Henri Lacroix 19310600 Die politische Lage in Spanien

Henri Lacroix: Die politische Lage in Spanien

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 1. Jahrgang Nr. 1 (Juli 1931), S. 11-12]

Nach zwei Monaten republikanischer Regierung

Es ist keine Frage, dass die Wahlen vom 12. April ein Willensausdruck des spanischen Volkes waren, welches der diktatorischen Regierungen überdrüssig geworden war. Ungeachtet der verschiedenen Hindernisse seitens der Regierung Aznar-Romanones und der letzten Faktoren, die die spanische Monarchie gestützt haben, um zu verhindern, dass das Volk seinen Willen zum Ausdruck brächte, ungeachtet des Stimmschachers haben die Massen in allen Ecken Spaniens den Republikanern und Sozialisten ihre Sympathie erklärt. Das bringt gleichzeitig die chaotische Situation zum Ausdruck, in der sich Spanien befindet.

Von einer spanischen Revolution kann man nicht gut sprechen, weil sie nicht da ist. Am 14. April hatte die Bourgeoisie die Macht den Republikanern und Sozialisten übergeben – aus Furcht vor dem Ausbruch einer revolutionären Bewegung der Arbeiter. Die Republikaner und Sozialisten haben die Macht aus den Händen der reaktionären Bourgeoisie selbst auf friedlichem Weg erhalten. Nichtsdestoweniger hat die Bevölkerung die Republik mit großer Begeisterung aufgenommen. 99% der Spanier waren am 15. April, dem national-republikanischen Feiertag, Republikaner, und wenn jemand von Kommunismus auch nur in vorsichtiger Weise sprach, so lief er Gefahr, von den Massen angegriffen und sogar getötet zu werden; man nannte ihn Monarchist, da die Kommunisten sogar noch heute als «Monarchisten» oder «Albananistas» (faschistische Gruppe) bezeichnet werden.

Wir befinden uns jedoch schon im zweiten Monat der republikanischen Herrschaft, und die Mentalität der Bevölkerung hat sich stark verändert. Die Regierung hat ihre Versprechungen, an den für die kritische Lage Spaniens Verantwortlichen ein Exempel zu statuieren, nicht gehalten, sie hat die Frage der Beziehungen zwischen Kirche und Staat nicht berührt, sie hat nicht einmal die Agrarfrage geregelt, die vordem so oft von den gegenwärtigen Machthabern in Diskussionen und Artikeln angeschnitten wurde, sie hat nichts zur Überwindung der wirtschaftlichen Krise unternommen. Die Arbeitslosigkeit wuchs von Tag zu Tag. Sogar als die Masse von selber erwachte und infolge der monarchistischen Provokationen überging zum Niederbrennen der Kirchen und Klöster, wagte sich die Regierung an die monarchistischen Provokateure, die wirklich Verantwortlichen für die Lage Spaniens, nicht heran. Die republikanische Regierung zeigte offen ihr wahres kleinbürgerliches und sogar reaktionäres Gesicht, indem sie streikende erwerbslose Arbeiter, die vor dem Entstehen der Republik die jetzigen Regierungsleute vereinigt hatten und nun eine Anwendung der revolutionären Politik verlangten, niederknüppelte.

Erst jetzt hat die wahre demokratische Revolution begonnen, mit dem Madrider Generalstreik vom 11. Mai, mit dem Niederbrennen der Klöster, mit einer Streikwelle, bei der es um ökonomische Tagesfragen der Arbeiter ging. Die breite Massen-Bewegung hat sich spontan geäußert, ohne dass sie vorher planmäßig organisiert worden wäre. Und hier machte sich das Fehlen einer kommunistischen Partei bemerkbar, die die Avantgarde des Proletariats darstellte. Die Bürokraten der offiziellen Partei sind dazu übergegangen, zu schreien, als hätten sie den Aufstand begonnen, so dass die mit dem Kommunismus sympathisierenden Massen erschrocken waren über die Lächerlichkeit der Anmaßungen der Führer ohne Armee, der spanischen Partei Stalins.

Der gegenwärtige Augenblick ist äußerst günstig und bietet zahlreiche glückliche Perspektiven für die Schaffung einer spanischen Partei. Eine soziale Revolution kann man nicht durchführen, ohne die nötigen Organe zu haben, welche die Revolution sichern, ja sogar ohne die Sowjet-Basis für die Revolution zu haben. Die Unzufriedenheit der Massen muss man ausnutzen, um hier eine kommunistische Partei zu organisieren, um eine Basis für die Sowjets zu schaffen: Arbeiter-, Bauern- und Soldaten-Juntas. Für die Stalinisten jedoch bestehen diese wichtigen Fragen gar nicht!

