f.-: Notverordnungen [Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 1. Jahrgang Nr. 1 (Juli 1931), S. 1 f.] Die Brüningregierung hat eine neue Notverordnung erlassen. Jede Notverordnung dieser Regierung führt zu einer weiteren Verschlechterung der Lage der werktätigen Massen. Die Leistungen der Erwerbslosenversicherung und der Krisenfürsorge werden weiter gekürzt. Den Jugendlichen unter 21 Jahren wird fortan jede Unterstützung entzogen. Die Unterstützungsdauer der Saisonarbeiter verkürzt, die Unterstützungssätze herabgesetzt. Eine Krisenlohnsteuer für alle Lohnempfänger wird als Extra-Steuer eingeführt. Die freiwillige Arbeitsdienstpflicht, die nichts anderes als Zwangsarbeit bedeutet, wurde zum Gesetz erhoben. Der Agrarzollwucher bleibt unberührt, der Zucker weiter verteuert. Die Gehälter der unteren und mittleren Beamten gekürzt, dagegen bleiben die hohen Pensionen unverändert. Den Kriegsrentnern, den Ärmsten der Werktätigen, wird wieder die Unterstützung gekürzt. Noch andere Bestimmungen, die für die Ausgebeuteten weitere Lasten bedeuten, enthält diese Notverordnung. Mit der ohnehin nur spärlich verbliebenen kommunalen Selbstverwaltung wird aufgeräumt. Die Politik der deutschen Bourgeoisie ist unverhüllt. Ohne jegliche demokratische Hemmungen setzt sie ihre Raubpolitik gegenüber dem Proletariat fort. Das Defizit des Reiches soll ausschließlich von den Werktätigen getragen werden, die Bourgeoisie muss aber in derselben Zeit ihre Profite steigern. Was ist nun der wirkliche Sinn dieser Verordnungen? Die deutsche Bourgeoisie ist bestrebt, mit allen Mitteln die noch verbliebenen Positionen der Arbeiterklasse zu vernichten und sie vollständig zu unterdrücken. Die Verwirklichung dieses Zieles ist dem Faschismus übertragen. Aber neben dem Faschismus bleibt noch immer der Bourgeoisie die Möglichkeit, mit Hilfe der Brüningregierung, die von der Sozialdemokratie unterstützt wird, ihren Plan zu verwirklichen, Dieser Weg kann nicht von so gefährlichen Erschütterungen begleitet sein, wir im Falle eines faschistischen Aufstandes. Der Weg Brünings ist noch immer der sicherste. Er nimmt nicht der Arbeiterklasse alle ihre politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Rechte mit einem Male. Den sozialdemokratischen Führern wird durch diese Taktik der Bourgeoisie ermöglicht ihren Verrat nicht allein an den historischen Interessen der Arbeiterklasse, sondern auch an ihren Tagesinteressen ohne große Störungen fortzusetzen. Auf diesem Wege ist es leichter, den Massen einzureden, dass aus Gründen der Not die Verordnungen gemacht werden müssen. Bei Bekanntmachung jeder Notverordnung protestieren die Arbeiter nur, sie rebellieren aber vorläufig noch nickt. In jeder Notverordnung ist der Hauptpfeil gegen die Erwerbslosenunterstützung gerichtet. Wird es nur aus Gründen der Not, aus Sparsamkeit gemacht? Ist das wirklich der Hauptgrund? Die Bourgeoisie ist sich darüber im Klaren, dass dank der Organisierung der Arbeiterklasse ihrer Ausbeutungspolitik gewisse Grenzen gesetzt sind. Die Erfahrungen der früheren und letzten Wirtschaftskämpfe haben gezeigt, dass wohl der Verrat der reformistischen Bürokratie unaufhörlich ist, gleichzeitig aber dass ungeachtet der allgemein schlechten wirtschaftlichen Lage und der gewaltigen Arbeitslosigkeit keine oder fast keine Streikbrecher auftraten. Um aber 30% oder 40% Lohnabbau zu erreichen, braucht aber die Bourgeoisie die Unterstützung von Streikbrechergarden. Die Industriellen wissen, dass die reformistische Bürokratie, die auch zukünftig die Streiks verraten wird, dann noch bessere Argumente haben wird, um die Arbeiter vom Kampf zurückzuhalten. Durch den Abbau der Erwerbslosenunterstützung hofft die Bourgeoisie, gewisse Teile der Arbeiterklasse zu demoralisieren und zu desorganisieren, sie zu einem Reservoir des Streikbrechertums für die Zukunft zu machen, Da die jugendlichen Arbeiter unter 22 Jahren noch nicht die Möglichkeit hatten, sich durch politische und gewerkschaftliche Erziehung