Dritter Brief

Dritter Brief

Tu l'as voulu, Georges Dandin!"

Gnädiger Herr!

Ein ganzes Jahr ist verflossen, seitdem ich meinen zweiten Brief an Sie verfasst habe. Ich glaubte, mich niemals mehr mit Ihnen auseinandersetzen zu müssen. Und doch greife ich abermals zur Feder, um nun diesen dritten Brief an Sie zu schreiben. Und zwar aus folgendem Grunde.

I

Sie sind unverkennbar ein Schüler Machs. Aber Schüler gibt es verschiedene: bescheidene und unbescheidene. Die Bescheidenen treten für die Interessen der Wahrheit ein und legen es nicht darauf an, ihre eigene Persönlichkeit in den Vordergrund zu stellen. Die Unbescheidenen hingegen denken vor allem daran, ihre eigene Persönlichkeit in einem günstigen Licht darzustellen. Den Interessen der Wahrheit gegenüber sind sie gleichgültig. Die Geschichte des Denkens weist aus, dass beinahe immer die Bescheidenheit direkt proportional und die Unbescheidenheit umgekehrt proportional dem Talent des Schülers ist. Nehmen wir zum Beispiel Tschernyschewski. Er war im höchsten Grade bescheiden. Wenn er die philosophischen Ideen Feuerbachs darstellte, war er stets bereit, sogar seine eigenen geistigen Beiträge voll und ganz dem Lehrer zuzurechnen. Dass er dessen Namen unerwähnt ließ, erklärt sich einzig und allein aus den Zensurbedingungen. Er tat alles, was er konnte, um den Leser wissen zu lassen, wo die philosophischen Leitsätze, die der „Sowremennik" verteidigte, ihren Ursprung hatten. Und so war es nicht nur in der Philosophie. In der Lehre vom Sozialismus war Tschernyschewski ein Anhänger der genialen westeuropäischen Utopisten. Und wenn er seine sozialistischen Ansichten vorträgt und verteidigt, weist er mit der ihm eigenen Bescheidenheit den Leser immer wieder darauf hin, dass sie eigentlich nicht von ihm stammen, sondern von seinen „großen westlichen Lehrern". Dabei hat Tschernyschewski in seinen Aufsätzen sowohl über Philosophie als auch über Sozialismus ein hohes Maß von Intelligenz, von Folgerichtigkeit, von Wissen und von Talent bewiesen. Ich wiederhole: Die Bescheidenheit eines Schülers ist beinahe immer direkt proportional und die Unbescheidenheit umgekehrt proportional seinem Talent. Sie gehören zu den Unbescheidenen, und darum haben Sie bei der Verbreitung der Machschen „Philosophie" in Russland Eigenschaften an den Tag gelegt, die denen, durch die sich Tschernyschewski bei der Verbreitung der Philosophie Feuerbachs auszeichnete, diametral entgegengesetzt sind. Ihnen ist es darum zu tun, selbständig und originell zu erscheinen. Sie tun jetzt verwundert, weil ich mich in meinem zweiten Brief, nachdem ich Ihre quasikritischen Bemerkungen zu einigen meiner philosophischen Gedanken widerlegt habe, darauf beschränke, auf jene unlösbaren und wahrhaft belächelnswerten Widersprüche einzugehen, in die sich Mach verwickelt hat, statt mich mit Ihren eigenen Hirngespinsten zu befassen. Jeder Mensch, der mit der Logik nicht völlig auf Kriegsfuß steht, wird verstehen, dass mit dem Zusammenbruch der Grundlage einer philosophischen Lehre auch jene Überbauten zusammenbrechen müssen, die darauf von den Schülern des Denkers, der diese Grundlage hervorgebracht hat, errichtet werden könnten. Und wenn allen bekannt wäre, wie Sie zu Mach stehen, dann würde jeder sofort begreifen, dass von da an, wo der Machismus in die Brüche geht, auch von Ihren „philosophischen" Konstruktionen kein Stein auf dem anderen bleiben kann. Aber Sie als unbescheidener Schüler haben alles mögliche unternommen, um die Leser über Ihr wirkliches Verhältnis zu Ihrem Lehrer im unklaren zu lassen. Darum finden sich vielleicht auch jetzt noch Menschen, die es beeindruckt, wenn Sie mit lässiger Gebärde – wie zum Beispiel auf einer öffentlichen Versammlung bald nach dem Erscheinen meines zweiten Briefes – beweisen, dass die gegen Machs „Philosophie" erhobenen Einwände Sie nicht betreffen. Wegen dieser Leute greife ich jetzt zur Feder; ich möchte sie von ihrem Irrtum befreien. Als ich meine beiden ersten Briefe an Sie schrieb, stand mir zuwenig Platz zur Verfügung, um mich sowohl mit dem Original als auch mit der Abschrift beschäftigen zu können. Selbstverständlich habe ich dem Original den Vorzug gegeben. Jetzt brauche ich mich mit dem Platz nicht so einzuschränken. Außerdem habe ich in diesen Tagen etwas Zeit, so dass ich mich mit Ihnen beschäftigen kann.

II

Sie belieben zu sagen: „Bei Mach habe ich viel gelernt; ich glaube, dass auch Genosse Beltow von diesem hervorragenden Gelehrten und Denker, dem großen Zerstörer wissenschaftlicher Fetische, manches Interessante erfahren könnte. Den jungen Genossen aber würde ich raten, sich nicht daran zu stoßen, dass Mach kein Marxist ist. Sollen sie sich ein Beispiel am Genossen Beltow nehmen, der so vieles bei Hegel und Holbach gelernt hat, die, wenn ich nicht irre, auch keine Marxisten waren. Ich kann mich nicht als Machist in der Philosophie bekennen. In der allgemeinen philosophischen Konzeption habe ich von Mach nur das eine übernommen – die Vorstellung von der Neutralität der Erfahrungselemente bezüglich des ‚Physischen' und ‚Psychischen', von der allgemeinen Abhängigkeit dieser Charakteristika von der Verknüpfung der Erfahrung. In allem übrigen hingegen – in der Lehre von der Genesis der psychischen und physischen Erfahrung, in der Lehre von der Substitution, in der Lehre von der ‚Interferenz' der Komplex-Prozesse im allgemeinen Weltbild, das auf diesen Prämissen beruht, gibt es bei mir mit Mach nichts Gemeinsames. Mit einem Wort, ich bin viel weniger ,Machist', als Genosse Beltow ,Holbachianer' ist, was uns hoffentlich beide nicht hindert, gute Marxisten zu sein."A

Ich werde Ihrem Beispiel nicht folgen; ich werde weder mir selbst noch meinem Gegner Komplimente machen. Was den letzteren, also Sie, gnädiger Herr, betrifft, so muss ich leider wiederum unfreundlich sein und Sie an das erinnern, was ich in den vorausgegangenen Briefen gesagt habe: dass man niemals ein „guter Marxist" sein kann, wenn man die materialistische Grundlage der Weltanschauung von Marx und Engels ablehnt.B Sie sind nicht nur himmelweit davon entfernt, „ein guter Marxist zu sein", sondern Ihnen ist das zweifelhafte Glück zuteil geworden, bei all denen Sympathien zu wecken, die sich den Ruf eines Marxisten bewahren und gleichzeitig ihre Weltanschauung dem Geschmack unserer heutigen bürgerlichen Übermenschen anpassen möchten. Aber das nur nebenbei. Ich habe Ihre Worte nur angeführt, um zu zeigen, mit welch hohem Maß von Selbstgefälligkeit Sie Ihr Verhältnis zu Ihrem Lehrer Mach charakterisieren. Wollte man Ihren Worten Glauben schenken, dann hätten Sie mit ihm in einer ganzen Reihe von Fragen, die für den „Empiriomonismus" äußerst wichtig sind, sehr wenig gemein. Schlimm ist nur, dass man Ihnen in diesem Falle nicht glauben darf: Sie sind geblendet von Eigendünkel. Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur jenen unbestreitbaren und höchst einfachen Umstand in Betracht zu ziehen, dass Sie selbst dort, wo Sie sich unabhängig von Ihrem Lehrer wähnen, lediglich die bei ihm entlehnte Lehre verderben. Sie verderben sie, aber Sie bleiben gleichzeitig ihrem Geist völlig treu, so dass Ihr ganzer „Empiriomonismus" nicht mehr darstellt als die Verwandlung zur offensichtlichen Absurdität, was bei Ihrem Lehrer schon eine Absurdität in der Potenz (ein {absurdum an sich}, wie Hegel sagen würde) war. Was hat das mit Selbständigkeit zu tun? Wo gibt es hier auch nur eine Spur von Unabhängigkeit? Wie kommen Sie bloß darauf, Verehrtester? Ihre ganze lächerliche Anmaßung fällt bei der geringsten Berührung mit der Kritik wie ein Kartenhaus zusammen.

Sie finden, ich bin ungerecht? Das ist klar. Ich wiederhole: Sie sind geblendet von Ihrem Eigendünkel. Und doch verhält sich alles genau so, wie ich es gesagt habe.

Beweise? Daran scheitert die Sache nicht. Ich nehme zunächst den ersten Ihrer oben genannten Beiträge zur Philosophie des „Empiriokritizismus" – Ihre „Lehre von der Genesis der physischen und psychischen Erfahrung". Diese Lehre ist für Sie besonders charakteristisch und verdient daher unsere Aufmerksamkeit. Was beinhaltet sie? Folgendes.

Nachdem Sie die „zutiefst auf den Erfindungen der zeitgenössischen Wissenschaft beruhende"C Weltanschauung von Mach und Avenarius dargestellt und hinzugefügt haben, dass wir, „wenn wir diese Weltanschauung als einen kritischen, evolutionären, soziologisch gefärbten Positivismus bezeichnen, sogleich jene Hauptströmungen des philosophischen Denkens beim Namen genannt haben, die hier zu einem Strom zusammengeflossen sind"D, fahren Sie folgendermaßen fort:

Der Empiriokritizismus lässt bei der Zerlegung alles Physischen und Psychischen in wesensgleiche Elemente die Möglichkeit von Dualismus, welcher Art auch immer, nicht zu. Aber hier entsteht eine neue kritische Frage: Der Dualismus ist widerlegt, beseitigt, aber ist der Monismus erreicht? Befreit die Betrachtungsweise von Mach und Avenarius unser ganzes Denken tatsächlich von seinem dualistischen Charakter? Wir sind gezwungen, diese Frage negativ zu beantworten."E

Weiter erklären Sie, warum Sie sich „gezwungen" sehen, mit Ihren Lehrern unzufrieden zu sein. Sie sagen, dass bei den genannten Autoren zwei Zusammenhänge prinzipiell unterschieden bleiben und keine Vereinigung in einer höheren Gesetzmäßigkeit zulassen: einerseits der Zusammenhang der physikalischen Reihe, andererseits der Zusammenhang der psychischen Reihe. Avenarius meint, dass hier eine Dualität vorliegt, jedoch kein Dualismus. Sie finden diesen Gedanken nicht richtig.

Es handelt sich darum", argumentieren Sie, „dass prinzipiell verschiedene, nicht zu einer Einheit zusammenfassbare Gesetzmäßigkeiten für die Ganzheit und Harmonie der Erkenntnis nur wenig besser sind als prinzipiell verschiedene Realitäten, die nicht zu einer Einheit zusammengefasst werden können. Wenn der Bereich der Erfahrung in zwei Reihen aufgeteilt ist, mit denen die Erkenntnis ganz unterschiedlich operieren muss, dann kann sich die Erkenntnis nicht als etwas Einheitliches, Harmonisches fühlen. Unweigerlich taucht eine Reihe von Fragen auf, die darauf gerichtet sind, die Dualität zu beseitigen, sie durch eine höhere Einheit zu ersetzen. Wieso kann es in dem einheitlichen Strom der menschlichen Erfahrung zwei prinzipiell verschiedene Gesetzmäßigkeiten geben? Und warum sind es gerade zwei? Warum steht die abhängige Reihe ,Psychisches' in einer engen Funktionalbeziehung gerade mit dem Nervensystem und nicht mit irgendeinem anderen ,Körper', und warum gibt es in der Erfahrung nicht eine Vielzahl abhängiger Reihen, die mit andersartigen ,Körpern' verbunden sind? Warum treten manche Elementenkomplexe in beiden Erfahrungsreihen auf – als ,Körper' und als ,Vorstellungen' –, während andere niemals Körper sind und immer nur zu einer Reihe gehören, usw.?"F

Da die „zutiefst auf den Erfindungen der zeitgenössischen Wissenschaft beruhende" Weltanschauung von Mach und Avenarius auf Ihr vielfaches und tiefsinniges „Warum?" keine Antwort gibt, stellen Sie sich mit der Ihnen eigenen Selbstsicherheit „die Aufgabe, diese Dualität zu überwinden".G Und in Ihrem Kampf mit „dieser Dualität" kommt dann auch Ihr philosophisches Genie in seiner ganzen Größe zum Vorschein.

Zunächst versuchen Sie zu klären, worin der Unterschied der beiden Erfahrungsreihen – der physikalischen und der psychischen–besteht, und dann möchten Sie, „wenn es sich als möglich erweist, die Genesis dieser Unterschiede verdeutlichen".H Somit zerfällt die Aufgabe, die Sie sich stellten, in zwei Aufgaben. Die erste löst sich so.

Nach Ihren Worten ist ein ständiges Merkmal alles Physischen seine Objektivität. Das Physische ist immer objektiv. Deshalb bemühen Sie sich um eine Definition des Objektiven. Und sehr bald haben Sie herausgefunden, dass diese am richtigsten so lauten müsste:

Als objektiv bezeichnen wir jene Gegebenheiten der Erfahrung, die sowohl für uns als auch für andere Menschen die gleiche Lebensbedeutung haben, jene Gegebenheiten, auf die nicht bloß wir unsere Tätigkeit ohne Widersprüche aufbauen, sondern auf die sich unserer Überzeugung nach auch die anderen Menschen stützen müssen, wenn sie nicht in Widersprüche geraten wollen. Der objektive Charakter der physischen Welt besteht darin, dass sie nicht nur persönlich für mich, sondern für alle existiert und für alle eine bestimmte Bedeutung hat, meiner Überzeugung nach die gleiche wie für mich. Die Objektivität der physikalischen Reihe ist ihre Allgemeingültigkeit. Das ‚Subjektive' in der Erfahrung ist das, was keine Allgemeingültigkeit, was Bedeutung nur für ein oder einige Individuen hat."I

Nachdem Sie auf diese Definition gekommen sind, die besagt, dass Objektivität gleich Allgemeingültigkeit und dass Allgemeingültigkeit die Übereinstimmung der Erfahrungen verschiedener Menschen ist, betrachten Sie die erste der beiden zweitrangigen Aufgaben, in die sich Ihre Hauptaufgabe unterteilt, als gelöst und gehen zur zweiten über. „Woher aber", fragen Sie, „nehmen wir diese Übereinstimmung, diese gegenseitige Entsprechung? Soll man sie als ,prästabilierte Harmonie' werten oder aber als ein Ergebnis der Entwicklung?"J Es ist leicht vorauszusehen, in welchem Sinne diese Fragen von Ihnen gelöst werden. Sie sind für die „Entwicklung". Sie sagen:

Das allgemeine Merkmal des ‚physikalischen' Erfahrungsbereiches ist, wie wir gesehen haben, die Objektivität oder die Allgemeingültigkeit. Zur physischen Welt rechnen wir nur das, was wir für objektiv halten… Jene Übereinstimmung der kollektiven Erfahrung, die sich in dieser ‚Objektivität' ausdrückt, konnte nur als Ergebnis der progressiven Abstimmung der Erfahrung unterschiedlicher Menschen durch gegenseitige Meinungsäußerung entstehen. Die Objektivität der physischen Körper, denen wir in unserer Erfahrung begegnen, wird letzten Endes auf Grund gegenseitiger Kontrolle und der Übereinstimmung der Aussagen verschiedener Menschen festgestellt. Überhaupt ist die physische Welt die sozial in Übereinstimmung gebrachte, sozial harmonisierte, mit einem Wort sozial organisierte Erfahrung."K

Das ist an sich schon klar genug. Aber Sie fürchten Missverständnisse. Sie vermuten, man könnte Sie fragen, ob ein Mensch, der mit dem Fuß gegen einen Stein gestoßen ist, nun erst fremde Aussagen abwarten muss, um von der Objektivität dieses Steines überzeugt zu sein. Und um dieser in der Tat keineswegs abwegigen Frage zuvorzukommen, stellen Sie fest:

