Abraham Sobolevicius 19320316 Zum japanisch-chinesischen Krieg

Abraham Sobolevicius: Zum japanisch-chinesischen Krieg

Bemerkungen zur weltpolitischen Lage

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 2. Jahrgang Nr. 6 (Mitte März 1932), S. 4 f., Nr. 7 (Anfang April 1932), S. 9 f.]

Die Ereignisse im Fernen Osten lenken immer mehr die Aufmerksamkeit der gesamten Welt auf sich. In der bürgerlichen, sowie in der proletarischen Presse werden diese Ereignisse beleuchtet und ihre Haltung wird entsprechend den Interessen derjenigen Volksschichten, die sie vertritt, auch angepasst. In den Stunden, wo wir diese Zeilen niederschreiben, sind bereits viele Dokumente aus dem japanischen Generalstab von den Sowjetrussen der Öffentlichkeit unterbreitet worden, die eine ganz eindeutige Sprache führen. Wir halten es für unsere heiligste Pflicht, die Aufmerksamkeit der breiten proletarischen Öffentlichkeit nicht allein auf diese Dokumente zu lenken, sondern auch die Absichten und Ziele des japanischen und Weltimperialismus aufzuzeigen.

Wirtschaftsgeographisch betrachtet, befindet sich der japanische Imperialismus fast in einer ausweglosen Situation. Die Inseln, die überbevölkert sind, der rasche Industrialisierungsprozess, den Japan in den letzten Jahrzehnten durchgemacht hat, das Fehlen von Erzen und Kohle, der ständige Bevölkerungszuwachs, die abgeschlossene USA und die anderen Länder, die in früheren Jahren viele Hunderttausende Japaner aufnahmen. zwingen, schon rein wirtschaftsgeographisch gesehen, den japanischen Imperialismus auf den Weg von neuen Eroberungskriegen. Man kann mit ruhigem Gewissen sagen, dass die Weiterentwicklung des japanischen Imperialismus auf Tod und Leben mit der Gewinnung von neuen Märkten und Rohstofflagern verbunden ist. Hier ist die Frage schärfer wie bei jeder anderen imperialistischen Macht der Welt.

Auch die allgemeine Situation, in der sich die bürgerliche, kapitalistische Welt befindet, ist von den japanischen Imperialisten ausgezeichnet gewählt. Es ist kein Zufall, dass gerade jetzt die japanischen Imperialisten China überfallen. Sehen wir uns die Welt näher an: eine nie dagewesene Krise in Amerika und Europa, die Kapitalisten Europas und Amerikas haben voll zu tun in ihren eigenen Staaten. Sie sind an Händen und Füßen durch die unerhört scharfe Wirtschaftskrise gebunden. Immer steigende Arbeitslosenzahlen, die Krise hat den Tiefpunkt immer noch nicht erreicht, In dieser Situation taucht der japanische Imperialismus als neuer Auftraggeber für die Kriegsmunitionsindustrie, Textilindustrie, Schifffahrt usw. auf. Die Bourgeoisie, trotz ihres großen Neides, macht ein gutes Geschäft. Die Losung wird immer populärer: Nur der Krieg kann uns aus dieser Wirtschaftskrise retten. Andererseits ist aber der japanische Imperialismus auch von der allgemeinen Situation in der Sowjetunion gut informiert. Das Sowjetrussische Proletariat baut eine neue Wirtschaft, verbunden mit ungeheuren Schwierigkeiten und Entbehrungen. Die Sowjetunion will jetzt keinen Krieg führen. Auch verkehrstechnisch hat sich das Bild in Sibirien gegenüber 1904-05 nicht geändert. Die einzige transsibirische Eisenbahnlinie. die dort existiert, ist ungenügend, um einen Krieg gegen den japanischen Imperialismus erfolgreich zu führen, schon ganz abgesehen davon, dass auch diese einzige Bahn schlecht funktioniert. Hinzu kommt noch, dass die revolutionäre Arbeiterbewegung in Japan noch in den Kinderschuhen steckt und die Sowjetunion dort über keinen ernsten Verbündeten verfügt. Alle diese oben erwähnten Umstände sprechen für den japanischen Imperialismus. Diese allgemeine Situation, die wir oben geschildert haben, ist nicht ungünstig von den Japanern gewählt.

