Holbach

HOLBACH

Wir wollen von einem Materialisten sprechen. Was ist aber der Materialismus?

Befragen wir den größten der zeitgenössischen Materialisten.

Die große Grundfrage aller, speziell neueren Philosophie ist die nach dem Verhältnis von Denken und Sein", sagt Friedrich Engels in seinem vortrefflichen Büchlein: Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Stuttgart 1888. „ … In ihrer vollen Schärfe konnte sie erst gestellt werden, ihre ganze Bedeutung konnte sie erst erlangen, als die europäische Menschheit aus dem langen Winterschlaf des christlichen Mittelalters erwachte. Die Frage nach der Stellung des Denkens zum Sein, die übrigens auch in der Scholastik des Mittelalters ihre große Rolle gespielt, die Frage: was ist das Ursprüngliche, der Geist oder die Natur? — diese Frage spitzte sich, der Kirche gegenüber, dahin zu: hat Gott die Welt erschaffen, oder ist die Welt von Ewigkeit da?

Je nachdem diese Frage so oder so beantwortet wurde, spalteten sich die Philosophen in zwei große Lager. Diejenigen, die die Ursprünglichkeit des Geistes gegenüber der Natur behaupteten, also in letzter Instanz eine Weltschöpfung irgendeiner Art annahmen …, bildeten das Lager des Idealismus. Die andern, die die Natur als das Ursprüngliche ansahen, gehören zu den verschiednen Schulen des Materialismus."1

Nach Friedrich Engels heißt Materialist sein also, in der Natur das ursprüngliche Element sehen; Holbach würde diese Definition sehr gern anerkannt haben. Das, was wir das psychische Leben des Tieres nennen, war für ihn nur ein „natürliches" Phänomen, und man brauchte nach ihm nicht aus der Natur herauszugehen, um die Lösung der psychologischen Probleme, die sie uns stellt, zu suchen.2 Das ist weit von den dogmatischen Behauptungen entfernt, die man so häufig und so unbegründet den Materialisten zuschreibt. Allerdings sah Holbach in der Natur nur die Materie oder „verschiedene Materien", er erkannte noch die vier Elemente oder Grundstoffe der Alten an: Luft, Feuer, Erde, Wasser; man darf nicht vergessen, dass er im Jahre 1781 schrieb.3 Genau so erkannte er in der Natur nur die Materie oder die Materien, die Bewegung oder die verschiedenen Bewegungen an. Und hier glauben die Kritiker, wie Damiron z. B., unseren Materialisten fangen zu können. Sie unterschieben ihm ihren Begriff der Materie, und indem sie von diesem Begriff ausgehen, beweisen sie siegreich, dass die Materie nicht genügt, alle Phänomene der Natur zu erklären.4 Das Spiel ist leicht, aber abgeschmackt. Kritiker dieses Kalibers begreifen nicht oder stellen sich, als ob sie nicht begriffen, dass man von der Materie einen anderen Begriff als den ihren haben könne. „Wenn wir unter Natur", sagt Holbach, „einen Haufen toter, eigenschaftsloser, rein passiver Stoffe verstehen, werden wir ohne Zweifel gezwungen sein, das Prinzip der Bewegungen außerhalb dieser Natur zu suchen; wenn wir aber unter der Natur das verstehen, was sie wirklich ist, ein Ganzes, dessen verschiedene Teile verschiedene Eigenschaften haben, die dann diesen Eigenschaften entsprechend tätig sind, die in fortwährender Aktion und Reaktion aufeinander sind, die Gewicht haben, die nach einem gemeinsamen Zentrum gravitieren, während andere sich entfernen, um sich nach der Peripherie zu bewegen, die sich anziehen und abstoßen, die sich vereinigen und sich trennen, und die durch ihre fortgesetzten Zusammenstöße und Wiedervereinigungen alle Körper, die wir sehen, erzeugen und auflösen, dann zwingt uns nichts, zu übernatürlichen Kräften unsere Zuflucht zu nehmen, um uns von der Bildung der Dinge und Erscheinungen, die wir sehen, Rechenschaft zu geben."5

