«Anglius» 19320416 England gibt den Freihandel auf

«Anglius»: England gibt den Freihandel auf

Brief eines englischen Kommunisten

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 2. Jahrgang Nr. 8 (Mitte April 1932), S. 4]

Heute um Mitternacht hört in England formell der Freihan­del auf. Die Zölle, die seit langem von den Arbeitgebern ge­fordert wurden, treten in Wirksamkeit. Unter den politischen Parteien der Arbeitgeber herrscht Freude über diese Kriegs­erklärung an die übrige Handelswelt. Nur bei den letzten Überresten des Liberalismus merkt man leichte Tränen. Der «Manchester Guardian», das liberal-demokratische Blatt, er­klärt: «Niemand kann mit Bestimmtheit angeben, wo sich unser Zollsystem nach einem Jahr befinden wird. Alle unsere Außenhandelsverbindungen sind durcheinander geworfen. Die Geschäftswelt hängt in Zukunft nicht mehr nur von ihrer Intelligenz, ihrer Konkurrenzfähigkeit und Anpassungsfähigkeit ab, sondern muss eine weitere wichtige Eigenschaft hinzufügen – die Fähigkeit, politische Fäden zu entwirren».

Der «Manchester Guardian» kann gut trauern: 75 Jahre lang war England ein Freihandel-Land. Der Übergang zu den Methoden des Zollkampfes bezeichnet seinen Eintritt in ein akuteres Stadium des Kampfes um den Weltmarkt. Dass es ein hoffnungsloser Kampf ist, braucht hier nicht bewiesen zu werden: In der Periode des Imperialismus kann ein derartiger Kampf nur so enden, dass der ökonomische Kampf in einen bewaffneten Kampf um den Weltmarkt umgewandelt wird.

Ausplünderung der Arbeiter.

Aber für England sind Zölle keinesfalls entscheidende Waffen im Handelskampf. England ist ein Exportland und abhängig von der Verkaufskraft auf dem Weltmarkt. Zölle sollen in England nicht dazu dienen, den Innenmarkt zu ent­wickeln. sondern dienen zur Subsidierung der Exportgüter. Dadurch, dass die Arbeiter hohe Preise zahlen, sollen die eng­lischen Waren weiter auf dem Weltmarkt verbilligt werden.

Nebenher geht der Angriff auf die Löhne. «Um zu leben», so rufen die Arbeitgeber, «müssen wir die Produktionskosten vermindern: wir können das nur erreichen durch Lohnsen­kungen.» Während der letzten sechs Monate wurden die Baumwollarbeiter, Dockarbeiter, viele Wollarbeiter und Bau­arbeiter gezwungen. Lohnsenkungen anzunehmen. Jetzt sind die Eisenbahnarbeiter, die Omnibus- und Straßenbahnschaffner bedroht. Tausende von Arbeitslosen wurden seit Beginn des Jahres vollständig der Unterstützung beraubt, und noch mehr erhielten die Unterstützung reduziert. Dazu kommt, dass erst letzten November die Unterstützung bei annähernd drei Millionen Erwerbslosen gekürzt wurde. Überall verschlech­tern sich die Bedingungen der Arbeiter. Trotzdem hat sich bis jetzt keine maßgebende Gegenbewegung ausgebildet. Schuld ist zum Teil die Kommunistische Partei, die es nicht versteht. die Unterstützung der Massen für den revolutionären Kampf zu gewinnen.

Die Führer der Trade-Unions sind hier überall einzig da­mit beschäftigt, Streiks zu vermeiden: für die Reformisten be­deuten Schwierigkeiten des Kapitalismus: Hinnahme von Lohnsenkungen. Die Labour Party sitzt in ihrer vermin­derten Zahl im Unterhaus und wartet auf den Ausschlag des Pendels, der sie, wie sie hoffen, wieder ins Amt einsetzt. Der linke Flügel der Labour-Bewegung. die Unabhängige Labour Party predigt die Zwecklosigkeit betrieblicher Aktionen und ist mit ihrer Stellungnahme zur Labour Party beschäftigt. Die Kommunistische Partei, die im vergangenen September, als die Labour-Regierung stürzte, die Gelegenheit vorübergehen ließ, ist bemüht, sich von ihrer eigenen Kraft zu überzeugen, unter Bedingungen, die ihre eigene Schwäche nur zu klar aufzeigen.

