L. Trotzki: Geschichte der russischen Revolution [Rezension. Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 1. Jahrgang Nr. 1 (Juli 1931), S. 14-15] Unsere aus äußeren Gründen kurzen Ausführungen können so in keiner Weise der Bedeutung des Buches entsprechen. Sie verfolgen einen mehr begrenzten und praktischen Zweck: den Leser auf einige entscheidende Probleme des Buches hinzuweisen, welche beim Lesen von Revolutionären durchdacht, diskutiert, beherzigt werden müssen zum Nutzen der kommenden Revolutionen. Nächst der Praxis gibt es für den Revolutionär kein wichtigeres Studium als die Geschichte der Revolutionen. Die chinesischen Kommunisten haben noch weit teurer das Unverständnis der zentristischen Kominternführung für die Februarerfahrung bezahlt, als die deutschen 1923 das Unverständnis für die Oktobererfahrungen. Heute notiert bereits die bürgerliche Presse (im Tagebuch) mit Erstaunen die Ähnlichkeit der Probleme der Februarrevolution und der spanischen Revolution, deren Ausbruch durch einen eigenartigen Zufall mit dem Erscheinen des Buches zusammenfallt. Das neue Buch Trotzkis bildet um so mehr eine Bereicherung unserer viel zu armen Geschichte der Revolutionen, indem es auch die Probleme der großen englischen und französischen Revolution nicht unberücksichtigt lässt. Dieser erste Band der Geschichte der russischen Revolution zeichnet ausgehend von einem allgemeinen geschichtlichen Überblick der russischen Vergangenheit nach einer breiten Darstellung des Zarismus und der Klassenkräfte im Allgemeinen und nach der Beschreibung der entscheidenden Februartage selbst 3 große Perioden: die Tage der Konsolidierung der neuen Macht, die «Apriltage» (die erste Krise der provisorischen Regierung sowie der bolschewistischen Partei) und die Junitage, die Zeit der wahnwitzigen Offensive, des ersten Sowjetkongresses, der 2. Regierungskrise. Die eigenartigen Widersprüche der russischen Vergangenheit und der Gegenwart erklärt Trotzki in seinem historischen Überblick durch sein Gesetz der kombinierten Entwicklung, d. h. ausgehend von der außerordentlichen Zurückgebliebenheit entwickeln sich dialektisch auch Züge großer Fortgeschrittenheit. Das Privileg der historischen Verspätung erlaubt oder richtiger gesagt zwingt, sich das Fertige vor der bestimmten Zeit anzueignen, eine Reihe Zwischenetappen zu überspringen». Auf Grund dessen traf die junge proletarische Revolution auf eine noch unvollzogene Bauernbefreiung in Russland, mit deren Kräften es ihr dort früher zu siegen möglich war als im Westen. Die permanente Revolution ist eine Erscheinung dieses Gesetzes, das allgemeine Gültigkeit hat. Theodor Dan hat sich durch das Buch Trotzkis nicht nur zu einer Reihe von Mätzchen und lügenhaften Unterstellungen (s. Juniheft der Gesellschaft) sondern auch seinerseits zu einem Versuch, die russische Geschichte und den Oktobersieg zu «erklären» veranlasst gefühlt. Von dem Gesetz der kombinierten Entwicklung will und kann er nichts verstehen; eine Hälfte davon reicht ihm und es ist, wie nicht anders zu erwarten, die Zurückgebliebenheit. Für ihn löst die Zurückgebliebenheit das Geheimnis des Oktobers und des Bolschewismus. Indem die Menschewiki selbst der rückständigsten Ideologie huldigen, werden sie nicht müde, alle anderen der Zurückgebliebenheit zu beschuldigen, wobei sie die Höhen der Ministersessel mit den Höhen der Erkenntnis verwechseln. Trotz Theodor Dan und Konsorten sind die «zurückgebliebenen» Sowjets die Fahne des gesellschaftlichen Fortschritts auf der ganzen Welt geworden. Ihre Entfaltung war nur einmal bis jetzt zum Siege möglich, eben nach dem russischen Februar. Das Buch Trotzkis bietet ein breites Material über die widerspruchsvolle und eigenartige Entwicklung der Sowjets aus den Händen der Menschewiki in die der Bolschewiki. Das dringend notwendige Studium dieses konkreten Geschehens kann allein an Stelle des sektiererhaften Schemas die lebendige Aktionsfähigkeit