W. Müller 19310700 Der SPD-Parteitag

W. Müller: Der SPD-Parteitag

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 1. Jahrgang Nr. 1 (Juli 1931), S. 2-4]

Man mag gegen die sozialdemokratischen Führer angesichts ihres fortwährend sich steigernden Verrats an den Lebensinteressen der arbeitenden Massen noch so viel Hass und Verachtung empfinden, in einem Punkt wird man ihnen eine gewisse Meisterschaft nicht absprechen können: nämlich in der Art und Weise, wie sie ihren verderblichen Kurs doch immer wieder vor ihren Parteimitgliedern und weit darüber hinaus zu rechtfertigen verstehen. Auf dem diesjährigen Parteitag in Leipzig hat sich diese Meisterschaft in der Täuschung und Irreführung ihrer Anhänger jedenfalls wieder bestens bewährt. Und dabei kann man nicht sagen, dass die Lage für die reformistischen Parteihäupter besonders günstig war: Eine in unverminderter Schärfe andauernde Wirtschaftskrise mit einer riesigen, in den Frühjahrsmonaten nur wenig zurückgegangenen Erwerbslosigkeit: eine Verzweiflungsstimmung breitester Massen, die fraglos den Radikalisierungsprozess der Massen zum Kommunismus hin zweifellos begünstigt: eine Einheitsfront von Großkapital und Staatsgewalt zu immer neuer Verschlechterung der Lebensbedingungen der proletarischen Bevölkerung; schließlich eine schon zu Beginn des Parteitages unmittelbar vorbereitete neue Notverordnung der Brüningregierung mit weiterem Unterstützungsabbau und weiteren Massenbelastungen mit direkten und indirekten Steuern – das alles war kein günstiger Boden für die SPD-Führer. wenn sie ihre Tolerierungspolitik gegenüber der Diktaturregierung Brüning rechtfertigen wollten. Und doch ist der neue Betrug gelungen und die Wels, Crispien. Breitscheid u. Co sind als unbedingte Sieger aus Leipzig zurückgekehrt.

Um diesen Sieg zu begreifen, muss man sich das raffinierte Zusammenspiel der einzelnen Parteigrößen vergegenwärtigen, wie es in den Hauptreferaten auf dem Parteitag zum Ausdruck kam. Im Grunde genommen drehten sich alle Reden der Vertreter der Parteimehrheit um die gleichen politischen Prinzipien. Der eine Referent betonte mehr diesen, der andere mehr jenen Gesichtspunkt; die Gesamttendenz aber war, die politische Ideologie des Reformismus in ein so geschlossenes System zu bringen, dass dabei Hohlheit und Verdrehtheit der einzelnen Argumente durch den äußeren Anschein der Einheitlichkeit und Konsequenz verdeckt wurde.

Will man die Hauptthesen, die die reformistischen Führer in Leipzig zur Verteidigung ihres Brüningkurses angeführt haben, herausschälen, so gelangt man zu etwa folgendem Ergebnis: Die erste und grundlegende These der SPD-Führer lautete : «Wir sind und bleiben Sozialisten und Kämpfer für die Verwirklichung des Sozialismus». Besonders das einleitende Referat des Parteioberhauptes Wels war auf diesen Ton abgestimmt. Tarnow brachte es sogar fertig, am Schluss seiner Rede über die Wirtschaftslage in den Ruf auszubrechen: «Hinweg mit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung», und auch in der angenommenen Parteitagsresolution steht allerhand über die «Unfähigkeit des kapitalistischen Systems». Aber alle diese Herren Parteiführer, die die kapitalistische Wirtschaftsordnung in Worten bekämpfen, sie tun doch nichts, den Staat zu bekämpfen, der diese Wirtschaftsordnung mit seinen Hilfsmitteln aufrecht erhält, ja sie unterstützen sogar eine Regierung, die unter dem Druck des Großkapitals die Massen aufs Ungeheuerlichste ausplündert und zur Verzweiflung bringt. Und darum ist dieser ganze «Kampf» der SPD gegen den Kapitalismus eben nichts anderes wie ein Scheinkampf, der, indem er den bestehenden Staat erhalten will, nicht nur dem Kapitalismus keinen ernsthaften Schaden zuzufügen vermag, sondern im Gegenteil die kapitalistische Herrschaft gegen die sich empörende Arbeiterschaft aufrecht erhält und befestigt.