Der erste Stoß, den der japanische Imperialismus den Chinesen versetzt hat. war auf die Mandschurei gerichtet. Die Mandschurei besitzt unermessliche Waldreichtümer. große Lager an Eisenerzen und Steinkohle. Wenn man die Naphtaquellen Sachalins diesen hinzurechnet, so sehen wir, dass Japan über eine sehr solide Rohstoff- und Industriebasis verfügt, die notwendig ist für die Weiterentwicklung des japanischen Imperialismus. Aber damit allein nicht genug. Der japanische Imperialismus versucht mit einem Schlag, die wichtigsten Häfen Chinas zu besetzen, um dadurch den gesamten chinesischen Markt zu kontrollieren und die Chinesen zu zwingen, den Boykott japanischer Waren, der bereits unzählige japanische Fabriken und Handelsgesellschaften teilweise ruiniert, teilweise in Schwierigkeiten gebracht bat. einzustellen. Daher richtete es den ersten Stoß gegen Schanghai. Hier aber stößt bereits Japan mit den Interessen des USA-Imperialismus hart zusammen. Die USA ist bisher der Hegemon im Stillen Ozean. Die Riesenflotte, die bei Kalifornien konzentriert ist, die mächtigen Seestützpunkte auf den Philippinen und anderen Inseln legen davon Zeugnis ab. Die USA kann daher nicht ruhig zusehen, wie ihr erbittertster Konkurrent sich immer stärkere Stützpunkte ausbaut. Außerdem ist ja der chinesische Markt ein Leckerbissen für alle Imperialisten der Welt. Nicht umsonst war ja stets die Parole der USA in China: «Offene Türen in China für Freihandel:». Die USA fühlt sich genug stark, um die anderen Konkurrenten durch ihre billigen Waren «friedlich» aufs Haupt zu schlagen, –

Nun versucht der japanische Imperialismus zwecks Ablenkung der Aufmerksamkeit der USA- und europäischen Imperialisten von der Aufteilung des chinesischen Marktes einen Vorstoß über die Mandschurei gegen die verhasste Sowjetunion zu führen. Dazu gründet er die unabhängige Republik» mit einem «lebenslänglichen Präsidenten» (allerdings von niemanden gewählt!) Puji an der Spitze. Helle Begeisterung der russischen Weißgardisten, die noch ihre Hoffnungen nicht aufgegeben haben. Formierung weißgardistischer, militärischer Abteilungen. Wieder wittern die Semjonows Kriegsluft. In dieser Frage herrscht Einigkeit unter den Imperialisten aller Länder: die Sowjetunion muss früher oder später vernichtet werden! Für die europäischen Imperialisten ist es aber nicht so einfach, Krieg zu führen: hier gibt es eine starke revolutionäre einheimische Arbeiterbewegung. Hier bleibt also die alte Frage: «Wie sage ich es meinem Kinde?» Dass aber die japanischen Imperialisten es ernst damit meinen, beweisen die Geheimdokumente, die von der sowjetrussischen Presse veröffentlicht worden sind. Die japanischen Imperialisten träumen einen süßen Traum: Mandschurei, Sachalin, Ostsibirien sind Wirtschaftsfaktoren, die die Weiterentwicklung des japanischen Imperialismus auf Jahre hinaus sichern können und die das äußere Bild des Inselreiches vollständig verändern werden. Unermessliche Waldreichtümer, Eisenerze und Kohle der Mandschurei, Sachalin-Naphta plus Ostsibirien. Ostsibirien übersetzt in die wirtschaftsgeographische Sprache bedeutet: 2,5 Millionen ha Waldfläche, ca. 175 Milliarden Tonnen Steinkohle, ca. 850 Millionen Tonnen Eisenerze, reichste Standorte farbiger und seltener Metalle, Riesenflächen gepaart mit billiger Hydroenergie des Angara-Jenissei-Flusssystems. Sind diese Tatsachen allein nicht genügend, um alle Leidenschaften des japanischen Imperialismus aufzupeitschen??!