Die Objektivität der äußeren Dinge läuft in letzter Instanz immer auf den Austausch von Aussagen hinaus, gründet sich jedoch längst nicht immer unmittelbar auf ihn. Im Prozess der sozialen Erfahrung bilden sich bestimmte allgemeine Beziehungen, allgemeine Gesetzmäßigkeiten heraus (der abstrakte Raum und die abstrakte Zeit gehören hierzu), welche die physische Welt charakterisieren, die sie erfassen. Diese allgemeinen Beziehungen, die sich sozial entwickelt und gefestigt haben, hängen vor allem mit der sozialen Übereinstimmung der Erfahrung zusammen, sie sind vor allem objektiv. Jedes neue Erlebnis, das mit ihnen vollständig übereinstimmt und vollständig in ihren Rahmen hineinpasst, bezeichnen wir als objektiv, ohne irgend jemandes Aussagen abzuwarten: Die neue Erfahrung wird selbstverständlich so bewertet wie die alte Erfahrung, in deren Formen sie sich herauskristallisiert."L

Sie sehen, gnädiger Herr, dass ich bei der Darlegung Ihrer Ansichten das Wort gerne Ihnen überlasse – einem Menschen, der am kompetentesten ist für das, was einige Leser, zum Beispiel Herr Dauge, naiverweise als „die Philosophie A. Bogdanows" ansehen.1 Sie können nicht sagen, dass ich, wenn ich Ihre Gedanken mit meinen Worten wiedergebe, damit seinen Inhalt verändere. Das ist sehr bequem. Darum bitte ich Sie erneut, das Wort zu ergreifen und das Missverständnis zu zerstreuen, das sich aus Ihrem Beispiel mit dem Stein ergeben könnte. Sie sagten, dass sich der Stein für uns deshalb als etwas Objektives darstellt, weil er seinen Platz innerhalb der räumlichen und zeitlichen Abfolge der physischen Welt hat. Dagegen könnte man einwenden, dass ja auch Gespenster innerhalb der räumlichen und zeitlichen Abfolge der physischen Welt auftreten. Sind etwa auch Gespenster „objektiv"? Sie lächeln nachsichtig und bemerken, dass die Objektivität der Erscheinungen unter der Kontrolle der sich entwickelnden sozialen Erfahrung stehe und gelegentlich von ihr außer Kraft gesetzt werde.„Der Hausgeist, der mich nachts würgt, ist für mich objektiv, möglicherweise in nicht geringerem Grade, als der Stein, an dem ich mich gestoßen habe; aber die Aussagen anderer Menschen machen diese Objektivität Unfähig. Würde man dieses höchste Kriterium der Objektivität außer acht lassen, so könnten systematische Halluzinationen eine objektive Welt bilden, womit gesunde Menschen kaum einverstanden wären."M

III

Jetzt werde ich Sie für einige Zeit nicht weiter beunruhigen. Sie haben genug gesprochen; ich möchte mich in den Sinn Ihrer Worte vertiefen. Da ich durch Sie in den Besitz des „höchsten Kriteriums der Objektivität" gelangt bin, will ich herausfinden, wie objektiv, das heißt frei von Subjektivismus, Ihre eigene diesbezügliche „Lehre" ist.

Mich persönlich hat nachts noch nie ein Hausgeist gewürgt. Aber bei den wohlbeleibten Kaufmannsfrauen aus Samoskworetschje2, die vor dem Schlafengehen gern tüchtig essen, soll das des Öfteren passieren. Für diese ehrbaren Personen ist der Hausgeist genauso objektiv wie die Steine, mit denen die Straßen von Samoskworetschje (leider nicht immer) gepflastert sind. Es erhebt sich die Frage: Ist der Hausgeist objektiv? Sie sagen: nein, weil „die Aussagen anderer Menschen die Objektivität des Hausgeistes hinfällig machen". Und das ist natürlich sehr angenehm, da jeder damit einverstanden ist, dass es sich ohne den Hausgeist ruhiger lebt als mit ihm. Hier allerdings tut sich nun ein kleines, aber unangenehmes Hindernis auf. Es gibt nämlich tatsächlich nicht wenige Menschen, die kategorisch behaupten, dass es weder Teufel im Allgemeinen noch Hausgeister im besonderen gibt. Dieses ganze „Pack" besitzt heute nicht mehr das Merkmal der ,,Allgemeingültigkeit". Aber es gab eine Epoche – und noch dazu eine äußerst lange –, wo sie dieses Merkmal uneingeschränkt besaßen und wo es niemandem in den Sinn gekommen ist, die „Objektivität" des Hausgeistes anzuzweifeln. Was folgt daraus? Vielleicht, dass der Hausgeist objektiv existiert hat? Wenn man Ihr „höchstes Kriterium der Objektivität" zugrunde legt, muss man dies bejahen. Das allein aber reicht schon völlig aus, um zu erkennen, wie unsinnig dieses „höchste" Kriterium ist, und um Ihre Objektivitätstheorie als die völlig misslungene Konstruktion eines maßlos ungeschickten Scholastikers über Bord zu werfen.

Etwas später geben Sie der Sache bereits eine andere Wendung. Sie sagen: „Die soziale Erfahrung ist bei weitem nicht vollständig sozial organisiert und enthält immer verschiedene Widersprüche, so dass bestimmte Teile der sozialen Erfahrung mit anderen Teilen derselben nicht übereinstimmen; Waldteufel und Hausgeister können in der Sphäre der sozialen Erfahrung eines gegebenen Volkes oder einer gegebenen Volksgruppe, zum Beispiel der Bauernschaft, existieren; doch braucht man sie deshalb noch nicht in die sozial organisierte oder objektive Erfahrung einzuschließen, denn sie harmonieren nicht mit der übrigen kollektiven Erfahrung und lassen sich in ihre organisierenden Formen, zum Beispiel in die Kette der Kausalität, nicht einfügen.N

Waldteufel und Hausgeister harmonieren nicht mit der übrigen kollektiven Erfahrung! Bitte, gnädiger Herr, mit wessen „übriger Erfahrung", wenn das ganze Volk an die Existenz von Hausgeistern und Waldteufeln glaubt? Es ist klar, dass die Hausgeister und Waldteufel seiner kollektiven Erfahrung nicht im Geringsten widersprechen. Vielleicht werden Sie sagen, dass man unter der übrigen kollektiven Erfahrung die soziale Erfahrung der höher entwickelten Völker zu verstehen hat. Dann frage ich Sie, wie verhielt es sich denn zu der Zeit, wo selbst die am weitesten fortgeschrittenen Völker an die Existenz von Waldteufeln und Hausgeistern glaubten? Eine solche Epoche hat es doch aber gegeben. Sie wissen das selbst (der Animismus der Urgesellschaft). Demnach hätten also in der Epoche des Animismus der Urgesellschaft die Waldteufel und Hausgeister und alle sonstigen Geister objektiv existiert? Dieser Schlussfolgerung können Sie so lange nicht ausweichen, wie Sie nicht auf Ihr „höchstes Kriterium der Objektivität" verzichten.

Und die Kette der Kausalität! Mit welchem Recht berufen Sie sich in diesem Falle auf sie? Haben Sie doch selbst einige Seiten zuvor erklärt, dass „Hume allen Grund hatte, die absolute Allgemeingültigkeit des Kausalzusammenhanges zu bestreiten".O Vom Standpunkt Ihrer Erfahrungslehre ist das auch durchaus begreiflich. Nach dieser Lehre ist der Kausalzusammenhang nur ein verhältnismäßig „spätes Produkt der sozial-gnoseologischen Entwicklung". Dabei verträgt sich in einer bestimmten Periode der Evolution dieses Produktes (im Animismus) die Vorstellung von Waldteufeln und Hausgeistern ganz ausgezeichnet mit dem Begriff des Kausalzusammenhangs. Es ist also klar, dass von Ihrem Standpunkt aus der Kausalzusammenhang nicht „höchstes Kriterium der Objektivität" sein kann.

Nein, Herr Bogdanow, wie Sie sich auch drehen und wenden mögen, der Hausgeister und Waldteufel können Sie sich weder mit Kreuz noch Keule erwehren. Dagegen „hilft" nur eine richtige Erfahrungslehre, von der aber Ihre „Philosophie" himmelweit entfernt ist.

Nach dem klaren und unzweideutigen Sinn Ihrer Objektivitätstheorie müssten wir die Frage nach der Existenz des Hausgeistes wie folgt beantworten: Es gab eine Zeit, wo der Hausgeist objektiv existiert hat, danach ging dieser „Gevatter" (wie ihn noch unlängst unsere Bauern nannten) seines objektiven Daseins verlustig und existiert jetzt nur noch für die Kaufmannsfrauen aus Samoskworetschje und für andere Personen, welche die lächerliche Angewohnheit haben, sich im gleichen Sinne wie diese „zu äußern".

Das ist die „Entwicklung", die der Hausgeist durchgemacht hat! Und warum hat er sie durchgemacht? Weil die Menschen anfingen, gegen ihn „auszusagen". Man muss schon sagen, es gibt fürwahr bemerkenswerte „Aussagen". Die heutigen „Aussagen" gegen den Hausgeist berauben ihn tatsächlich jeder objektiven Existenz, während man sich im Mittelalter seiner nur mit verschiedenen frommen Sprüchen und Beschwörungen erwehren konnte. Die Beschwörungen und frommen Sprüche haben vielleicht die betreffende Kaufmannsfrau vom Hausgeist befreit, ihn aber niemals ganz und gar zum Verschwinden gebracht. Das ist jetzt um vieles besser!

Und da gibt es noch Leute, die an der Kraft des Fortschritts zweifeln!

Wenn es aber eine Zeit gegeben hat, wo der Hausgeist objektiv existierte, dann muss angenommen werden, dass zu dieser Zeit dasselbe beispielsweise auch für Hexen galt. Was soll man aber in solchem Falle von jenen Prozessen halten, mit deren Hilfe die Menschen im Mittelalter gewissen für sie unangenehmen Machenschaften des damals „objektiv" existierenden Teufels ein Ende zu setzen hofften? Diese später so in Misskredit geratenen Prozesse haben folglich eine gewisse „objektive" Berechtigung. Ist es nicht so, Herr Bogdanow?

Ohne Frage muss die ganze Geschichte des menschlichen Denkens ein völlig neues Gesicht bekommen, wenn man sie mit Hilfe Ihres, gnädiger Herr, „höchsten Kriteriums der Objektivität" erforscht. Das ist an sich schon sehr zu begrüßen. Schon allein damit verdient man sich den Namen eines philosophischen Genies. Aber das ist noch nicht alles, noch längst nicht alles. Vom Standpunkt Ihres „höchsten Kriteriums der Objektivität" stellt sich die gesamte Erdgeschichte in gänzlich neuem Lichte dar. In den letzten siebzig Jahren war die Naturwissenschaft im Allgemeinen bestrebt, sich den Entwicklungsgedanken zu eigen zu machen. Doch nach dem, was wir von Ihnen, Herr Bogdanow, gehört haben, müssen wir zugeben, dass jener Entwicklungsgedanke, dessen sich die neuere Naturwissenschaft nach und nach bemächtigte, nichts gemein hat mit dem Entwicklungsgedanken, den Sie, gestützt – wie Sie sagen – auf dieselbe Naturwissenschaft, hervorgebracht haben. Ihnen ist zweifellos auch hier wieder ein echter Durchbruch gelungen. Sie sind ein doppeltes Genie.

Wir Laien, die wir uns an die alte Entwicklungstheorie gehalten haben, waren fest davon überzeugt, dass der Entstehung des Menschen, und damit auch den menschlichen „Aussagen", eine sehr lange Entwicklungsperiode unseres Planeten vorausgegangen ist.

Aber nun sind Sie erschienen, wie Molières Sganarell – vous avez change cela.3 Jetzt sind wir gezwungen, uns den Gang der Dinge gerade umgekehrt vorzustellen.

Unser Planet gehört ganz unbestritten zur objektiven, „physischen" Welt. Und genauso wenig lässt sich bestreiten, dass zu derselben Welt auch der Entwicklungsprozess dieses Planeten gehört.

Nun wissen wir aber von Ihnen schon, Herr Bogdanow, dass „überhaupt die physische Welt die sozial in Übereinstimmung gebrachte, sozial harmonisierte, mit einem Wort sozial organisierte Erfahrung" ist.P Daraus folgt, dass die Existenz der Menschen der Existenz unseres Planeten vorangegangen ist:

Zuerst waren die Menschen da; als die Menschen ihre Erfahrung sozial organisierten, begannen sie sich zu „äußern"; dank diesem glücklichen Umstand entstand sodann die physische Welt im allgemeinen und unser Planet im besonderen. Das ist freilich auch eine „Entwicklung", nur eine in umgekehrter Richtung, besser gesagt: eine umgestülpte Entwicklung.

Beim Leser könnte der Eindruck entstehen, als ob die Menschen, wenn sie vor der Erde existierten, eine gewisse Zeit sozusagen in der Luft gehangen hätten. Doch wir begreifen wie Sie, Herr Bogdanow, dass das ein „Missverständnis" ist, welches infolge einer gewissen Unaufmerksamkeit gegenüber den Forderungen der Logik entsteht. Gehört doch auch die Luft zur physischen Welt. Somit hat es in der Zeit, von der hier die Rede ist, auch keine Luft gegeben. Es war überhaupt im objektiven, physischen Sinne nichts vorhanden, aber es waren Menschen da, die, indem sie sich über ihre Erlebnisse „äußerten" und ihre Erfahrungen abstimmten, die physische Welt schufen. Das ist ganz klar und einfach.

Nebenbei bemerkt, kann man jetzt sehr gut verstehen, warum Ihr Gesinnungsfreund, Herr Lunatscharski, eine religiöse Berufung verspürte und eine Religion „ohne Gott" erfunden hat. An Gott glauben nur diejenigen, die ihn für den Schöpfer der Welt halten, aber Sie, Herr Bogdanow, haben uns allen und erst recht Ihrem Gesinnungsfreund, Herrn Lunatscharski, eindeutig vor Augen geführt, dass die Welt von Menschen und nicht von Gott geschaffen wurde.

Ein anderer Leser mag feststellen, dass ja eine „Philosophie", welche die physische Welt als eine Schöpfung der Menschen ausgibt, die reinblütige, wenngleich natürlich auch sehr verworrene idealistische Philosophie ist. Und er wird möglicherweise hinzufügen, dass nur einem Eklektiker der Versuch zuzutrauen ist, solch eine Philosophie mit der Lehre von Marx und Engels in Einklang zu bringen. Aber wir sagen wiederum mit Ihnen, Herr Bogdanow, das ist ein „Missverständnis". Eine Philosophie, die die physische Welt als Ergebnis der sozial organisierten Erfahrung sieht, ist mehr als jede andere zu Schlussfolgerungen im Sinne des Marxismus fähig. Ist doch die sozial organisierte Erfahrung die Erfahrung der Menschen im Kampf um ihr Dasein. Der Kampf der Menschen um ihr Dasein setzt aber den ökonomischen Produktionsprozess voraus. Der ökonomische Prozess der Produktion setzt wiederum bestimmte Produktionsverhältnisse, das heißt eine bestimmte ökonomische Gesellschaftsordnung, voraus. Und der Begriff der ökonomischen Gesellschaftsordnung schafft uns Zugang zu dem weiten Feld des „ökonomischen Materialismus". Wir brauchen lediglich auf diesem Gebiet richtig Fuß zu fassen, und schon dürfen wir das uneingeschränkte Recht in Anspruch nehmen, uns als überzeugte Marxisten zu bezeichnen. Und als was für Marxisten! Als die radikalsten von allen, die existierten, sowohl bevor vermittels der sozial organisierten Erfahrung die Erde entstanden ist als auch nach diesem erfreulichen Ereignis. Wir sind keine einfachen Marxisten, wir sind Supermarxisten. Die einfachen Marxisten sagen: „Auf der Grundlage der ökonomischen Verhältnisse und des durch sie bedingten gesellschaftlichen Seins der Menschen entstehen entsprechende Ideologien." Wir, die Supermarxisten, fügen dem hinzu: „und nicht nur Ideologien, sondern sogar die physische Welt".

Wir sind, wie der Leser sieht, weit mehr Marxisten als selbst Marx und sogar als Herr Schuljatikow, und das will schon etwas heißen!

