Henri Lacroix 19310820 Die politische Situation in Spanien und die Arbeiterklasse

Henri Lacroix: Die politische Situation in Spanien und die Arbeiterklasse

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 1. Jahrgang Nr. 3 (September 1931), S. 9-10]

Die spanische Regierung, der es so leicht gelungen ist, den Widerstand der monarchistischen Kräfte zu brechen, hat es noch nicht fertig gebracht, die Krise der Arbeitslosigkeit zu überwinden; sie hat nicht einmal verstanden, die unter der Monarchie bestehende Situation zu halten. Man kann sagen, dass jetzt keine andere Gefahr für die republikanisch-kapitalistisch-reaktionäre Regierung besteht, wie die revolutionäre Gefahr einer arbeitslosen Arbeiterschaft oder der Arbeiter, die sich durch ihre Arbeit nicht einmal ernähren können.

Der spanische Kapitalismus ist, abgesehen von einigen tollen Monarchisten, für die republikanische Regierung, um schließlich bei der brutalen Unterdrückung der verzweifelten Arbeiterklasse zu enden.

Vom ersten Augenblick an hat sich die republikanische Regierung mit Sozialdemokraten umgeben, um den revolutionären Aufschwung der Arbeiterklasse zu zügeln: drei sozialdemokratische Minister, der Kammer-Präsident und zwei Sekretäre ebenfalls Sozialdemokraten; fast 130 Abgeordnete, die zur Spanischen Sozialdemokratischen Partei gehören. Das ist der Preis der Bourgeoisie für die sozialdemokratischen Führer.

Natürlich entspricht die organisatorische Kraft der Spanischen Sozialdemokratischen Partei nicht dem Einfluss der Partei in der republikanischen Regierung. Nach den Angaben der Parteileitung umfallt die Sozialdemokratische Partei nur 8000 Mitglieder. Aber man muss mit viel weniger als 8.000 Mitgliedern rechnen. Die Allgemeine Arbeiterunion (Union General de Trabajadores de España) zählt ungefähr 200.000 Mitglieder, und viele ihrer Mitglieder haben bei den Wahlen für die Radikalen und die Kommunisten gestimmt. Die Sozialistische Partei ist also die Partei der Kleinbourgeoisie geworden, was von der zur Macht gekommenen «republikanischen» Bourgeoisie anerkannt worden ist. Die sozialistische Partei ist keine Arbeiterpartei mehr, sie hat fast keinen Einfluss mehr in der Arbeiterbewegung. Ein Beweis dafür sind die Arbeiterstreiks, die im Land stattfinden. Die sozialistische Partei und ihre Filiale, die Allgemeine Arbeiter-Union, haben sich in der gegenwärtigen Periode der Konsolidierung der republikanischen Macht gegen Streiks ausgesprochen; und die Anhänger beider Organisationen haben Streikbrecher gestellt. Es ist sogar soweit gekommen, dass sie zahlreiche Streikende in Bilbao, Asturias usw. getötet haben. Sogar in Madrid, der stärksten Einflusssphäre der Sozialdemokratie, wo die Nationale Arbeiter-Konföderation (Confederación National de Trabajo) fast keine Organisation hatte, und trotz der von den Sozialdemokraten herausgegebenen Losung, die Arbeit nicht zu verlassen, wurde mit großem Erfolg am 11. Mai ein Generalstreik erklärt, dem Tag, an dem die Streikenden die Madrider Klöster in Brand setzten. Und überall im Land das gleiche Bild.

Die Bourgeoisie hat sehr gut verstanden, dass die Spanische Sozialdemokratie das Vertrauen der Arbeiterklasse verloren hat. Die gleiche bürgerliche Presse, die einige Tage vor den letzten Wahlen die Sozialdemokratie verteidigte, sogar die Madrider Zeitung «La Libertad», beginnt gegen die sozialistischen Finanz- und Arbeitsminister zu schreiben, «weil sie vollständig versagt haben».

Die politische Situation in Spanien wird mit jedem Tag schwieriger. Der Winter steht drohend vor uns, die Arbeiterklasse wird von der Hungersnot bedroht und die revolutionäre Situation wird viel ernster werden. Aber die spanische Bourgeoisie hat nicht genügend Vertrauen in die Sozialdemokraten, dass sie die Arbeiterklasse zurückhalten könnten. Und «trotz alledem kann man die Zusammensetzung der Regierung nicht ändern». So lautet die Feststellung der Bourgeoisie. Die Sozialdemokratie bedeutet fast nichts, aber man kann sie nicht zur Seite schieben, weil eine republikanische Rechtsregierung mit den Sozialisten in der Opposition einer Anfeuerung zum Arbeiteraufstand und sogar einer Provokation der Kleinbourgeoisie gleichkäme.