(Fortsetzung folgt)

(Schluss)

Dass es dem japanischen Imperialismus ernst ist mit dem Überfall auf die Sowjetunion und die Aneignung eines großen Territoriums, das ihm die Weiterentwick­lung sichern soll, beweisen mehrere Dokumente, die der sowjetrussischen Regierung ein günstiger Wind aus den Arbeitszimmern des japanischen Generalstabs auf den Tisch geweht hat. Diese Dokumente stellen einen Brief­wechsel dar zwischen sehr einflussreichen Vertretern der japanischen Kriegskreise, die ganz offen und eindeutig die Frage des Überfalles auf die USSR und der Losreißung der Küstengebiete bis zum Baikal-See stellen. In einem dieser Dokumente wird folgendes geschrieben («Prawda» vom 5. 3. 1932):

«In der Frage, ob Japan den Krieg gegen die Sowjet­union anfangen soll oder nicht, halte ich es für not­wendig, zu unterstreichen, dass Japan sich auf den Weg einer festen Politik gegenüber der Sowjetunion stellen und dabei bereit sein muss, den Krieg jederzeit aufnehmen zu können. Das Hauptziel dieses Krieges soll in der Eroberung des Sowjet-Fernen-Ostens und Ostsibiriens bestehen und nicht nur in dem Schutz Japans vor dem Kommunismus.»

In einem anderen Dokument wird folgendes ge­schrieben:

«In Anbetracht des Zustandes der bewaffneten Kräfte der USSR und der Situation in den ausländischen Staaten muss der Japan-Sowjet-Krieg möglichst schnell beginnen. Wir müssen uns bewusst sein, dass je mehr Zeit verstreicht, desto günstiger die Lage für Sie werden wird. Ich halte deshalb für not­wendig, dass die Kaiserliche Regierung eine Politik betreiben soll mit der Berechnung, möglichst schnell den Krieg gegen die Sowjetunion zu beginnen.»

Im selben Dokument wird weiter ausgeführt:

«Es ist sehr wahrscheinlich, dass trotz unserer Stra­tegie des Überfalls und des raschen Zustandekom­mens der Auseinandersetzungen, infolge verschiede­ner Bedingungen, uns nicht gelingen wird, den Krieg, durchzuführen entsprechend dem vorgemerkten Ak­tionsplan. In diesem Zusammenhang entsteht eine äußerst wichtige Frage über den Zeitpunkt der Beendigung unserer Kriegsoperationen. Es ist selbst­verständlich, dass wir dann unseren Vormarsch bis zum Baikalsee durchführen müssen. Was den wei­teren Vorstoß nach dem Westen betrifft, so muss dies entschieden werden im Zusammenhang mit der allgemeinen Situation, die zu jener Zeit eintreten wird, hauptsächlich im Zusammenhang mit denje­nigen Staaten, die vom Westen angreifen werden.»

Am Schluss noch ein Auszug im selben Sinne:

«Wenn wir die allgemeine Lage in der Sowjetunion untersuchen, so können wir feststellen, dass gegen­wärtig die USSR keinen Krieg führen kann. Die Ge­genwart ist äußerst günstig dafür, dass unser Impe­rium das Problem des Fernen Ostens lösen soll. Die westeuropäischen Staaten, die an die USSR gren­zen (Polen, Rumänien), haben eine Möglichkeit, mit uns zusammen nach Vereinbarung aufzumarschieren, aber diese Möglichkeit wird jahraus, jahrein geringer.»

Zu diesen Dokumenten ist jeglicher Kommentar überflüssig. Es kommt noch hinzu, dass wir in den letzten Monaten und Wochen Zeugen waren, wie die euro­päischen Imperialisten, in erster Reihe Frankreich, den japanischen angreifenden Imperialismus in China nicht nur zurück wiesen, sondern umgekehrt, ihn unterstützt haben. Kein Zufall ist es. wenn der Pariser Berichter­statter der Zeitschrift «Nation», Robert Dell, darauf hin­weist, dass die französische Presse offen von der franzö­sischen Unterstützung der Kriegsaktionen Japans in China spricht. Dell schreibt weiter:

«Diese Unterstützung ist damit zu erklären, dass höchstwahrscheinlich Frankreich den Wunsch hegt, dass China unter die Herrschaft Japans gerät, damit dadurch die Möglichkeit des Einflusses der Sowjet­union auf China ausgeschaltet wird. Wenn die japa­nischen Aktionen zu einem Krieg zwischen der Sowjetunion und Japan im weiteren Verlauf führen sollten, und somit zur Unterbrechung der Durch­führung des Fünfjahresplanes, so würde es kein großes Bedauern in Paris hervorrufen...»