Nun werden Sie, Herr Bogdanow, sicher wieder schreien, dass ich übertreibe! Aber das ist zwecklos. In meinen Worten steckt nicht die geringste Übertreibung. Sie charakterisieren ganz genau sowohl den offensichtlichen Sinn Ihrer, allerdings ganz und gar unwahrscheinlichen Objektivitätstheorie als auch jenen Impuls, der Sie zu dieser Theorie eingeführt hat. Sie haben sich eingebildet, dass Sie mit Ihrer Gleichsetzung von physischer Welt und sozial organisierter Erfahrung dem ökonomischen Materialismus eine völlig neue theoretische Perspektive von optimaler Breite eröffnen. Sind Sie schon im Allgemeinen naiv, so sind Sie es wohl am meisten hinsichtlich des ökonomischen Materialismus. Wenn ich von Ihnen spreche, halte ich mich zumeist an die Newtonsche Regel: hypothesis non fingo.4 Aber hier gestatte ich mir eine kleine Ausnahme von dieser allgemeinen Regel. Ich muss sagen, ich habe den starken Verdacht, dass es ursprünglich auch Ihre extreme Naivität war, durch die Sie auf Mach verfallen sind. Sie sagen: „Wo Mach den Zusammenhang der Erkenntnis mit dem sozialen Arbeitsprozess beschreibt, wirkt die Gleichheit seiner Gedanken und der Ideen von Marx manchmal geradezu frappierend."Q Und zur Bestätigung führen Sie die Worte Machs an, dass die „Wissenschaft aus den Bedürfnissen des praktischen Lebens, aus der Technik" entstanden ist. Und diese Technik, in Verbindung mit dem Wort Ökonomie, das von Mach ebenfalls häufig benutzt wird, hat Sie ins Verderben gestürzt, Herr Bogdanow! Sie haben geglaubt, wenn Sie Mach mit Marx vereinen, kommen Sie von einer ganz neuen Seite an die Erkenntnistheorie heran und lassen uns „ungewöhnliche Worte" hören. Sie haben sich für berufen gehalten, sowohl die Lehre von Marx und Engels als auch die Lehre von Mach und Avenarius zu verbessern und zu ergänzen. Aber das war ein Missverständnis … diesmal schon ohne Anführungszeichen. Sie haben erstens Mach ad absurdum geführt und zweitens nachdrücklich bewiesen, dass Sie sich gewaltig irren, wenn Sie sich für einen „guten Marxisten" halten. Mit einem Wort, das erreichte Ergebnis entspricht in keiner Weise Ihren Erwartungen.R

IV

Aber warten Sie. Nachdem ich mit dem vorigen Kapitel fertig war, habe ich mich gefragt, ob ich Ihre Gedanken wirklich ganz genau wiedergegeben habe, als ich behauptete, nach Ihrer Theorie der „Objektivität" seien zuerst die Menschen dagewesen, und danach sei von ihnen die physische Welt geschaffen worden. Ich gebe offen zu: Nach einigem Überlegen wurde mir klar, dass dem nicht ganz so, vermutlich sogar ganz und gar nicht so ist. Die Worte „zuerst" und „danach" zeigen, wie sich die Tatsachen in der Zeit zueinander verhalten. Gäbe es keine Zeit, hätten diese Worte nicht den geringsten Sinn. Aber bei Ihnen wird die Zeit selbst, wie der Raum, durch die soziale Organisation der menschlichen Erfahrung hervorgebracht. Sie sagen es auch so: „Der Mensch brachte seine Erlebnisse mit den Erlebnissen anderer Menschen in Übereinstimmung und schuf so die abstrakte Form der Zeit."S Und weiter: „Was also bedeuten letzten Endes die abstrakten Formen des Raumes und der Zeit? Sie drücken die soziale Organisiertheit der Erfahrung aus. Indem die Menschen unzählige Äußerungen miteinander austauschen, beseitigen sie ständig die Widersprüche ihrer sozialen Erfahrung, harmonisieren diese und organisieren sie in Formen von allgemeingültiger Bedeutung, das heißt in objektive Formen. Die weitere Entwicklung der Erfahrung vollzieht sich dann bereits auf der Grundlage dieser Formen und fügt sich notwendigerweise in ihren Rahmen ein."T

Somit kommen wir zu dem Schluss, dass es eine Zeit gab, wo keine Zeit da war. Das ist irgendwie merkwürdig. Offenbar bediene ich mich einer falschen Terminologie, von der wir Laien in Sachen „Empiriomonismus" so schwer loskommen. Man kann nicht sagen: Es gab eine Zeit, wo keine Zeit da war. Man kann es aus dem einleuchtenden Grunde nicht, weil, wenn es die Zeit nicht gab, auch die Zeit nicht da war. Das ist eine von den Wahrheiten, deren Entdeckung dem menschlichen Denken die größte Ehre macht. Aber derartige Wahrheiten blenden wie ein Blitz, und ein geblendeter Mensch wirft die Begriffe leicht durcheinander. Ich werde mich deshalb anders ausdrücken und anders denken, indem ich von der Zeit abstrahiere: Es gibt keine sozial organisierte Erfahrung, und es gibt auch keine Zeit. Was aber gibt es? Es gibt Menschen, aus deren Erfahrung die Zeit „sich entwickelt". Ausgezeichnet. Doch wenn sich die Zeit entwickelt, dann wird sie sich logischerweise auch weiterhin entwickeln. Das allerdings bedeutet, dass es die Zeit geben wird, wenn die Zeit da sein wird. Hier bin ich ungewollt wieder in die alte Terminologie zurückgefallen. Aber was soll ich machen, Herr Bogdanow, wenn ich offenbar ganz und gar unfähig bin, die Entwicklung außerhalb der Zeit zu denken?

Das erinnert mich an Engels' Einwände gerade gegen Dührings Lehre über die Zeit. Dühring hatte behauptet, die Zeit habe einen Anfang. Er begründete diesen Gedanken mit der Überlegung, dass die Welt irgendwann einmal in einem unveränderlichen und sich selbst gleichen Zustand gewesen sei, das heißt in einem Zustand, in dem keinerlei aufeinanderfolgende Veränderungen stattgefunden haben. Aber dort, wo es keinerlei aufeinanderfolgende Veränderungen gibt, schlussfolgert er, dort verwandelt sich der Zeitbegriff notwendigerweise in die allgemeine Idee des Seins. Darauf hat Engels völlig zu Recht geantwortet: „Erstens geht es uns hier gar nichts an, welche Begriffe sich im Kopf des Herrn Dühring verwandeln. Es handelt sich nicht um den Zeitbegriff, sondern um die wirkliche Zeit, die Herr Dühring so wohlfeilen Kaufs keineswegs los wird. Zweitens mag sich der Zeitbegriff noch so sehr in die allgemeinere Idee des Seins verwandeln, so kommen wir damit keinen Schritt weiter. Denn die Grundformen alles Seins sind Raum und Zeit, und ein Sein außer der Zeit ist ein ebenso großer Unsinn, wie ein Sein außerhalb des Raums. Das Hegelsche ,zeitlos vergangne Sein' und das neuschellingsche ‚{unvordenkliche Sein}' sind rationelle Vorstellungen verglichen mit diesem Sein außer der Zeit."U

So ist der Standpunkt von Marx und Engels, mit denen Sie, gnädiger Herr, „einer Meinung" sein möchten. Ein Sein außer der Zeit ist ebenso absurd wie ein Sein außerhalb des Raumes. Diese beiden Absurditäten haben Sie der Machschen „Philosophie" angehängt, und auf dieser – man kann nicht gerade sagen sehr soliden – Grundlage haben Sie sich vorgestellt, der „Empiriokritizismus" habe sich dank Ihrer genialen Bestrebungen in den „Empiriomonismus" verwandelt. Und als ich Ihren Lehrer Mach kritisiert habe, hat Sie das kaum berührt: Das trifft mich ja nicht; wenn ich Mach auch vieles verdanke, so bleibe ich dennoch ein selbständiger Denker. Ohne Frage, was sind Sie doch für ein guter Denker! Man kann nichts gegen Ihre Selbständigkeit sagen! Sie ähnelt dem russischen Land vor dem Eintreffen der Waräger. Zugegeben, sie ist nicht groß, dafür aber reich (gleich zwei äußerst große Absurditäten!), und … Ordnung herrscht dort auch keine.5

Aber noch einmal: nichts geht über die Genauigkeit. Im Interesse der Genauigkeit füge ich hinzu, dass Sie, im Anschluss an Mach, „streng unterscheiden" zwischen dem geometrischen oder abstrakten Raum und dem physiologischen Raum. Ebenso verfahren Sie mit dem Zeitbegriff. Sehen wir uns an, ob diese Unterscheidung Sie nicht von den beiden Absurditäten rettet, die Ihren Namen unsterblich zu machen drohen.

Wie verhält sich der physiologische zum geometrischen Raum?

Der physiologische Raum", sagen Sie, „ist ein Ergebnis der Entwicklung; im Leben eines Kindes kristallisiert er sich erst allmählich aus dem Chaos der visuellen und taktilen Elemente heraus. Diese Entwicklung setzt sich auch nach den ersten Lebensjahren fort: In der Wahrnehmung des Erwachsenen sind sowohl die Entfernungen als auch die Größen und die Formen der Gegenstände beständiger als in der Wahrnehmung des Kindes. Ich erinnere mich genau, dass ich als Knabe von fünf Jahren die Entfernung zwischen Erde und Himmel wie die zwei- bis dreifache Höhe eines zweistöckigen Hauses empfand und sehr erstaunt war, als ich, nachdem ich auf das Dach gestiegen war, nicht finden konnte, dass ich mich dem Himmelsgewölbe merklich genähert hatte. So machte ich Bekanntschaft mit einem der Widersprüche des physiologischen Raumes. In der Wahrnehmung des Erwachsenen kommen diese Widersprüche seltener vor, aber sie sind immer vorhanden. Der abstrakte Raum ist frei von Widersprüchen. Dort ist ein und derselbe Gegenstand, der keiner hinlänglichen Einwirkung unterliegt, weder größer noch kleiner als ein bestimmter anderer Gegenstand von dieser oder jener Form usw. Das ist ein Raum der strengen Gesetzmäßigkeit, die gänzlich einförmig ist."V

Und was sagen Sie über die Zeit?

Das Verhältnis zwischen der physiologischen und der abstrakten Zeit ist im allgemeinen das gleiche wie das Verhältnis der von uns behandelten Formen des Raumes. Die physiologische Zeit ist, verglichen mit der abstrakten, ungleichförmig: Sie fließt ungleichmäßig dahin, einmal schnell, einmal langsam, und manchmal scheint sie sogar für das Bewusstsein nicht mehr zu existieren – nämlich während eines tiefen Schlafes oder einer Ohnmacht; außerdem wird sie durch die Dauer des persönlichen Lebens begrenzt. Dementsprechend ist auch die ,Zeitgröße' bei ein und denselben Erscheinungen, wenn sie in physiologischer Zeit gemessen werden, veränderlich: Ein und derselbe Prozess, der keinerlei Einwirkung erfährt, kann für uns ‚schnell' oder ‚langsam' dahin fließen und vollzieht sich mitunter auch ganz und gar außerhalb unserer physiologischen Zeit. Anders die abstrakte Zeit (die ‚reine Form der Anschauung'): Ihr Ablauf ist absolut einförmig und kontinuierlich, und die Erscheinungen stellen sich in ihr als strenge Gesetzmäßigkeit dar. In ihren beiden Richtungen – Vergangenheit und Zukunft – ist sie unendlich."W

Der abstrakte Raum und die abstrakte Zeit sind Produkte der Entwicklung. Sie entstehen aus dem physiologischen Raum und der physiologischen Zeit dadurch, dass die den letzteren eigene Ungleichförmigkeit beseitigt und ihnen Kontinuität verliehen wird, und schließlich auch dadurch, dass sie gedanklich über die Grenzen der gegebenen Erfahrung erweitert werden.X Sehr schön. Aber der physiologische Raum und die physiologische Zeit sind gleichfalls Produkte der Entwicklung. Deshalb stehen vor uns abermals aufdringliche Fragen: 1) Existiert ein Kind, in dessen Leben sich der physiologische Raum erst allmählich aus dem Chaos der visuellen und taktilen Elemente herauskristallisiert, im Raum? 2) Existiert ein Kind, in dessen Leben sich erst allmählich die physiologische Zeit entwickelt, in der Zeit? Nehmen wir an, wir hätten das Recht – obwohl wir es in Wirklichkeit nicht haben –, auf diese Fragen so zu antworten: Ein Kind, in dessen Leben der physiologische Raum und die physiologische Zeit erst allmählich entstehen, existiert im abstrakten Raum und in der abstrakten Zeit. Eine solche Antwort hat aber offensichtlich nur unter der Voraussetzung einen Sinn, dass der abstrakte Raum und die abstrakte Zeit aus der Entwicklung (das heißt aus der sozialen Erfahrung) heraus schon entstanden sind. Darum bleibt unverständlich, wie es sich denn verhalten hat, als sie noch nicht entstanden waren. Der gesunde Menschenverstand lässt nur einen Schluss zu: Als die abstrakte Zeit und der abstrakte Raum noch nicht entstanden waren, existierte das Kind außerhalb des Raumes und außerhalb der Zeit. Aber weder uns Laien noch in Ihrer „neuesten Naturwissenschaft", Herr Bogdanow, sind Kinder denkbar, die außerhalb von Raum und Zeit existieren. Man könnte annehmen, dass in dieser wahrhaft dunklen Zeit, als die abstrakte Zeit und der abstrakte Raum noch nicht entstanden waren, die Kinder eigentlich keine Kinder, sondern Engel waren: Engel haben es aller Wahrscheinlichkeit nach um vieles leichter als Kinder, außerhalb von Raum und Zeit zu leben. Aber ich bin nicht sicher, ob ich mich mit solcher Rede nicht der Ketzerei schuldig mache. Nach der Bibel existieren gewissermaßen sogar die Engel innerhalb von Raum und Zeit.

Und noch eine, ebenso verteufelt schwierige Frage, die mit der vorigen eng zusammenhängt. Wenn die abstrakte Zeit und der abstrakte Raum objektive Formen sind, die von den Menschen mit Hilfe „zahlloser Äußerungen" geschaffen wurden, ist dann dieser Prozess der zahllosen Äußerungen außerhalb der Zeit und außerhalb des Raumes vor sich gegangen? Wenn ja, so ist das wiederum völlig ohne Sinn. Wenn nein, dann bedeutet das, dass wir schon mehr als nur zwei Arten von Raum und Zeit (die physiologische und die abstrakte Zeit, den physiologischen und den abstrakten Raum), sondern drei zu unterscheiden hätten. Und dann müsste ihre ganze wunderbare „philosophische" Konstruktion wie Rauch im Winde zerwehen, und Sie würden, wenn auch sehr unbeholfen, den sündigen Boden des Materialismus betreten, nach dem Raum und Zeit nicht nur eine Form der Anschauung, sondern auch eine Form des Seins sind.

Nein, Herr Bogdanow, Ihre Rechnung geht hier nicht auf. Natürlich ist die Tatsache im höchsten Grade rührend, dass Sie als Knabe im zarten Alter von fünf Jahren als Ihr physiologischer Raum sich wohl noch nicht vollständig „herauskristallisiert" und ihre physiologische Zeit sich noch nicht vollständig „entwickelt" hatte – sich mit der Abmessung der Entfernung zwischen Himmel und Erde beschäftigt haben. Aber dergleichen Messungen sind mehr eine Sache der Astronomie als der Philosophie. Sie hätten daher Astronom bleiben sollen. Für die Philosophie sind Sie, um es ohne Komplimente und ohne Ironie zu sagen, ganz und gar nicht geschaffen. In dieser „Disziplin" kommt bei Ihnen nichts anderes heraus als die unglaublichste Konfusion.