Die gegenwärtigen sozialen Kräfte im Spiegelbild der politischen Parteien

In der provisorischen Regierung sind die entscheidenden republikanischen Parteien vertreten, einschließlich der Sozialistischen Partei mit drei Ministern (Arbeit, Justiz, Finanzen). Man darf aber sagen, dass die am 14. April ausnahmslos Sachwalter des Kleinbürgertums waren, trotz der Existenz von 7 republikanischen Parteien. Die Sozialistische Partei war in der Regierung als die Partei der Arbeiterklasse. Eine der republikanischen Parteien (La Derecha Liberal Republicana), die Partei des Regierungspräsidenten Mr. Alcalá Zamora und des Innenministers Mr. Maura, repräsentierte niemanden. Nur einige alte liberale Monarchisten, Führer ohne Masse, Republikaner der Kirche, waren Mitglieder der Partei des Alcalá Zamora. Jetzt liegt die Sache ganz anders; die Partei des Alcalá Zamora setzt sich im Wesentlichen zusammen aus monarchistischen Kräften, Republikanern nach dem 15. April, von der liberalen Partei Albas. Selbst Chapaprieta, der Stellvertreter des gewesenen Ministers des Königs, und sogar Alba haben sich als Republikaner erklärt, indem sie ihren Beitritt zur Partei Alcalá Zamoras und Mauras erklärt haben. Somit ist die La Derecha Liberal Republicana (die freiheitlich-republikanische Rechte) offen zu einer Partei der Bourgeoisie und der Großgrundbesitzer geworden. Auf diese Weise begann die Partei der Führer ohne Klasse zusammen mit den Finanzleuten äußerst stark zu werden.

Die Lage hat sich sehr geklärt. Die Ergänzungswahlen vom 31. Mai haben einen ungemein konkreten Überblick über die sozialen Kräfte, besonders in den drei wichtigsten Parteien gegeben: Derecha Liberal Republicana, Partido Radical Socialista und Partido Socialista.

Wir haben die Bedeutung der Partei Alcalá Zamoras gesellen und die Veränderung in ihren Reihen nach dem 12. April. Noch wichtiger jedoch ist die Wandlung in den beiden andern Parteien. Die Sozialistische Partei war am 12. April eine Arbeiterpartei, und es sind Arbeiter gewesen, die den Sozialisten ihre Stimmen gegeben haben; die Radikal-sozialistische Partei, eine Partei vom Schlage der Partei Herriots in Frankreich, war eine der radikalsten Parteien des Kleinbürgertums. Die Unterdrückungsaktionen sozialistischer Minister gegen die Arbeiter haben die Lage entscheidend verändert. Man darf nicht vergessen, dass die sozialistischen Arbeits- u. Justizminister der Unzufriedenheit des Volkes preisgegeben sind, weil sie nicht – wie versprochen – die Frage der Arbeitslosigkeit und die Kirchenfrage angeschnitten haben. Der andere sozialistische Minister, der Finanzminister, hat durch unsinnige Maßnahmen das Leben der Arbeiter noch mehr verteuert, um das katastrophale Fallen der Peseta zu verhüten. Deshalb wurde am Sonntag, den 31. Mai, bei den Ergänzungswahlen in den Arbeitervierteln eine weit größere Stimmenzahl den Radikalsozialisten und in den Kleinbürgervierteln den Sozialisten gegeben; das wurde festgestellt im Vergleich zu den vom republikanisch-sozialistischen Block erzielten Stimmen. Zweifellos hat die Radikalsozialistische Partei ein weit sozialistischeres Programm als die Sozialistische «Arbeiter»-Partei.

Die Wahlen zur verfassunggebenden Nationalversammlung

Das Datum für die verfassunggebenden Wahlen ist schon auf den 28. Juni festgesetzt. Wir sehen scheinbar eine «einige» Regierung, die geschlossen zu den Wahlen geht. Aber in Wirklichkeit haben wir die drei Parteien, die wir bereits oben gekennzeichnet haben.

Die von der provisorischen Regierung in der Agrarfrage gefassten Beschlüsse stellen ein kleines Entgegenkommen gegenüber dem Mittelbauern dar, nichts aber bedeuten sie für den Landarbeiter. Das sind die Sozialisten, die daraus Kapital schlagen wollen. Im Großen und Ganzen werden die Wahlen eine beträchtliche Mehrheit für die «einige» Regierung ergeben, aber später, sobald die Monarchisten aus den Verhandlungen fast ausgeschlossen sind, wird ein Streit entbrennen zwischen den Regierungsparteien, besonders zwischen den drei oben genannten.

