Pierre Frank 19310700 Krise und Arbeitskämpfe in Frankreich

Pierre Frank: Krise und Arbeitskämpfe in Frankreich

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 1. Jahrgang Nr. 1 (Juli 1931), S. 13-14]

Frankreich ist als eines der letzten europäischen Länder von der Wirtschaftskrise erfasst worden. Im Besitz eines aufnahmefähigen inneren Marktes und zugleich einer billig produzierenden Veredelungsindustrie, die ihm die Auslandsmärkte öffnete, blickt das kapitalistische Frankreich auf eine Prosperitätsperiode zurück, die bis in das zweite Halbjahr 1930 hineinreichte. Erst von Herbst 1930 und Winter 1931 an machte die Krise sich auch in Frankreich schwer fühlbar. Die Entwicklung der Agrarkrise und der Preissturz der Fertigwaren versetzten die französische Wirtschaft in eine schwierige Lage, deren Rückwirkungen die Arbeiterklasse schnell und nachhaltig zu spüren bekam. Die Arbeitslosigkeit nahm einen für französische Verhältnisse verhältnismäßig großen Umfang an: anstatt des bisher vorherrschenden Arbeitermangels, der zur Einwanderung auswärtiger Arbeiter geführt hatte, sahen sich nunmehr hunderttausende von Arbeitern entweder ganz aufs Pflaster geworfen oder auf Kurzarbeit gesetzt. Gleichzeitig setzte eine hartnäckige Kapitalsoffensive auf Herabsetzung der Löhne und der gesamten Lebenshaltung der Arbeiter ein.

Wie antwortete das französische Proletariat auf diesen Angriff? Im Allgemeinen hat das Proletariat sich noch nicht energisch zur Wehr gesetzt. Weil sie die Politik der revolutionären Organisationen KPF und CGTU (revolutionärer Gewerkschaftsbund) infolge der Politik der «Dritten Periode» in erschöpftem Zustande antraf, konnte der Einfluss der bürgerlichen Propaganda sich in breiten Kreisen der Arbeiterschaft sehr stark fühlbar machen. Die ständig anwachsenden reformistischen Organisationen auf der andern Seite versuchten die Ruhe unter den Arbeitern aufrecht zu erhalten. Der Einfluss der bürgerlichen Propaganda kam vor allem in starken fremdenfeindlichen Strömungen gegen die 3 Millionen in Frankreich arbeitenden ausländischen Arbeiter und die halbe Million durch den französischen Kapitalismus bis aufs Blut ausgebeuteter Kolonialarbeiter zum Ausdruck. Diese fremdenfeindlichen, von den Reformisten begünstigten Strömungen sind selbst bis in die Kreise der revolutionären Organisationen eingedrungen. Sie kamen häufig, nicht nur in den durch die CGTU geschaffenen Erwerbslosenausschüssen und in den revolutionären Gewerkschaften, sondern auch in der KPF selber zum Vorschein.

Die ersten großen Kämpfe brachen im August und September 1930: in der Übergangsperiode zwischen nachlassender Prosperität und einsetzender Krise aus. Seit Jahren war die französische Bourgeoisie gewohnt, ein folgsames Proletariat sich gegenüber zu sehen. Ein Streik von 4-5.000 Arbeitern wurde bereits als sehr bedeutsam angesehen: die meisten Arbeitskonflikte beschränkten sich auf einige Hunderte von Beteiligten, und geringe Lohnerhöhungen genügten im Allgemeinen, um sie wieder beizulegen. Die Bourgeoisie führte ohne nennenswerten Widerstand zu finden die Rationalisierung der Betriebe durch. Um ihren Machtapparat zu konsolidieren führte sie unter dem Vorwand, die Arbeiter gegen gewisse Übelstände zu schützen – die Sozialversicherung ein, die ihnen in Form des Pflichtbeitrags eine zusätzliche Lohnsteuer auferlegte und sie durch drakonische Bedingungen an den Kapitalismus fesselte. Am 1. Juli 1930 trat das Gesetz in Kraft: in diesem Augenblick setzt die Gärung im ganzen Lande ein. um schließlich im August im Norden Frankreichs mit einer Bewegung, die annähernd 200.000 Textil- und Metallarbeiter umfasste, zu offenem Ausbruch zu kommen. Einige kleinere Bewegungen in anderen Teilen des Landes (z. B. im Departement Basse-Seine) flackerten nur auf, um wieder zu verlöschen. Die Arbeitskämpfe im Norden dauerten wochenlang an.