In der Unabhängigen Labour Party rebellieren die jüngeren Mitglieder gegen die reformistische Politik ihrer Führer und unterirdische Bewegungen entfalten sich, die versuchen, die Führer und mit ihnen die Politik der Organisation zu ändern. Ebenfalls bezeichnend für die Tiefe der Krise in England ist die veränderte Perspektive der Intelligenz. In England ist es nicht häufig dass Literaten sich links orientieren. Eine ganze Gruppe erklärt sich jetzt für den «revolutionären Marxismus», und da die Partei niemals ihre Aufgabe erfüllte, den Marxismus in England ideologisch zu fundieren, bleibt der revolutionäre Marxismus unkorrigiert und wächst die ideologische Verwirrung unter der Jugend.

Bis jetzt aber wurde nur die Oberfläche im Bewusstsein der Arbeiter von der Krise berührt: es fehlt noch eine bewusste Wendung zum revolutionären Kampf.

Die Partei und die Internationale.

Als die Massen aufgerührt waren, als Tausende von Arbeitern sich in Massendemonstrationen gegen die Nationalregierung wandten, ließ die Partei durch zaudernde und halb reformistische Politik diese letzte Gelegenheit seit dem Generalstreik wirklichen Einfluss in den Arbeitermassen zu gewinnen, vorübergehen. Jetzt versucht sie im Eiltempo vorzustoßen, wo sie langsam vorgehen sollte: ich meine, die Zeit, kühn und rasch vorzugehen, war während der September-Oktoberkrise, als die Massen aufgewühlt und außerordentlich zugänglich für revolutionäre Propaganda waren. Jetzt wo die Bewegung abgeblitzt, und wo die Arbeiter nur mit Schwierigkeit zum Kampf zu bringen sind, sollte die Partei versuchen, ihre geringen Gewinne zu erhalten, sie sollte die zweitausend neuer Mitglieder halten und das Verständnis der Arbeiter entwickeln durch sorgfältige und geduldige Propaganda. Sie sollte versuchen, die Arbeiterfront gegen die Ausbeuter zu errichten, indem sie sie für ein Verständnis der Lage gewinnt. Statt dessen behandelt sie jeden kleinen Streik so, als ob es ein revolutionärer Krieg wäre: während sie im letzten Jahr fürchtete, kühn zu sprechen, versucht sie jetzt durch gewohnheitsmäßige Übertreibung aufzuholen.

Das ZK hat eben eine Resolution erlassen, die von der Komintern gebilligt, wenn nicht tatsächlich veranlasst wurde. Diese Politik legt die Aufgaben der Partei in üblicher Weise dar. Sie enthält einige bedeutsame Zugeständnisse und ist eine Verurteilung gewisser Züge der Parteipolitik des letzten Jahres, aber sie enthält auch eine wesentliche Lücke. Indem sie die Linie für die nächsten Monate festlegt, erwähnt die Resolution in keiner Weise die internationale Situation. Deutschland und seine Bedeutung in ganz Europa wird ignoriert. Die Situation im Fernen Osten ist ebenfalls nicht in den Gesichtskreis der Komintern gekommen.

Eine schärfere Verurteilung der Resolution einer revolutionären Partei als die Tatsache, dass die Hauptfaktoren der Weltsituation vernachlässigt werden, ist nicht möglich.

Die englische Gruppe der Linksopposition wurde jetzt ge­bildet und wird bald die erste Nummer ihrer Zeitung herausgeben. Die Gruppe besteht aus Parteimitgliedern und versucht gegenwärtig, innerhalb der Partei zw arbeiten. Von ihrer Aktivität hoffen wir bald berichten zu können.

«Anglius»

Kommentare