Permanente Revolution: Bürgerschaftswahlen in Hamburg [Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 1. Jahrgang Nr. 3 (September 1931), S. 5-6] Die am 27. September in Hamburg stattfindende Wahl findet in einer politischen Situation statt, welche gekennzeichnet ist durch den brutalen Angriff der Bourgeoisie auf das Proletariat. Die Bürgerschaftswahl wird als Gradmesser für die politische Entwicklung von großer Bedeutung sein. Sie wird alle Nachwahlen: Oldenburg, Braunschweig usw. seit dem 14. September 1930 an Bedeutung überragen. Erstens sind in Hamburg fast 1 Million Wählermassen konzentriert. Zum Anderen ist Hamburg für die inner- wie außenpolitischen Machtverhältnisse ein ungemein wichtiger Stützpunkt. Drittens wird im September die Arbeiterschaft die Auswirkungen der 4. Notverordnung, eine 200 Millionen-Belastung der untersten Schichten, am eigenen Leibe spüren. Daher wird die Wahl .zeigen, in welcher Weise sich die Notverordnungen auf die Klassen- und Parteigruppierungen auswirken. Für die Kommunisten ist die Wahl ein Gradmesser, wieweit die Partei es verstanden hat, die objektiv günstige Lage für die Propaganda der Ideen des Kommunismus und der Organisierung des Klassenkampfes auszunutzen. Die letzten Wahlen haben bei den Parteien der Arbeiterwähler (SPD und KPD) folgende Stimmenverschiebung gezeigt:
Auf 100 Sozialdemokraten kommen bei der Wahl am 14.9.30 56 Kommunisten. Die SPD hat einen Verlust von 13 % = 14,154 Stimmen zu verzeichnen. Trotzdem stellt die SPD mit ihren 200.000 Arbeiter-Wählern einen sehr entscheidenden Faktor in der Arbeiterbewegung dar. Die KPD hat einen Stimmengewinn von 19,127, dadurch stieg der Prozentsatz der kommunistischen Stimmen von 16,8 auf 18%, während der Prozentsatz der SPD. von 36.8% auf 32% der Gesamtstimmen fiel. Die Nazistimmen haben zu gleicher Zeit folgende Entwicklung genommen: 19. 2. 28 14,800 = 3 Mandate; 20. 5. 17,800, 14. 9. 30 144,700 (auf 100 soz. Stimmen kommen 60 Stimmen der Nazi.) Diese Zahlen zeigen, dass neben der Partei zwei starke Gegner um die Wählermassen kämpfen. Beide, die SPD wie Nazi, haben in Hamburg eine soziale Massenbasis in jenen Schichten, welche für den revolutionären Kampf nicht unwichtig sind. Die Nazi ziehen ihre Hauptstärke aus dem ungeheuren Heer der 60-70.000 Angestellten, wovon nahezu 20.000 arbeitslos sind. Losgelöst von den Produktionsstätten der Arbeiterschaft, zusammengefasst in unzähligen kleineren und mittleren Handels- und Kontorbetrieben ohne Bindung mit dem Proletariat und seinem Klassenkampf – dies in weit größerem Maße als die Angestellten der Industriebetriebe, z. B. Siemensstadt, Krupp usw. – ist das Groß der Hamburger Angestellten leichter den trügerischen Ideologien des Nationalsozialismus zugänglich. Durch die jahrelange Verfilzung mit dem Staatsapparat hat die SPD sich Positionen ausgebaut, welche für eine Massenbasis notwendig sind. In den Staats-, Versorgungs- und Verkehrsbetrieben, gemischt-wirtschaftlichen Betrieben und nicht zuletzt in den von der sozialdemokratischen Partei beherrschten Behörden (Oberschul-, Gesundheits- und Wohlfahrtsbehörde) sind große Teile der sozialdemokratischen Mitglieder untergebracht. Eine große Rolle spielen auch das Arbeitsamt und die Genossenschaftsbetriebe «Produktion», G. E. G. und Verlagsanstalt deutscher Konsumvereine; diese sind für die Festigung der sozialdemokratischen Funktionärkader entscheidende Positionen. So ist trotz des Überwiegens der Arbeiterelemente in Partei, Gewerkschaft und Reichsbanner