Schon Locke räumte ein, dass die Materie mit der Fähigkeit zu denken begabt sein könne. Für Holbach ist es die wahrscheinlichste Annahme „selbst in der Hypothese der Theologie, das heißt, wenn man einen allmächtigen Beweger der Materie voraussetzt".6 Holbachs Schluss ist sehr einfach und in der Tat sehr überzeugend: „Da der Mensch, der Materie ist und Ideen nur von der Materie hat, die Fähigkeit zu denken besitzt, so kann die Materie denken oder ist einer eigentümlichen Modifikation fähig, die wir Gedanke nennen."7 Wovon hängt diese Modifikation ab? Hier schlägt Holbach zwei Hypothesen vor, die ihm gleich wahrscheinlich erscheinen. Man kann annehmen, dass die Sensibilität der Materie „das Resultat einer dem Tier eigentümlichen Anordnung, Verbindung ist, so dass eine tote, empfindungslose Materie tot zu sein aufhört und empfindungsfähig wird, wenn sie sich ‚animalisiert', das heißt, wenn sie sich mit einem Tier vereinigt und identifiziert". Sehen wir nicht alle Tage, dass die Milch, das Brot und der Wein sich in die Substanz eines Menschen verwandeln, der ein sensibles Wesen ist? Diese toten Materien werden also sensibel, indem sie sich mit einem sensiblen Wesen vereinigen. Die andere Hypothese ist die, die Diderot in seinem bemerkenswerten „Gespräch zwischen d’Alembert und Diderot" auseinandergesetzt hatte. „Einige Philosophen glauben", schreibt Diderot, „dass die Sensibilität eine universale Eigenschaft der Materie ist; in diesem Falle ist es unnütz, nach dem Ursprung dieser Eigenschaft, die wir durch ihre Wirkungen kennen, zu suchen. Wenn man diese Hypothese annimmt, so wird man in ähnlicher Weise, wie man in der Natur zwei Arten von Bewegung unterscheidet, die eine unter dem Namen lebendige Kraft, die andere unter dem Namen tote Kraft, bekannt, zwei Arten von Sensibilität unterscheiden, die eine tätig oder lebendig, die andere untätig oder tot, und dann wird die Animalisation einer Substanz nur die Aufhebung der Hemmnisse sein, die sie hindern, tätig und sensibel zu werden."

Wie dem auch immer sei und welche Hypothese über die Sensibilität man auch annimmt, sagt Holbach, „ein immaterielles Wesen, ähnlich dem, für das man die menschliche Seele hält, kann nicht der Träger derselben sein".8

Der Leser wird vielleicht behaupten, dass weder die eine noch die andere Hypothese sich durch ausreichende Klarheit auszeichnet, wir wissen es wohl, und Holbach wusste es so gut wie wir. Diese Eigenschaft der Materie, die wir Sensibilität nennen, ist ein sehr schwer zu lösendes Rätsel. „Aber", sagt Holbach, „die einfachsten Bewegungen unserer Körper sind für jeden, der über sie nachdenkt, ebenso schwer zu lösende Rätsel."9

In einer Unterhaltung mit Lessing sagte Jacobi: „Spinoza ist mir gut genug, aber doch ein schlechtes Heil, das wir in seinem Namen finden!" Lessing antwortete: „Ja! Wenn Sie wollen! … Und doch … wissen Sie etwas Besseres?"10

Materialisten wie Holbach könnten in gleicher Weise auf alle Vorwürfe ihrer Gegner antworten: „Wissen Sie etwas Besseres?" Wo soll man dies Bessere suchen? Im subjektiven Idealismus Berkeleys? Im absoluten Idealismus Hegels? Im Agnostizismus oder Neukantianismus unserer Tage?

Der Materialismus", versichert Lange, „nimmt hartnäckig die Welt des Sinnenscheins für die Welt der wirklichen Dinge."11

Dies ist gelegentlich der Argumentation Holbachs gegen Berkeley geschrieben. Lange will den Anschein erwecken, als ob Holbach verschiedene, sehr leicht zu wissende Dinge nicht gewusst hätte. Unser Philosoph möge für sich selbst antworten:

Wir kennen das Wesen keines Dinges, wenn man unter dem Wort Wesen das versteht, was seine eigentümliche Natur ausmacht; wir kennen die Materie nur durch die Wahrnehmungen, Empfindungen und die Ideen, welche sie uns gibt; danach beurteilen wir sie wohl oder übel der besonderen Anlage unserer Organe entsprechend."12

Wir kennen weder das Wesen noch die wahre Natur der Materie, obwohl wir imstande sind, einige ihrer Eigenschaften und Qualitäten nach der Art, wie sie auf uns wirkt, zu erkennen."13

Für uns ist die Materie das, was unsere Sinne in irgendeiner Weise affiziert; und die Eigenschaften, welche wir den verschiedenen Materien zuschreiben, sind in den verschiedenen Eindrücken oder den Veränderungen, welche sie in uns erzeugen, begründet."14

Das ist seltsam, nicht wahr? Hier spricht unser alter guter Holbach so, wie ein Vertreter der „Erkenntnistheorie" unserer Tage. Wie hat nur Lange in ihm seinen philosophischen Genossen nicht erkennen können?

