J. W.: Theorie und Politik des kleineren Übels

J. W.: Theorie und Politik des kleineren Übels

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 2. Jahrgang Nr. 4 (Mitte Februar 1932), S. 10 f.]

Ein Parteigenosse aus dem Ruhrgebiet schickt uns einen Beitrag zu dem Thema «Theorie und Politik des kleineren Übels». Der Aufsatz nimmt Bezug auf einen Artikel des unlängst vom ZK abgesagten Kraus-Lenz. Da wir hier aus Raumgründen den ganzen Beitrag des Genossen nicht veröffentlichen können, bringen wir im folgenden einige Auszüge.

Die Redaktion.

Warum Teilnahme am Volksentscheid? Der springende Punkt, den es herauszuschälen gilt, ist ohne Frage der, dass dem Volksentscheid der KPD jeder bestimmte Zweck, jedes konkrete Ziel fehlte. Diese Tatsache allein ist imstande, den hoffnungslos verbohrten theoretischen Aufwand und das hartnäckige Schweigen des Gen. Kraus über Zweck, Ziel und Sinn des Volksentscheids zu erklären. Ich kehre zu meiner These zurück, dass die KPD dem wirklichen Kampf ausgewichen ist und an seine Stelle ein leeres, schädliches Manöver gesetzt hat. In den Augen von Kraus mögen freilich, wie er meint, die ultimativen Forderungen des Zentralkomitees der KPD an die Braun-Regierung den Zweck gehabt haben, den breiten Massen die Lächerlichkeit des Versuchs, gemeinsam mit den «Sozialfaschisten» gegen den Faschismus kämpfen zu wollen, zum Bewusstsein zu bringen. Aber abgesehen davon, dass ultimative Forderungen ebenfalls ein eigenes Ding sind, waren sie doch nur der entsprechende Ausdruck einer miserablen Lage und der kümmerliche Versuch, einen hoffnungslosen Stellungswechsel populär zu machen. Man hatte zuerst gegen den Volksentscheid Stellung genommen als dann die Aktionsunfähigkeit der KPD immer offener zutage trat, war die Beteiligung am Volksentscheid bereits zu einer Prestigefrage geworden. Kraus ist naiv genug, sieh dies, in Sperrdruck übrigens, entschlüpfen zu lassen:

«Es versteht sich von selbst, dass ebenso wenig von einem Bündnis mit den Faschisten gegen die Regierung der Sozialfaschisten die Rede sein kann. Gerade unser Roter Volksentscheid war ein Schlag gegen die Stahlhelm-Hitler-Front, sie durchkreuzte ihr Manöver, ihren Versuch, eine faschistische Massenmobilisierung zu veranstalten, bei der sie als alleinige Gegner des herrschenden Regimes erscheinen wollten

Lassen wir den Vorwurf des Bündnisses mit den Faschisten, den man mit guten Meinungen oder einer Handbewegung keinesfalls los wird, auf sich beruhen: ebenso das noch heiklere Problem, wo denn beim Volksentscheid «die völlige organisatorische und politische Selbständigkeit des Proletariats», die durch die bloße Etikettierung «Roter Volksentscheid» auch nicht garantiert wird, gesteckt hat. Uns interessiert wesentlich die Tatsache, dass man so tief gesunken war, zu glauben, sich auf einen Wettlauf mit den Nationalisten einlassen zu müssen – uns interessiert, dass der fast komische Wettlauf um das Ansehen (wir wollen «auch» als Gegner des herrschenden Regimes erscheinen) alles ist, was wir über Zweck und Sinn des Volksentscheides erfahren.

Die Propaganda der Partei bewegt sich in allen politischen Gegenwartsfragen auf dem Niveau einer geradezu jämmerlichen Agitation, die Agitation selbst wird unsagbar eng gefasst (Lenin war hinsichtlich der Zeitung «absolut dagegen», «dass die Arbeiterzeitung ausschließlich das veröffentlicht, was die spontane Arbeiterbewegung am nächsten und unmittelbarsten, berührt»), In einer Situation, wo Millionen automatisch nach der kommunistischen Presse greifen müssten, vermag diese höchstens die Spezialisten und die Mitglieder der Organisationen dauernd zu beschäftigen. Und auch die nicht einmal; der Einfluss der kommunistischen Presse ist durch eigenes Verschulden außerordentlich gering. Davon, dass, mit Lenins Worten, «alle Seiten der Bewegung ihre Widerspiegelung finden müssen», dass alles, «was ins Gebiet der Theorie des Sozialismus, ins Gebiet der Wissenschaft, der Politik, der Fragen der Parteiorganisation usw. fällt», mit allen «konkreten Tatsachen und Erscheinungen der Arbeiterbewegung» in «Verbindung» gebracht wird, kann keine Rede sein. Ebenso wenig von der (immer mit Lenin) «theoretischen Beleuchtung eines jeden Einzelfalles», von der «Propaganda der politischen und parteiorganisatorischen Fragen in den breitesten Massen der Arbeiterklasse», sowie von dem «Hineintragen dieser Fragen in die Agitation». Am allerwenigsten kann endlich von dem «Versuch» gesprochen werden, die zu beschränkte, weil «nur lokale und vorwiegend wirtschaftliche Fragen behandelnde Agitation durch eine höhere Form von Agitation» zu ersetzen – durch die Zeitung, die die Klagen der Arbeiterschaft, die Arbeiterstreiks und die anderen Formen des proletarischen Kampfes periodisch registriert, über alle Äußerungen des politischen Drucks … berichtet und aus jeder dieser Tatsachen vom Standpunkt des Endzieles des Sozialismus und der politischen Aufgaben des … Proletariats bestimmte Schlüsse zieht».

Wahrhaftig, der Leninismus, das kostbarste Kleinod der Arbeiterschaft, ist in die Hände von Epigonen geraten, die seine Worte Wiederkauen und seinen lebendigen Geist töten. Statt systematischer, gründlicher, «geduldiger» Aufklärung haben wir die ungeheure Kräfteverschwendung und den trostlosen Leerlauf der einander jagenden Wettbewerbe, die nichts weiter als das Ventil vollkommener Hilflosigkeit sind. Und während die «Führer» Ideologie treiben, denken die Massen utilitaristisch: so kommen wir wieder zum Volksentscheid und seinen Lehren. Weil der Sinn der Veranstaltung in der Luft hing, deshalb gelang es uns nicht, «die Millionenmassen unserer Anhänger, auf die wir bei anderen Aktionen rechnen können, zu dieser Aktion zu mobilisieren» (Kraus).

Sind wir damit am Ende, so wird doch durch das Voraufgegangene die Frage nach den wahren Ursachen des theoretisch-praktischen Tiefstandes in der KPD. unerbittlich auf die Tagesordnung gesetzt. Sie müssen indes auf einem anderen Blatt beschrieben werden.

J. W.

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