Rudolf Hartwig 19320400 Der Zusammenbruch des Kreuger-Konzerns

Rudolf Hartwig: Der Zusammenbruch des Kreuger-Konzerns

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 2. Jahrgang Nr. 7 (Anfang April 1932), S. 8 f.]

Am Sonnabend, den 12. März, machte der schwedische Finanzmagnat Ivar Kreuger in Paris seinem Leben durch einen Schuss ins Herz ein Ende. Die Nachricht von dem Selbstmord wirkte auf die kapitalistische Welt alarmierend. Man befürchtete das Schlimmste. Am folgenden Montag wurde die Stockholmer Börse geschlossen, da man katastrophale Kursstürze der Kreuger-Werte befürchtete. Rasch wurden beruhigende Meldungen ausgegeben; mit dem Schweden-Trust, hieß es, stehe es nicht so schlimm, wie der Selbstmord Kreugers vermuten lasse; die Tat könne aus privaten Anlässen, die mit dem Geschäft nichts zu tun hätten, geschehen sein. Einige geschwätzige Boulevardblätter verbreiteten sogar die Nachricht, dass nur eine unglückliche Liebe zu Greta Garbo schuld an allem sei.

Inzwischen hat es sich herausgestellt, dass die Lage .des Konzerns nahezu hoffnungslos ist. Der sechsköpfige Untersuchungsausschuss, der sich mit der Krise des Trusts zu befassen hatte, gab dieser Tage eine kurze Erklärung heraus, dass die Lage des Konzerns nicht mehr haltbar sei und dass von der Krise des Konzerns höchst weitreichende Auswirkungen zu befürchten seien. Diese Befürchtung hat sich bereits in ungeahntem Maß bestätigt. Fast täglich kann man im Handelsteil jeder Zeitung von Schwierigkeiten bei Unternehmungen lesen, die mittelbar oder unmittelbar in Verbindung mit dem Kreuger-Konzern gestanden haben. Am 30. März berichteten die Zeitungen von neuen Kursstürzen an der Stockholmer Börse, die sowohl die internationalen wie die einheimischen schwedischen Papiere betrafen, deren manche bis zu 50% verloren. Mit andern Worten: der Zusammenbruch des Kreuger-Konzerns ist nicht mehr aufzuhalten.

Was ist hier vor sich gegangen? Ivar Kreuger war der Gründer und nahezu alleinige Inhaber der Stammfirma des Konzerns, der Firma Kreuger & Toll. Als junger Ingenieur war Kreuger mit hundert Dollar in der Tasche nach den Vereinigten Staaten gegangen, wo er sich in der Stahlbauindustrie bald einen Namen machte. 1907 gründete er gemeinsam mit Paul Toll die Baufirma Kreuger & Toll, die 1911 in eine Aktiengesellschaft mit einem Kapital von einer Million Kronen umgewandelt wurde. Bald wandte sich Kreuger vor allem der Zündholzindustrie zu, einem Geschäftsgebiet, auf dem er beispiellose Erfolge hatte. Der «Zündholzkönig» wurde allmählich eine internationale Berühmtheit; als «der reichste Junggeselle der Welt», als der Mann mit dem Jahreseinkommen von zwei Millionen Mark, als der Beherrscher einer Kapitalmacht von etwa vier Milliarden wurde er in Ufa-Wochenschauen und Ullstein-Unterhaltungsblättern immer wieder einer respektvoll erstaunten Mitwelt vorgeführt. Das Erstaunen schlug in Panik um. als man vernahm, dass der erst Zweiundfünfzigjährige Selbstmord verübt habe. Der Kapitalismus, so schien es, hatte hier einen Schlag bekommen.