Lange datiert die gesamte moderne Philosophie von Kant her und sieht, wie Malebranche, alle Dinge in Gott. Er hat sich nicht vorstellen können, dass es auch vor der Veröffentlichung der „Kritik der reinen Vernunft" Leute, und noch dazu unter den Materialisten, hat geben können, welche bestimmte Wahrheiten wussten, die im Grunde genommen recht alt sind, ihm aber als die größten Entdeckungen der modernen Philosophie erschienen. Er las Holbach mit vorgefasster Meinung.

Das ist aber noch nicht alles. Zwischen Holbach und Lange herrscht natürlich ein gewaltiger Unterschied. Für Lange, wie für alle Kantianer, war das „Ding an sich" gänzlich unerkennbar. Für Holbach, wie für alle Materialisten, war unsere Vernunft, das heißt unsere Wissenschaft, sehr wohl imstande, wenigstens bestimmte Eigenschaften des „Dinges an sich" zu entdecken. Und darin täuschte sich der Autor des „Systems der Natur" nicht.15

Stellen wir folgende Überlegungen an. Wir konstruieren eine Eisenbahn. In der Sprache der Kantianer heißt dies, wir lassen gewisse Phänomene entstehen.

Was ist aber nun ein Phänomen? Es ist das Produkt einer Wirkung des „Dinges an sich" auf uns. Wenn wir also unsere Eisenbahn konstruieren, zwingen wir das „Ding an sich" in einer von uns gewollten Weise auf uns zu wirken. Aber was gibt uns das Mittel, auf das „Ding an sich" in dieser Weise einzuwirken? Die Kenntnis seiner Eigenschaften, und nichts anderes als diese Kenntnis.

Und es ist sehr günstig für uns, dass wir hinreichend genaue Bekanntschaft mit dem „Ding an sich" machen können. Im entgegen gesetzten Falle würden wir hier auf Erden nicht existieren können und aller Wahrscheinlichkeit nach das Vergnügen, die Metaphysik zu kultivieren, entbehren müssen.

Die Kantianer hängen sehr fest an der Unerkennbarkeit des „Dinges an sich". Nach ihnen gibt diese Unerkennbarkeit Lampe und allen guten Philistern ein unangreifbares Recht, ihren mehr oder weniger „poetischen" oder „idealen" Gott zu haben. Holbach folgerte anders.

Man wiederholt uns", sagte er, „ohne Aufhören, dass unsere Sinne uns nur die Schale der Dinge zeigen, dass unsere beschränkten Geister einen Gott nicht begreifen können; zugegeben, aber unsere Sinne zeigen uns nicht einmal die Schale der Gottheit … Beschaffen, wie wir sind, existiert ein Ding, von dem wir keine Idee haben, überhaupt nicht für uns."16

Holbachs unbestritten schwache Seite, wie die des ganzen französischen Materialismus des 18. Jahrhunderts und überhaupt jedes Materialismus vor Marx, besteht in dem fast vollständigen Fehlen jeder Idee von Evolution. Wohl hatten Leute wie Diderot manchmal geniale Ausblicke, welche den bedeutendsten unserer modernen Evolutionisten Ehre gemacht haben würden; aber diese Ausblicke standen ohne Zusammenhang mit dem Wesen ihrer Lehre, sie waren nur Ausnahmen und bestätigten als Ausnahmen nur die Regel. Natur, Moral oder Geschichte — die „Philosophen" des 18. Jahrhunderts traten in gleicher Weise mit demselben Mangel an dialektischer Methode, von demselben metaphysischen Standpunkt an sie heran. Es ist interessant, zu sehen, wie sich Holbach abmüht, eine plausible Hypothese für den Ursprung unseres Planeten und unserer Gattung zu finden. Die jetzt definitiv durch die evolutionistische Naturwissenschaft gelösten Probleme erschienen dem Philosophen des 18. Jahrhunderts unlösbar.17