Das gefällt Ihnen nicht? Sie schreiben: „Wir haben uns an die Vorstellung gewöhnt, dass auch alle anderen Menschen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – und sogar die Tiere – ,in demselben Raum und derselben Zeit leben wie wir'. Doch die Gewohnheit ist kein Beweis. Unbestritten ist, dass wir diese Menschen und Tiere in unserem Raum und in unserer Zeit denken, aber dass sie sich und uns in demselben Raum und derselben Zeit denken, lässt sich aus nichts herleiten. Freilich, da ihre Beschaffenheit im allgemeinen der unseren gleicht und ihre Aussagen uns verständlich sind, dürfen wir auch bei ihnen ,Formen der Anschauung' vermuten, die mit unseren verwandt, jedoch nicht identisch sind."Y

Ich habe mit Absicht weiter oben Ihre lange „Äußerung" über den Unterschied zwischen physiologischem und abstraktem Raum und Zeit angeführt, um sie mit den soeben zitierten Zeilen vergleichen zu können. Denken Sie nicht, dass ich Sie bei einem Widerspruch ertappen möchte. Hier gibt es – entgegen Ihrer Gewohnheit – keinerlei Widersprüche: Diese Zeilen werden durch jene „Äußerungen" vollauf bestätigt. Und aus beiden ist sogar für den Kurzsichtigsten klar, dass Sie, solange Sie auf Ihren „Empiriomonismus" bauen, zwischen den „Formen der Anschauung" und ihren Gegenständen keinen Unterschied machen und auch keinen machen können. Für Sie ist unbestreitbar, dass „wir" die Menschen und Tiere in „unserer" Zeit und „unserem Raum denken, aber Sie bezweifeln, dass „sie" sich in derselben Zeit und demselben Raum denken. Als eingefleischter und unverbesserlicher Idealist ahnen Sie nicht einmal, dass die Frage auch ganz anders gestellt werden kann, dass man Sie fragen könnte: Existieren die Tiere, die sich in gar keiner Zeit und gar keinem Raum denken, in irgendeiner Zeit und irgendeinem Raum? Und wie ist es mit den Pflanzen? Ich möchte stark bezweifeln, dass Sie ihnen irgendwelche Anschauungsformen zuschreiben, und dennoch existieren auch sie sowohl in der Zeit als auch im Raum. Und nicht nur „für uns", Herr Bogdanow, denn die Erdgeschichte lässt keinen Zweifel darüber, dass sie schon vor uns existierten. Seinen von mir oben erwähnten Einwand gegen Dühring weiterführend, schrieb Engels: „Nach Herrn Dühring existiert die Zeit nur durch die Veränderung, nicht die Veränderung in und durch die Zeit."Z Sie haben Dührings Fehler wiederholt. Für sie existieren Zeit und Raum nur deshalb, weil sie von Lebewesen gedacht werden. Sie sind nicht bereit, die Existenz der Zeit anzuerkennen, die unabhängig von irgend jemandes Denken ist – einer Zeit, in der sich Organismen entwickelt haben, die nach und nach auf die Stufe des „Denkens" gelangt sind. Für Sie ist die objektive, physische Welt nur eine Vorstellung. Und Sie sind beleidigt, wenn man Sie einen Idealisten nennt. Ohne Frage hat jeder das Recht, ein Sonderling zu sein, aber Sie, Herr Bogdanow, missbrauchen dieses unbestreitbare Recht ständig auf das gröbste.

V

Ja, und wie steht es mit den „Äußerungen" der Tiere? Lassen wir die Säugetiere wie etwa die Esel beiseite, die sich zuweilen sehr, laut, wenn auch für „unser" Ohr nicht gerade angenehm, „äußern''; wenden wir uns noch einmal der Amöbe zu. Ich fordere Sie auf, Herr Bogdanow, klipp und klar „zu äußern", ob eine Amöbe „sich äußert". Meines Erachtens kaum. Wenn sie sich aber nicht „äußert", dann kommen wir, unter Berücksichtigung der Annahme, dass die physische Welt das Ergebnis von Aussagen ist, abermals zu der Absurdität, dass, als die Organismen auf einer Entwicklungsstufe wie die Amöbe standen, eine physische Welt nicht existiert hat. Weiter. Da die Materie zur physischen Welt gehört, die in der genannten Epoche noch nicht entstanden war, muss man anerkennen, dass die niederen Tiere damals immateriell waren, wozu ich sowohl diese interessanten Tiere als auch Sie, gnädiger Herr, von ganzem Herzen beglückwünsche!

Aber wozu rede ich von den niederen Tieren. Auch der Organismus des Menschen gehört zur physischen Welt. Und da die physische Welt ein Ergebnis der Entwicklung (der „Aussagen" usw.) ist, kommen wir überhaupt nicht darum herum, zu schlussfolgern, dass vor dem Erscheinen dieses Ergebnisses der Mensch keinen Organismus hatte, dass also der Prozess der Koordinierung der Erfahrungen bestenfalls von körperlosen Wesen in Angriff genommen wurde. Das ist natürlich ganz gut, da die Menschen nun keine Veranlassung mehr haben, die Amöben zu beneiden, aber das passt wohl kaum zu jenem „Marxismus", an den Sie sich, gnädiger Herr, zusammen mit Ihren Gesinnungsfreunden halten. In Wirklichkeit lehnen Sie den Materialismus von Marx und Engels ab, versichern aber gleichzeitig, dass Sie ihre materialistische Geschichtsauffassung anerkennen. Aber sagen Sie um Machs und Avenarius' Willen, ist denn die materialistische Erklärung einer Geschichte möglich, der ein „prähistorisches Sein" von … körperlosen Wesen vorausgeht!Ä

Wenn ich mir weiter unten Ihre Lehre von der „Substitution" vornehme, muss ich noch einmal auf die Frage zurückkommen, was ein menschlicher Körper ist und wie er entsteht. Und dann wird sich bereits mit nicht zu überbietender Deutlichkeit zeigen, dass Sie Mach im Geiste eines verzerrten Idealismus „ergänzen". Doch zunächst folgendes. Sie belieben die physische, objektive Welt aus den „Aussagen" der Menschen abzuleiten. Aber wo kommen bei Ihnen die Menschen her? Ich behaupte, dass Sie, gnädiger Herr, indem Sie die Existenz anderer Menschen anerkennen, eine schreckliche Inkonsequenz begehen, die die Grundlage Ihrer „Aussagen" auf dem Gebiet der Philosophie völlig vernichtet. Mit anderen Worten, ich behaupte, dass Sie logisch nicht das geringste Recht haben, auf den Solipsismus zu verzichten. Ich mache Ihnen diesen Vorwurf nicht zum ersten Mal, Herr Bogdanow. Im Vorwort zum dritten Band Ihres „Empiriomonismus" haben Sie schon versucht, ihn zurückzuweisen, was Ihnen aber nicht gelungen ist. Sehen Sie, was Sie aus diesem Anlass geschrieben haben:

Hier muss ich noch auf einen Umstand aufmerksam machen, der für die Schule charakteristisch ist. In der ,Kritik' der Erfahrungen behandelt sie den Verkehr der Menschen als ein von vornherein gegebenes Moment, als eine Art ,a priori', und in ihrem Bestreben, ein möglichst einfaches und genaues Weltbild zu entwerfen, achtet sie gleichzeitig auf die allgemeine Brauchbarkeit des Bildes, darauf, dass es für eine möglichst große Zahl von ‚Mitmenschen' in einem möglichst langen Zeitraum praktisch zufriedenstellend ist. Schon daraus ist ersichtlich, wie falsch es ist, Wenn Genosse Plechanow diese Schule einer Tendenz zum Solipsismus, zur Anerkennung lediglich der individuellen Erfahrung als des {Universums}, als ‚alles', was für den erkennenden Menschen existiert, bezichtigt. Gerade für den Empiriokritizismus ist charakteristisch, dass er ‚meine' Erfahrung und die Erfahrung meiner ‚Mitmenschen', soweit sie mir durch deren ‚Aussagen' zugänglich ist, als gleichwertig ansieht. Hier herrscht eine besondere Art von »gnoseologischem Demokratismus'."Ö

Daraus erkennt man, dass Sie, Herr „gnoseologischer Demokrat", die Anschuldigung, die „vom Genossen Plechanow" gegen Sie erhoben wurde, ganz einfach nicht verstanden haben. Sie betrachten den Verkehr der Menschen als ein im Voraus gegebenes Moment, als eine Art „a priori". Aber die Frage lautet ja, ob Sie dazu logisch berechtigt sind. Ich habe Ihnen dieses Recht abgesprochen, aber Sie, statt es zu begründen, wiederholen als etwas Bewiesenes gerade das, was erst noch eines Beweises bedarf. Einen solchen Fehler nennt man in der Logik petitio principii. Sehen Sie doch ein, gnädiger Herr, dass eine petitio principii keiner einzigen philosophischen Lehre als Stütze dienen kann.

Sie fahren fort: „Es scheint, dass unsere Philosophen von dieser ganzen Schule am meisten ihren eigentlichen Begründer, Ernst Mach (der sich übrigens selbst nicht als Empiriokritizist bezeichnet), des Idealismus und Solipsismus verdächtigen. Schauen wir einmal, wie er das Weltbild sieht. Das Universum ist für ihn ein unendliches Netz von Komplexen, bestehend aus Elementen, die mit den Elementen der Empfindung identisch sind. Diese Komplexe verändern sich, schließen sich zusammen, lösen sich auf; sie gehen verschiedene Verbindungen ein bei unterschiedlicher Kopplungsart. In diesem Netz gibt es sozusagen ,Knotenpunkte' (mein Ausdruck), Stellen, wo die Elemente fester und dichter miteinander verknüpft sind (eine Formulierung von Mach); diese Stellen werden als die menschlichen ,Ichs' bezeichnet; ihnen gleichen weniger komplizierte Kombinationen – die Psychen anderer Lebewesen. Diese oder jene Komplexe gehen eine Verbindung mit diesen komplizierten Kombinationen ein – und erscheinen als ‚Erlebnisse' verschiedener Wesen; später wird diese Verbindung gestört – der Komplex verschwindet aus dem System der Erlebnisse des betreffenden Wesens; danach kann er erneut, möglicherweise in veränderter Form, in dasselbe System eintreten usw. Auf jeden Fall hört dieser oder jener Komplex nicht auf zu existieren, wie Mach unterstreicht, wenn er aus dem Bewusstsein dieser oder jener Individuen verschwunden ist, vielmehr tritt er in anderer Kombination auf, vielleicht in Verbindung mit einem anderen ,Knotenpunkt', einem anderen ,Ich'…"Ü

In dieser „Aussage" wird noch einmal mit unwiderstehlicher Kraft Ihr, gnädiger Herr, Bestreben deutlich, sich auf die petitio principii zu stützen. Sie nehmen abermals jene Hauptthese als bewiesen an, die erst zu beweisen ist. Mach „unterstreicht", dass dieser oder jener Komplex noch nicht zu existieren aufhört, wenn er aus dem Bewusstsein des einen oder anderen Individuums verschwunden ist. Das stimmt. Aber welches logische Recht hat er, die Existenz „dieser oder jener Individuen" anzuerkennen? Das ist die ganze Frage. Und auf diese Grundfrage geben Sie, trotz Ihrer Redseligkeit, überhaupt keine Antwort, und Sie können sie auch, wie ich schon sagte, nicht geben, da Sie bei der – von Mach entlehnten – Ansicht über die Erfahrung stehenbleiben.

Was ist für mich dieser oder jener Mensch, „dieses oder jenes Individuum"? Ein bestimmter „Komplex von Empfindungen". So stellt sich die Sache aus der Sicht Ihrer Theorie (was natürlich heißt, der Theorie Ihres Lehrers) dar. Aber wenn dieses oder jenes Individuum nach einer solchen Theorie für mich nur ein „Komplex von Empfindungen" ist, dann fragt es sich: Welches logische Recht habe ich, zu behaupten, dass dieses Individuum nicht nur in meiner Vorstellung existiert, die auf meinen „Empfindungen" beruht, sondern auch außer ihr, das heißt, dass sie selbständig, unabhängig von meinen Empfindungen und Wahrnehmungen existiert? Nach der Machschen Lehre von der „Erfahrung" habe ich ein solches Recht nicht. Entsprechend dieser Lehre überschreite ich, wenn ich behaupte, dass außer mir andere Menschen existieren, die Grenzen der Erfahrung, „äußere" ich eine über der Erfahrung stehende These. Sie aber selbst, mein gnädiger Herr, bezeichnen die jenseits der Erfahrung liegenden oder metaempirischen (Sie gebrauchen gerade diesen Terminus) Thesen als metaphysisch. So erweisen Sie und Mach sich als Metaphysiker vom reinsten Wasser.a Das ist schlecht. Was jedoch weit schlimmer ist: Sie sind ein Metaphysiker vom reinsten Wasser und ahnen es nicht einmal. Sie schwören bei allen Göttern des Olymps, dass Sie und Ihre Lehrer Mach und Avenarius immer in den Grenzen der Erfahrung bleiben und blicken mit grandioser Verachtung von oben auf die „Metaphysiker" herab. Wenn ich Sie, selbstredend auch Ihre Lehrer, lese, kommt mir unwillkürlich eine Krylowsche Fabel in den Sinn:

In einem Spiegel sah sein Bild der Affe,

sacht stößt den Bär er an.6

Sie verstoßen nicht nur gegen die elementarsten Gebote der Logik, sondern machen sich auch noch im höchsten Grade lächerlich, indem Sie dem „kritisch gestimmten" Affen nacheifern. Wenn die Herren Dauge, Walentinow, Juschkewitsch, Berman, Basarow und andere wiederkäuende Schlauköpfe, weiß der Teufel, wie sie alle heißen, wenn dieser ganze philosophierende Pöbel (um hier einmal einen Kraftausdruck von Sendling zu benutzen) Sie, ohne in allem mit Ihnen konform zu gehen, für einen mehr oder weniger ernst zu nehmenden Denker hält, so kann sich doch kein Sachkundiger, keiner, der die Philosophie nicht nur aus den populären Broschüren unserer Tage kennt, eines ironischen Lächelns erwehren, wenn er Ihre Angriffe gegen die „Metaphysiker" liest. Und jeder mag dabei die Worte aus derselben Fabel vor sich hinsprechen:

Wozu?" meint Petz. „Ich möchte dir empfehlen,

dich zum Vergleiche selber nur zu wählen."7

Aber wie dem auch sei, Sie wollen mit dem Solipsismus nichts zu tun haben. Sie geben die Existenz von „Mitmenschen" zu. Ich nehme das zur Kenntnis und halte Ihnen entgegen: Wenn „diese oder jene Individuen" nicht nur in meiner Vorstellung, sondern auch unabhängig von ihr, das heißt selbständig, existieren, dann heißt das doch, dass sie nicht nur „für mich", sondern auch „an sich" existieren. Somit erweist sich „dieses oder jenes Individuum" lediglich als ein spezieller Fall des berüchtigten, die Philosophie so sehr beunruhigenden „Dinges an sich". Was aber sagen Sie, Verehrtester, über das „Ding an sich"?

Unter anderem dieses: „Auch wenn nicht jeder gegebene Teil des Komplexes unserer Erfahrung im gegebenen Moment enthalten ist, sehen wir doch das ,Ding' als dasselbe an, als was es uns als ganzer Komplex erscheint. Heißt das etwa, dass man alle ‚Elemente', alle ,Merkmale' des Dinges eliminieren kann und dass dieses trotzdem – nicht mehr als Erscheinung, aber als ,Substanz' – erhalten bleibt? Dies ist freilich nur ein alter logischer Fehler: Wenn man einem Menschen jedes Haar einzeln ausreißt, wird er nicht zum Kahlkopf, reißt man sie ihm jedoch zusammen aus, dann wird er es; so geht auch der Prozess vor sich, der die ,Substanz' hervorbringt, die Hegel nicht umsonst als das ,caput mortuum8 der Abstraktion' bezeichnet hat. Scheidet man alle Elemente eines Komplexes aus, so wird es keinen Komplex mehr geben; übrigbleibt nur das Wort, das ihn bezeichnet. Das Wort aber ist das ,Ding an sich'."b

Und somit ist das Ding an sich also nichts weiter als ein leeres, inhaltloses Wort, ein caput mortuum der Abstraktion, wie Sie nach Hegel formulieren, dessen Namen Sie hier jedoch ganz umsonst verwenden. Ich will mich darauf einlassen, denn ich bin ja ein nachgiebiges „Individuum". Das „Ding an sich" ist ein leeres Wort. Wenn das so ist, dann ist allerdings auch das Individuum „an sich" ein leeres Wort. Und wenn das Individuum „an sich" ein leeres Wort ist, dann existieren diese oder jene „Individuen" nur in meiner Vorstellung. Existieren aber diese oder jene „Individuen" nur in meiner Vorstellung, so bin „ich" ganz mutterseelenallein auf der Welt und … gelange ich in der Philosophie unweigerlich zum Solipsismus. Solus ipse!9 Aber Sie, Herr Bogdanow, lehnen doch den Solipsismus ab. Wie kann das sein? Hier sieht man doch wieder, dass am Aussprechen der leeren, völlig inhaltlosen Worte „vor allem" gerade Sie und nicht andere „Individuen" schuld sind. Und mit Ihren leeren, völlig inhaltlosen Worten haben Sie einen umfangreichen Artikel vollgestopft, den Sie, als wollten Sie sich selbst verspotten, mit dem Titel „Das Ideal der Erkenntnis" versahen. Ein unsagbar erhabenes Ideal!

