Reichsleitung der Linken Opposition: An das ZK der KPD! [Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 1. Jahrgang Nr. 4 (Oktober-November 1931), S. 1 f.] Werte Genossen! Im Bewusstsein des Ernstes der gegenwärtigen Situation schreiben wir diesen Brief. Die Ereignisse der letzten Monate brachten eine Zuspitzung der Krise bis zu einem solchen Grade, dass mit größter Wahrscheinlichkeit die Entscheidung steht: Entweder die Machteroberung durch das revolutionäre Proletariat, oder für die Bourgeoisie die Möglichkeit der blutigen Unterdrückung der Arbeiterbewegung durch den Terror eines faschistischen Regimes. Die wichtigsten Merkmale für den Charakter der Krise sind: 1. Die Krise in Deutschland ist ein Teil der Weltkrise des Kapitalismus. 2. Infolge der speziellen Lage der deutschen Bourgeoisie ist die Krise in Deutschland am tiefsten und macht Deutschland zu einem der schwächsten Kettenglieder der kapitalistisch hochentwickelten Länder. 3. Die Stilllegung und Desorganisation des Produktions-Apparates hat eine vorhergegangene Krisen weitaus übersteigendes Ausmaß angenommen. 4. Die Zahl der Erwerbslosen, die nach Einschätzung der Bourgeoisie selbst in diesem Winter 7-8 Millionen erreichen soll, ist nicht nur die bisher höchste, sondern hat als besonderes Merkmal den Stempel der Dauer-Erwerbslosigkeit. 5. Die Krise ist nicht nur eine solche des Industrie- und Finanz-Kapitals, sondern entwickelt sich immer mehr auch zu einer Finanzkrise des Landes. (Lage der Reichsbank, Inflationsfragen usw.) 6. Ebenso falsch wie eine Überschätzung wäre es, die starken Differenzen innerhalb der herrschenden Klasse zu unterschätzen (Bildung der 2. Brüning-Regierung usw.) Diese Tatsachen beweisen das Vorhandensein einer objektiv revolutionären Situation. Im schärfsten Gegensatz dazu ist der Stand des subjektiven Faktors. Nichts ist gefährlicher und besonders für die revolutionäre Bewegung verderblicher als Selbsttäuschung oder falsche Einschätzung sowohl des Gegners wie der eigenen Kräfte. Wie groß die Kluft zwischen den objektiven Bedingungen und der Reife des subjektiven Faktors ist. beweisen folgende Tatsachen: 1. Trotz des sehr erheblichen Wachstums der KPD ist die SPD in ihren Grundfesten noch nicht erschüttert. Soweit die günstige objektive Lage eine Differenzierung in der SPD erzwungen hat, blieb sie in der Bildung einer zentristischen Partei stecken. 2. Die wirklich auf allen Fronten unverhüllt vorgetragene Lohnabbau-Offensive der Bourgeoisie hat den denkbar geringsten Widerstand gefunden. 3. Die Gewerkschaften, die trotz Krise und ihrer Politik nur sehr bedingt in ihrem Mitgliederbestand geschwächt sind, befinden sich gegenwärtig voll und ganz und uneingeschränkt in den Händen des rechtesten Reformismus. 4. Die Arbeiterklasse hat den Notverordnungskurs und die tiefgehende soziale Reaktion fast ohne Widerstand hingenommen. 5. Ebenso hat die konzentrierte Unterdrückung der kommunistischen Presse und der revolutionären Organisationen (Besetzung des KL-Hauses) keine breiten Abwehraktionen des Proletariats auszulösen vermocht. 6. Die wachsende Zahl der Erwerbslosen wird von der Arbeiterklasse fast mit Fatalismus hingenommen und teilweise bereits als unabänderliche Tatsache betrachtet. Besonders schwerwiegend hierbei ist die Verständnislosigkeit der im Betrieb stehenden Arbeiter für die aktive Unterstützung der zu organisierenden Kämpfe der Erwerbslosen. Diese beiden Gegenüberstellungen beweisen die Ungleichmäßigkeit der beiden Grundfaktoren der Revolution. Trotzdem liegen in der gegenwärtigen Lage die großen Möglichkeiten für das Proletariat, wenn das Zurückbleiben des subjektiven Faktors aufgeholt wird. Dies ist um so dringender, als der konsequenteste