Natürlich kennzeichnet der Zusammenbruch des Kreuger-Konzerns die tiefe Krise des Nachkriegskapitalismus. Aber diese Feststellung genügt nicht; es bleibt zu untersuchen, welche Ursachen im Besonderen dieser neueste Konzern-Zusammenbruch hat. Zweifellos war der Schwedentrust ein an sich gut fundiertes und umsichtig aufgebautes Unternehmen, in seinem Typ nicht zu verwechseln mit jenen Inflationskonzernen der Nachkriegszeit, die entstanden waren aus planlosen Zusammenkaufen alles dessen, was gerade der Markt zu bieten hatte, und die deshalb sofort zusammenfielen, als sie ihre erste Prüfung als organisch aufgebaute Wirtschaftseinheit (die sie eben niemals waren!) hätten ablegen müssen (in Deutschland z. B. der Stinnes-Konzern). Andererseits gehörte die Firma Kreuger & Toll auch nicht zu dem Konzern-Typ, wie ihn in Deutschland etwa die I. G.-Farben darstellen: ein im Wesentlichen produzierender Konzern. Der Schwedentrust war in erster Linie ein Finanz-Unternehmen. das zwar außer in der Zündholz-Industrie noch in der Papier- und Zellstoff-Industrie, in der Elektro- und Kugellager-Industrie und in der europäischen Erzproduktion eine führende Stellung innehatte, aber darüber hinaus eine Finanzierungsgesellschaft ganz großen Stils darstellte. (Diese Kennzeichnung der Konzerne hat nichts zu tun mit der nationalsozialistischen Unterscheidung zwischen «raffendem» und «schaffendem» Kapital, die. heute, im Zeitalter des Finanzkapitals, nichts weiter als ein Witz ist; darüber bei anderer Gelegenheit mehr.) Ivar Kreuger war der Kreditgeber halb Europas. Dadurch war sein Konzern noch inniger mit dem politischen Geschick der kapitalistischen Staaten verbunden, als es ohnehin jede kapitalistische Unternehmung ist.

Die Verbindung von industriellen mit staatsfinanziellen Geschäften war das besondere Kennzeichen des Kreuger-Konzern; in dieser Verbindung finden wir die Erklärung der unvergleichlichen Erfolge Ivar Kreugers und auch die Erklärung der nun eingetretenen Katastrophe.

Zu einer Zeit, als im Ausland das Vertrauen zur deutschen Mark noch recht gering war, stillte der mächtigste Konzerninhaber der Welt den deutschen Kredithunger durch Hergabe eines Vorschusses von über 500 Millionen Mark auf das deutsche Zündholzmonopol. Griechenland, Jugoslawien, Ungarn, die westlichen Randstaaten der Sowjetunion – sie alle gehörten zu der immer noch wachsenden Gruppe der Schuldner des schwedischen Finanzmagnaten. In der Geschichte der kapitalistischen Staaten ist es keine Seltenheit, dass große Geldleute (wie beispielsweise die Rothschilds!) die Rolle des Kreditgebers übernehmen. Was jedoch Kreuger machte, war mehr: er gab Kredite und sicherte sich zu­gleich das Monopol auf bestimmte Industrien (z. B. die Zündholzindustrie). wodurch er eine weit stärkere Posi­tion dem vertragschließenden Staat gegenüber gewann, als irgendein Bankier, der möglicherweise früher oder später einmal entbehrlich wird. So wurde Ivar Kreuger zum gleichberechtigten Partner seiner Staaten; Wirt­schaft und Staat – zwei Mächte, die nach bürgerlicher Behauptung von einander unabhängig sind – verhandel­ten auf völlig gleicher Ebene, politische Interessen wurden gegen Kredite verhandelt, und die bürgerliche Theorie von der «Souveränität» des Staates wurde wieder einmal in an­schaulicher Weisen Lügen gestraft. Wenn die westlichen Randstaaten Russlands dem Schwedentrust mit 400 Millio­nen Kronen verpflichtet sind, so dürfte es einleuchten, dass der Inhaber dieses Trusts nicht uninteressiert sein kann an dem politischen Schicksal dieser Staaten, dass er ihre politische Haltung in seinem – also selbstverständ­lich antisowjetistischen – Sinn beeinflusste.

Ohne Frage stellte diese Art der Konzern-Idee, wie Ivar Kreuger sie verwirklicht hat, einen Höhepunkt kapi­talistischer Finanzpolitik dar.