Die Erde ist nicht immer das gewesen, was sie heute ist. Sie bildete sich also allmählich in einem langen Evolutionsprozess? — Nein. Nach Holbach hätte sich die Sache in folgender Weise abspielen können. „Vielleicht ist die Erde eine in der Zeit von einem anderen Himmelskörper abgetrennte Masse, vielleicht ist sie ein Resultat (!) der Flecken und Krusten, die die Astronomen auf der Sonnenscheibe beobachten und die sich von da in unserem Planetensystem haben zerstreuen können; vielleicht ist diese Kugel ein erloschener Komet, der einst einen anderen Platz in den Regionen des Raumes einnahm."18

Hören wir nun Holbachs Betrachtungen über die Abstammung des Menschen. Der primitive Mensch unterschied sich vielleicht mehr vom jetzigen Menschen, als der Vierfüßler vom Insekt. Man kann den Menschen wie alles, was auf unserer Erdkugel und allen anderen Himmelskörpern existiert, als in beständiger Veränderung begriffen auffassen. „Man kann ohne Widerspruch glauben, dass die Arten ohne Aufhören variieren."19

Das klingt ganz evolutionistisch. Man darf aber nicht vergessen, dass Holbach diese Hypothese plausibel erscheint, unter Voraussetzung von „Veränderungen in der Stellung unserer Erdkugel", wobei nicht von ihrer Bewegung um die Sonne, sondern von einem Verlassen des Bereichs des jetzigen Sonnensystems die Rede ist.

Wer diese Voraussetzung nicht zugeben will, muss den Menschen als ein „plötzliches Produkt der Natur" ansehen. Holbach hält durchaus nicht an der Hypothese von der Evolution der Arten fest. „Wenn man aber alle vorhergehenden Vermutungen abweisen und behaupten würde, dass die Natur durch eine bestimmte Anzahl unveränderlicher und allgemeiner Gesetze wirkt; wenn man glauben würde, dass der Mensch, der Vierfüßler, der Fisch, das Insekt, die Pflanze usw. von aller Ewigkeit an das sind und ewig das bleiben, was sie sind; wenn man behaupten würde, dass von aller Ewigkeit her die Sterne am Firmament geleuchtet hätten;" (nach Holbach schließt demnach eine „bestimmte Anzahl unveränderlicher und allgemeiner Gesetze" jede Entwicklung aus! G. P.) „wenn man sagen würde, dass man nicht mehr fragen muss, weshalb der Mensch so ist, wie er ist, noch weshalb die Natur so ist, wie wir sie sehen, noch weshalb die Welt existiert, so würden wir dagegen nichts einzuwenden haben. Welches System man auch annimmt, es wird vielleicht gleich gut die Schwierigkeiten, in denen man steckt, beantworten… Es ist dem Menschen nicht gegeben, alles zu wissen; es ist ihm nicht gegeben, seinen Ursprung zu erkennen, und es ist ihm nicht gegeben, in das Wesen der Dinge einzudringen, noch zu den ersten Prinzipien aufzusteigen." Würden diese Worte eines „Materialisten" nicht mit Freuden von gewissen unserer neuesten „Spiritualisten" zitiert werden?

Unter die Probleme, deren Lösung dem Menschen nicht gewährt ist, rechnet Holbach auch die Frage: „Ist das Tier vor dem Ei oder ist das Ei vor dem Tier dagewesen?" Eine Warnung für Gelehrte, welche über die unüberschreitbaren Grenzen der Wissenschaft sich zu verbreiten lieben!

Alles das erscheint uns heutzutage fast unglaublich. Aber man darf die Geschichte der Naturwissenschaft nicht vergessen. Man muss sich erinnern, dass lange nach der Veröffentlichung des „Système de la Nature" der große Gelehrte Cuvier jeden Evolutionsgedanken in dieser Wissenschaft leidenschaftlich bekämpfte.

