Permanente Revolution: Wendung nach den Preußenwahlen? [Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 2. Jahrgang Nr. 9 (Anfang Mai 1932), S. 7 f.] Während sich die Sonderausgabe der «R. F.» vom Montag den 25. April 1932 darauf beschränkte, das Wahlresultat vom Sonntag zu bringen und auch die Dienstag-Nummer der «R. F.» im Leitartikel bloß die Wahlergebnisse registriert ohne auszusprechen, was ist, hat augenscheinlich die offiziöse kommunistische Presse die Aufgabe bekommen, das Unangenehme, die Niederlagen und deren Umfang, festzustellen. Das ist in der »Welt am Abend» vom 25. April geschehen, die wir im Folgenden zitieren: «Vergleicht man die gestrigen Landtagswahlen in Preußen mit den letzten Landtagswahlen im Jahre 1928, so ergibt sich, dass die Kommunisten nahezu 600.000 Stimmen gewonnen haben. Die Sozialdemokraten haben ungefähr 800.000 Stimmen verloren, wobei die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) rund 80.000 Stimmen (und nicht ein Mandat) mühsam zusammenscharren konnte. Die bürgerlichen Parteien von der Staatspartei bis zur Deutschen Volkspartei sind nahezu aufgerieben … Die Deutschnationalen haben mehr als die Hälfte ihrer Stimmen, über 1½ Millionen, eingebüßt; jedoch ist es deutlich, dass sie aus ihrer rückläufigen Bewegung herausgekommen sind. Das Zentrum hat rund eine halbe Million Stimmen gewonnen. Die Nationalisten haben fast ihre gesamte Massengefolgschaft in der Zeit seit dem Jahre 1928 gesammelt, wie der Vergleich beweist. Sie sind die weitaus stärkste Partei geworden.» «Vergleicht man die gestrigen Landtagswahlen mit den letzten Reichstagswahlen (vom September 1930), so ergibt sich ein noch viel ungünstigeres Bild für die Arbeiterbewegung. Die Kommunisten haben mehr als 300.000 Stimmen eingebüßt. Ebenso die Sozialdemokraten. Diese mehr als 600.000 kommunistischen und sozialdemokratischen Wähler dürften hauptsächlich der Nazi-Front zugute gekommen sein. Das sei deutlich gesagt, nicht um zu entmutigen, sondern um zum schärfsten Kampf gegen die sichtbare Gefahr anzuspornen. Das Zentrum hat seit den Reichstagswahlen um mehr als 300.000 Stimmen gewonnen, hauptsächlich aus bürgerlich-liberalen Kreisen. Die sogenannte bürgerliche Mitte und auch die bürgerlichen Rechtsparteien befinden sich auf dem Aussterbeetat, wie die Entwicklung seit September 1930 noch stürmischer zeigt als vorher … Die Deutschnationalen haben insgesamt 400.000 Stimmen eingebüßt, während sie vorher bereits mehr als eine Million verloren hatten. Die Nationalsozialisten endlich haben sich seit den letzten Reichstagswahlen verdoppelt.» «Vergleicht man endlich das Ergebnis der preußischen Landtagswahlen mit den Reichspräsidentenwahlen – ein Vergleich, der darum nur mit Vorbehalt gemacht werden kann, weil die Präsidentenwahlen einen anderen Charakter hatten – so ergibt sich vor allem für die proletarische Bewegung die Tatsache, dass die Kommunisten die schweren Verluste der zweiten Reichspräsidentenwahl zwar teilweise aufgeholt haben, jedoch das erste Ergebnis der Präsidentenwahl nicht einholen, geschweige überholen konnten.» «Von entscheidender Bedeutung ist es, wie sich der Kernpunkt des politischen und industriellen Lebens in Deutschland, Groß-Berlin, am gestrigen Wahltag entschieden hat… Indessen ist festzustellen, dass auch in Berlin die Kommunisten seit der Reichstagswahl 90.000 Stimmen eingebüßt haben, während die Sozialdemokraten last 60.000 gewonnen haben.» Selbst der böswilligste Bürokrat wird die «Welt am Abend» keiner «trotzkistischen Verleumdung» verdächtigen können. Die Tatsachen, die aus dem Wahlergebnis zum preußischen Landtag hervorgehen, sind wahrhaft erschütternd. Z. B. hat die SPD seit 1930, d. h. seit dem verschärften Notverordnungskurs, für den auch sie die volle Mitverantwortung trägt, in Berlin 60.000 Stimmen wieder zurückgewinnen können, während die KPD 90.000 Stimmen verloren bat. In Hamburg verlor die Partei fast 50.000 gegenüber 1931, die SPD nimmt zu um 12.000 Stimmen. Von der ersten Stelle