Flügel der Bourgeoisie in der Sammlung und Konzentration seiner Kräfte große Fortschritte gemacht hat und die Schwäche des proletarischen Widerstandes aktiv ausnützt. Die Hamburger Wahlen mit dem überraschenden Erfolg der Nazis und der Deutschnationalen, der etappenweise Übergang der Wirtschaftspartei und das Einschwenken des ausschlaggebenden Teils der Volkspartei (Rheinische Schwerindustrie) zur faschistischen Front, der Empfang Hitlers durch Hindenburg und zuletzt die große Führertagung der trotz scheinbarer Differenzierungen geeinigten «nationalen Opposition» signalisieren mit aller Schärfe die Größe der faschistischen Gefahr in Deutschland. In der Beurteilung dieser Gefahr bestehen in der Kommunistischen Partei zwei Grundlinien: a) Der Sieg des Faschismus sei unbedingte Voraussetzung für den Sieg des Proletariats unter den gegebenen Verhältnissen; wir können diese Etappe nicht «überspringen»; wir werfen uns nicht ins Feuer, sondern führen eine abwartende Politik durch, indem wir den unvermeidlichen Sieg des Faschismus und seinen ebenso unvermeidlichen Sturz sehen; dann und nur dann kommen wir an die Reihe. «Die faschistische Herrschaft schreckt uns nicht, sie hat rascher abgewirtschaftet als jede andere Regierung!» b) Der Sieg des Faschismus bedeutet die Erstickung der deutschen Revolution auf viele Jahre hinaus und fast den sicheren Tod der USSR; den Faschismus nicht zur Macht kommen zu lassen, ist die revolutionäre Pflicht des deutschen Proletariats: mit dieser Aufgabe verbindet das Proletariat voll und ganz sein Schicksal. Wir halten die Auffassung, auf dem Wege von Rückzugs-Manövern die Faschisten «provisorisch» die Macht ergreifen zu lassen, um dann auf ihren Schultern zu erstarken, für Verrat am Proletariat. Die Erfahrung Italiens spricht Bände. Die italienische Erfahrung ist nichts dagegen im Vergleich zu dem, was der europäische Faschismus, indem er sich auf die bürgerlichen Klassen und auf das Lumpen-Proletariat stützt, vollbringen wird. Selbst bei der Annahme, dass das Proletariat im entscheidenden Kampf gegen den Faschismus eine Niederlage erleidet, so ist doch dieser Kampf unvermeidlich und unbedingt notwendig: denn geschlagen zu werden im Kampfe, bedeutet die Zukunft vorzubereiten. Aber geschlagen zu werden nach einer kraftlosen Kapitulation, bedeutet die Zukunft für Jahrzehnte hinaus begraben. Dazu kommt aber noch, dass wir keinen Grund haben zu glauben, dass der entscheidende Kampf gegen den Faschismus vor seiner Machtergreifung unbedingt mit einer Niederlage enden muss. Die Faschisten verfügen unzweifelhaft über qualifizierte Kampfkaders von Offizieren: doch die große Masse, die in ihrem Schlepptau ist, besteht zum großen Teil aus Menschenstaub, und ihre Kampfesqualitäten sind bedeutend schlechter als die des Proletariats. Der Sieg ist möglich, der Sieg ist wahrscheinlich, man muss alles machen, um ihn zu sichern. Nur so können Revolutionäre diese Frage in der gegenwärtigen Situation stellen. Die Frage über den Sieg des Faschismus in Deutschland ist auch eine Frage des Schicksals der USSR, gleichgültig, ob sie vom ökonomischen, politischen oder, rein militärischen Standpunkte aus gesehen wird. Das bedeutet aber, dass die Sowjetunion alle ihre Kräfte aufs Spiel setzen muss, damit sie imstande ist. die Zukunft der sozialistischen Wirtschaft der USSR zu sichern, in unlösbarer Verbindung mit der Zukunft der europäischen Revolution über den Faschismus. Nur so kann die strategische Linie der Kommunistischen Partei sein. Die KP muss also Ausgangs-Positionen einnehmen, die auf dem unversöhnlichen und rücksichtslosen Kampf gegen den Faschismus beruhen zwecks Zertrümmerung des Faschismus im unvermeidlichen, offenen Kampfe und zur