Der Pflichtbeitrag der Arbeiter zur Sozialversicherung bedeutete die erste Lohnverminderung. Partei und CGTU gaben schließlich die richtige Parole «gegen den Arbeiterbeitrag» heraus, nach einer Reihe von Schwankungen, während derer sie zeitweise den Kampf gegen das ganze Sozialversicherungsgesetz, zeitweise die Schaffung von Versicherungskassen durch die Gewerkschften, zum Zwecke der Durchführung des Gesetzes forderten. Diese Schwankungen zusammen mit der Politik der «Dritten Periode» haben den revolutionären Organisationen ungeheuren Schaden zugefügt, und als sie schließlich die Parole «gegen den Arbeiterbeitrag» herausgaben, fanden sie keinen großen Widerhall mehr in den Massen. Im Norden ist der Einfluss, den die Reformisten durch die in ihren Händen befindlichen Gemeindeverwaltungen, Genossenschaften, Sportverbände, Arbeitergesangvereine usw. ausüben, sehr groß. Sie traten als die eifrigsten Verfechter des Gesetzes, das sie selber mit vielem Stimmaufwand gefordert hatten, auf. Um die Unzufriedenheit, die infolge der Zurückhaltung von 5% des Lohnes durch die Arbeitgeber als Pflichtversicherungsbeitrag entstand, beizulegen, stellten die reformistischen Organisationen des Nordens die Forderung einer Lohnerhöhung von 0,25 Franken pro Stunde auf, d. h. sie nahmen grundsätzlich die Beitragszahlung seitens der Arbeiter an. Die große Mehrheit der Arbeiter nahm den Kampf – «für 0.25 Franken Lohnerhöhung» auf. KPF und CGTU verstanden es – trotz verhältnismäßig günstiger Umstände – nicht, die Einheitsfront herzustellen, sondern gaben anstatt dessen die Parole «0,50 Franken Lohnerhöhung» aus. Ohne jede Hemmung von Seiten der revolutionären Gewerkschaften hatten die Reformisten für ihren parlamentarischen Kuhhandel mit den Arbeitgebern freie Hand und konnten nach einigen Wochen des Kampfes den Streik ungestraft abwürgen. Auf die 0,25 Franken Lohnerhöhung verzichteten sie und nahmen – eine Art «Anwesenheitsgeld» an: die Arbeiter, die mehr als 6 Monate regelmäßig im Betrieb gearbeitet haben, erhalten den Versicherungsbeitrag wöchentlich vom Arbeitgeber vergütet.

Unter den Arbeitern war glänzende Kampfstimmung vorhanden. Im schroffen Gegensatz zu dem Verhalten der reformistischen Führer, die ständig auf Verhandlungen drängten, leisteten sie wiederholt in Zusammenstößen mit der bewaffneten Macht energischen Widerstand. In keinem Moment des Kampfes gelang es KPF und CGTU, durch Verwirklichung der Einheitsfront sich der Masse der Kämpfenden zu nähern und auf diese Weise breite Teile der Arbeiterschaft für die kommunistischen Losungen zu gewinnen. Das Ergebnis war ein neuer Rückgang ihres Einflusses: die revolutionären Gewerkschaften verloren zahlreiche Mitglieder- Eine Gemeinderatswahl in Tourcoing, 14 Tage nach Beendigung des Streiks, zeigte einen erheblichen Rückgang der für die Partei abgegebenen Stimmen.

