Otto Schüssler 19320316 Zur innerparteilichen Lage

Otto Schüssler: Zur innerparteilichen Lage

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 2. Jahrgang Nr. 6 (Mitte März 1932), S. 10 f.]

Seit der Veröffentlichung des «Stalinbriefes» über «den Kampf gegen den Zentrismus» entdeckte die Parteibürokratie die «stärksten Schwächen an der ideologischen Front innerhalb der Partei. Ernst Thälmann gab in der «Internationale» vom Nov./Dez. in seinen «großen theoretischen» Artikel: «Einige Fehler in unserer theoretischen und praktischen Arbeit und der Weg zu ihrer Überwindung» von sich. – und dieser große Thälmann-Artikel wurde zum zentralen Punkt einer Parteidiskussion, – d. h. er wurde zur Plattform aller Bürokraten, die den großen Thälmann-Brei wiederkauten und noch breiter auswälzten. Thälmann kritisierte die Fehler der Partei in der Einschätzung der Brüningregierung. – im Kampf gegen die SPD, – in der Anwendung der Losung Volksrevolution, – in der Ausübung des individuellen Terrors und er zieht aus den Fehlern die Erkenntnis:

«Es erweist sich, dass trotz der großen Erfolge unserer Partei ihr theoretisches Niveau, das ideologisch-politische Niveau unserer Parteiarbeit ungenügend ist und einer wesentlichen Besserung unbedingt bedarf.»

«Wir müssen, gerade wenn wir in unserer revolutionären Praxis das Zurückbleiben der Partei hinter den objektiven Möglichkeiten des revolutionären Aufschwungs liquidieren wollen, eine entschlossene Wendung zur Überwindung der Schwächen auf theoretischem Gebiet machen. Das ist keine Frage, die nur die Spitzenfunktionäre der Partei, die oberen und mittleren Leitungen angeht, sondern eine Frage unserer gesamten Parteiarbeit, vom Zentralkomitee bis zur Zelle.»

Die Parole «Hebung des theoretischen Niveaus» der Parteimitglieder wurde zu einer Hauptforderung im innerparteilichen Leben. Die Entdeckungen Thälmanns in Bezug auf die «ideologischen Schwächen» der KPD kommen reichlich spät. Die «ideologischen Schwächen» sind seit Jahren offen zu sehen, – und die Frage ihrer «Überwindung» ist ein Problem, das nicht erst seit dem Erscheinen des «großen Thälmann-Artikels» steht.

Die Methoden jedoch, mit denen die Bürokratie an die «Überwindung» der ideologischen Schwäche und an die Hebung des «theoretischen Niveaus» herangeht, erlauben schon heute die Feststellung, dass damit eine Überwindung und Hebung nicht erreicht werden kann.

Wie in allen Fragen, so sieht auch in der Frage der «ideologischen Schwäche» die Bürokratie deren Vorhandensein nur in der Basis der Partei, «unten», innerhalb der Mitglieder und der Funktionäre. Die «Schwächen» der Spitzen, der verantwortlichsten Funktionäre werden verheimlicht oder auf einige «Sündenböcke» abgeschoben.

«Es handelt sich auch nicht darum, dass trotzkistische oder brandleristische Gruppen in der Partei versuchen, der Linie der Partei eine andere Linie entgegenzustellen, es handelt sich auch nicht um allgemeine Fehler der Gesamtpartei, sondern um teilweise Fehler und Abweichungen einzelner Teile und einzelner Genossen in der Partei.»

Die ideologische Schwäche, die theoretischen Mängel innerhalb der Parteimitgliedschaft sind nichts anderes als die Auswirkungen und die Kennzeichen der ideologischen und theoretischen Schwäche der Gesamtpartei; angefangen vom ZK mit Thälmann an der Spitze, bis herab in die Ortsgruppen und Zellen.

Die Parteibürokratie sieht den Grund der «ideologischen. theoretischen Schwächen» der Parteimitglieder in organisatorischen Mängeln, Thälmann z. B. formuliert das: «Es ist klar, dass die Direktiven des Zentralkomitees in allen politischen Fragen bis herab zur kleinsten Zelle einen verhältnismäßig langen Weg zurücklegen. Dabei besteht die Gefahr, dass diese Direktiven, bis sie zu den Mitgliedern gelangen, oft weniger qualifiziert, weniger präzise formuliert, abgeschwächt oder unter Umständen sogar ein wenig «verbogen» werden, manchmal sogar «verloren» gehen.»

Am «langen Weg der Direktiven des Zentralkomitees» liegt die Schuld – sagt Thälmann. – In Wirklichkeit aber liegt die «Schuld nicht am langen Weg», sondern an den «Direktiven des Zentralkomitees» selbst. Die «Direktiven» des Zentralkomitees der KPD sind nicht bolschewistisch-leninistische Direktiven, sondern es sind bürokratische «Direktiven». In ihnen widerspiegelt sich die ganze Unsicherheit und die politische Unfähigkeit der Parteibürokratie, – sie, die »Direktiven», sind die Befehle eines zentristischen Zick-Zack-Kurses und der Ausdruck der politischen Schwankungen der Bürokratie. Die heutige «Direktive» widerspricht der gestrigen und die «Direktive» von morgen ist unvereinbar mit der von heute. «Direktiven» einer falschen und verderblichen Politik können nichts anderes verursachen, als ideologische «Mängel und Schwächen».