Kommen wir zur Moral Holbachs. In einer seiner Komödien lässt Palissot, ein jetzt gänzlich vergessener Autor, der aber im vorigen Jahrhundert bedeutendes Aufsehen gemacht hat, eine seiner Personen (Valerius) sagen:

Du globe ou nous vivons despote universel,

II n'est qu'un seul ressort, l'interet personnel.20

Eine andere Person (Carondas) antwortet ihm:

J'avais quelque regret à tromper Cydalise;

Mais je vois clairement que la chose est permise.21

Auf diese Weise suchte Palissot die Ideen der Philosophen an den Schandpfahl zu stellen. „Es handelt sich darum, glücklich zu sein, einerlei wie" — dieser Aphorismus des Valerius drückte seiner Ansicht nach die Moral dieser Leute aus. Palissot war nur ein „elender Skribent". Aber gibt es unter der großen Zahl von Leuten, die über die Geschichte der Philosophie geschrieben haben, viele, die uns ein anderes Urteil über die materialistische Ethik des 18. Jahrhunderts verkünden? Mit nur sehr wenigen Ausnahmen galt im ganzen Verlauf unseres Jahrhunderts diese Ethik als shocking, als eine Lehre, die eines ehrbaren Gelehrten, eines sich selbst achtenden Philosophen nicht würdig sei, und Menschen wie Lamettrie, Holbach und Helvétius galten für gefährliche Sophisten, welche nur den Sinnengenuss und den Egoismus predigten.22

Und doch hat keiner dieser Schriftsteller etwas Ähnliches gepredigt. Es genügt, ihre Bücher mit nur geringer Aufmerksamkeit zu lesen, um sich davon vollständig zu überzeugen.

Gutes tun, zum Glücke der Nebenmenschen beitragen, ihnen Hilfe leisten, das ist tugendhaft. Die Tugend kann nur das sein, was zum Nutzen, zum Glücke, zur Sicherheit der Gesellschaft beiträgt."

Die erste der sozialen Tugenden ist die Menschlichkeit. Sie ist der Inbegriff aller anderen. In ihrer größten Ausdehnung genommen, ist sie das Gefühl, welches allen Wesen unserer Gattung Rechte auf unser Herz gibt. In einer ausgebildeten Sensibilität begründet, befähigt sie uns, ihnen alles das Gute zu erweisen, zu dem unsere Fähigkeiten uns tauglich machen. Ihre Wirkungen sind die Liebe, das Wohltun, die Freigebigkeit, die Nachsicht, die Mildtätigkeit gegen unsere Nächsten." Das schreibt Holbach.23

Woher kommt aber die Anklage, obschon sie so wenig begründet ist, und wie hat sie fast überall und bei fast allen Glauben finden können?

In erster Linie muss man die Unwissenheit dafür verantwortlich machen. Man spricht viel von den französischen Materialisten des 18. Jahrhunderts, aber man liest sie nicht. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das einmal eingewurzelte Vorurteil bis heute fortbesteht. Dies Vorurteil selbst hat zwei gleich reichlich fließende Quellen gehabt.

Die materialistische Philosophie des 18. Jahrhunderts war eine revolutionäre Philosophie. Sie war nur ein ideologischer Ausdruck des Kampfes der revolutionären Bourgeoisie gegen den Klerus, den Adel und die absolute Monarchie. Selbstverständlich konnte die Bourgeoisie in ihrem Kampfe gegen ein veraltetes Regiment nicht eine von der Vergangenheit überkommene und gerade das verabscheute Regiment heiligende Weltanschauung respektieren. „Andere Zeiten, andere Verhältnisse, eine andere Philosophie", wie Diderot sehr gut in einem Artikel über Hobbes in der Enzyklopädie sagt. Die Philosophen der guten alten Zeit, welche in Frieden mit der Kirche zu leben suchten, hatten nichts gegen eine Moral, die sich auf eine angeblich geoffenbarte Religion gründete. Die Philosophen der neuen Zeit wollten eine von jeder Allianz mit dem „Aberglauben" befreite Moral haben. „Nichts ist unvorteilhafter für die menschliche Moral", sagt Holbach, „als sie mit der göttlichen Moral zu kombinieren. Dadurch, dass man eine vernünftige, auf Vernunft und Erfahrung basierte Moral mit einer mystischen, der Vernunft feindlichen, auf Einbildung und Autorität gegründeten Religion verbindet, verwirrt man nur die erstere, schwächt und zerstört sie sogar."24

Diese Trennung der Moral von der Religion konnte nicht nach dem Geschmack eines jeden sein, und in ihr fand man schon einen Grund, die Ethik der Materialisten zu verschreien. Das ist aber noch nicht alles. Die „religiöse Moral" predigte die Unterwerfung, die Tötung des Fleisches, die Vernichtung der Leidenschaften. Sie versprach allen denen, die hier unten leiden, im zukünftigen Leben eine Belohnung. Die neue Moral rehabilitierte das Fleisch, setzte die Leidenschaften in ihre Rechte wieder ein und machte die Gesellschaft für das Unglück ihrer Mitglieder verantwortlich. Sie wollte, wie es auch Heine wollte, „hier auf Erden schon das Himmelreich errichten". Das war ihre revolutionäre Seite, aber auch ihr Unrecht in den Augen der Parteigänger der damals existierenden Gesellschaftsordnung.

