsanwalt,

niemals würde ich Ihre Einmischung in unsere fraktionellen Streitigkeiten gewünscht oder zugelassen haben. Sie sind ein Vertreter der bürgerlichen Klassengewalt, gegen die wir im Kampf stehen und die wir durch die Macht der Arbeiterklasse ersetzen wollen. Wir sind eine Fraktion in der Arbeiterbewegung, die Ihrer Klassenjustiz und der Klasse selbst feindlich ist, von der Sie einer der Vertreter sind. Jedoch in dem Augenblick, da sich meine Gegner von der entgegengesetzten Fraktion an Sie wenden und Gerechtigkeit von Ihnen fordern, sehe ich mich gezwungen, in erster Linie der Arbeiterschaft und ferner Ihrer Gerichtsbarkeit die Wahrheit zur Kenntnis zu bringen. Jedenfalls entfällt auf meine Gegner die Verantwortung für diese Einmischung unseres Klassenfeindes in unsere inneren Streitigkeiten.

Schon seit langem gibt es mehrere Fraktionen innerhalb der Arbeiterbewegung: die rechte, die zentristische, die linke. Letzthin führte das Nahen der Entscheidungskämpfe zwischen den Klassen eine Verschärfung der Fraktionskämpfe herbei.

Die linke Fraktion in Bulgarien, so wie sie gegenwärtig besteht, beginnt hervorzutreten gegen Ende des Jahres 1928.

Die Gegner unserer Fraktion, unfähig, einen geistigen Kampf zu führen und unsere Taktik zu überwinden; unternehmen persönliche Angriffe, Provokationen und Drohungen, indem sie sich aller Mittel bedienen, die eines Revolutionärs unwürdig sind. Mehr denn einmal haben sie Dummheiten über uns veröffentlicht, denen niemals die Beweise gefolgt sind.

Auf alle diese Provokationen haben wir mit fester Disziplin geantwortet, indem wir unsere Linie verfolgen – die Linie der linken marxistischen Opposition.

Sie haben unsern Freunden gedroht, sie aus dem dritten Stock des Zentralgefängnisses zu werfen; sie haben in ihre Teller gespien, um sie der Nahrung zu berauben, die ihr Klassenfeind lieferte (Zentralgefängnis); sie haben versucht, zwei unserer Freunde durch käufliche Agenten zu töten (Gefängnis von Haskovo); sie haben den Schädel eines ihrer eigenen Freunde zerschmettert; sie haben sich am Leben unserer Freunde vergangen in den Gefängnissen von Silven, zu Vidin usw.; sie haben Briefe gestohlen, die an uns gerichtet waren…. Das ist System bei ihnen. Sie morden unsere Freunde in Russland, dem Vaterland der Arbeiter und Bauern; sie verhaften sie, sie verurteilen sie zur Verbannung – wie die Bolschewiki-Leninisten Trotzki, Rakowski, Muralow u. a.; sie haben auf unsere Freunde in China und anderswo geschossen. Ich muss unterstreichen, dass all diese Taten nicht von der Kommunistischen Partei vollbracht wurden, sondern von einer ihrer Fraktionen – und zwar von der zentristischen, die nur ein bürokratischer und bezahlter Apparat ist, Stalin an der Spitze. Sie handeln ohne Kenntnis des Willens der Kommunistischen Partei, und auf diese Weise stoßen sie das Messer in deren Herz und in das Herz der Arbeiterklasse.

Seit meiner Ankunft hier beginnen, soweit es mich betrifft, die Schmutzigkeiten. Zehnmal habe ich sie aufgefordert, ihre «Anklagen» zu veröffentlichen und die zwei Gesichtspunkte, die zwei Linien einander gegenüberzustellen.

Stets sind sie dem ausgewichen und setzen ihre Anrempeleien fort.

Am 11. dieses Monats nach ähnlichen Auseinandersetzungen und Provokationen, traf ich G. Ognianoff. Ich sagte zu ihm, dass sie Feiglinge und Schurken seien, wenn sie nicht eine öffentliche Erklärung annähmen. Darauf bestürmten mich T. Nicoloff und G. Ognianoff fast gleichzeitig mit dem Ruf; «Verräter!» Nicoloff schlug mich mit dem Stock übers Ohr, Ognianoff schlug mich mit der Faust aufs rechte Auge. Das war der Anlass der Schlägerei. Resultat: Einer unserer Gen. war am Kopf verwundet, ich am Ohr und ein anderer ebenfalls am Kopf; auf ihrer Seite: 2 Verwundete und mehrere, die Quetschungen erlitten hatten. Das ist die ganze Wahrheit, alles übrige sind Erfindungen.