Unter uns gesagt, schlechter als Sie, Herr Bogdanow, kennt sich keiner in philosophischen Fragen aus. Darum will ich versuchen, Ihnen meinen Gedanken an Hand eines anschaulichen Beispiels nahezubringen.

Sie haben sicher Hauptmanns Stück „{Und Pippa tanzt!}" gelesen. Dort fragt im zweiten Akt die aus der Ohnmacht erwachte Pippa: „{Wo bin ich denn?}" Darauf antwortet Hellriegel: „{In meinem übernächtigen Kopfe!}"

Hellriegel hatte recht: Pippa existierte wirklich in seinem Kopfe. Es fragt sich jedoch, ob sie nur in seinem Kopf existierte. Hellriegel, nachdem er sie erblickt hatte, glaubte zu träumen und nahm zunächst an, dass Pippa wirklich nur in seinem Kopfe existiere. Aber damit kann sie sich natürlich nicht einverstanden erklären. Sie entgegnet ihm:

{Aber sieh doch, ich bin doch von Fleisch und Blut!}"

Hellriegel gibt ihren Argumenten ein wenig nach. Er legt sein Ohr an ihre Brust (wie ein Arzt, bemerkt Hauptmann) und ruft aus:

{Du bist ja lebendig! Du hast ja ein Herz, Pippa!}"10

Was ist hier also passiert? Zuerst hatte Hellriegel einen solchen „Komplex von Empfindungen", auf dessen Grundlage er dachte, dass Pippa nur in seiner Vorstellung existiert. Dann kamen zu diesem „Komplex" einige neue „Empfindungen" (das Schlagen des Herzens usw.) hinzu, wodurch Hellriegel sofort zum „Metaphysiker" in dem Sinne wurde, in dem Sie, Herr Bogdanow, dieses Wort irrtümlicherweise gebrauchen. Er erkannte, dass Pippa außerhalb seiner „Erfahrung" existiert (wieder in Ihrem Sinne, Herr Bogdanow), das heißt selbständig, unabhängig von seinen Empfindungen. Das ist so einfach wie das Abc. Aber gehen wir weiter.

Als Hellriegel erkannte, dass nicht seine Empfindungen, die sich in einer bestimmten Weise miteinander verbinden, Pippa geschaffen haben, sondern Pippa bei ihm Empfindungen hervorruft, verfällt er in das, was Sie, Herr Bogdanow, infolge Ihres mangelnden Sachverstandes als Dualismus ansehen. Er glaubt von nun an, dass Pippa nicht nur ein Sein in seiner Vorstellung, sondern auch ein Sein an sich zukommt. Aber jetzt sind vielleicht auch Sie, Herr Bogdanow, dahintergekommen, dass hier keinerlei Dualismus im Spiel ist und dass Hellriegel, wenn er Pippas Sein an sich bestritten hätte, zu genau dem Solipsismus gelangt wäre, von dem loszukommen Sie sich so stark und vergeblich bemühen.

Na, wenn das nicht populär gesagt ist! Nach meinem Beispiel aus Hauptmanns Stück wächst in mir der Glaube, dass mich am Ende sogar viele jener Leser verstanden haben, denen es zu danken ist, dass Ihre „philosophischen" Werke in mehreren Ausgaben über das breite Antlitz der russischen Erde verstreut sind. Was ich sage, ist im höchsten Masse einfach. Um mich zu verstehen, genügen wenige Anstrengungen.

Fleißig, Kinder, steigt hinein,

Paukt das Alphabet euch ein,

Das verhilft zum Glücklichsein.

VI

Sie sagen, gnädiger Herr, das von Kant heruntergewirtschaftete Ding an sich sei gnoseologisch gesehen nutzlos geworden.c Und indem Sie das sagen, fühlen Sie sich – Ihrer Gewohnheit entsprechend – als tiefer Denker. Aber es ist unschwer zu verstehen, dass die von Ihnen geäußerte Wahrheit nur einen sehr geringen Wert hat. Kant hielt das Ding an sich für nicht erkennbar. Ist es aber nicht erkennbar, so wird jeder, selbst wenn er sich im Empiriomonismus nicht auskennt, ohne weiteres dahinterkommen, dass es gnoseologisch gesehen nutzlos ist; denn das ist ja ein und dasselbe. Was aber folgt daraus? Beileibe nicht das, was Sie, gnädiger Herr, denken. Nämlich nicht, dass das Ding an sich nicht existiert, sondern nur, dass die Kantsche Lehre über dieses falsch ist. Aber Sie haben die Geschichte der Philosophie und namentlich die des Materialismus so schlecht verarbeitet, dass Sie dauernd die Möglichkeit außer acht lassen, an die Stelle der Kantschen eine andere Lehre vom Ding an sich zu setzen. Indessen dürfte klar sein, wenn „diese oder jene Individuen" nicht nur in meinem Kopf existieren, dann sind sie in Beziehung auf mich Dinge an sich. Wenn das klar ist, dann steht auch außer Zweifel, dass wir die Wechselbeziehung von Subjekt und Objekt in Betracht ziehen müssen. Aber da Sie vom Solipsismus abrücken möchten – obwohl Sie, wie ich Ihnen schon gezeigt habe, unwillkürlich, das heißt für Sie unmerklich, von einer Ihnen unbekannten Kraft immer wieder an seine tristen Ufer gezogen werden –, da Sie kein Solipsist sind, versuchen Sie herauszubekommen, wie sich das Objekt zum Subjekt verhält. Ihre von mir bereits analysierte, vollkommen missratene Objektivitätstheorie ist ein Versuch der Beantwortung dieser Frage. Aber indem Sie sich mit der Frage beschäftigen, haben Sie diese eingeengt. Sie verbannten ausnahmslos alle Menschen aus der objektiven Welt, mithin auch „diese oder jene Individuen", auf die Sie sich beriefen, als Sie dem Solipsismus zu entfliehen suchten. Dazu hatten Sie wiederum nicht das geringste logische Recht, weil die objektive Welt für jeden einzelnen Menschen die ganze Außenwelt ist, zu der unter anderem auch alle anderen Menschen gehören und zwar nicht nur so, wie sie in der Vorstellung dieses Menschen existieren. Sie haben das aus dem ganz einfachen Grunde vergessen, weil die von Ihnen vertretene Erfahrungslehre der Standpunkt des Solipsismus ist.d. Doch ich will noch einmal nachgeben und abermals zugeben, dass Sie recht haben, dass also „diese oder jene Individuen" nicht zur objektiven Welt gehören. Nur muss ich Sie bitten, mir zu erklären, wie sich „diese oder jene Individuen" zueinander verhalten und wie sie sich miteinander verständigen. Diese Frage wird Sie, hoffe ich, nicht in Verlegenheit bringen, sondern sogar erfreuen, weil sie Ihnen eine ausgezeichnete Möglichkeit bietet, uns mit einer der „originellsten" Seiten Ihrer Weltanschauung bekannt zu machen.

Zum Ausgangspunkt der Untersuchung dieser Frage nehmen Sie – wie Sie selbst sagen – natürlich den Begriff des Menschen als eines bestimmten „Komplexes unmittelbarer Erlebnisse". Aber einem anderen Menschen erscheint dieser „vor allem als Wahrnehmung in einer Reihe anderer Wahrnehmungen, als ein bestimmter visuell-taktil-akustischer Komplex in einer Reihe anderer Komplexe".e Hier könnte ich wiederum anmerken: Wenn für den Menschen A der Mensch B vor allem lediglich ein bestimmter visuell-taktil-akustischer Komplex ist, dann hat dieser Mensch A das logische Recht, die von ihm unabhängige, selbständige Existenz des Menschen B nur in dem Fall anzuerkennen, wenn er, der Mensch A, Ihrer (das heißt Machs) Lehre von der Erfahrung nicht anhängt. Vertritt er sie jedoch, dann muss er wenigstens so viel Gewissen haben, zuzugeben, dass er, wenn er dem Menschen B eine von ihm, dem „Individuum" A, unabhängige Existenz zuerkennt, eine metaempirische, das heißt metaphysische (ich gebrauche diesen Termini in Ihrem Sinne) These „äußert", womit er, anders ausgedrückt, die Grundlage des ganzen Machismus verwirft. Aber ich werde darauf jetzt nicht bestehen, da ich annehme, dass Ihre Inkonsequenz in dieser Sache für den Leser schon deutlich genug ist. Für mich ist es jetzt wichtig, zu klären, wie es geschehen soll, dass ein „Komplex unmittelbarer Erlebnisse" (der Mensch B) einem „anderen" „Komplex unmittelbarer Empfindungen" (den Menschen A) als „Wahrnehmung in einer Reihe anderer Wahrnehmungen" oder als ein bestimmter visuell-taktil-akustischer Komplex in einer Reihe anderer Komplexe, „erscheint". Mit anderen Worten, ich möchte begreifen, wie sich der Prozess „unmittelbaren Erlebens" eines „Komplexes unmittelbarer Erlebnisse" durch einen anderen „Komplex unmittelbarer Erlebnisse" vollzieht? „Vor allem" ist das eine im höchsten Grade dunkle Angelegenheit. Zwar versuchen Sie, ein wenig Licht hineinzubringen, wenn sie erklären: Dank der Tatsache, dass die Menschen sich in ihren Äußerungen gegenseitig verstehen, wird ein Mensch für den anderen zur Koordination der unmittelbaren Erlebnisse.f Aber ich finde, ich gebe das zu, dass man Ihnen für dieses „dank der Tatsache" nicht danken sollte; denn „dank" dieser wird das Ganze keineswegs verständlicher.

Aus diesem Grunde kehre ich zu meinem System zurück, Ihre Artikel in längeren Auszügen wiederzugeben. Vielleicht helfen Sie mir klarzustellen, worin Ihre „selbständigen" Entdeckungen auf dem mich hier interessierenden Gebiet bestehen.

Zwischen dem Komplex A und dem Komplex B werden bestimmte Beziehungen hergestellt, ein wechselseitiger Einfluss, wie Sie sagen.g Der Komplex A wird direkt oder indirekt im Komplex B reflektiert; der Komplex B wird im Komplex A reflektiert oder kann dort zumindest reflektiert werden. Dazu fügen Sie genau zur rechten Zeit die Erläuterung an: Obwohl jeder Komplex direkt oder indirekt in anderen, analogen Komplexen reflektiert werden kannh, wird er jedoch „in ihnen nicht als solcher, nicht in seiner unmittelbaren Gestalt reflektiert, sondern in Gestalt dieser oder jener Reihe von Veränderungen dieser Komplexe, in Gestalt der ihnen immanenten neuen Gruppierung der Elemente, die deren ,innere' Beziehung kompliziert".i

Wir kommen auf diese Ihre Worte noch zurück: Sie enthalten einen Gedanken, der zum Verständnis Ihrer Theorie der „Substitution" unbedingt notwendig ist. Zuvor aber lassen Sie uns zur Klärung eines anderen Umstandes übergehen, den Sie selbst, Herr Bogdanow, für sehr wichtig halten.

Es handelt sich um folgenden Umstand:

Die Wechselwirkung der „Lebewesen" vollzieht sich, wie Sie sagen, nicht direkt und unmittelbar; die Erlebnisse des einen liegen nicht im Erfahrungsfeld des anderen. Ein Lebensprozess wird im anderen nur indirekt „reflektiert".j Und das geschieht durch die Umgebung.

Dies erinnert an die materialistische Lehre. Feuerbach sagt in seinen „{Vorläufigen Thesen zur Reform der Philosophie}": „{Ich bin Ich – für mich – und zugleich Du – für anderes}."11 Aber in seiner Erkenntnistheorie bleibt Feuerbach ein konsequenter Materialist: Er trennt das Ich (und jene „Elemente", in die man das Ich zerlegen könnte) nicht vom Körper. Er schreibt: „Ich bin ein wirkliches, ein sinnliches Wesen, der Leib gehört zu meinem Wesen; ja, der Leib {in seiner Totalität} ist mein Ich, mein Wesen selber."k Darum ist aus der materialistischen Sicht Feuerbachs die Wechselwirkung zwischen zwei Menschen „vor allem" eine Wechselbeziehung zwischen zwei in einer bestimmten Weise organisierten Körpern.l Diese Wechselwirkung erfolgt manchmal unmittelbar – zum Beispiel, wenn der Mensch A den Menschen B berührt, und manchmal durch die Umgebung, die beide umgibt – zum Beispiel, wenn der Mensch A den Menschen B sieht. Es bedarf auch keines besonderen Hinweises, dass für Feuerbach die Umgebung der Menschen nur materiell sein konnte. Doch Ihnen ist das alles zu einfach: vous avez change tout cela12. Sagen Sie uns doch einmal, was ist das für eine Umgebung, durch die nach Ihrer „originellen" Lehre die Wechselwirkung zwischen jenen Komplexen unmittelbarer Erlebnisse vonstatten geht, die wir in unserer Laiensprache Menschen nennen und die Sie – nachsichtig gegen unsere Schwäche, aber gleichzeitig darauf bedacht, ihr nicht selbst zu unterliegen – als „Menschen " (das heißt als Menschen in empiriokritizistischen Anführungsstrichen) bezeichnen.

Die Antwort bleiben Sie uns nicht schuldig. Hier ist sie.

Was aber ist die ,Umgebung'? Dieser Begriff hat nur dann einen Sinn, wenn er dem gegenübergestellt wird, was eine ‚Umgebung' hat, in unserem Falle also dem Lebensprozess. Wenn wir den Lebensprozess als einen Komplex unmittelbarer Erlebnisse betrachten, dann ist die ‚Umgebung' alles, was nicht diesem Komplex angehört. Ist es aber jene ‚Umgebung', durch deren Vermittlung die einen Lebensprozesse in den anderen ‚reflektiert' werden, so muss sie sich als die Gesamtheit der Elemente darstellen, die nicht in die organisierten Erlebniskomplexe eingehen – als die Gesamtheit der unorganisierten Elemente, als ein Chaos der Elemente im eigentlichen Sinne des Wortes. Sie ist das, was uns in der Wahrnehmung und in der Erkenntnis als die ,anorganische Welt' erscheint."m

Somit erfolgt die Wechselwirkung der Komplexe unmittelbarer Erlebnisse mit Hilfe der anorganischen Welt, die ihrerseits nichts anderes ist als ein „Chaos der Elemente im eigentlichen Sinne des Wortes". Sehr schön. Nur gehört die anorganische Welt, wie allgemein bekannt, zur objektiven, zur physischen Welt. Was aber ist die physische Welt? Darüber sind wir ja nun, dank Ihrer Offenbarungen, Herr Bogdanow, bestens unterrichtet. Wir haben bereits von Ihnen vernommen (und im Gedächtnis behalten), dass „überhaupt die physische Welt die sozial in Übereinstimmung gebrachte, sozial harmonisierte, mit einem Wort sozial organisierte Erfahrung" ist.n Das haben Sie nicht nur gesagt, das haben Sie immer und immer wieder mit der Hartnäckigkeit eines Cato vorgebracht, der sich nicht davon abbringen ließ, dass Karthago zerstört werden müsse. Und so drängen sich uns „natürlich" gleich fünf quälende Fragen auf.

Die erste: Zu welchen „Erlebnissen" gehört jene schreckliche Katastrophe, infolge der sich „die sozial in Übereinstimmung gebrachte, sozial harmonisierte, mit einem Wort sozial organisierte Erfahrung" in ein „Chaos der Elemente im eigentlichen Sinne des Wortes" verwandelt hat?

Die zweite: Wenn sich die Wechselwirkung der Menschen (die Sie der Abwechslung halber als Lebewesen bezeichnen – selbstverständlich mit empiriokritizistischen Anführungsstrichen) nicht direkt und unmittelbar vollzieht, „sondern nur" vermittels der Umgebung, das heißt der anorganischen Welt, die zur physischen Welt gehört; wenn ferner die physische Welt die sozial in Übereinstimmung gebrachte Erfahrung und als solche ein Produkt der Entwicklung ist (was wir von Ihnen ja ebenfalls häufig gehört haben), wie konnte es dann zu einer Wechselwirkung zwischen den Menschen kommen, bevor sich dieses Produkt der Entwicklung gebildet hatte, das heißt bevor sich die Erfahrung sozial organisiert hatte, die gleichbedeutend ist mit der physischen Welt, welche die anorganische Welt in sich einschließt, also genau die Umgebung ist, die, nach Ihren Worten, notwendig ist, damit die Komplexe unmittelbarer Erlebnisse, oder die Menschen, aufeinander einwirken können?