ein gefestigtes Klassenbewusstsein zu verschaffen, da sie noch über sehr wenig Kampftraditionen verfügen, glaubt die Bourgeoisie, sie eher für ihre Politik einspannen zu können. Den Jungen werden die Alten folgen. Die nächste Notverordnung wird weiteren Kategorien die Unterstützung abbauen. Die Bourgeoisie will das Tariflohnsystem aufheben. Die jetzige Notverordnung macht dem freie Bahn. Das nennt die Bourgeoisie: «Wiederherstellung der Bewegungsfreiheit der Privatherrschaft» In Wirklichkeit soll damit die Einführung von Kuli-Löhnen in Deutschland erreicht werden. Die Arbeiterklasse braucht sich keine Illusionen über eine Änderung dieser Politik ohne Kampf zu machen. Die Politik der Bourgeoisie in dieser Frage ist gradlinig und zielbewusst. Das Ziel aller Notverordnungen ist, die noch vorhandene Kampffähigkeit der Arbeiterklasse zu vernichten, die Bedingungen für eine ungeheure Ausbeutungspolitik des Finanzkapitals zu schaffen. Wer noch glaubte, dass die Führer der SPD sich gegen die letzte Notverordnung auflehnen werden, wird sich eines Besseren belehrt haben. Die Wels, Crispien und Konsorten wollen keine weitere Zuspitzung der Klassengegensätze, sie wollen keinen Kampf. Wenn die Bourgeoisie noch heute den Bürgerkrieg fürchtet, so umso mehr die sozialdemokratischen Führer. Sie wissen, dass die Massen, einmal wieder in Bewegung gesetzt, nicht mehr an der Schwelle der «Demokratie» Halt machen, sondern über den Kadaver des Reformismus zur Diktatur des Proletariats schreiten werden, Um die eigenen Anhänger, die sich unter der Peitsche der Krise radikalisieren, vom Kampf gegen das heutige System abzuhalten, wird ihnen von Wels, Severing usw. die Gefahr eines faschistischen Umsturzes gemalt. Deshalb lieber die Brüningregierung, «das kleinere Übel». Und die Losung hat bis jetzt noch immer die SPD-Arbeiter an der Stange gehalten. In den Tagen der Krise der Brüningregierung helfen die SPD-Führer in ihrer Partei Gerüchte verbreiten, dass Brüning geht und durch eine Diktatur des Generals Schleicher abgelöst wird. Das war nötig, um ihren bevorstehenden neuen Verrat, Zustimmung zu der Notverordnung, vor den Mitgliedern zu rechtfertigen. Diese Politik werden die SPD-Führer auch weiterhin machen: um jeden Preis, so lange es möglich ist, das Proletariat vom Kampf zurückzuhalten. An diesem Punkt muss die Kraft unserer Partei ansetzen. Das Argument «vom kleineren Übel» muss zerstört werden. Solange den den SPD-Führern folgenden Arbeitern nicht klar gemacht wird, dass die Politik des kleineren Übels in der Wirklichkeit die Diktaturgelüste der deutschen Bourgeoisie stärkt und den Weg für den Sieg des Faschismus ebnet, ist keine Massenabwendung von der Partei des Verrats zu erwarten. Dem Proletariat muss klar werden, dass es sich nicht um Notverordnungen handelt, sondern um Diktaturmaßnahmen der deutschen Bourgeoisie gegen das Proletariat, um es rechtlos und ohne Einschränkung ausbeutungsfähig zu machen. Die politische Krise in Deutschland steuert weiteren Verschärfungen entgegen. Die Situation ist ernst und angesichts des Klassenverhältnisses schwierig. Mehr als je ist der Ausgang der nächsten Kämpfe vom Zustand der Partei des Proletariats, der Kommunistischen Partei abhängig. Mehr als je ist die Politik, die sie in der nächsten Zeit führen wird, entscheidend. Die Parteibürokratie wendet jetzt, unter dem Druck der Massen, aber diese Wendung genügt nicht. Sie ist eine Halbheit und bringt Verwirrung in den eigenen Reihen mit sich. Eine ehrliche, breite Diskussion über alle Fragen der Vergangenheit und der Gegenwart, eine tiefe und ernste Wendung kann und wird die radikalisierten und noch schwankenden SPD-Massen von der Aufrichtigkeit der Partei, ihrer Politik der Einheitsfront, überzeugen. Erst dann wird die Partei zur ausschlaggebenden Kraft der Klasse werden und sie zum Siege führen. Die Linke Opposition ist bereit, mit allen ihren Kräften eine solche Politik zu unterstützen. f.- |
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