In Nr. 16 des Internationalen Bulletins fährt Genosse Trotzki, den Angriff gegen Mitglieder der Linken Opposition in Kanton zurückweisend, fort: «Wir werden keineswegs terroristische Methoden im Fraktionskampf der Arbeiterbewegung anwenden. Aufgabe der Linken Opposition wird sein, besonders hierüber zu achten. Geschlossenheit. Wille und Disziplin sind unentbehrlich!» Ja, wir kämpfen gegen dieses System von Provokationen, von Terrorismus und Meuchelmord in unseren Reihen. Können wir davon Gebrauch machen? Nein und nochmals nein! Wir können uns nicht Provokationen, des Terrorismus und des Meuchelmords unseren Genossen gegenüber bedienen! Aber einmal angegriffen werden wir uns verteidigen, denn wir sind keine Hunde, Unsere Fraktionsgegner spielen gegenwärtig die Rolle des Diebs, der schreit: «Haltet den Dieb!».

Sie organisieren noch Überfälle, sie provozieren und erzählen, die Drohungen und Provokationen kämen von uns. Nein! Wir erklären, dass wir auf alle ihre Drohungen und Provokationen antworten werden wie bisher mit Geschlossenheit und Disziplin!

Wir werden ihnen nicht mit gleichen Waffen erwidern and sie anklagen, sie hätten sich mit der Leitung des Gefängnisses verbündet, aber wir sagen der Arbeiterklasse, dass sie von der Direktion geduldet werden – und wenn sie die Hand gegen uns erheben, ein Instrument unbewusst der Bourgeoisie sind.

Stalin selbst ist unbewusst ein Instrument der Ramsins, wenn er oppositionelle Kämpfer erschießt, verbannt, ins Gefängnis wirft. Und die Ramsins sind bewusste Instrumente des französischen und internationalen Imperialismus. Die Geschichte hat auch ihre Logik – und das ist die Logik des Klassenkampfes.

Ich protestiere nicht nur dagegen, dass meine Gegner «in Freiheit» sind (d. h. sie sind im Gefängnis), die ihnen erlaubt, Zeugen zu suchen und die Verleumdungen gegen uns fortzusetzen – sondern ich protestiere gegen die Tatsache, dass wir verwundet und geschlagen, ohne schuldig zu sein, in Zellen isoliert sind und einem unerträglichen Regime unterworfen wurden. Ist es möglich, dass uns für den notwendigen Genuss von Sonne und Luft nur 30 bis 40 Minuten täglich gegeben sind….?!

Ich werde Euch mit genügenden Beweisen versorgen, um die Verantwortung von mir abzuwenden und ohne sie auf andere zu wälzen. Der wirklich Schuldige wird der sein, den die Arbeiterklasse nennen wird. An sie wende ich mich.

Am 16. 10. 1931.

Hochachtungsvoll

D. Gatchev.

Das Dokument das wir hier veröffentlicht haben, steht eindeutig da. Von hoher proletarischer Moral durchdrungen ergreift es stark – und wird erlauben, der Wahrheit gemäß den bedauerlichen Vorfall zu untersuchen, der das unausbleibliche Ergebnis der Politik einer außerhalb der Gefühle und des Willens der Arbeiterklasse stehenden automatischen Sekte ist, die in ihrem historischen Edelmut einen Unterschied zwischen ihrem sozialen Feind und dieser ideologischen Minderheit in ihren Reihen machen wird, deren Ideen durch den Gang der Geschichte sich vielleicht morgen schon den gestellten Zielen gemäßer und heilsamer erweisen werden. Nur so kann die Arbeiterklasse auf ihrem unaufhaltsamen Vormarsch den beständigen Fortschritt auf dem Wege ihrer eigenen Befreiung sichern.

Die Tragödie von Philippopel muss die Aufmerksamkeit aller unvoreingenommenen Arbeiter auf sich ziehen, die Pioniere in der Arbeiterbewegung sind und den anständigen und brüderlichen Weg zur Klärung ihrer Lage suchen. So allein kann man dem Triumph in den Reihen der Gegner ein Ende machen, deren Sache schon zur Hälfte gesiegt hat, wenn unsere Zwistigkeiten weitergehen und die Gutwilligen nicht die Oberhand bekommen in den Reihen der Kämpfer.

Sofia, am 1. November 1931.

Das Exekutiv-Komitee. der Marxistischen Links-Opposition «Osvobojdenie».

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