Während der Krise setzte mit aller Wucht die Kapitalsoffensive gegen die Bergarbeiter in den nördlichen Departements, d.h. gegen zwei Drittel des Bestandes des Bergarbeiterverbandes ein. Die Ankündigung einer bevorstehenden Lohnherabsetzung rief unter den Bergarbeitern starke Unzufriedenheit wach. Äußerst günstige Möglichkeiten für eine Aktion waren gegeben. Auch hier war der reformistische Einfluss bedeutend: auf insgesamt 200.000 Bergarbeiter kamen ungefähr 6.000 Mitglieder des revolutionären und ca. 50.000 Mitglieder des reformistischen Verbandes, welcher letztere der stärkste gewerkschaftliche Verband in Frankreich ist. Vom ersten Tag an wäre es Aufgabe der Kommunisten gewesen, auf Grund der allgemein erhobenen Forderung «gegen jegliche Lohnherabsetzung» die Einheitsfront herzustellen. Der reformistischen Organisation eine gemeinsame Aktion, einen gemeinsamen Kampf vorschlagen – das wäre der erste Schritt gewesen, den der revolutionäre Verband hätte tun müssen. Die Zentristen schwankten hin und her, so dass die reformistischen Gewerkschaftsführer ihren schamlosen Verrat durchführen und einer Lohnherabsetzung zustimmen konnten, ohne dass eine ernstliche Revolte der Arbeiter auf ihr Verbrechen antwortete. Die Bergarbeiter hatten kein Vertrauen zum revolutionären Verband. Schließlich sah die CGTU sich gezwungen – um sich bei ihren Mitgliedern und Sympathisierenden nicht auf alle Zeiten zu blamieren – allein den Streik auszurufen. Ihrem Ruf folgte nur eine Minderheit von 25.000 Bergarbeitern, eine Vorhut, deren Kampf die Gesamtheit des Proletariats mit Sympathie verfolgte, aber die es nicht vermochte, diese Sympathie in Taten umzuwandeln. Nach Verlauf einer Woche musste man zu herabgesetzten Löhnen in die Betriebe zurückkehren. Im Kräfteverhältnis zwischen reformistischem und revolutionärem Verband führte der Streik nur unwesentliche Veränderungen herbei. Und dennoch war selten eine günstigere Gelegenheit gegeben, um den Einfluss der revolutionären Organisation auf zehntausende von Arbeitern auszudehnen, die den Verrat der Reformisten durchschaut hatten. Die Ohnmacht der CGTU aber gestattete es nicht, diese Arbeiter von ihrer alten Organisation loszulösen.

Sowohl in der KPF wie in der CGTU ist die Diskussion über diese Streikbewegung verhindert worden.

Kaum waren die Bergarbeiter geschlagen in die Betriebe zurückgekehrt, als das mächtige Konsortium der Textilunternehmer von Roubaix-Tourcoing-Hallouin seinerseits eine Lohnherabsetzung von 10% ankündigte. Nach einigen Tagen wurde diese Ankündigung dahin abgeändert, dass nur die «Anwesenheitsprämie» abgeschafft d. h. eine Herabsetzung der Bezüge um ca. 4 % eintreten solle. Die Arbeiter lehnten es ab, die Bedingungen der Arbeitgeber anzunehmen, und am 18. Mai traten sämtliche beteiligten Arbeiter – mehr als 120.000 an Zahl – in den Streik. Der Streik geht bis heute, ohne Abschwächung. fort. Das Kräfteverhältnis ist auch hier für die Reformisten günstig, die in Roubaix einen ihrer stärksten Stützpunkte haben. Nur in Hallouin, einem Industrieort zweiten Ranges, ist der revolutionäre Verband stark. In den beiden großen Zentren der Textilindustrie: Roubaix und Tourcoing. verfügt er nur über sehr spärliche Kader. Ebenso wenig wie in den früheren Streiks ist hier die Einheitsfronttaktik durchgeführt worden. Im Gegenteil: ein Appell eines selbständigen Verbandes, der der syndikalistischen Minderheit der CGTU sympathisch gegenübersteht, auf Herstellung der Einheitsfront stieß auf die praktische Ablehnung seitens des revolutionären Verbandes. In den ersten Streiktagen ist es sogar zu einer Rauferei zwischen revolutionären und reformistischen Gewerkschaftlern gekommen. Seit Beginn des Streiks verhandeln die Reformisten mit den Unternehmern und predigen den Arbeitern «Ruhe und Würde». Die CGTU tut dem reformistischen Block keinen Abbruch: sie hat sich während der letzten Tage in zaghafter Weise auf gewisse gemeinsame Kundgebungen von reformistisch und revolutionär Organisierten eingelassen, aber sie schreckt vor allen kühnen Entschlüssen zurück, sie fürchtet sich davor, dem reformistischen Verband konkrete Vorschläge zu machen, und ihre Versuche bleiben deshalb ohne nachhaltigen Erfolg. Insbesondere ist es ihr nicht gelungen, den Streik auf Lille, Armentieres, und jene ganze Nord-Region auszudehnen, wo die große Masse der Arbeiter dem Kampf von 120.000 Textilsklaven nicht gleichgültig gegenüberstehen kann. Nur eine zugleich kühne und elastische Politik der CGTU ist imstande, die Manöver der reformistischen Führer zunichte zu machen, die die Streikkraft langsam erschöpfen und den Arbeitern dann in der Form eines Kompromisses die Zustimmung zur Lohnherabsetzung abschwindeln wollen.