Ein weiteres richtiges Argument der SPD-Führer in Leipzig lautete: «Wir tolerieren das Kabinett Brüning, um die Demokratie gegen den anstürmenden Faschismus zu verteidigen. Die Regierung Brüning ist zwar ein Übel, ihr Sturz aber bedeutet den Sieg des Faschismus und den wollen wir unbedingt verhindern». Mit dieser «Rechtfertigung» ihrer politischen Haltung finden die reformistischen Führer heute tatsächlich noch weit über den Rahmen ihrer Partei hinaus Glauben. Es ist der KPD bisher nicht gelungen, die Bedeutung gerade dieses entscheidenden Arguments zu zerstören, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil die Thälmann-Remmele-Führung sehr oft dem parlamentarischen Kretinismus, der aus der ganzen Argumentation der SPD-Größen spricht, selbst sehr oft unzulässige Konzessionen gemacht hat. Auf dem Leipziger Parteitag hat der «Linke» Eckstein-Breslau darauf hingewiesen, dass der gegenwärtige Reichskanzler Brüning selbst schon zu «Zweidrittel oder sogar Dreiviertel Faschist sei» und sich mehr und mehr von demokratischen Methoden abkehre. Solche Äußerungen, die den Druck der proletarischen Mitglieder innerhalb der SPD auf die Führer erkennen lassen, geben den Kommunisten die Möglichkeit, im Kampf um die Gewinnung der noch reformistischen Arbeiter die völlige Aussichtslosigkeit der Bekämpfung des Faschismus auf demokratischem Weg und die Notwendigkeit der revolutionären Einheitsfront außerhalb des Parlaments und gegen das sich mehr im Sinne des Faschismus verändernde parlamentarisch-demokratische System selbst zu betonen. Allerdings würde eine solche Anknüpfung an revolutionäre Stimmungen innerhalb der SPD erfordern, dass die KPD ihr Gerede von der «sozialfaschistischen Partei» und den «linken Sozialfaschisten» aufgeben und überhaupt die Gegensätze im sozialdemokratischen Lager viel besser ausnützen müsste, als sie es in den letzten Jahren getan hat.

Neben der Verherrlichung einer bereits nur noch in kümmerlichen Resten bestehenden Demokratie hat in Leipzig als weiterer Programmpunkt eine gesteigerte verleumderische Hetze gegen das proletarische Russland stattgefunden. Hier brachte es der Gewerkschaftsbürokrat Tarnow zu einer geringen Höchstleistung, als er vom «dunklen Höllental des Elends» sprach, das in Russland herrsche und er demgegenüber das (durch die neueste Notverordnung jetzt wieder so überzeugend dokumentierte) «westeuropäische Kulturniveau» pries. Leider finden die SPD-Führer auch bei dieser Frage noch allzu viel Gläubige. Eine geringe Mitschuld trägt aber auch hier die offizielle KP, indem sie die Lage in Russland meist in allzu schönfärberischer Weise darstellt, und so viele kritisch eingestellte Arbeiter verleitet, der heuchlerischen Lügenpresse Glauben zu schenken.

In diesen wie in allen anderen wichtigen Punkten waren sich die Herren vom Parteivorstand in Leipzig völlig einig, allerdings nicht, ohne sich mit einer Opposition im eigenen Lager auseinandersetzen zu müssen. Von dieser Opposition, den «Linken» um Seydewitz, Eckstein, Ströbel usw. hat man auf dem Parteitag über die Tolerierungspolitik der Partei gegenüber Brüning wie auch gegen die Antisowjethetze der Parteiführer manches treffende Wort gehört. Man vermisste bei ihnen aber gänzlich ein konsequentes Durchkämpfen ihres Standpunktes. Nach dem ganzen Verlauf des Parteitags sollte es aber doch jedem denkenden linken Arbeiter in der SPD klar sein, dass der Parteivorstand nicht daran denkt, den «Linken», die in Leipzig nicht einmal ein Sechstel der Delegierten auf sich vereinigten, noch irgend welche politische oder sonstige Konzessionen zu machen. Im Gegenteil: während noch kurz vor dem Parteitag Künstler im «Vorwärts» einen Artikel gegen alle Spaltungsabsichten schreiben durfte, drohte gleich nach Abschluss der Tagung Stampfer: «die kleine Gruppe um Seydewitz ist weit hinter ihrer Zeit zurück, wenn sie glaubt, eine große Partei von heute könne sich noch den Luxus organisierter Richtungskämpfe leisten».

