Rudolf Hartwig 19320316 Über die Krise der Großbanken

Rudolf Hartwig: Über die Krise der Großbanken

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 2. Jahrgang Nr. 6 (Mitte März 1932), S. 6]

Nach dem großen Bankkrach vom 15. Juli vorigen Jahres wurde es vorübergehend still um die großen Banken. Die Ruhe währte jedoch nicht lange, und seit einigen Wochen ist der Handelsteil der Tageszeitungen wieder voll von Sensationsmeldungen über Veränderungen im Bankgewerbe.

Um zu verstehen, was vor sich geht, müssen wir uns klar werden über einige grundlegende Voraussetzungen. Die Nationalökonomie hat sich daran gewöhnt, die Entwicklung der Wirtschaft – betrachtet unter dem Gesichtspunkt des Güteraustausches – in drei Epochen einzuteilen: Naturalwirtschaft, Geldwirtschaft, Kreditwirtschaft. In der Epoche der Naturalwirtschaft vollzieht sich der Güterumsatz auf dem Weg des Naturalaustausches, d.h.: Gut wird gegen Gut gegeben, Geld existiert nicht. In der Epoche der Geldwirtschaft, deren Beginn bei den Völkern des griechich-römischen Kulturkreises etwa ins 7. bis 5. vorchristliche Jahrhundert, in Deutschland etwa ins 11. Jahrhundert nach Christi Geburt fällt, vollzieht sich der Güterumsatz durch Geld, das die verschiedensten Formen annehmen kann: Naturalgeld (die Ubergangsforin des Geldes zwischen Naturalwirtschaft und eigentlicher Geldwirtschaft), geprägtes Metallgeld (Münzen), Zeichengeld (Papiergeld, Banknoten). Die Epoche der Geldwirtschaft wurde schließlich abgelöst durch die Epoche der Kreditwirtschaft (in England etwa seit dem 18. Jahrhundert, in Deutschland seit der Mitte des 19. Jahrhunderts). Das Kreditumlaufssystem beruht auf dem Depositen- und Scheckverkehr und ist heute so angewachsen, dass beispielsweise in Deutschland 9/10 aller Umsätze gegenwärtig durch Kredite vermittelt werden.

Die Entwicklung der Kreditwirtschaft ist eng verwachsen mit der Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft überhaupt. Nach Marx fungierte das Kreditwesen in seinen Anfängen «als bescheidene Beihilfe der Akkumulation», entwickelte sich aber schließlich zu einem «ungeheuren sozialen Mechanismus zur Zentralisation der Kapitale». Die Begriffe Akkumulation und Zentralisation, die leicht zu verwechseln sind, werden von Marx scharf unterschieden. Akkumulation ist die Anhäufung von neuem Kapital durch Konzentration von Produktionsmitteln und Aneignung des Mehrwerts, Zentralisation hingegen ist die Zusammenziehung bereits gebildeter Kapitale, Expropriation (Enteignung) von Kapitalist durch Kapitalist, Verwandlung vieler kleinere in wenige größere Kapitale. Konkurrenz und Kredit sind nach Marx die beiden mächtigsten Hebel der Zentralisation. Das Kreditsystem intakt zu halten, muss also die erste Sorge jeder kapitalistischen Wirtschaft sein.

Es liegt in der Natur der Sache, dass dasjenige System, das an der Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft entscheidenden Anteil gehabt hat, an deren Niedergang nicht unbeteiligt sein kann. Getragen und verkörpert wird das Kreditsystem in erster Linie durch die Gesamtheit der Banken, vor allem der Großbanken, durch die moderne «Bankokratie» (Bankenherrschaft), wie Marx sie nennt. Und damit kommen wir zu den Ereignissen der jüngsten Vergangenheit, die sich in der Bankwelt abgespielt haben. Das alarmierendste Ereignis war der Zusammenbruch der Danat-Bank im Sommer vorigen Jahres. Andere Banken folgten nach oder waren bereits vorausgegangen. Bankzusammenbrüche hat es immer gegeben, solange es eine kapitalistische Wirtschaft und solange es Banken gibt. Aber die lawinenartige Anschwellung dieser Bankzusammenbrüche und vor allem die Qualität der Banken, die zu Fall kamen, deutete darauf hin, dass es sich hier nicht mehr um eine Reihe von schweren Einzelkonkursen handelte, sondern um eine Erschütterung des gesamten Kreditsystems überhaupt, also desjenigen Systems, auf dem die gegenwärtige kapitalistische Wirtschaft beruht. Der kapitalistische Staat, also das politische Vollzugsorgan der kapitalistischen Wirtschaft, hatte somit alle Veranlassung, unverzüglich und in weitestem Umfang helfend einzugreifen. Als am 13. Juli die Danat-Bank zusammenbrach, ein Kreditinstitut, das sich durch die vielbesprochene Aktivität, genauer gesagt: durch den unverantwortlichen Leichtsinn seines Generaldirektors Jakob Goldschmidt des verdienten Ansehens in der Welt des kapitalistischen Spekulantentums erfreute, griff sofort die Reichsbank ein. Im August stellte es sich heraus, dass auch die im Ruf besonderer Solidität stehende Dresdner Bank stützungsbedürftig war.