Die dritte: Wenn die anorganische Umgebung nicht existiert hat, bevor die Erfahrung sich „sozial organisierte", wie konnte dann mit der Organisierung dieser Erfahrung begonnen werden? Erfolgt denn die Wechselwirkung der Lebewesen „nicht direkt und unmittelbar"?

Die vierte: Wenn eine Wechselwirkung zwischen den Menschen vor der Entstehung der anorganischen Umgebung als dem Ergebnis der Entwicklung nicht möglich war, wie konnten sich dann irgendwelche Weltprozesse abspielen, wie konnte überhaupt etwas zustande kommen außer den wer weiß woher bezogenen isolierten Komplexen unmittelbarer Erlebnisse?

Die fünfte: Was konnten diese Komplexe eigentlich „erleben" in einer Zeit, wo es reineweg nichts gab und wo demzufolge auch nichts zu „erleben" war?

Sie fühlen selbst, Herr Bogdanow, dass hier vieles wieder nicht aufgeht, und halten es für erforderlich, „mögliche Missverständnisse zu beseitigen". Wie aber beseitigen Sie diese?

In unserer Erfahrung", sagen Sie, „ist die anorganische Welt kein Chaos der Elemente, sondern eine Reihe bestimmter räumlich-zeitlicher Gruppierungen; in unserer Erkenntnis verwandelt sie sich sogar in ein abgerundetes System, das durch die kontinuierliche Gesetzmäßigkeit von Beziehungen zusammengehalten wird. Aber ,in der Erfahrung' und ,in der Erkenntnis' das heißt: in irgend jemanden Erlebnissen; Einheit und Harmonie, Kontinuität und Gesetzmäßigkeit sind gerade den Erlebnissen als den organisierten Elementenkomplexen eigen. Unabhängig von dieser Organisiertheit jedoch, ,an sich', ist die anorganische Welt eben ein Chaos der Elemente, eine vollständige oder nahezu vollständige Indifferenz. Das ist beileibe keine Metaphysik. Das ist nur ein Ausdruck der Tatsache, dass die anorganische Welt kein Leben ist, und Ausdruck der grundlegenden monistischen Idee, wonach sich die anorganische Welt von der lebendigen Natur nicht durch ihren Stoff unterscheidet (die ‚Elemente' sind die gleichen wie die der Erfahrung), sondern durch ihre Nichtorganisiertheit."o

Diese „Aussage" vermag nicht nur keinerlei Missverständnisse zu beseitigen, sondern fügt im Gegenteil den bisherigen noch ein neues hinzu. Sich auf die „grundlegende monistische Idee" beziehend, kehren Sie zu jener Unterscheidung der zwei Seinsformen zurück, für deren Kritik Sie, im Anschluss an Mach und Avenarius, soviel Kraft aufgewandt haben. Sie unterscheiden das Sein „an sich" von dem Sein in unserer Erkenntnis, das heißt in irgend jemandes Erlebnissen, also „in der Erfahrung". Wenn aber diese Unterscheidung richtig ist, dann ist Ihre Theorie, nach Ihren Definitionen, metaempirisch, das heißt metaphysisch. Sie fühlen das selbst, und deshalb behaupten Sie völlig unmotiviert: „Das ist keine Metaphysik." O doch, gnädiger Herr, im Sinne Ihrer Erfahrungslehre – und auf dieser Lehre beruht der ganze „Empiriokritizismus", der ganze Machismus und der ganze „Empiriomonismus" –, aber auch im Sinne Ihrer Kritik am „Ding an sich" ist dies reine und offensichtliche Metaphysik. Sie wurden hier zum „Metaphysiker", weil Sie über Ihre Erfahrungslehre nicht hinausgegangen sind und sich in heillose Widersprüche verwickelt haben. Was soll man aber von einer „Philosophie" halten, die sich nur dann einige Hoffnungen machen kann, vor der Absurdität bewahrt zu werden, wenn sie ihre eigene Grundlage negiert? Ebenso fühlen Sie aber auch, dass Ihre „Philosophie" Selbstmord begeht, wenn sie den Unterschied zwischen dem Sein „in der Erfahrung" und dem Sein „an sich" anerkennt. Darum nehmen Sie Zuflucht zu einer, wie man es nennen könnte, begrifflichen List. Sie unterscheiden die Welt „in der Erfahrung" nicht von der Welt an sich, sondern von der Welt „an sich", sichern letztere durch Anführungszeichen ab. Sollte „dieses oder jenes" Individuum Ihnen jetzt vorhalten, dass Sie sich auf das Sein an sich beziehen, dass Sie selbst als „gnoseologisch gesehen nutzlos" qualifiziert haben, dann können Sie ihm antworten, dass Sie zwar den alten Terminus benutzen, der einen „gnoseologisch gesehen nutzlosen" Begriff bezeichnet, dass Sie ihm jedoch einen gänzlich neuen Inhalt geben, was sich auch in der Zeichensetzung ausdrücke. Sehr geschickt! Nicht umsonst habe ich Sie in meinem ersten Brief mit dem schlauen Mönch Gorenflot verglichen.

Nachdem Sie das Sein an sich aus dem russischen Kleide in einen deutschen Anzug gesteckt und es durch die bewussten Satzzeichen abgeschirmt hatten, wollten Sie den Einsprüchen „dieses oder jenes" hellsichtigen Individuums zuvorkommen – das zeigt die Bemerkung, die Sie wesentlich später, nämlich auf S. 159 anbringen.p Sie „erinnern" dort daran, dass der Ausdruck „an sich" von Ihnen keineswegs im metaphysischen Sinne verwandt wird. Und Sie beweisen das wie folgt:

An die Stelle bestimmter physiologischer Prozesse anderer Menschen setzen wir die ‚unmittelbaren Komplexe' – das Bewusstsein. Die Kritik der physischen Erfahrung zwingt uns, den Bereich dieser Substitution zu erweitern, und wir betrachten darum jedes physiologische Leben als einen ,Reflex' der unmittelbaren organisierten Komplexe. Aber die anorganischen Prozesse unterscheiden sich prinzipiell nicht von den physiologischen, die nur deren organisierte Kombination sind. Da sich die anorganischen Prozesse in einer kontinuierlichen Reihe mit den physiologischen befinden, müssen offensichtlich auch die anorganischen Prozesse als ‚Reflexe' angesehen werden; aber Reflexe wessen? – der unmittelbaren, nichtorganisierten Komplexe. Bis jetzt sind wir nicht in der Lage, diese Substitution konkret in unserem Bewusstsein vorzunehmen. Was tut's, denn wir können dies oftmals nicht einmal im Verhältnis zu den Tieren (die Erlebnisse der Amöbe) und nicht einmal zu anderen Menschen (Unkenntnis ihrer Psyche) erfüllen. Statt einer konkreten Substitution können wir jedoch das Verhältnis dieser Fälle formulieren (das ,Leben an sich' – die unmittelbaren organisierten Komplexe, die ,Umgebung an sich' – die nichtorganisierten)."

Die volle Bedeutung dieses erneuten Vorbehalts erkennt man erst dann, wenn man sich über den Gebrauchswert Ihrer „Substitutionstheorie" klar wird, von der Sie, wie wir gesehen haben, unter anderem Ihren Anspruch auf philosophische Originalität herleiten. Doch schon jetzt kann man sagen, dass dieser Vorbehalt „gnoseologisch gesehen nutzlos" ist. Denken Sie einmal selbst darüber nach, Herr Bogdanow, welche Bedeutung hier Ihre Formulierung von den „Verhältnissen" der von Ihnen angeführten „Fälle" haben kann. Angenommen, diese Formulierung, das „Leben an sich" – die unmittelbaren organisierten Komplexe, die „Umgebung an sich" – die nichtorganisierten, sei absolut richtig. Was sollen wir dann daraus entnehmen? Die Frage ist doch nicht, wie sich das „Leben an sich" zur „Umgebung an sich" verhält, sondern wie sich das „Leben an sich" und die „Umgebung an sich" zu dem Leben und der Umgebung „in unserer Erfahrung", in unserer „Erkenntnis", in unserem „Erleben" verhalten. Auf diese Frage aber gibt Ihr neuer Vorbehalt keinerlei Antwort. Darum kann weder er noch der von Ihnen für das Sein an sich scharfsinnig ausgedachte russisch-deutsche Kostümwechsel ein hellsichtiges „Individuum" an der Behauptung hindern: Wenn Sie sich für einen Augenblick vor den unversöhnlichen Widersprüchen retten wollen, die Ihrer Philosophie" eigen sind, dann können Sie das nur dadurch tun, dass Sie die „gnoseologisch gesehen nutzlose" Unterscheidung zwischen dem Sein an sich und dem Sein in der Erfahrung anerkennen.q Wie Ihr Lehrer Mach verbrennen sie kraft einer ganz elementaren logischen Notwendigkeit das, vor dem wir uns Ihrer Meinung nach verneigen sollten, und verneigen Sie sich vor dem, was wir nach Ihrer Meinung verbrennen sollten. Noch eine letzte Legende, und ich werde die Möglichkeit haben, die Liste ihrer Todsünden gegen die Logik abzuschließen. Ich komme zu Ihrer „Substitutionstheorie". Diese Theorie ist es, die uns Laien Klarheit darüber verschaffen muss, wie ein Mensch einem anderen als ein bestimmter „visuell-taktil-akustischer Komplex in einer Reihe anderer Komplexe" erscheinen kann.

Wir wissen bereits, dass zwischen den Komplexen unmittelbarer Erlebnisse (ohne Umschweife gesagt: zwischen Menschen) eine Wechselwirkung stattfindet. Sie beeinflussen sich gegenseitig, werden einer im anderen reflektiert". Aber wie werden sie „reflektiert"? Davon hängt alles ab.

Hier müssen wir uns an Ihren von mir schon angeführten Gedanken erinnern, wonach zwar jeder beliebige „Komplex" in anderen, analogen Komplexen reflektiert werden kann, dort aber nicht in seiner unmittelbaren Gestalt reflektiert wird, sondern in Gestalt bestimmter Veränderungen dieser Komplexe, „in Gestalt der ihnen immanenten neuen Gruppierung der Elemente, die deren ‚innere' Beziehungen kompliziert". Ich habe bemerkt, dass dieser Gedanke zum Verständnis Ihrer Theorie der „Substitution" unbedingt notwendig ist. Jetzt ist es an der Zeit, darauf näher einzugehen.

Mit ihren eigenen Worten, Herr Bogdanow, würde ich diesen wichtigen Gedanken so ausdrücken: Die Reflexion des Komplexes A im Komplex B läuft hinaus auf „eine bestimmte Reihe von Veränderungen dieses zweiten Komplexes, von Veränderungen, die mit dem Inhalt und der Struktur des ersten Komplexes durch eine funktionale Abhängigkeit verbunden sind".r Was bedeutet in diesem Falle „funktionale Abhängigkeit"? Nur, dass bei der Wechselwirkung zwischen Komplex A und Komplex B dem Inhalt und der Struktur des ersten Komplexes eine bestimmte Reihe von Veränderungen des zweiten entspricht. Nicht mehr und nicht weniger. Das heißt: Wenn ich die Ehre habe, mich mit Ihnen zu unterhalten, dann werden meine „Erlebnisse" mit ihren in Übereinstimmung gebracht. Wodurch kommt diese Übereinstimmung zustande? Durch nichts als die Worte funktionale Abhängigkeit. Aber diese Worte erklären überhaupt nichts. Und da muss ich Sie nun fragen, Herr Bogdanow: Unterscheidet sich etwa diese „funktionale" Übereinstimmung durch irgend etwas von jener „prästabilierten Harmonie", die Sie, in Anlehnung an Ihren Lehrer Mach, mit einer überaus großen Geringschätzung behandeln? Denken Sie einmal darüber nach, dann werden Sie selber erkennen, dass sie sich buchstäblich durch nichts unterscheidet und dass Sie also das alte Mütterchen „prästabilierte Harmonie" ganz unnötigerweise kränken. Wenn Sie aufrichtig sein möchten – was ich allerdings kaum zu hoffen wage –, dann werden Sie uns selbst sagen, dass Ihre Bezugnahme auf die „Umgebung" durch die dunkle Erkenntnis hervorgerufen wurde, dass zwischen der alten Theorie der „prästabilierten Harmonie" und Ihrer „funktionalen Abhängigkeit" eine Ihnen unangenehme Ähnlichkeit besteht. Doch nach dem, was ich weiter oben gesagt habe, braucht man kaum noch ein Wort darüber zu verlieren, dass in dieser schwierigen Situation die Umgebung „gnoseologisch gesehen nutzlos" ist, und sei es auch nur aus dem einzigen Grunde, weil sie nach Ihrer Theorie ein Ergebnis der Wechselwirkung zwischen den Komplexen ist und nicht erklärt, wie eine solche Wechselwirkung möglich ist außerhalb der „prästabilierten Harmonie".

Aber weiter.

Nachdem Sie die ausgesprochen „metaempirische" („metaphysische") These verkündet haben, dass die anorganische Welt „an sich" eine Sache ist und die anorganische Welt „in unserer Erfahrung" eine andere, fahren Sie fort: „Wenn die unorganisierte ‚Umgebung' ein Zwischenglied in der Wechselwirkung der Lebensprozesse ist, wenn durch sie ein Komplex von Erfahrungen in einem anderen reflektiert' wird, dann ist weder neu noch ungewöhnlich, dass durch ihre Vermittlung der jeweilige Lebenskomplex auch in sich selbst reflektiert' wird. Der Komplex A, der auf den Komplex B einwirkt, kann mit dessen Hilfe Einfluss auf einen Komplex C ausüben, aber auch auf den Komplex A, das heißt auf sich selbst… Von diesem Standpunkt aus ist es durchaus verständlich, dass ein Lebewesen eine ,äußere Wahrnehmung' seiner selbst haben kann, dass es sich selbst sehen, fühlen, hören kann usw., das heißt, dass es in der Reihe seiner Erlebnisse auch solche finden kann, die eine indirekte (durch Vermittlung der ‚Umgebung') Reflexion dieser Reihe selbst sind."s

Übersetzt in die normale Sprache heißt das: Wenn ein Mensch seinen eigenen Körper wahrnimmt, dann „erlebt" er einige seiner eigenen „Erlebnisse", die dank ihrer Reflexion vermittels der Umgebung die Gestalt eines „visuell-taktilen Komplexes" annehmen. Das ist {„an sich"} ganz und gar unverständlich: Kommen Sie, halten Sie fest, wie der Mensch seine eigenen „Erlebnisse" „erlebt", sei es auch vermittels einer „Umgebung", die, wie wir schon wissen, überhaupt nichts erklärt.t Hier werden Sie, Herr Bogdanow, zu einem Metaphysiker, wie ihn Voltaire im Auge hatte, als er feststellte: Wenn ein Mensch etwas sagt, was er selbst nicht versteht, beschäftigt er sich mit Metaphysik. Doch der von Ihnen geäußerte, „an sich" unverständliche Gedanke besagt, dass unser Körper nichts anderes ist als unser psychisches Erleben, das in einer bestimmten Weise reflektiert wurde. Wenn das kein Idealismus ist, was soll man denn dann als Idealismus bezeichnen?

Wunderbar haben Sie Mach ergänzt, Herr Bogdanow! Ich sage das nicht im Scherz. Mach ist als Physiker immerhin noch manchmal zum Materialismus abgeglitten. Ich habe das in meinem zweiten Brief an Sie durch einige anschauliche Beispiele gezeigt. In diesem Sinne hat er sich des Dualismus schuldig gemacht. Sie haben diesen Fehler korrigiert. Sie haben seine Philosophie zu einer von Alpha bis Omega idealistischen gemacht. Dafür muss man Sie unbedingt loben.u

Denken Sie nicht, Herr Bogdanow, dass ich mich, wenn ich das sage, über Sie lustig mache. Ganz im Gegenteil, mir liegt daran, Ihnen ein Kompliment zu machen, und wahrscheinlich sogar ein sehr großes. Ihre eben von mir zitierten Ausführungen haben mich an Schellings Lehre vom schöpferischen Verstand erinnert, der seine eigene Tätigkeit anschaut, aber diesen Prozess der Anschauung nicht begreift und sich darum dessen Produkte als von außen gegebene Objekte vorsteht. Natürlich hat sich diese Schellingsche Lehre bei Ihnen wesentlich gewandelt und die, man könnte sagen, Gestalt einer Karikatur angenommen. Aber für Sie dürfte allein schon die Tatsache ein Trost sein, dass Sie die Karikatur eines dennoch sehr bedeutenden Menschen sind.