Auch diese Anzeichen sprechen dafür, dass die Kriegsgefahr gegen die Sowjetunion immer greifbarere Formen annimmt. Die einzigen Verbündeten der Sowjet­union sind das westeuropäische Proletariat und die drei­mal geknebelten und unterjochten Millionenmassen der kolonialen Völker. Damit aber die europäischen Arbeiter dieser Kriegsgefahr ein Ende machen, müssen kräftige, anziehende kommunistische Parteien vorhanden sein. Es ist richtig, ja vollkommen richtig, wenn «Die Rote Fahne» und die gesamte Presse der Komm. Internationale zur Einstellung von Munitionslieferungen, zur Entfachung von Streiks in den Kriegsgebieten aufruft. Dies ist richtig, aber vollkommen ungenügend. Unwillkürlich drängt sich einem jeden Kommunisten die Frage auf: Warum ist es der Partei in Deutschland, trotz organisa­torischen und,politischen Wachstums, bisher nicht gelun­gen, einen irgendwie nennenswerten Streik in der Munitionsindustrie zu entfachen, und irgendwelche Ein­stellung bezw. Verweigerung von Verladungen von Kriegsmaterial durchzuführen. Warum? Eben darum, weil die Partei eine Isolierungspolitik von den Millionenmas­sen reformistischer Arbeiter, die in den freien Gewerkschaften organisiert sind, getrieben hat und noch heute betreibt. Die Gewerkschaftsfrage wäre somit zur Zentral­achse geworden um die sich die Durchführung aller Antikriegsaktionen der Partei drehen wird. Ohne Über­treibung: die Erfahrungen der Klassenkämpfe in Deutschland haben uns gelehrt, dass nur die Gewerkschaften das Hirn der deutschen Arbei­terklasse als Klasse beherrschen. Will die Partei, - und das muss sie – gelungene Antikriegsaktionen durch­führen (darunter verstehen wir Transportarbeiter­streiks. Streiks in den Kriegsbetrieben, bei den Chemie­proleten. Einstellung von Kriegslieferungen usw.), so muss sie die Gewerkschaftsfrage in den Vordergrund stellen die RGO als selbständige Verbände liquidieren und die gesamte Einheitsfrontpolitik revidieren. Andernfalls werden es nur misslungene Teilaktionen der Partei sein und die Vorhut der Arbeiterklasse wird sich eine Nie­derlage nach der anderen holen. Dies wird die Zermürbung und Desorganisierung in den eigenen Reihen zur Folge haben. Wer mit dem Schicksal der Sowjetunion unzertrennlich verbunden ist, der muss diese Frage be­greifen. Je früher, desto besser!

Der europäische und Weltkapitalismus befindet sich im Niedergangsstadium, in einer unheilbaren Krise, deren Dimensionen kolossale, bisher unerreichte For­men angenommen hat. Die Verelendung der Massen der Arbeiter, Bauern, Angestellten, Kleingewerbetreiben­den schreitet immer vorwärts. Immer größere Lasten werden auf ihre Schultern abgewälzt. Die pleitegegan­genen Konzerne und Trusts werden dann «saniert» auf Kosten der abgebauten Arbeitslöhne. Die Finanzkrisen der kapitalistischen Staaten werden zu allgemeinen Kri­sen des gesamten Systems. In derselben unerfreulichen Lage, in der sich die gegenwärtigen kapitalistischen Staaten Europas und Amerikas befinden, in derselben Lage befindet sich auch der japanische Imperialismus. Es ist kein Geheimnis, dass Japan vor einem finanziellen Zusammenbruch steht, dass die 800-Millionen-Francs-An­leihe, die es vom französischen Imperialismus für gute Zinsen und noch bessere Versprechungen bekommen hat, Japan vor der Inflation gerettet hat. Eine Gärung greift teilweise noch in schwachen, ungenügenden Formen, un­ter den Werktätigen Japans Platz. Um diese Gärung zu offenen Rebellionen der Werktätigen zu machen, muss die Komm. Internationale ihre gesamte Politik, in erster Reihe in Europa, einer Revision unterziehen. Damit wird sie gleichzeitig imstande sein, die europäischen Imperialisten zu hindern, den Krieg gegen die Sowjetunion zu führen, und somit auch die innere Krise in Japan zu verschärfen und dem verfaulten, halbfeudalen, japani­schen Kapitalismus den Todesstoß zu versetzen. Das ist es, was wir den Arbeitern der Welt über den bevor­stehenden Krieg gegen die Sowjetunion zu sagen haben.

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