rutschte die KPD in Berlin auf die dritte hinab. In den wichtigsten Industriezentren sehen wir den gleichen Rückgang der kommunistischen Wähler. Nur im Süden Deutschlands, vor allem im agrarischen Bayern, hat die Partei Erfolge aufzuweisen. Die Nazis gehen als stärkste Partei aus diesen Wahlen hervor und ihre Stimmenzahlen beweisen, dass die faschistische Welle noch immer nicht gebrochen ist. Wohin die Thälmann-Remmele-Neumann-Führung die Partei gebracht hat, liegt heute für jeden Parteigenossen klar zu Tage. Die Kritik der Linken Opposition hat durch die Ereignisse der letzten Wochen und Monate eine Rechtfertigung und Bestätigung erhalten, wie sie umfassender und schneller gar nicht kommen konnte. Die kritische, entscheidende Phase des Kampfes ist herangerückt, wie wir dies in der letzten Nummer der «P. R.» voraussagten. Innerhalb der Partei hat die Missstimmung der Mitglieder einen Umfang und Charakter angenommen, die die Führung zu einer mehr oder minder radikalen Wendung zwingt. Die Wendung steht auf der Tagesordnung. Darüber ist sich das ZK klar, was der am 26. April auf der ersten Seite der «R. F.» veröffentlichte Aufruf des ZK und der RGO «An alle deutschen Arbeiter!» beweist. Die Wendung steht auf der Tagesordnung, ja sie ist bereits im Gange. Wichtig ist nur: Welche Wendung ist die Partei im Begriffe zu vollziehen! Früher geschah eine solche sowohl für die Partei als auch für die Komintern bedeutungsvolle politische Aktion nicht ohne öffentliche Stellungnahme des EKKI. Eine solche liegt nicht vor, wohl aber ein Leitartikel der «Prawda», veröffentlicht von der «R. F.» am 27. April, von dem man wohl annehmen kann, dass er die offizielle Ansicht der entscheidenden Kominternkreise wiedergibt. «Die Ergebnisse der preußischen Landtagswahlen lassen jene eigenartige Lage deutlich erkennen, in der sich jetzt Deutschland befindet, und wie es angesichts der äußerst zugespitzten Wirtschaftskrise der Sozialdemokratie gelungen ist, die Aufmerksamkeit der Massen vom direkten offenen Kampf gegen den Kapitalismus auf den Frieden von Versailles und auf das nationale Joch, das auf Deutschland lastet, abzulenken und diese Ablenkung für die Festigung ihrer Diktatur auszunutzen. Hierin besteht die Eigenart der gegenwärtigen politischen Entwicklung in Deutschland, die die letzten Wahlen deutlich aufgezeigt haben.» (Aus der «Prawda». Die Red.) Die Schilderung der Lage ist richtig. Wir gestatten uns nur darauf hinzuweisen, dass für das «nationale und soziale Befreiungsprogramm» der KPD, für das auch das EKKI verantwortlich ist, die Ablenkungsaktion der deutschen Bourgeoisie gefördert wurde. Richtig wäre es nun, nachdem die Folgen schon mit Händen greifbar sind, mit diesem «Befreiungsprogramm endlich Schluss zu machen. Weit gefehlt! Nachdem die «Prawda» noch feststellte, was die KPD alles nicht «verstanden» hat durchzuführen, empfiehlt sie: «Die Kommunistische Partei wird aus diesen Wahlen den Schluss ziehen, dass sie mit aller Kraft ihre Arbeit zur Kampfmobilisierung der Massen gegen die Kapitalsoffensive, gegen den Angriff des Faschismus, zur Entfaltung ihres Programms der sozialen und nationalen Befreiung des deutschen Volkes verbessern muss.» Da darf es nicht Wunder nehmen, wenn die Katastrophenlinie vergröbert wird, was der folgende Absatz zeigt, den die «R. F.» sogar fett gedruckt bringt: «Es ist keine Veranlassung zu glauben, dass die jetzige Verzögerung des Wachstums der revolutionären Kräfte des deutschen Proletariats eine lange sein wird. Die ganze Lage zeigt, dass eine neue Wendung der breiten Massen zur Kommunistischen Partei sehr schnell eintreten kann. Die Kommunisten müssen alle Kräfte aufbieten, um diese Wendung zu beschleunigen.» (Aus der «Prawda»), Also: nicht die Partei, sondern die Massen haben sich zu wenden!!! Die einzige Logik, die aus einer solchen Auffassung hervorgeht, denn danach hätte die KPD an ihrer bisherigen «Linie» festzuhalten. Den Gipfelpunkt der Verwirrung erreicht aber die «Prawda» mit folgenden Zeilen: «Ferner verstärkt sich die Gefahr, dass die deutschen Faschisten versuchen werden, ihre Wahlerfolge durch Gewaltakte zu befestigen, um die Hindernisse für die rasche offene Diktatur zu beseitigen. Im Kampf gegen die Durchführung der faschistischen Diktatur identifiziert die Kommunistische Partei Deutschlands nicht etwa die Nationalsozialisten und die Sozialdemokraten, obwohl diese wie jene die faschistische Diktatur, wenn auch mit verschiedenen Methoden, durchführen. Die Kommunistische Partei nutzt jene Differenzen aus, die zwischen diesen beiden Organisationen der Bourgeoisie bestehen, wenngleich diese Meinungsverschiedenheiten vom prinzipiellen Standpunkt aus unbedeutend und nicht von entscheidender Natur sind.» Die Linie des EKKI, eine abweichende Meinung ist doch nicht denkbar in der «Prawda», ist also: das «nationale und soziale Befreiungsprogramm» ist beizubehalten und die Wendung der Massen zu erwarten. Und, wie das letzte Zitat beweist, die «Theorie des Sozialfaschismus» ist richtig, aber im Kampfe gegen die Durchführung der faschistischen Diktatur kann man die Sozialdemokratie nicht identifizieren mit den Nazis, trotzdem beide die faschistische Diktatur durchführen. Höher geht's nimmer! Dass also vom EKKI eine richtige Wendung kommt ist nach dieser Kraftleistung der «Prawda» nicht zu erwarten. Die ganze Wendung, die die Lage erfordert, wird erst dann vorgenommen werden, wenn sie von den Mitgliedermassen erzwungen wird. Unter dem Druck der Ereignisse und der Parteistimmung hat das ZK der KPD bereits die ersten Schritte, aber auch nur die ersten, denen die weiteren folgen müssen, unternommen. Im Aufrufe vom 26. April spricht das ZK aus: «Wir sind bereit, mit jeder Organisation, in der Arbeiter vereinigt sind, und die wirklich den Kampf gegen Lohn- und Unterstützungsabbau führen will, gemeinsam zu kämpfen.» Wohlgemerkt: mit jeder Organisation ist man bereit zu kämpfen, lautet es heute. Noch vor weniger Wochen beschimpfte Münzenberg dieselbe Auffassung des Genossen Trotzki und der Linken Opposition als konterrevolutionär-faschistisch. Heute ist die «R. F.» bereits gezwungen (Leiter vom 26. April) zu schreiben: «Es kommt jetzt darauf an, die ganze Klassenkraft der Arbeiter und aller Werktätigen zum Kampf in der roten Einheitsfront zusammenzufassen, um wieder zur Offensive gegen die Kapitalsdiktatur überzugehen und den Faschismus zu schlagen.» «Wir veröffentlichen heute an der Spitze unseres Blattes einen Aufruf des Zentralkomitee und des Reichskomitees der RGO, in dem sich Partei und RGO bereiterklären, mit allen, unteren Gewerkschaftsfunktionären und Betriebsratsmitgliedern, mit allen Organisationen, die ehrlich gegen den Lohnabbau kämpfen wollen, gemeinsame Kampfmaßnahmen im betrieblichen Kampfe für die Arbeiterforderungen durchzuführen» «Bei schärfstem prinzipiellen Kampf gegen die Regierung Braun-Severing, gegen ihre Politik der Notverordnungsdiktatur und ihr Wegbereitertum für Hitler, stehen wir Kommunisten in Todfeindschaft dem blutigen Hitlerfaschismus gegenüber. Wir werden alles tun, um mit Hilfe der proletarischen Klassenkraft ihm den Weg zur Regierungsmacht zu versperren, seinen Terror zu brechen und ihn durch den neuen roten Vormarsch der Arbeiterklasse entscheidend zu schlagen.» Das sind nur die ersten Schritte auf dem Wege, den die Linke Opposition seit langem vorschlug. Bis jetzt nur Worte, Aufrufe. Wirkliche Aktionen müssen folgen. Die KP muss eine revolutionäre Perspektive bekommen. Sie wurde geschlagen, eben weil sie keine hatte. Konkret müssen die Aufgaben des Tages gestellt werden. «Man muss der Sozialdemokratie den Block gegen die Faschisten aufzwingen» Das ist die Lehre der Preußenwahl. Wir begrüßen jeden Schritt auf dem Wege einer leninistischen Einheitsfrontpolitik und fordern alle Parteimitglieder auf, den halben Schritt des ZK in einen ganzen zu verwandeln. Parteigenossen fordert, von Worten und Aufrufen zu wirklichen Aktionen überzugehen. |
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