Das Gesamtergebnis von Leipzig gibt Stampfer ein Recht zu einer solchen Spaltungsdrohung. Der rechte Flügel der Partei ist auf der ganzen Linie Sieger geblieben. Selbst eine bescheidene Resolution der «Linken» gegen die neue (inzwischen veröffentlichte) Notverordnung Brünings wurde von den leitenden Parteibürokraten abgewürgt. Der Reichstagsfraktion wurde völlige Freiheit in ihren Entscheidungen gewährt, d. h. sie erhielt von vornherein Blankovollmacht für die Fortsetzung der Tolerierungspolitik. Darüber hinaus wurde – ein direkter Hieb gegen die «Linken» – der Reichstagsfraktion das Recht zur Durchführung des Fraktionszwangs gegeben und das Zuwiderhandeln als parteischädigendes, also ausschlussreif machendes Verhalten erklärt. Die Seydewitz-Gruppe hat alle diese Schläge widerstandslos hingenommen und es ist nicht zu erwarten, dass sich die «Linken» bei ihrer Halbheit und Schwächlichkeit in nächster Zeit zu entschiedenerer Gegenwehr aufraffen werden. Die sozialdemokratischen Arbeiter, die angesichts der Brüningpolitik des Parteivorstandes ihre Hoffnungen auf die «linken» Führer setzen, werden jedenfalls bitter enttäuscht werden. Die SPD ist nie und nimmer für eine entschiedene Arbeiterpolitik zu gewinnen, und wenn die «linken» Strategen diese Hoffnung in den Massen erwecken, so begehen sie einen gefährlichen Betrug am Proletariat, indem sie dessen Kräfte lähmen und es hindern, den geraden Weg des entschiedenen, des wirklich revolutionären Klassenkampfes zu gehen.

Das «Berliner Tageblatt» verzeichnet in seinem Börsenbericht vom 4. Juni: «Die Beschlüsse auf dem sozialdemokratischen Parteitag, die eine Fortdauer der Tolerierungspolitik der Partei gegenüber der Regierung Brüning gewährleisten, beeinflussten die Stimmung im günstigen Sinne.» Das ist in der Tat ein Haupterfolg der Leipziger Tagung der SPD. Eine weitere Stärkung des Brüningschen Diktatursystems und des hinter ihr stehenden Großkapitals. Den Massen der sozialdemokratischen Arbeiter diesen kapitalfreundlichen und arbeiterfeindlichen Charakter der Politik der SPD-Führer klar zu machen und ihnen den Weg zur Überwindung des kapitalistischen Systems, ob es politisch sich in demokratischer oder faschistischer Form zeigt, zu weisen, ist die Hauptaufgabe der Kommunistischen Partei in Deutschland. Die erfolgreiche Durchführung dieser Aufgabe verlangt aber gegenüber den noch dem Reformismus folgenden Arbeitern eine klügere und sachlichere Taktik. als sie die KPD in den letzten Jahren befolgt hat. Es kann heute von niemandem bestritten werden, dass eine der Hauptursachen für das zweifellos noch vorhandene Übergewicht des Reformismus das Fehlen einer zielklaren, die Lage richtig einschätzenden und auf breiter proletarischer Demokratie aufgebauten Kommunistischen Partei ist. Wenn es den
Linken Kommunisten gelingt, die Arbeiter der KPD von dem fehlerhaften Kurs ihrer Führung zu überzeugen und die revolutionäre Partei des Proletariats im Geiste Lenins
neu aufzubauen, dann wird die Bahn frei sein für die Hauptvoraussetzung des proletarischen Endsiegs, nämlich für die Überwindung des Reformismus und die Zerschlagung der SPD.

W. M.—ler [=Werner Müller?]

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