Permanente Revolution 19311000 Die Auswertung der Hamburger Wahl

Permanente Revolution: Die Auswertung der Hamburger Wahl

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 1. Jahrgang Nr. 4 (Oktober-November 1931), S. 4 f.]

Das Ergebnis der Bürgerschaftswahl vom 27. September wird durch den 58.000 Stimmen zählenden Nazi-Stimmenzuwachs gegenüber der Wahl im September 1930 gekennzeichnet. Diesen Stimmenzuwachs haben die Nazi aus dem weiteren Zerfall der bürgerlichen Mittelparteien erhalten. Den Verlust der SPD hat die KPD fast restlos, außer etwa 10.000 Neuwählern, aufgesogen. Die SPD hat seit der letzten Bürgerschaftswahl 1928 32.000, seit der Reichstagswahl 26.000 Stimmen verloren. Sie verliert 14 Mandate, wovon 8 an die KPD und 6 an die Nazis fallen. Die KPD zieht mit 35. die SPD mit 46 als stärkste Partei, und die Nazis mit 45 Mandaten als zweitstärkste Partei in die Bürgerschaft ein.

Mit diesem Stimmenergebnis ist die bisherige Koalition unmöglich: an der Mehrheit fehlen ihr heute nicht weniger wie 12 Mandate. Alle bürgerlichen Parteien (einschließlich der Nazi bis zur SPD) beschäftigen sich mit der Frage: «Was nun?» Die Nazis fordern Rücktritt des alten Senats, während die SPD, die von vornherein jede Zusammenarbeit mit der KPD ablehnt, die einzige Rettung darin sieht, dass Hindenburg den alten Senat mit neuen Vollmachten ausrüstet und die neue Bürgerschaft nach Hause schickt. Aber auch das Bürgertum («Hamburger Nachrichten») macht sich bereits mit dem Gedanken vertraut, dass der alte Senat trotz eventueller Misstrauensvotums die Geschäfte weiter führen müsse gemäß Artikel 37 (der kleine § 48) der Hamburger Verfassung.

Der ungeheuere Stimmenzuwachs der Nazi ist dadurch schwerer zu bewerten, dass es ihnen möglich war, diesen Wahlkampf zum ersten Male als Partei zu führen und nicht als unscheinbare, halb illegale Propagandatruppe. Sie haben nicht nur durch sämtliche Stadtteile demonstriert, sondern ihre Propagandatrupps sind mit Flugblättern und Zeitungen bis in die Arbeiterwohnungen vorgedrungen. Die Stimmenverhältniszahlen einiger Arbeiterbezirke zeigen die Wirkung: die «rote Neustadt» hat 25,2%. St. Pauli 30,8%. Barmbek 20,5% Eimsbüttel 25,9% Naziwähler.

Eine besondere Bedeutung haben in diesem Zusammenhang die Wahlziffern der kasernierten Polizei:

Kaserne Bundesstraße SPD 131. KPD 81, Nazi 422. Unterkunft Sprinkenhof SPD 41, KPD 8, Nazi 472. Kaserne Weddel SPD 31, KPD 13, Nazi 337. Gesamtzahl: SPD 203, KPD 102, Nazi 1251.

Dies konnte geschehen, ohne einen ernsten, politischen oder wehrhaften Widerstand von Seiten der Arbeiterorganisationen zu finden. Lediglich der Initiative einzelner klassenbewusster Arbeiter blieb es überlassen, den Provokationen der Nazitrupps eine gebührende Antwort zu geben. Wenn es der Nazibewegung auch nicht gelungen ist, die sogenannte marxistische Front vernichtend zu schlagen, so haben sie sich die für ihre Diktatur des «starken Mannes» benötigte Massenbasis geschaffen. Eine Basis, welche ihre Diktatur begünstigt.

Alles trotz der marktschreierischen nationalen Phrasen der KPD-Führung. Die SPD als verantwortlichste Regierungspartei hatte ihren Verrat der letzten Jahre vor der Arbeiterschaft zu verantworten. Keine ihrer Verteidigungen und Anpreisungen ihrer sozialen Leistungen fand Anklang bei der Arbeiterschaft. Noch kurz vor der Wahl bekamen die Hamburger Arbeiter die Segnungen eines sozialdemokratischen Sparprogramms zu spuren: Kürzung der Unterstützungen, Abbau der Sachleistungen, Abbau der Löhne und Gehälter der Staatsarbeiter und Angestellten, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Massenentlassungen in den Staatsbetrieben und den Behörden.