die innere Festigkeit der SPD zu erklären, obwohl die Führung der Hamburger SPD zu den gemeinsten und brutalsten Elementen in den Reihen der Sozialverräter gehört. Aus alledem ergibt sich die Notwendigkeit besonders geschickter Anwendung revolutionärer Strategie und Taktik im Wahlkampf. um diese Schichten der Arbeiter und Angestellten, welche heute noch der SPD oder den Nazi folgen, dem Klassenfeinde zu entreißen. Wie löst die Partei diese Aufgabe im Wahlkampf? In den Mittelpunkt ihrer Wahlpropaganda stellt die Partei ihr Programm der nationalen und sozialen Befreiung und die Phrasen der Volksrevolution, deren Praxis die Beteiligung der Kommunisten am Volksentscheid des Stahlhelms ist. Mit dieser «zentralen Achse» der Agitation gewinnt die Partei ein Dutzend nationale, revanchelüsterne Offiziere, treibt aber die Massen der unzufriedenen SPD-Arbeiter zurück in die Arme Severings und Wels'. Die zentrale Losung des Wahlkampfes ist die Parole: «Für ein Sowjet-Hamburg in einem freien sozialistischen Deutschland». Später wurde der erste Teil in ein «rotes Hamburg» umgeändert. Diese Parole «Sowjet-Deutschland» ist das weitgehendste Ziel der Arbeiterschaft in der proletarischen Revolution. Aber heute, wo die Arbeiter kaum gegen die Verschlechterungen ihrer Lebenslage und die Angriffe der Bourgeoisie sich zur Wehr setzen, ist dieses Ziel erst das einer kleinen Schicht, nicht aber das der Gesamtarbeiterschaft, welche heute nichts mit dieser Parole anzufangen weiß. Überspannt die Partei den Bogen auf der einen Seite, so schlägt sie gleichzeitig in das Gegenteil um. um sich möglichst volkstümlich zu gebärden. Dieses findet seinen Ausdruck in der äußerst primitiven Parole «gegen die Reichen, für die Armen!» Eine Formulierung aus der Kinderzeit der Arbeiterbewegung! So schwankt die Partei zwischen den Extremen, unfähig, das Proletariat zum Kampf, geschweige denn zum Siege zu führen. Was schlägt die linke Opposition der Partei vor? «Einheitsfront gegen Notverordnung». «Sturz der Brüningregierung durch den politischen Massenstreik» ist die Parole jeder Aktivierung der Arbeiterschaft in der augenblicklichen Situation. Die Basis der Einheitsfront im Bürgerschaftswahlkampf muss sein ein in den Betrieben, Gewerkschaften und auf den Stempelstellen aufgestelltes Kampfprogramm, welches die elementarsten Forderungen der Arbeiterschaft enthält. Ausgehend von den 14 Punkten, die im Jahre 1927 von der Partei aufgestellt wurden, ausgehend vom «Arbeitsbeschaffungsprogramm» unter Anlehnung an die Hamburger Verhältnisse, muss eine breite Massenbewegung entfaltet werden, die dem diesjährigen Wahlkampf den Charakter eines aktiven, revolutionären Kampfes gegen die Brüningregierung und Notverordnungen gibt. Ausgehend von dem Schreiben der KPD an die SPD und den AdGB im Jahre 1927. worin es heißt: «die Kommunistische Partei erklärt ihre Bereitschaft, einer sozialdemokratischen Regierung in Hamburg die Möglichkeit des Bestehens und Arbeitens zu geben, wenn sie diese Mindestforderungen (14 Punkte der KPD) durchführt», muss die Partei unter Vermeidung der opportunistischen Fehler in Braunschweig diese Initiative ergreifen. Ein solches Angebot der sogenannten «stillen Koalition» kann nur gemacht werden, um zweimalhunderttausend Arbeitern, welche heute noch der SPD ihre Stimme geben, zu beweisen, dass die SPD die selbstverständlichen Arbeiterforderungen weder durchsetzen kann noch will und dass sie auf Gedeih und Verderben mit der Bourgeoisie verbunden ist, sowie dass keine