Eine monarchistische Gefahr gibt es nicht. Ebenso im Augenblick nicht eine kommunistische Gefahr. Es besteht eine äußerst günstige Lage für eine politische und organisatorische Entwicklung der revolutionären kommunistischen Kräfte für die praktische Vorbereitung der proletarischen Revolution. Man kann die Wahlen dazu benutzen, um eine wirkliche und starke Kommunistische Partei Spaniens zu schaffen. So etwas darf man jedoch von den Abenteurern, die die Komintern leiten, nicht erwarten. Um die Wahrheit zu sagen, gibt es in Spanien überhaupt keine einheitliche Kommunistische Partei sei sie auch noch so klein. Es gibt kleine Gruppen und Fraktionen, die untereinander vollkommen uneins sind. Eine dieser Gruppen, die Federation de Catalogne, (die Katalanische Föderation), hat einen nationalen Vereinigungskongress der Kommunisten Spaniens einberufen aber man darf auf einen solchen Kongress nicht zu große Hoffnungen setzen. Die Parteiführer sind gegen die Vereinigung, und sogar die Führer der Komintern. Andererseits fußt die Federation de Catalogne keineswegs auf einer soliden Plattform und ist selbst nur eine nahezu prinzipienlose Gruppe.

Die Linke Opposition ist die einzige Gruppe mit einer richtigen politischen Anschauung. In ihren Reihen befinden sich die besten Parteikämpfer, darunter Genosse Juan Andrade, der einstige Leiter des Zentralorgans der Partei («La Antorcha»), der beste Arbeiter-Journalist Spaniens und ehemaliges Mitglied des ZK der KP; Loredo Aparicio, Journalist u. Rechtsanwalt, ehemaliges Mitglied des ZK; Esteban Bilbao, ehemaliges Mitglied der Kontrollkommission; Andre Nin, Gorkin u. a. Genossen, die noch in der Partei sind und deren Namen wir nicht nennen können.

Die Kommunistische Partei will sich an den Wahlen beteiligen. Ohne Frage wird man ein besseres Ergebnis erzielen als bei den Wahlen vom 12. April, aber man darf nicht vergessen, dass der 12. April der Partei eine schreckliche Niederlage gebracht hat.

Die politischen und sozialen Ereignisse, die Streiks und die Massenkonflikte werden sich täglich zuspitzen. Die gegenwärtige Regierung ist außerstande, zu einer Lösung der proletarischen Probleme zu gelangen. Wir haben bereits die Erfahrung der reaktionären Unterdrückungsmaßnahmen durch die republikanische Regierung.

Die demokratische Revolution steht noch in ihren Anfängen, aber man darf nicht vergessen, dass die spanische Bourgeoisie unfähig ist, eine solche Revolution zu machen, und dass es Sache des Proletariats ist, sie zu machen.

Nur wenn die Kommunistische Partei in engem Kontakt mit den Gewerkschaftsorganisationen die richtige revolutionäre Linie finden wird, wie sie die linke kommunistische Opposition verteidigt, wird die spanische Revolution ihr soziales Gesicht ändern, und zwar im wirklich demokratisch-proletarischen Sinn.

Die Syndikalisten der C. N. Z., Anarchisten-Reformisten, sind unfähig, aus dem Schlaf zu erwachen, in den die C. N. Z. seit 1923 gesunken ist.

Die Linke Opposition hat eine ungeheure Aufgabe zu erfüllen, und der Augenblick zum Handeln ist gekommen!

Madrid, Juni 1931. Henri Lacroix.

Am 7. Juni 1931 tagte in Spanien der zweite Kongress der spanischen Linken Opposition. Während der erste Kongress in der Emigration in Lüttich (Belgien) abgehalten werden musste, tagte der zweite in der revolutionären Sturmperiode. Die Thesen, die dieser Konferenz vorlagen und angenommen wurden, beschäftigen sich mit den Fragen der Einheitsfront-Taktik, und der Schaffung einer gewerkschaftlichen Einheitsorganisation. Werden sich die anarcho-syndikalistischen und reformistischen Führer weigern, so muss die Einheit von unten geschaffen werden, da nur diese den siegreichen Vorstoß der Klasse garantiert.

Ferner wurde beschlossen, an die Schaffung von Betriebs-Räten ernsthaft herauszugehen.

Wir begrüßen insbesondere das Erscheinen des theoretischen Organs, welches unter dem Namen «Kommunismus» in seiner ersten Auflage einen Absatz von [sic]

In der nächsten Nummer gehen wir auf die politischen Ereignisse dieser Konferenz ausführlich ein.

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