Trotz der von der Regierung getroffenen Maßnahmen fällt der Peseta von Tag zu Tag und die ökonomische Situation wird immer schwieriger. Die öffentlichen Arbeiten, die von der Regierung und den Gemeinden unternommen wurden, sind fast beendet. In zwei Monaten wird die Zahl der Arbeitslosen zweimal höher als jetzt sein. Die Situation ist also offen revolutionär, die Regierung wird jeden Tag schwächer und die Arbeiterklasse immer mehr zum Aufstand bereit. Es fehlen die «Führer» der Revolution, die kommunistische Partei, die Sowjets.

Heute ist in Spanien noch kein einziger Sowjet konstituiert. Die kommunistische Partei existiert praktisch nicht, trotzdem sie offiziell 3000 Mitglieder im ganzen Land zählt. Aber in den letzten Streiks hat man die Kommunistische Partei nicht gesehen. Die Arbeiter begannen zu streiken, ohne die geringste Intervention der Partei, Die Anarchisten der CNT wurden gegen ihren Willen gezwungen, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Aber schon hat die Führung der CNT erklärt dass der Augenblick zum Aufstand noch nicht gekommen sei, und sogar, dass «die CNT nicht die Möglichkeit hat, etwas besseres als die bürgerliche Republik zu schaffen».

Wer wird in den Streiks, die in einigen Monaten stattfinden werden, die Führung haben? Diese Aufgabe kommt der KP zu, aber man darf nichts Großes von den stalinistischen Führern erwarten. Hier liegt eine enorme Aufgabe für die spanische Links-Opposition. Der Augenblick ist gekommen, um der spanischen Arbeiterklasse zu sagen, dass man zur Organisation von Sowjets greifen müsse, unter dem Namen «Juntos revolucionarios de Obreros, Soldados y Campesinos», und dass man die von den Stalinisten gebrochene kommunistische Einheit wiederherstellen müsse.

Ohne eine wahrhafte und geeinte kommunistische Partei, ohne Sowjets, wird die spanische Revolution stark verzögert werden. Die gegenwärtige Situation ist objektiv günstig für die Schaffung einer Basis für die Revolution. Ohne ein leitendes Zentrum würde die Arbeiterklasse zu einer unglücklichen Niederlage verdammt sein, wenn die Kommunistische Partei sich nicht energisch konstituieren und nicht die Führung der zum Ausbruch kommenden Situation übernehmen würde. Und die Niederlage der spanischen Arbeiterklasse in der gegenwärtigen Situation würde verstärkte Unterdrückung bedeuten und vielleicht auch die Bildung einer republikanisch-reaktionären Regierung à la Tardieu.

Die hypothetische Verfassung einer sozialdemokratischen Regierung würde die letzte Ausflucht der spanischen Bourgeoisie sein.

Aber die sozialistische Führung wird nie allein die Regierung übernehmen wollen, denn in der Koalition mit der Bourgeoisie haben diese Verräter die beste Möglichkeit, sich der Verantwortung für ihre Verbrechen zu entziehen, indem sie zu den Massen sagen: Ja, wir wollten auch, es wäre die Möglichkeit, alles besser zu machen, aber die Kommunisten gehen mit der Reaktion gegen uns und so müssen wir eine verfassungstreue Koalition bilden, und da haben die anderen Regierungsparteien mitzubestimmen. Kommen sie in größere Schwierigkeiten, wird die Koalition nach rechts oder links verschoben, um so oder so durch parlamentarischen Rummel vom Kampf abzulenken. Diese Möglichkeiten des Täuschens und Sichdrückens muss ihnen genommen werden. Man muss die sozialistischen Führer mit Hilfe des Massendrucks stoßen und zwingen, die Macht allein zu übernehmen, damit sie gezwungen werden, sich restlos zu entlarven. Die Masse wird so die Möglichkeit bekommen sich davon zu überzeugen, dass den Opportunisten die Kapitalisten-Minister näher stehen und wertvoller sind als die Arbeitermassen. Nur so wird die Erschütterung der Regierung schneller vonstatten gehen. Die Arbeiterklasse muss sich vorbereiten, um die erste Rolle in den kommenden Ereignissen zu spielen.

Madrid, den 20. August 1931.

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