Die Streiks der letzten Zeit, sowohl wie die noch im Gange befindlichen, zeigen, dass der Widerstand der Arbeiter erst im Anfangsstadium steht, dass die Massen sich nur sehr langsam in Bewegung setzen und dass in keiner Weise von einer Radikalisierung oder einem Aufschwung der revolutionären Massenbewegung die Rede sein kann, wie die Partei es – je nach den Erfordernissen ihrer «Generallinie» – behauptet. Das Erwachen des sehr verschiedenartig zusammengesetzten französischen Proletariats vollzieht sich nur sehr langsam. Es wird durch den heute herrschenden Mangel an revolutionärer Tradition, durch die Schwäche der Organisationen und vor allem durch die schwere Diskreditierung der Kommunistischen Partei infolge ihrer Politik der letzten Jahre verzögert. Heute macht sich dieses Erwachen in erster Linie in demjenigen Teil Frankreichs, wo die Arbeiter am besten organisiert sind, aber auch noch am stärksten unter dem Einfluss der Sozialdemokratie stehen, bemerkbar. Angesichts dieser Sachlage bemerkt die von der breiten Masse abgeschnittene kommunistische Partei nicht schnell genug die tiefen Bedürfnisse der Arbeitermassen und lässt sich von den spontan einsetzenden Bewegungen überraschen. Die stalinistischen Führer reden fortwährend von Kämpfen gegen das Kapital, aber während keiner einzigen der großen Bewegungen, die wir erwähnten, haben sie es verstanden, solche Kämpfe praktisch vorzubereiten.

Die Taktik der angeblichen Einheitsfront «von unten», die die Stalinisten heute anwenden, hat nicht ein einziges Mal zu wirklicher Einheitsfront geführt. Die Rückkehr zur wirklichen Einheitsfronttaktik, ohne Einschränkung durch die Prädikate «von unten» oder «von oben» ist eine gebieterische Notwendigkeit für unsere Partei. Sonst wird die Sozialdemokratie auch weiterhin die breiteste Bewegungsfreiheit behalten, auch weiterhin die proletarischen Bewegungen verraten, ohne dass es der Partei möglich ist sie zu entlarven und das Proletariat für sich zu gewinnen. Nur indem er den Kampf auf dem von ihm gewählten Terrain führt, d. h. indem er die Arbeiterschaft stückweise, in jeder Industrie und jedem Distrikt einzeln, angreift, kann der schwer erschütterte Kapitalismus heute auf Erfolg rechnen. Nur durch Einbeziehung breitester Massen kann die Kapitalsoffensive aufgehalten werden.

Die Kämpfe des französischen Proletariats setzen erst ein. Weitere Verbände, weitere Distrikte werden ihrerseits in die Schlacht eintreten. Aber die ersten Niederlagen lasten schwer auf der Bewegung und das Ergebnis des jetzt im Gange befindlichen Kampfes wird von entscheidender Bedeutung sein. Da die Politik der KPF für die weitere Entwicklung ausschlaggebend ist. so muss sie dazu geführt werden, die Lehren der vergangenen Kämpfe zu ziehen. Innerhalb der Partei selbst sind gewisse sehr bedeutungsvolle Prozesse im Fluss, aber sie haben noch zu keinem konkreten Resultat führen können. Die Apathie der Partei ist auch darauf zurückzuführen, dass in der führenden Parteiorganisation: dem Pariser Bezirk, seit Monaten kein Streik zustande gekommen ist, der auch nur tausend Arbeiter erfasste. Die führende Industrie des Bezirks, die Metallindustrie, die 300.000 Arbeiter beschäftigt, reagiert in keiner Weise auf die Aufforderungen des revolutionären Verbandes (2.000 Mitglieder), obwohl dieser seit Jahren den verschiedenen Leitungen von Partei und CGTU als Paradepferd gedient hat.

Frankreich gehörte bisher zu den Ländern, in denen die kapitalistische Ordnung noch am ungestörtesten funktionierte. Die Bewegungen die bisher stattfanden, sind noch nicht sehr fundamentaler Natur. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Entwicklung der Wirtschaftskrise und zugleich die Nachbarschaft Deutschlands und Spaniens mit ihren revolutionären Zuständen auch in Frankreich rasch zu großen Klassenbewegungen führen. Um die Partei in die Lage zu versetzen, ihre historische Rolle in diesen Bewegungen zu erfüllen, versucht die Kommunistische Liga unter tausend inneren Schwierigkeiten, jedem Kommunisten die vergangenen Niederlagen zu zeigen, um daraus die notwendigen Lehren zu ziehen und eine Klassenpolitik für die Zukunft herauszubilden.

Frank-Paris.

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