Es folgte der Zusammenbruch der ADCA in Leipzig, der größten privatwirtschaftlich orientierten Kreditanstalt Sachsens, die ebenfalls vom Reich und außerdem vom sächsischen Staat gestützt wurde. Schließlich sind – um nur die bedeutendsten Fälle zu nennen – noch zu erwähnen die Schwierigkeiten beim Barmer Bankverein in Düsseldorf, bei der Commerz- und Privat-Bank in Berlin und bei der DD-Bank. dem Mammut-Bank-Konzern. der durch Fusion (Verschmelzung) der Deutschen Bank mit der Diskonto-Gesellschaft entstanden ist. Der Staat war durch seine großzügigen Sanierungsmaßnahmen mit einem Mal der Vater einer Reihe von großen und kleineren Banken geworden. Die Summe, die ihn diese Vaterschaft kostete, ist mit einer Milliarde Goldmark nicht zu hoch gegriffen.

Wir haben schon oben angedeutet, aus welchem Grunde der Staat zu einer Zeit, in der kein Etat mehr auf festen Füßen steht, in der die unabweisbarsten Staatsausgaben diktatorisch gekürzt oder überhaupt völlig gestrichen werden, solche Summen aufbringt. Er tut es nicht, wie manche meinen, um den Einfluss des Staates auf die Privatwirtschaft zu vergrößern (die Tendenz geht jetzt eher in umgekehrter Richtung), und noch verkehrter wäre es, zu glauben, diese Sanierung durch Staat und Reich sei schon der Beginn einer Art Sozialisierung des Kreditwesens. Was sich gegenwärtig im Bankgewerbe entwickelt, ist allenfalls eine – noch dazu höchst fragwürdige – Form von Staatskapitalismus, der keinesfalls Sozialismus ist. Eine Staatssubvention für sanierungsbedürftige Großbanken hat mit Sozialisierung nicht das Mindeste zu tun; es handelt sich hier lediglich um die bekannte «Sozialisierung des Verlustes», also um Inanspruchnahme öffentlicher Gelder (Steuergelder) für die fehlgegangenen Spekulationen der sogenannten Wirtschaftsführer. Auch das ist eine Erscheinung, die nicht erst von heute datiert; in seinen Betrachtungen über die Staatsschulden weist Marx darauf hin, dass diese Schulden «der einzige Teil des sogenannten Nationalreichtums» sei, der wirklich in den Gesamtbesitz des Volkes eingehe, und er erinnerte an die Bemerkung von William Cobbett. der feststellte, dass man in England alle öffentlichen Anstalten als «königliche» bezeichne, jedoch die öffentliche Schuld nicht als «königliche», sondern als «National-SchuId! Wie es mit der Staatsschuld ist, so verhält es sich auch mit der privaten Finanzwirtschaft: die «öffentliche Hand» darf eingreifen. sobald sich Schwierigkeiten einstellen – vorher ist jede Mitwirkung des Staates als unzulässiges und wirtschaftsfeindliches «Sozialisierungsexperiment» höflichst verbeten.

Die Schwierigkeiten im Kreditapparat des Deutschen Reiches – und übrigens auch des Auslandes – sind Teilerscheinungen der Wirtschaftskrise überhaupt, allerdings Teilerscheinungen von zentraler Bedeutung. Die Sanierungsmaßnahmen sind – im Sinne des Kapitalismus – gut gemeint, aber es hat sich bereits gezeigt und wird sich weiter zeigen, dass sie dem Kreditwesen auf die Dauer nicht zur Gesundung verhelfen können. Auch auf diesem Gebiet der Wirtschaft handelt es sich nur um eine Atempause, die je nach dem politischen und ökonomischen Kräfteverhältnis kurz oder lang sein kann. Eine endgültige Überwindung der Kreditkrise im kapitalistischen Rahmen ist nicht mehr möglich; allein die Ablösung des kapitalistischen Wirtschaftssystems durch den Sozialismus vermag die Probleme zu entwirren.

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