Innerhalb der Parteimitgliedschaft herrscht Verwirrung und Unsicherheit, – von den politischen «Direktiven» der «Führung» werden die Parteimitglieder hin- und hergezerrt. Sie finden sich nicht mehr zurecht in dem Knäuel der verschiedenen «Linien», Resolutionen und Programmen.

«Der Bolschewik», das Organ für die Parteimitglieder im Bez. Sachsen, schreibt z. B. im Nr. 4, 1932: »Fehler und Schwächen im Kampfe gegen die SPD und den Zentrismus»:

«Wer sich politisch und theoretisch so unsicher fühlt, dass er fürchten muss, bei Anwendung der Einheitsfronttaktik von der bolschewistischen Parteilinie abzuweichen, der zieht sich gern auf den ebenso bequemen wie verantwortungslosen Standpunkt zurück: «Der sicherste Schutz gegen Abweichungen ist – gar nichts zu tun!»

Das charakterisiert den Zustand in der Partei treffend, das charakterisiert die Ursachen der Passivität und Fluktuation. Eben deshalb, weil keine bolschewistische Parteilinie heute für die KPD vorhanden ist. Entstehen «Befürchtungen» unter der Mitgliedschaft, theoretische Mängel und «ideologische Schwächen».

Noch deutlicher klagt ein Parteifunktionär (Instrukteur) in derselben Nummer des sächsischen «Bolschewik»;

«Noch etwas: Wir sollen den «Agitator», «Propagandist» und «Parteiarbeiter» lesen. Was aber daraus entstehen kann, zeigt die «Internationale» Nr. 11/12, Thälmann, S. 494–497. Wie leicht kann da ein Genosse wegen Abweichungen von der Linie, welche nach der «Internationale» Lenin gegeben hat, zum Opportunist werden. Ich bin selbst noch von dem Gedankengang des «Propagandist» beeinflusst.»

Die ganze Tragödie des heutigen Zustandes der KPD widerspiegelt sich in dieser Kritik eines gutgläubigen Parteifunktionärs. Was heute in den Organen der Partei geschrieben, vom Zentralkomitee gutgeheißen und von den Mitgliedern geglaubt und verbreitet wird, was von ihnen als «Direktive» angesehen wird, ist in kürzester Zeit bereits «Abweichung» und wird von demselben Zentralkomitee bekämpft.

Die Bürokratie versucht die ideologischen Schwächen zu beseitigen nicht durch eine freie Diskussion über die Linie und die Politik der Partei, sondern durch bürokratische Verordnungen und «Direktiven», durch eine «Kampagne zur Überwindung der theoretischen und praktischen Fehler, Mängel und Schwächen in der Partei», durch Funktionär-Wochenend-Kurse und politische Schulungstage usw. Und, als Grundlage dieser «theoretischen Kampagne» dienen «Direktiven» der Bürokratie.

Die Frage der Hebung des Parteiniveaus ist jedoch nicht eine Frage einer «Kampagne» und eines «Schulungstages», – sondern sie ist untrennbar verknüpft mit einer politischen Wendung der Partei, mit der Rückkehr zu den Grundsätzen des Leninismus. Die heutige Politik der KPD ist eine Isolierungspolitik und die «Theorien» der Parteibürokratie sind keine bolschewistischen.

Wie wird eine Hebung des ideologischen Niveaus der Partei erreicht? Nur dadurch, dass die Partei dazu übergeht, ernstlich zu überprüfen ihre Politik der vergangenen Jahre, dass die Parteimitglieder das Recht haben, offen ihre Meinung über die Linie der Partei auszusprechen, ohne der Gefahr des Ausschlusses oder Beschimpfungen ausgesetzt zu sein. Eine offene Parteidiskussion, eine Überprüfung der Politik der Partei auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus kann nicht anders enden als in einer entschiedenen Wendung der KPD, sowie der Komintern zu den Prinzipien der Bolschewiki-Leninisten.

Nicht in bürokratischen Verordnungen, nicht in «Schulungstagen» im «Sturm- und Wettbewerbstempo» – sondern darin, dass den Parteimitgliedern wieder das Recht der Mitbestimmung über die Politik der Partei gegeben wird, durch Abkehr von den Methoden einer verantwortungs- und gewissenlosen Bürokratie und durch Rückkehr zu den Prinzipien des demokratischen Zentralismus – nur dadurch wird die Ideologie der Partei gestärkt, nur dadurch wird das theoretische Niveau der Parteimitglieder gehoben.

O-r.

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