parlamentarische Arbeitermehrheit der Arbeiterklasse etwas geben kann, wenn nicht die Arbeiterschaft die parlamentarischen Abstimmungen durch den außerparlamentarischen Kampf ergänzt, der tausendmal wichtiger ist, als hundert Abstimmungen. Dieses Programm der Gegenwartsforderungen hätte die Ankurbelung der Kämpfe in den Betrieben sein können, das Fundament des linken Flügels in den freien Gewerkschaften und anderen Massenorganisationen, – und hätte nicht zuletzt den Konferenzen und der Tätigkeit der oppositionellen SPD-Arbeiter einen Inhalt und praktische Aufgaben der revolutionären Arbeit innerhalb der SPD gegeben. Ein anderer Vorschlag der linken Opposition liegt in der Linie der Einheitsfront der Wehrorganisation des Proletariats unter dem Gesichtspunkt des Zitats des Gen, Trotzki. Der kommunistische Arbeiter soll zum sozialdemokratischen Arbeiter sagen: «Die Politik der KPD und der SPD ist unvereinbar; aber wenn heute Nacht die Faschisten kommen, um ein Pogrom in dem Lokal Deiner Organisation zu veranstalten, dann werde ich Dir zu Hilfe kommen; versprich Du mir, mir zu Hilfe zu kommen, wenn meine Organisation von der Gefahr bedroht wird!» Die linke Opposition schlägt vor, in Verbindung mit dem Kampf um das Wahlprogramm in den Betrieben und Stempelstellen gemeinsame Abwehrformationen gegen den Faschismus aus den bestehenden Wehrorganisationen zu schaffen. Die Kommunisten müssen betriebs- oder gruppenweise an die unteren Einheiten des Reichsbanners herantreten mit dem konkreten Vorschlag eines gegenseitigen Schutzbündnisses im Wahlkampf. Unter grundsätzlicher Aufrechterhaltung kommunistischer Prinzipien müssen mit den Arbeitern des Reichsbanners Abmachungen getroffen werden, welche im wesentlichen folgendes besagen: sich bei der Wahlarbeit gegenseitig nicht zu hindern, bei Angriffen der NSdAP auf Propagandatrupps sich gegenseitig zu schützen; jeden Einbruch der NSdAP-Propaganda in die Arbeiterbezirke gemeinsam zu verhindern. Dieses Schutzbündnis ist um so notwendiger, da es in den letzten Wahlkämpfen in Hamburg zu besonders schweren Straßenschlachten zwischen sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitern gekommen war. Die kommunistische Partei wird, wenn nicht eine Kursänderung eintritt, unfähig sein, eine klare bolschewistische Einheitsfrontpolitik durchzuführen. Die letzten Manöver der kommunistischen Partei: Anlehnung an die national-sozialistische Phraseologie, pompöse Eingliederung nationaler Offiziere – berufsmäßiger Arbeitermörder! – in die Partei; die Einheitsfront mit der finsteren Reaktion Hitlers und den Rosa-Luxemburg-Mördern beim Volksentscheid des Stahlhelms bindet die sozialdemokratischen Arbeiter fester an ihre verräterische Bürokratie und hindert sie damit, zur roten Klassenfront zu stoßen. Das Versagen der kommunistischen Partei wird zum anderen gekennzeichnet durch ihren parlamentarischen Kretinismus, der zum Ausdruck kommt in einem gut organisatorisch vorbereiteten Wahlkampf bei Fehlen jeder außerparlamentarischen Aktion. Der Wahlkampf im September wird nicht dadurch «siegreich» beendet werden, dass in der Hamburger Bürgerschaft ein paar Mandate gewonnen werden, sondern er wird dann einen Sieg bedeuten, wenn aus dem Wahlkampf und darüber hinaus außerparlamentarisch die Einheitsfront der Hamburger Arbeiterschaft erwächst und im Kampf gegen die Notverordnungen und für den Sturz der Brüningregierung der revolutionäre Kampfeswille breiter Massen gesteigert wird. |
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