Diese Finanzpolitik musste freilich in dem Augen­blick zusammenbrechen, als die Basis, von der sie aus­ging: die wirtschaftliche und politische Stabilität der ein­zelnen Staaten mehr und mehr zu wanken begann.

Nachdem die Weltkrise eine immer größere Ausdeh­nung und eine immer bedrohlichere Schärfe annahm, bestand an den internationalen Börsen eine Möglichkeit der Refinanzierung für die Staatsanleihen, deren Besitzer Ivar Kreuger war, nicht mehr. Dieser Umstand war es, der dem Schwedentrust den Todesstoß versetzte. Schon gegen Ende des Jahres 1931 wollten die Gerüchte über Schwierigkeiten bei Kreuger & Toll nicht verstummen; wie das zu sein pflegt, wurden die Gerüchte dementiert. Der Pistolenschuss in Paris war dann ein genügend deut­liches Signal, um die kapitalistische Welt über den wah­ren Zustand des Mammutkonzerns zu informieren. Die Beschwichtigungsversuche blieben freilich, wie schon erwähnt, auch hiernach nicht aus, doch erklärlicherweise war ihnen nur ein dürftiger Erfolg beschieden. Heute erörtert man schon offen die Notwendigkeiten einer Liqui­dation des Konzerns, und ein polnisches Regierungsblatt spricht sogar von der Unvermeidlichkeit der Bankrott­erklärung des Konzerns in Polen durch die polnische Regierung, wenn Kreuger & Toll auf Grund ihres Anleihe-Vertrages mit Polen die letzten beiden noch fälli­gen Raten in Höhe von 20 Millionen Dollar nicht zahlen.

Das schon längst defekte System der kapitalistischen Wirtschaft ist also wieder einmal in einer seiner zentral­sten Positionen erschüttert worden. Es ist müßig, Be­trachtungen darüber anzustellen, ob ein Stoß wie dieser in seinen weiteren Auswirkungen vielleicht schon den Todesstoß bedeutet oder nicht; die Tageszeitungen aller Schattierungen haben bereits Gelegenheit genommen, sich in dieser Hinsicht je nach Partei und Neigung ora­kelnd zu betätigen. Auch mit jenen Zeitungen wollen wir hier nicht in Wettbewerb treten, die entweder das – persönlich sicherlich tragische – Schicksal des Zünd­holzkönigs sentimental verklären oder aber den toten Finanzmagnaten als den schwarzen Mann des Kapitalismus anklagen, der sich hyänenartig über den schon zer­setzten Leib Europas und vor allem über das europäische Proletariat hermacht. Weder verklären noch anklagen ist unsere Aufgabe; als Marxisten haben wir in erster Linie die Pflicht, festzustellen und zu ändern, die Zu­stände zu erkennen und den Weg zu ihrer Überwindung zu weisen. Dieser Ausweg liegt natürlich keineswegs in der «nationalen Wirtschaft», die «Der Angriff» in Ver­bindung mit der Mahnung, Hitler zu wählen, seinen Abonnenten anlässlich des Kreuger-Zusammenbruches empfahl, und diesen Ausweg zeigte auch nicht der kom­munistische Leitartikler in Münzenbergs Abendblatt, der auf den Sozialismus Stalins hinwies, dessen Aufbau – na­türlich «in stürmischem Tempo»! sich gegenwärtig in den nationalen Grenzen der Sowjetunion vollziehe. (Ist es ein Zufall, dass der Kommentar der «Welt am Abend» eine so verdächtige Ähnlichkeit hat mit dem des Hitler-Organs....?) Eine nationale Wirtschaft – und sei sie an sich «sozialistisch» – kann die Fragen der international verflochtenen Wirtschaft, der Weltwirtschaft, nie­mals lösen; allein die sozialistische Wirtschaft auf inter­nationaler Grundlage, also nicht der «Sozialismus in einem Lande», sondern das marxistische Wirtschafts­system vermag den Kapitalismus mitsamt der Not, die er über seine großen und kleinen Opfer bringt, endgültig zu überwinden.

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