Eroberung der Macht. Gegen den Sieg des Faschismus muss die einheitliche revolutionäre Klassen-Aktion des Proletariats organisiert werden. Sie ist nur zu verwirklichen, wenn alle revolutionären Kräfte, gleichgültig, in welchem Lager sie augenblicklich stehen mögen, sich zu dieser gemeinsamen, unmittelbar auf der Tagesordnung stehenden Aktion zusammenfinden. Wir sind uns vollkommen klar darüber, dass die Voraussetzungen dafür äußerst ungünstig sind. Trotzdem muss angesichts des Ernstes der Lage von der KPD als der historisch berufenen Organisation der Versuch gemacht werden, eine wirkliche Kampfes-Einheit der Klasse herzustellen. Wir unterbreiten Euch dazu folgende Vorschläge: Die KPD tritt unverzüglich an alle politischen Gruppen. Gewerkschaften und Arbeiter-Organisationen heran, die sich bereit erklären, gegen den Faschismus zu kämpfen, mit dem Ziel eines gemeinsamen Aufrufs zur Bildung einer Aktions-Gemeinschaft gegen den Faschismus. Dieser Aufruf muss enthalten: 1. Die Schaffung von Aktions-Ausschüssen aus den Vertretern der Betriebe, Gewerkschaften politischen Gruppen und sonstigen Arbeiter-Organisationen. Es ist von größter Wichtigkeit, dass in den Aktions-Ausschüssen auch wirklich die in den Orten vorhandenen verschiedenen Strömungen der revolutionären Arbeiterschaft vertreten sind. 2. Die Aktionsgemeinschaft soll sich konstituieren auf einem Kongress aus den Delegierten dieser Aktions-Ausschüsse aus dem gesamten Reiche, der in kürzester Frist zusammentreten soll. Dieser Kongress muss die proletarische Konzentration gegen die Konzentration der Reaktion darstellen. 3. Der Kongress muss von vornherein organisiert werden als proletarisches Gegenparlament gegen einen event. faschistischen Reichstag, bzw. gegen eine außerparlamentarisch oder parlamentarisch gebildete faschistische Regierung. 4. Der Kongress muss drei Aufgaben konkret lösen: a) die Vorbereitung des Generalstreiks zur Verhinderung der Machtübernahme durch Hugenberg und Hitler: b) die Bildung einer gemeinsamen, überparteilichen Arbeiterwehr; c) die Ausarbeitung eines gemeinsamen Minimal-Programms für die von den Aktions-Ausschüssen vorzunehmenden nächsten Schritte. Die so defensiv geführte Aktion enthält bei richtiger Führung alle Elemente, um das Proletariat angesichts der eingangs gezeichneten objektiven Möglichkeiten zur Offensive nicht nur gegen den Faschismus, sondern zum Sturz, der Bourgeoisie überhaupt zu führen. Eine solche Politik ist nur möglich bei radikaler Kursänderung der Partei. Die Erfahrungen der französischen KP sprechen eine eindeutige Sprache. Trotz III. Periode, ultralinker Gewerkschaftstaktik, Sozialfaschismus und dergleichen Schlagworte war die Partei gezwungen, unter dem Druck der objektiven Verhältnisse und teilweise auch auf Grund der vernünftigen Vorschläge der linken Opposition ihren Kurs radikal zu ändern. (Siehe Stichwahl-Angebot an SPF, Vorbereitungs-Kongress zur Herstellung der Gewerkschaftseinheit.) Es wäre an der Zeit, auch die Konsequenzen in Deutschland zu ziehen und die Einheitsfront aller wirklichen Kommunisten wieder herzustellen. Wir erklären ausdrücklich, dass wir aus innerster Überzeugung trotz tiefgehender Meinungsverschiedenheiten in einer Reihe von Fragen mit allen unseren Kräften bereit sind, vorbehaltlos jeden Schritt der Partei in dieser Richtung zu unterstützen und uns voll und ganz an jeder Stelle der Partei zur Verfügung zu stellen. Mit kommunistischem Gruß! Linke Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) I. A., Reichsleitung. (P. S. Dieser Brief wurde am 23. 10. durch eine Delegation dem ZK. überbracht. Bis heute haben wir noch keine Antwort erhalten. D. Red.) |
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