Und bitte beachten Sie: Mit diesem Kompliment – das Ihnen zugegebenermaßen zweifelhaft erscheinen muss – will ich keineswegs sagen, Sie hätten bei Ihrer selbständigen Ergänzung der „Philosophie" Machs gewusst, dass Sie eine fremde und zudem noch ziemlich alte idealistische Lehre lediglich modifizieren. Nein, ich nehme an, dass diese alte Lehre dank gewissen Eigenschaften der Sie umgebenden „Umgebung" gänzlich ohne Ihr Zutun in Ihrem Kopf als ein „Komplex" von philosophischen Schlussfolgerungen aus den hauptsächlichen Errungenschaften der „neuesten Naturwissenschaft" „reflektiert" wurde. Aber Idealismus bleibt nun einmal Idealismus, ganz unabhängig davon, ob derjenige, der ihn propagiert, sein Wesen erkannt hat oder nicht. Indem Sie den Idealismus, den Sie sich unbewusst angeeignet haben, auf Ihre Art weiterentwickeln – das heißt entstellen –, kommen Sie „natürlich" zu einer rein idealistischen Auffassung von der Materie. Und obwohl Sie die Vermutung zurückweisen, dass nach Ihrer Meinung das „Physische" lediglich ein „Anderssein" des „Psychischen"v sei, entspricht diese Vermutung doch vollauf der Wahrheit. Ihre Auffassung von der Materie und von allem Physischen ist, ich wiederhole es, vom Idealismus ganz durchdrungen. Um sich davon zu überzeugen, genügt es zum Beispiel, nur Ihre äußerst tiefsinnigen Bemerkungen durchzulesen, die sich auf die physiologische Chemie beziehen: „Kurzum, es muss als am wahrscheinlichsten anerkannt werden, dass das organisierte lebende Eiweiß der physische Ausdruck (,oder Reflex') unmittelbarer Erlebnisse von psychischem Charakter ist, die natürlich um so elementarer sind, je elementarer die Beschaffenheit dieses lebenden Eiweißes in jedem Einzelfall ist."w Es hegt auf der Hand, dass der Chemiker und der Physiologe, wollten sie sich auf diesen Standpunkt stellen, rein idealistische „Disziplinen" ins Leben rufen und zur „spekulativen" Naturwissenschaft Schellings zurückkehren müssten.

Jetzt wird es nicht mehr schwer sein, zu verstehen, was eigentlich passiert, wenn ein Mensch den Körper eines anderen wahrnimmt. Hier kommt es vor allem auf die Anführungsstriche an, die in Ihrer „Philosophie", Herr Bogdanow, einen so wichtigen Platz einnehmen. Es ist durchaus nicht so, dass ein Mensch den Körper eines anderen sieht – das wäre Materialismus, der einer „modernen Naturwissenschaft" unwürdig ist. Er sieht diesen „Körper", den Körper in Anführungsstrichen, obwohl er letzteren nur dann bemerkt, wenn er zur „empiriomonistischen" Schule gehört. Die Anführungsstriche beim Körper bedeuten, dass man „solches geistig zu verstehen habe", wie es im Katechismus heißt, oder psychisch, wie wir beide, Herr Bogdanow, uns ausdrücken. Der „Körper" ist nicht mehr als eine besondere Reflexion (Reflexion vermittels einer anorganischen Umgebung) eines Komplexes von Erlebnissen in einem anderen, gleichartigen Komplex. Das Psychische (mit und ohne Anführungsstriche) geht sowohl dem „Physischen" (und Physischen) als auch dem physiologischen" (und Physiologischen) voraus.

Das ist Ihre ganze Wissenschaft, Herr Bogdanow.

Das ist Ihrer Philosophie tiefster Sinn!13

Oder, um es bescheidener auszudrücken, das ist der Sinn dessen, was bei Ihnen die pompöse Bezeichnung systematisierte und korrigierte Substitution trägt.

Vom Standpunkt der systematisierten und korrigierten Substitution", lassen Sie uns wissen, „stellt sich die ganze Natur als eine unendliche Reihe ,unmittelbarer Komplexe' dar, deren Stoff der gleiche ist wie die ‚Elemente’ der Erfahrung, während die Form durch die verschiedensten Grade der Organisiertheit gekennzeichnet ist, von den niedrigsten, die der ‚anorganischen Welt' entsprechen, bis zu den höchsten, die der ,Erfahrung' des Menschen entsprechen. Diese Komplexe beeinflussen sich gegenseitig. Jede einzelne ,Wahrnehmung aus der Außenwelt' ist die Reflexion irgendeines dieser Komplexe in einem bestimmten anderen, der sich gebildet hat – in der lebendigen Psyche. Die ,physische Erfahrung' aber ist das Ergebnis eines kollektiv organisierenden Prozesses, der diese Wahrnehmungen harmonisch vereinigt. Die ,Substitution' gibt nun gleichsam eine Rückspiegelung der Reflexion, die dem ‚Reflektierten' ähnlicher ist als die erste Reflexion. Eine Melodie beispielsweise, die durch einen Phonographen wiedergegeben wird, ist die zweite Reflexion der von ihm aufgenommenen Melodie, und sie ist der letzteren unvergleichlich näher als die erste Reflexion – die Strichelchen und Pünktchen auf der Walze des Phonographen."x

Wer auch nur einen Moment an dem idealistischen Charakter einer derartigen Philosophie zweifelt, mit dem lohnt sich kein philosophisches Streitgespräch. Er ist für die Philosophie wirklich ein hoffnungsloser Fall.

Ich würde Sie als das enfant terrible14 der Machschen Schule bezeichnen, wenn der so wichtige „Komplex unmittelbarer Erlebnisse" mit einem übermütigen und ausgelassenen Kind verglichen werden könnte. Auf jeden Fall aber haben Sie das Geheimnis der Schule ausgeplaudert und öffentlich das geäußert, was die Schule im Beisein Fremder lieber für sich behalten hätte. Sie haben die idealistischen „Punkte" auf jene idealistischen „i" gesetzt, die die Machsche „Philosophie" charakterisieren. Ich wiederhole, Sie haben diese Punkte aus dem Grunde gesetzt, weil Ihnen die „Philosophie" Machs (und Avenarius') nicht monistisch genug erschien. Sie haben gefühlt, dass der Monismus dieser „Philosophie" ein idealistischer Monismus ist. Und Sie sind darangegangen, sie im idealistischen Geiste zu „ergänzen". Als Arbeitsmittel diente Ihnen in diesem Fall die von Ihnen geschaffene Objektivitätstheorie. Mit ihrer Hilfe haben Sie alle Ihre übrigen philosophischen Wohl…, sagen wir: Wohltaten leicht produziert. Sie geben das in den folgenden Zeilen selbst zu, wobei diese sich zu Ihrem Unglück gegenüber dem, was sonst aus Ihrer schwerfälligen Feder fließt, durch bemerkenswerte Klarheit auszeichnen:

Da die Geschichte der psychischen Entwicklung zeigt, dass die objektive Erfahrung mit ihrem nervlichen Zusammenhang und ihrer regelmäßigen Gesetzmäßigkeit das Ergebnis einer langen Entwicklung ist und sich nur Schritt für Schritt aus dem Strom der unmittelbaren Erlebnisse herauskristallisiert, blieb uns nichts weiter übrig, als anzunehmen, dass der objektive physiologische Prozess eine ,Reflexion' des Komplexes unmittelbarer Erlebnisse ist, und nicht umgekehrt. Des Weiteren stellte sich die Frage: wenn ‚Reflexion', dann wo. Die Antwort haben wir im Einklang mit der von uns akzeptierten sozialmonistischen Erfahrungskonzeption gegeben. Indem wir die Allgemeingültigkeit der objektiven Erfahrung als einen Ausdruck ihrer sozialen Organisiertheit anerkannten, sind wir zu dem folgenden empiriomonistischen Schluss gekommen: Das physiologische Leben ist das Ergebnis einer kollektiven Harmonisierung ,äußerer Wahrnehmungen' des lebendigen Organismus, von denen jede die Reflexion eines Erlebniskomplexes in einem anderen (oder in sich selbst) ist. Mit anderen Worten: Das physiologische Leben ist die Reflexion des unmittelbaren Lebens in der sozial organisierten Erfahrung der Lebewesen."y

Der letzte Satz – „das physiologische Leben ist die Reflexion des unmittelbaren Lebens in der sozial organisierten Erfahrung der Lebewesen" – bürgt dafür, dass Sie erstens ein Idealist und zweitens ein „origineller" Idealist sind. Nur ein Idealist kann physiologische Prozesse als eine „Reflexion" unmittelbarer psychischer Erlebnisse ansehen. Und nur ein Idealist, der sich endgültig verrannt hat, kann behaupten, die „Reflexionen", die sich auf den Bereich des physiologischen Lebens beziehen, seien das Ergebnis der sozialen Organisation der Erfahrung, also ein Produkt des gesellschaftlichen Lebens.

Aber wenn Sie auch das Geheimnis des „Empiriokritizismus" ausposaunt haben, so haben Sie dieser „philosophischen" Doktrin doch rein gar nichts hinzugefügt außer einigen ungereimten, sich unversöhnlich widersprechenden Erfindungen. Wenn man diese Erdichtungen liest, empfindet man beinahe das, was Tschitschikow bei seiner Übernachtung im Hause der Korobotschka „erleben" musste. Das Federbett war für ihn von Fetinja meisterhaft, fast bis zur Zimmerdecke aufgefüllt worden. Doch „als er mit Hilfe eines Stuhles sein Bett bestiegen hatte, sank es unter ihm bis fast auf den Boden hinab, und die aus ihren Grenzen verdrängten Federn flogen in allen Winkeln des Zimmers umher".15 Ihre „empiriomonistischen" Erfindungen reichen auch beinahe bis zur Decke: soviel steckt in ihnen an gelehrten Begriffen und vermeintlicher Weltweisheit. Aber schon bei der leichtesten Berührung mit der Kritik fliegen aus Ihrem „philosophischen" Bett die Federn nach allen Seiten auseinander, und der verwunderte Leser sackt flugs nach unten, fühlend, dass es hineingeht in die nebelhafte Tiefe einer gänzlich inhaltlosen Metaphysik. Und eben darum ist es nicht im mindesten schwierig, Sie zu kritisieren, dafür jedoch im höchsten Grade langweilig. Das hat mich im vergangenen Jahr bewogen, die Kritik an Ihnen einzustellen und stattdessen zur Kritik an Ihrem Lehrer überzugehen. Aber da Sie auf eine selbständige Bedeutung Anspruch erhoben, war ich gezwungen, mich mit Ihrem Anspruch auseinanderzusetzen. Ich habe gezeigt, wie unhaltbar Ihre „Objektivitätstheorie" ist und in welchem Maße Ihre Lehre von der „Substitution" den natürlichen Zusammenhang der Erscheinungen entstellt. Das genügt. Sie noch weiter zu verfolgen, das wäre sinnlose Zeitverschwendung. Der Leser sieht jetzt, welchen Wert Ihre „selbständige" Philosophie hat.

Zum Schluss möchte ich noch eines sagen. Traurig ist nicht, dass in unserer Literatur ein solcher „Komplex unmittelbarer Erlebnisse", wie Sie, Herr Bogdanow, auftauchen konnte, sondern dass dieser „Komplex" darin eine gewisse Rolle zu spielen vermochte. Man hat Sie gelesen, einige Ihrer philosophischen Büchlein haben mehrere Auflagen erlebt. Nun, dies ließe sich noch ertragen, wenn Ihre Werke nur von Obskuranten gekauft, gelesen und gelobt worden wären.z Sie haben bessere geistige Nahrung nicht verdient. Aber unmöglich kann man sich damit abfinden, dass Sie von Menschen mit fortschrittlicher Denkweise gelesen und ernst genommen wurden. Das ist ein sehr schlechtes Zeichen. Es zeugt davon, dass wir gegenwärtig eine Periode beispiellosen geistigen Verfalls durchleben. Um Sie als einen Denker zu akzeptieren, der fähig ist, den Marxismus philosophisch zu untermauern, braucht man nicht die geringsten Kenntnisse weder von der Philosophie noch vom Marxismus. Unwissenheit ist niemals gut; sie ist immer gefährlich für alle Menschen, besonders jedoch für diejenigen, die vorwärtsschreiten möchten. Aber ihre Gefährlichkeit verdoppelt sich noch für diese Menschen in Zeiten des gesellschaftlichen Stillstandes, wenn diese verpflichtet sind, den Kampf mit besonderer Energie „mit geistigen Waffen" zu führen. Die Waffe, die Sie, Herr Bogdanow, geschmiedet haben, ist für fortschrittliche Menschen völlig ungeeignet: Sie verhilft ihnen nicht zum Sieg, sondern bewirkt ihre Niederlage. Und was weit schlimmer ist: Wer sich dieser Waffe bedient, wird selbst zu einem Ritter der Reaktion, zum Wegbereiter des Mystizismus und allen möglichen Aberglaubens.

Die unter unseren ausländischen Gesinnungsgenossen irren sich sehr, die, wie mein Freund Kautsky, denken, dass es nicht nötig sei, um der „Philosophie" willen zu streiten, die von Ihnen und Ihresgleichen theoretischen Revisionisten bei uns verbreitet wird.16 Kautsky kennt die russischen Verhältnisse nicht. Er lässt außer acht, dass die bürgerliche theoretische Reaktion, die gegenwärtig eine wahrhafte Verheerung in den Reihen unserer fortschrittlichen Intelligenz anrichtet, sich bei uns unter dem Banner des philosophischen Idealismus vollzieht und dass infolgedessen solche philosophischen Lehren für uns besonders gefahrdrohend sind, die ihrem Wesen nach idealistisch sind, sich aber zugleich als das letzte Wort der Naturwissenschaften ausgeben, der jederlei metaphysische Prämissen fremd seien. Der Kampf gegen solche Lehren ist nicht nur nicht überflüssig, sondern er ist geradezu unerlässlich – so unerlässlich wie der Protest gegen die reaktionäre „Umwertung der Werte", die durch die lange währenden Anstrengungen des fortschrittlichen russischen Denkens erarbeitet worden sind.

Ich hatte vor, noch einige Worte über Ihre Broschüre „Abenteuer einer philosophischen Schule" (St. Petersburg 1908) zu sagen, muss jedoch aus Zeitmangel davon Abstand nehmen. Es ist auch kein großes Bedürfnis vorhanden, sich mit dieser Broschüre auseinanderzusetzen. Ich hoffe, dass meine drei Briefe völlig ausreichen, um deutlich zu machen, wie sich die philosophischen Ansichten der Schule, der ich angehöre, zu Ihren, gnädiger Herr, Anschauungen und vor allem zu den Anschauungen Ihres Lehrers Mach verhalten. Mehr scheint mir nicht erforderlich. Ein nutzloser Wortwechsel ist wie Nebel für den Jäger, der ich nicht bin. Darum werde ich lieber ein wenig warten, bis Sie etwas gegen mich schreiben – zur Verteidigung Ihres Lehrers oder auch nur zur Verteidigung Ihrer eigenen „Objektivität" und Ihrer eigenen „Substitution". Dann sprechen wir uns wieder.

G. Plechanow

A A. Bogdanow, Эмпириомонизм, кн. III, СПБ. 1906, стр. XII.

B Hierzu noch ein kleiner Hinweis. In seinem Vorwort zur zweiten Auflage des „Anti-Dühring" sagte Engels: „Marx und ich waren wohl ziemlich die einzigen, die aus der deutschen idealistischen Philosophie die bewusste Dialektik in die materialistische Auffassung der Natur und Geschichte hinübergerettet hatten." (Ф. Энгельс, Философия, политическаяэкономия, социализм [F. Engels, Filosofija, polititscheskaja ekonomija, sozialism, СПБ. 1907, стр. 5 [MEW, Bd. 20, S. 10.]) Wie sie sehen, war die materialistische Erklärung der Natur für Engels ein ebenso notwendiger Teil einer richtigen Weltanschauung wie die materialistische Erklärung der Geschichte. Das wird allzu oft und allzu gern von denen vergessen, die zum Eklektizismus oder, was fast dasselbe ist, zum theoretischen „Revisionismus" neigen.

C Es versteht sich wohl von selbst, gnädiger Herr, dass ich gegenüber dem Leser jegliche Verantwortung für Ihren eigenartigen Stil ablehne.

D „Эмпириомонизм", кн. I, Москва 1908, стр. 18.