Das waren die Segnungen der letzten Monate der großen Koalition in Hamburg. Die SPD musste Teile ihres treuesten Funktionärskaders in den Staatsbetrieben zerschlagen und auf die Straße setzen. Der innere Zustand der SPD kommt durch vier oppositionelle Strömungen in der Partei zum Ausdruck und durch organisatorische Maßnahmen gegen Funktionäre dieser Opposition. Diese vorhandenen Tatsachen würden genügen, um bei einer geschickten Einheitsfrontpolitik die SPD-Bürokratie entscheidend zu schlagen. Die Führung der SPD hat es nur der tölpelhaften Parteiführung der KPD zu verdanken, wenn sie heute noch parlamentarisch als stärkste Partei auftreten kann. Die Teilnahme der KPD am Stahlhelm-Volksentscheid hat der SPD die Waffen in die Hände gespielt, um eine endgültige Wahlniederlage abzuwehren «Der Kommunisten schändliche Tat, im Bunde mit Nazi Arbeiterverrat!!» Dieses Schlagwort der SPD genügte um nicht nur Zehntausende Wähler bei der Stange zu halten, sondern auch die Rollkommandos der Schufo zu jedem gemeinen Überfall auf revolutionäre Arbeiter missbrauchen zu können. Ein anderes Argument bezog die SPD aus dem falschen Kurs in Russland. Die Stalinrede und letzten Dekrete des obersten Wirtschaftsrates betreff Lohnfragen auswertend, prägte sie den Satz: «Gleiche! Lohn und gleiches Essen, sind in Russland längst vergessen.» So liefert die zentristische Bürokratie den Klassenfeinden die Mittel, den Kommunismus zu kompromittieren. Die Kosten trägt die Arbeiterschaft.

Wie löst die Partei ihre Aufgaben? War die politische Achse der Partei das Programm der nationalen Phrasen, Volksrevolution und Scheringerei, so war die organisatorische Achse, um die sich das ganze Leben der Partei abspielte, der Wahlkampf. Statt, dass der Wahlkampf eine außerparlamentarische Massenmobilisierung widerspiegelte, ersetzte er dieselbe. Die Parolen der Partei waren abstrakte Wahlparolen, nicht geeignet, Kämpfe und Bewegungen im Betrieb und Stempelstelle auszulösen. «Für ein rotes Hamburg im freien sozialistischen Deutschland»; «Gegen die Reichen, für die Arme»; «Her zur Freiheitsarmee gegen Youngsklaverei»; «Mit Scheringer. mit der KPD»; «Für die Liste 2». Das waren die Wahllosungen der Partei. Die Wahlarbeit wurde getragen von einer ganz neuen Schicht Parteiarbeiter, welche weder in der Arbeiterbewegung verankert sind, noch die Erfahrungen der revolutionären Arbeit besitzen. Nazi und SPD waren in den Illusionen dieser Genossen bereits auf dem Aussterbeetat und man rechnete nicht mit diesen beiden als ernsten politischen Faktor.

Wie beantwortet die Partei die Frage: «Was nun?» Sie kommt mit 14 «Kampfforderungen des roten Hamburg» heraus. Man sollte annehmen, dass diese 14 Punkte nun der Mittelpunkt des Kampfes um die Herstellung der Einheitsfront sein müssten, dass sie der Hamburger Arbeiterschaft eindeutig den Weg zeigen, der nun zu beschreiten ist. Aber bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass die 14 Punkte vollkommen in der Luft schweben. Denn mit keinem Wort wird erwähnt, wer und wie denn diese Forderungen durchgeführt werden sollen. Es fehlt z. B. vollkommen der Hinweis, dass diese 14 Punkte die Grundlage einer roten Koalition bilden können, d.h. auf dieser Grundlage wäre eine rein sozialdemokratische Regierung mit Unterstützung der Kommunisten auf Grund der Arbeitermehrheit in der Bürgerschaft möglich. Bei einer Durchsicht der 14 Punkte stellt sich heraus, dass sie mit einer Oberflächlichkeit aufgestellt worden sind. Abgesehen von sinnentstellenden stilistischen Fehlern, wie bei Punkt 12, wo betreffs der Lehrmittel einfach Streichung der Bewilligung von Lehr- und Lernmittelgelder herauszulesen ist. selbstverständlich soll das Gegenteil der Fall sein, sind auch Widersprüche vorhanden. Wenn man unter Punkt 8 Abschaffung der Schupo verlangt, dann braucht man unter Punkt 10 nicht mehr Entlassung und Bestrafung aller reaktionären Beamten der Polizei (Polizeioffiziere) zu fordern. Unklar ist gleichfalls unter Punkt 8 die Schaffung einer Arbeitermiliz, die doch in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung Staatsfunktionen ausüben kann, während ihre revolutionäre Bedeutung doch erst in der Periode der Doppelherrschaft zum Ausdruck kommt. Unpopulär ist die unter 5 aufgestellte Forderung der Einführung der Fünftagewoche, eine Forderung, die im Gegensatz zum Siebenstundentag absolut noch nicht ideologisches Eigentum der Arbeiterschaft ist und nichts anderes, als eine schematische Übertragung russischer Maßnahmen auf Deutschland bedeutet. Alles das zeigt deutlich, dass die Partei der Arbeiterschaft eine unbrauchbare Waffe in die Hand gegeben hat. Parteigenossen, kämpft gegen ein solche stümperhafte «Führung» der Partei, die euch jede Arbeit im Betrieb und Stempelstelle erschwert.