setzen. Das Nebeneinanderbestehen von Sowjets und provisorischer Regierung verursacht jene eigenartige Periode der «Doppelherrschaft», die den Keim des Umsturzes bereits in sich trägt. Die Darstellung dieser Periode bietet nicht nur zum ersten Mal ein überaus interessantes Material über die elementare Art. in der sich diese Doppelherrschaft sogar gegen den Willen der Sowjetführer durchsetzt (z. B. Kampf um den 8-Stundentag), sondern eröffnet auch weite Perspektiven auf die Geschichte der großen französischen und englischen Revolution, die wenn auch unbewusst, so nicht minder eine Periode der «Doppelherrschaft» durchlebte. Ein ganz neues Gebiet erschließen die Kapitel über die geistige Umbewaffnung der Partei. Erst durch ihre Kenntnis ist es eigentlich möglich, zu einem vollen Verständnis der Reden und Artikel Lenins aus jener Zeit zu gelangen. Erst jetzt verstehen wir jene Ausführung über «Linkheit der Massen» die aber in ihren Mahnungen auf die Massen hinzuhören und sie andererseits durch «geduldiges Aufklären» zum Verständnis und zur Ausnutzung ihrer eigenen Bewegung zu bringen. Welcher gewaltiger Kontrast im Vergleich zu der bürokratischen Komödie der «III. Periode», die durch Befehle kalendermäßig sowohl eine Linksheit der Massen, wie der Partei glaubte erzeugen zu können. Die Lehren von der «Umbewaffnung» gehen weit hinaus über eine Charakterisierung der Politiker Stalin und Kamenew, die damals bereit waren, an Stelle des Sturzes der Menschewiki die Vereinigung mit ihnen an Stelle des Bürgerkrieges die Vaterlandsverteidigung, anzusetzen. Diese historische Erfahrung, dies Versteifen selbst der ausgezeichneten bolschewistischen Kaders in der Routine der «demokratischen Diktatur», dies Ersetzen der eigenen Initiative in einer neuen Situation durch Schematismus gerade in großen Teilen der Führung bildet eine ernste Warnung bei der Erziehung und Herausbildung neuer Kaders. An Hand dieses dramatischen Eingreifens und Veränderns durch die Einzelperson Lenins ergeben sich sehr wertvolle Auseinandersetzungen über die Rolle und die Möglichkeiten des Einzelnen, des Führers. So bedeutend sie erscheint, so sehr erscheint sie andererseits abhängig von der Existenz der Kaders, von der Existenz der Partei und davon, ob sie in der Richtung des historischen Geschehens wirkt. Gerade die breite Darstellung der Person des Zaren zeigt andererseits die absolute Machtlosigkeit der Person, die der geschichtlichen Notwendigkeit entgegengesetzt ist. Die «Februarrevolution» illustriert vollendet den weiten Umfang wie auch die Grenzen der eigenen schöpferischen Initiative der Massen. Das sind nur einige der aufgerissenen Fragen. Es ist wie schon gesagt, absolut unmöglich auch nur einen entfernten Begriff von dem großen Reichtum des Buches zu geben, das die konsequente Untersuchung der Klassenbewegungen verknüpft mit einer breiten farbigen Darstellung des historischen Geschehens seiner Akteure im Exekutivkomitee der Sowjets usw., mit einer unvergleichlichen, psychologisch-marxistischen Studie des Zaren, mit strategisch gesehenen Schilderungen des entscheidenden 5tägigen Straßenkampfes und seiner Entwicklung. Durch all das aber leuchtet, wie es der Autor gewollt hat, die tiefe Gesetzmäßigkeit des geschichtlichen Geschehens. Da das Wesen der marxistischen Geschichtsbetrachtung darin besteht, an Stelle des Zufalls die Gesetzmäßigkeit gesetzt zu haben, so ist auch das Schicksal dieses Buches gewiss; die marxistische Geschichte der russischen Revolution zu sein. Die Hand, die die russische Revolution führte, war bestimmt, auch ihre Geschichte zu schreiben. Noch immer wird die marxistische Geschichte der Revolution im Exil geschrieben. Aber gerade der unbezähmbare Schritt der Revolution, ihre metallene Stimme, ihr ewiger Triumph und ihre unveräußerliche Zukunft, die in diesem Buche leben, lässt darüber keinen Kleinmut aufkommen. |
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