E Ebenda, S. 18-19.

F „Эмпириомонизм", стр. 19-20.

G Ebenda, S. 20.

H Ebenda.

I „Эмпириомонизм", стр. 22-23.

J Ebenda, S. 23.

K Ebenda, S. 32-33.

L „Эмпириомонизм", стр. 33.

1 Der Dietzgen-Anhänger Pawel Dauge versuchte, den dialektischen Materialismus durch einen von ihm selbst kreierten „Naturmonismus" zu ersetzen. Er lobte Alexander Bogdanow und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass dieser, „wenn er seine begonnene philosophische Arbeit entwickelt und erweitert", schließlich zum „proletarischen Naturmonismus" gelangen werde.

M Ebenda, S. 34.

2 Samoskworetschje – Stadtteil von Moskau.

N „Эмпириомонизм", кн. I, стр. 41, Anmerkung.

O „Эмпириомонизм", стр. 34, Anmerkung.

3 Sie haben das alles verändert.

P Siehe oben. Ich erinnere Sie daran, gnädiger Herr, dass Sie diesen Gedanken auf der Seite 33 der 3. Auflage des I. Buches des „Empiriomonismus" äußern.

4 Hypothesen denke ich mir nicht aus. Das heißt: Isaac Newton zieht es vor, sich auf eindeutig festgestellte Tatsachen zu stützen.

Q „Эмпириомонизм", кн. I, стр. 9

R Sie kennen schlecht die Geschichte der Auffassungen, die in der Gesellschaftswissenschaft des 19. Jahrhunderts verbreitet waren. Wenn Sie diese kennen würden, dann würden Sie Mach und Marx nicht einzig auf der Grundlage annähern, dass der österreichische Physikprofessor die Entstehung der Wissenschaft aus den „Erfordernissen des praktischen Lebens, … der Technik" erklärt. Das ist beileibe kein neuer Gedanke. Littre hat schon in den vierziger Jahren betont: „Toute science provient d'un art correspondant, dont elle se détache peu à peu, le besoin suggérant les arts et plus tard la réflexion suggérant les sciences; c'est ainsi que la Physiologie, mieux dénommée biologie, est née de la médicine. Ensuite et à fur et à mesure les arts reçoivent des sciences plus qu'ils ne leur ont d'abord donné." [Jede Wissenschaft geht aus einer entsprechenden Kunst hervor, von der sie sich nach und nach löst, wobei das Bedürfnis die Künste schafft und später das Nachdenken die Wissenschaft; so ist die Physiologie, genauer gesagt die Biologie, aus der Medizin entstanden. Danach erhalten die Künste von den Wissenschaften mehr zurück, als sie ihnen anfangs gegeben haben.] (Zitiert aus Alfred Espinas, Les origines de la technologie. Paris 1897, p. 12.)

S „Эмпириомонизм", кн. I, стр. 30. Hervorhebungen von Ihnen.

T Ebenda, S. 31

U Engels, op. cit., S. 39. [MEW, Bd. 20, S. 48.]

5 Das ist ein Hinweis auf die in der altrussischen „Nestorchronik" enthaltenen Darstellung, wonach im Jahre 862 die Abgesandten mehrerer slawischer Stämme zu den Warägern gekommen waren und ihnen sagten: „Unser Land ist groß und reich, doch es ist keine Ordnung in ihm; so kommt, über uns herrschen und gebieten." (Die altrussische Nestorchronik. Hrsg. Reinhold Trautmann, Leipzig 1931, S. 11.) Die moderne Geschichtswissenschaft hat die Unhaltbarkeit der Behauptung des Autors dieser Chronik über die Mission der Waräger nachgewiesen.

V „Эмпириомонизм", кн. I, стр. 25.

W „Эмпириомонизм", кн. I, стр. 26-27.

X Siehe S. 28, ebenda.

Y „Эмпириомонизм", стр. 32, Anmerkung.

Z Engels, op. cit, S. 40. [MEW, Bd. 20, S. 48/49.]

Ä In dem Artikel „Eine neue Spielart des Revisionismus", der Ihnen so missfiel, erinnerte L. I. Axelrod Sie an die scharfsinnige Bemerkung von Marx, dass die Kunst, Fische in den Gewässern zu fangen, wo sie nicht vorkommen, noch nicht erfunden ist. („Философские очерки [Filosofskie otscherki]", СПБ. 1906 г., стр. 176.) Dieser Denkanstoß hat bei Ihnen leider kein Ergebnis gezeitigt. Sie tun nach wie vor so, als ob die Menschen ihre Erfahrungen in Sachen Fischfang zusammengefasst und sich über diese nützliche Beschäftigung geäußert hätten und somit die Fische und das Wasser schufen. Fürwahr ein feiner Materialismus!

Ö „Эмпириомонизм", кн. III, СПБ. 1906, стр. 41, XIII-XIV.

Ü „Эмпириомонизм", стр. 19.

a In dem Artikel „Die Selbsterkenntnis der Philosophie" sagen Sie: „Unser {Universum} ist vor allem die Welt der Erfahrung. Aber das ist nicht nur die Welt der unmittelbaren Erfahrung – nein, es ist viel umfassender." („Эмпириомонизм", кн. III, стр. 155.) In der Tat, „viel umfassender"! So sehr, dass sich die „Philosophie", die angeblich auf der Erfahrung beruht, in Wirklichkeit auf die rein dogmatische Lehre von den „Elementen" stützt, die in einem untrennbaren Zusammenhang mit der idealistischen Metaphysik steht.

6 Iwan Krylow: Fabeln, Leipzig 1976, S. 63.

7 Ebenda.

8 das tote Haupt.

b „Эмпириомонизм", кн. I, стр. 11-12, Anmerkung.

9 solus – der Einzige, ipse – selbst, daher Solipsismus.

10 Gerhart Hauptmann: Ausgewählte Werke, Bd. 3, Berlin 1962, S. 122.

c „Эмпириомонизм", кн. II, СПБ. 1906, стр. 9.

d Wenn ich von „Erfahrung" spreche, meine ich eins von beiden: entweder meine persönliche Erfahrung, oder aber ich meine nicht nur meine persönliche Erfahrung, sondern auch die Erfahrung meiner „Mitmenschen". Im ersten Falle bin ich Solipsist, weil in der persönlichen Erfahrung das Ich immer allein ist (solus ipse). Im zweiten Falle löse ich mich vom Solipsismus, indem ich über die Grenzen der persönlichen Erfahrung hinausgehe. Doch wenn ich die von mir unabhängige Existenz der „Mitmenschen" zugebe, behaupte ich damit zugleich, dass diese „Mitmenschen" ein Sein an sich haben, das von der Vorstellung, die ich von ihnen habe, und von meiner persönlichen Erfahrung unabhängig ist. Mit anderen Worten, wenn ich oder, besser gesagt, wenn wir – Sie, Herr Bogdanow, und ich – die Existenz der „Mitmenschen" zugeben, dann erklären wir damit für null und nichtig, was Sie, Herr Bogdanow, gegen das Sein an sich sagen, das heißt, dann bringen wir die ganze Philosophie des „Machismus", des „Empiriokritizismus", des „Empiriomonismus" und all der anderen zu Fall.

e „Эмпириомонизм", кн. I, стр. 121.

f „Schließlich wird der Mensch dadurch, dass die Menschen sich in ihren ‚Äußerungen' gegenseitig verstehen', auch für andere zu einer Koordination unmittelbarer Erlebnisse, zu einem ‚psychischen Prozess'" usw. („„Эмпириомонизм", кн. I, стр. 121,)

g „Эмпириомонизм", кн. I, стр. 124.

h Auf der folgenden Seite desselben Buches erklären Sie dagegen, wie ich schon weiter oben festgestellt habe, dass die Wechselwirkung der „Lebewesen" (bzw. Komplexe) nicht direkt und unmittelbar erfolgt. Das ist einer Ihrer zahllosen Widersprüche, die zu entwirren sich nicht lohnt.

i Ebenda, S. 124.

j „Эмпириомонизм", стр. 125.

11 Hier hat sich Georgi Plechanow geirrt. Diese Aussage, wie auch die beiden weiter unten zitierten, entstammt einer anderen Arbeit Ludwig Feuerbachs, den „Grundsätzen der Philosophie der Zukunft". (Ludwig Feuerbach: Gesammelte Werke, Bd. 9, Berlin 1970, S. 317.)

k [Ludwig Feuerbach's sämtliche] {„Werke", II, 325.}

l {„Nicht dem Ich, sondern dem Nicht-Ich in mir, um in der Sprache Fichtes zu reden, ist ein Objekt, d. i. anderes Ich gegeben; denn nur da, wo ich aus einem Ich in ein Du umgewandelt werde, wo ich leide, entstehet die Vorstellung einer außer mir seienden Aktivität, d. i. Objektivität. Aber nur durch den Sinn ist Ich nicht Ich." („Werke", II, 322.)"}

12 Sie haben das alles verändert.

m „Эмпириомонизм", кн. I, стр. 125.

n Diese Stelle findet sich auf S.33 des I. Buches des „Empiriomonismus". Die Hervorhebungen sind von Ihnen, Herr Bogdanow.

o „Эмпириомонизм", кн. I, стр. 125-126.

p „Empiriomonismus", Kapitel „{Universum"}" („Der Empiriomonismus des Einzelnen und des Stetigen").

q Ich sage für einen Augenblick vor den unversöhnlichen Widersprüchen retten, weil es Ihnen nicht vergönnt sein wird, sich für längere Zeit vor ihnen zu retten. In der Tat, wenn die anorganische Welt „an sich" ein Chaos von Elementen ist, während sie sich „in unserer Erkenntnis sogar in ein abgerundetes System verwandelt, das durch die kontinuierliche Gesetzmäßigkeit von Beziehungen zusammengehalten wird", dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder Sie wissen selber nicht, was Sie da reden, oder aber Sie selbständiger Denker vom neuesten Typ kehren in einer ganz beschämenden Weise zu dem Standpunkt des alten Kant zurück, der behauptet hatte, dass die Vernunft der äußeren Natur ihre Gesetze vorschreibt. Wahrlich, ich sage Ihnen, Herr Bogdanow: Sie werden bis zum Ende Ihrer Tage ziel- und richtungslos von einem Widerspruch zum anderen treiben. Bald möchte ich glauben, dass Ihre „Philosophie" eben jenes Chaos der Elemente ist, das, nach Ihren Worten, die nichtorganische Welt ausmacht.

r „Эмпириомонизм", кн. I, стр. 124.

s „Эмпириомонизм", кн. I, стр. 126.

t Unsere „Erlebnisse" „erleben" können wir nur, wenn wir uns an etwas erinnern, was wir früher erlebt haben. Das ist jedoch ganz und gar nicht das, worüber Sie, Herr Bogdanow, sprechen.

u Sie fanden, dass die Anerkennung des „Psychischen" und des „Physischen" als zweier unabhängiger Reihen durch Mach und Avenarius eine gewisse Dualität bedeute. Sie wollten die Dualität beseitigen. Jene zahlreichen und tiefsinnigen „Warum?", mit denen Sie Mach und Avenarius zusetzten, dienten als eine sehr fadenscheinige Anspielung darauf, dass Sie das Geheimnis kennen, wie man diese unangenehme Dualität beseitigen kann. Ja, Sie haben das auch direkt zu verstehen gegeben. Jetzt wissen wir, worin Ihr Geheimnis besteht: Sie deklarieren das „Physische" als Anderssein des „Psychischen". Das ist dann wirklich Monismus. Schlimm ist nur, dass es sich um einen idealistischen Monismus handelt.

v Ich habe hier die drei Wörter in Anführungsstriche gesetzt, die auch von Ihnen in gleicher Weise gegen alle Versuche des Lesers abgesichert wurden, sie im direkten, d. h. im richtigen Sinne zu verstehen. Siehe „Эмпириомонизм", кн. II, стр. 26.

w „Эмпириомонизм", стр. 30. An einer anderen Stelle sagen Sie: „Jeder lebenden Zelle entspricht unserer Ansicht nach ein, wenn auch unbedeutender, Komplex von Erlebnissen." („Эмпириомонизм", кн. I, стр. 134.) Die da denken, Sie spielten, wenn Sie das sagen, auf Haeckels „Zellseele" an, unterliefe ein schwerwiegender Fehler. Bei Ihnen besteht die Übereinstimmung zwischen der „lebenden Zelle" und dem, wenn auch unbedeutenden, Komplex von Erlebnissen darin, dass diese Zelle nur ein „Reflex" dieses Komplexes, also abermals nur dessen „Anderssein" ist. [Ernst Haeckel war Anhänger des Hylozoismus. Nach dieser Lehre sind Materie und Geist unlöslich miteinander verbunden. Schon die Atome, die Urelemente des Seins, haben Empfindungen. In der lebenden Zelle wohnt eine Seele, und mit der Entwicklung besonderer „Zellseelen" entsteht das Bewusstsein.]

13 Abgewandelt nach der bekannten ersten Strophe von Heinrich Heines Gedicht „Doktrin":

Schlage die Trommel und fürchte dich nicht.

Und küsse die Marketenderin!

Das ist die ganze Wissenschaft,

Das ist der Bücher tiefster Sinn.

(Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden, Bd. 1, Berlin 1961, S. 319.)

x „Эмпириомонизм", кн. II, стр. 39.

14 Wirklich schreckliches Kind; Mensch, der durch seine Offenheit und Taktlosigkeit einen anderen in eine unangenehme Situation bringt.

y „Эмпириомонизм", стр. 136, Hervorhebungen von Ihnen.

15 Nikolai Gogol: Die toten Seelen, Berlin/Weimar 1965, S.58.

z Beim Versuch, seinen religiösen Standpunkt zu begründen, sagt William James: „La réalité concréte se compose exclusivement d'expériences individuelles." „L'expérience religieuse", Paris-Geneve 1908, S. 417. [Das Gebiet wirklicher Realitäten besteht ausschließlich aus eigenen Erfahrungen. (Die religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit, Leipzig 1907, S.454.)] Das gleicht der Behauptung, jeder Realität liegen „Komplexe unmittelbarer Erlebnisse" zugrunde. James irrt sich nicht, wenn er meint, solche Thesen öffneten dem religiösen Aberglauben Tür und Tor.

16 Karl Kautsky verhielt sich ebenso wie andere Führer der europäischen Sozialdemokratie versöhnlerisch sowohl gegenüber dem Kantianismus als auch gegenüber dem Machismus. Das erregte den Einspruch Georgi Plechanows, der in einem Brief an Karl Kautsky vom 26. Februar 1908 schrieb: „Mir scheint, dass sich unsere deutschen Genossen immer mehr vom Materialismus abwenden. Da fragt mich doch ein Genosse, ob er damit rechnen kann, dass die Neue Zeit Artikel zu der Frage abdruckt, ob Marx und Engels in der Philosophie Marxisten oder nicht vielleicht eher Machisten waren, wie Adler junior, das heißt Friedrich Adler, der Mach unterstützte, behauptet. Ich konnte mich nicht entschließen, ihm eine positive Antwort zu geben." (Gruppa „Oswoboschdenie truda“ sb. VI, Москва/Leningrad 1926, стр. 272.) In seiner Erwiderung vom 10. März 1908 (im Sammelband „Gruppe ‚Befreiung der Arbeit'" fälschlich mit 1900 datiert) „begründete" Karl Kautsky, der den Machismus zu den „ernsthaften sozialistischen Auffassungen" rechnete, wie folgt seine Position: „Was Mach anbelangt, so betrachte ich ihn ohne jedes Vorurteil; ich muss gestehen, dass ich noch nicht dazu gekommen bin, von ihm etwas zu lesen. Wegen der Wichtigkeit seines Auftretens halte ich es für notwendig, in der ,Neuen Zeit' seine Anhänger zu Wort kommen zu lassen, da die ,Neue Zeit' ein Organ ist, in dem alle ernsthaften sozialistischen Auffassungen diskutiert werden sollen. Und soweit ich über Mach informiert bin, muss man ihn ernst nehmen". (Ebenda, S.260.) Am 13. Februar 1908 schrieb W. I. Lenin an Maxim Gorki über Karl Kautskys zentristische Position gegenüber dem Revisionismus: „Die ,Neue Zeit' … verhält sich gleichgültig zur Philosophie, war niemals ein leidenschaftlicher Parteigänger des philosophischen Materialismus und hat in letzter Zeit ohne den geringsten Vorbehalt die Empiriokritiker veröffentlicht." (W. I. Lenin: Briefe, Bd. II, S. 137.)

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