Wir fordern mit den Parteigenossen Änderung der Kampfforderungen in ihren Einzelheiten, wie oben aufgezeigt wurde, mit der Losung der «roten Koalition» als Basis des Kampfes um die Einheitsfront der Hamburger Arbeiterschaft auf der Stempelstelle und im Betrieb.

Fest steht, dass die Partei es nicht verstanden hat, die Oppositionsströmungen in der Hamburger SPD auszunutzen. Die schwankenden SPD-Arbeiter können und wollen nicht zur KPD kommen wegen der falschen Einstellung der Partei zur Einheitsfrontfrage, wie z. B. Gewerkschaft und RGO, Volksentscheid, Scheringer-Propaganda usw. Diese falsche Linie kam auch während der Wahlkampagne zum Ausdruck: als z. B. die Nazi durch die Marktstraße (im Arbeiterviertel) demonstrierten, sammelten sich kurz nach dem Durchmarsch die Kommunisten spontan zu einer Demonstration, und in der Straße, die noch unter dem Eindruck des Nazidurchmarsches stand, erschallten die Sprechchöre der Kommunisten: Wer hat uns verraten, die. Sozialdemokraten; wer macht uns wieder frei, die Kommunistische Partei.»

Die Partei hat während der ganzen Wahlkampagne keine einzige Versammlung abgehalten, die sich eingehend mit dem Nationalsozialismus befasst hat: man hat in Hamburg die Nazibewegung einfach unterschätzt. Erklärte doch Thälmann in einer der Wahlversammlungen, dass die Nazibewegung stagniere. Die Partei hat es außerdem auch nicht verstanden, entscheidenden Einfluss zu gewinnen in den Kreisen der Mittelschichten, des Kleinbürgertums und insbesondere unter den Angestellten. Und gerade aus diesen Kreisen haben die Nazi ihren Stimmenzuwachs erhalten. Die Anleihe, seitens der Partei, in nationalen Fragen bei den Nationalsozialisten, hat dieser Bewegung keinen Abbruch getan. Die unklare politische Linie, die rot übertünchten nationalen Parolen, haben das proletarisierte Bürgertum nicht neutralisiert, sondern aktiviert und zwar in der Richtung zu den Nazis. Einfluss in diesen Schichten kann man nicht gewinnen, wenn man es so macht, wie die Partei es bei den erwerbslosen Angestellten getan hat. Monatelang hatte man sich nicht um die Stempelstelle der erwerbslosen Angestellten gekümmert, nun, zur Wahl, sollte wieder termingemäß eine Aktion steigen.

Um gefüllte Versammlungen zu erhalten, konstruierte man einen politisch neutralen Erwerbslosenausschuss der Angestellten, in dem nicht weniger wie 7 Nationalsozialisten und einer, welcher vor kurzem wegen Polizeispitzelverdacht aus der Partei ausgeschlossen wurde, nebst noch einigen dunklen Elementen saßen. Diese dunklen Elemente benutzte man, um ihren persönlichen Einfluss auf der Stempelstelle auszunutzen. In einer Versammlung der erwerbslosen Angestellten nahm man unpolitisch zu dem Erwerbslosenproblem Stellung, jede politische Auseinandersetzung wurde unterbunden. Trotz der angeblichen Unterschriftensammlung von 4000 (?) Angestellten, war die Versammlung von etwa 200 besucht bei etwa 20.000 erwerbslosen Angestellten.

Das Stimmenergebnis zeigt der Arbeiterschaft mit aller Deutlichkeit die Gefahren, welche ihr seitens der Faschisten drohen. Der faschistischen Flutwelle muss ein Damm entgegengestellt werden, der nur wirkungsvoll sein kann, wenn die Grundlage desselben die Einheitsfront aller Arbeiter im Betrieb und Stempelstelle ist. Im Kampf um die Herstellung dieser Einheitsfront hat die KPD gewaltige Aufgaben zu lösen. Aufgaben, die nur gelöst werden können bei einer klaren, wohlüberlegten, eindeutigen Linie der Partei.

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