Die Leidenschaften", sagte der Autor des „Systems der Natur", „sind die wahren Gegengewichte anderer Leidenschaften; suchen wir nicht sie zu zerstören, sondern sie zu leiten; geben wir denjenigen, die der Gesellschaft schädlich, ein Gegengewicht durch die, welche ihr nützlich sind. Die Vernunft, die Frucht der Erfahrung, ist nur die Kunst, diejenigen Leidenschaften zu wählen, auf welche wir unseres eigenen Glückes wegen hören sollten."25

Über die Verantwortlichkeit der Gesellschaft für das Unglück der einzelnen Menschen sagt Holbach zum Beispiel folgendes:

Man sage uns nicht, dass keine Regierung alle ihre Untertanen glücklich machen kann; ohne Zweifel kann sie nicht die Phantasien einiger faulenzender Bürger befriedigen, die sich nur in Einbildungen zu ergehen wissen, um ihre Langeweile zu töten; aber sie kann und soll sich damit beschäftigen, die reellen Bedürfnisse der Menge zu befriedigen. Eine Gesellschaft genießt all das Glück, dessen sie fähig ist, sobald die große Mehrheit ihrer Mitglieder genährt, gekleidet und behaust ist, mit einem Wort, ohne übermäßige Arbeit die Bedürfnisse befriedigen kann, welche ihnen die Natur als notwendige gegeben hat… Durch eine Reihe menschlicher Torheiten sind ganze Nationen gezwungen zu arbeiten, sich abzurackern, die Erde mit ihren Tränen zu netzen, um den Luxus, die Phantasien, die Verderbtheit einer kleinen Zahl unsinniger, nutzloser Menschen zu unterhalten, deren Glück unmöglich geworden ist, da ihre verirrte Einbildung keine Grenzen kennt."26

Grimm erzählt in seiner „Literarischen Korrespondenz", dass nach der Veröffentlichung des Buches von Helvétius „De l'Esprit" in Paris ein Scherzgedicht zirkulierte, welches den Schrecken der „ehrbaren Leute" ausdrückte:

Bewundert alle diesen Autor hier,

Der „Vom Geiste" betitelte

Ein Buch, das nur Materie war.

Ja, die ganze materialistische Moral war nur „Materie" für alle, welche sie nicht begriffen, wie für alle, welche sie zwar sehr wohl begriffen, aber es vorzogen, „heimlich Wein zu trinken und öffentlich Wasser zu predigen".

Das genügt, um zu erklären, wie und weshalb die materialistische Moral bis auf den heutigen Tag allen Philistern aller „zivilisierten" Nationen die Haare zu Berge stehen lässt.

Aber unter den Gegnern der Moral Holbachs gab es wiederum „Philosophen", und nicht von den schlechtesten… Diese Moral wurde auch von Voltaire und Rousseau verurteilt. Sollten denn auch sie zu den Philistern gehören? Rousseau natürlich nicht; was aber den „Patriarchen von Ferney" angeht, so muss man zugeben, dass er ein gut Stück Philistertum in die Debatte brachte. Sehen wir uns die umstrittenen Punkte näher an.

Der Mensch bringt, nach Holbach, bei seinem Eintritt in die Welt nur die Fähigkeit zu empfinden mit; aus der Empfindungsfähigkeit entwickeln sich alle sogenannten intellektuellen Fähigkeiten. ,Von den Eindrücken oder Sensationen, die der Mensch von den Gegenständen empfängt, gefallen ihm die einen, die anderen bereiten ihm Schmerz. Die einen billigt er, er wünscht, dass sie andauern oder sich in ihm erneuern, die anderen missbilligt er und vermeidet sie, soweit er kann. Mit anderen Worten, er liebt die einen und die Gegenstände, die die Ursache davon sind, er hasst die anderen und das, was sie hervorbringt. Da nun der Mensch in einer Gesellschaft lebt, so ist er von Wesen umgeben, die ihm ähnlich und gleich ihm sensibel sind. Alle diese Wesen suchen die Lust und fürchten den Schmerz. Sie nennen alles, was ihnen die erstere verschafft, gut; sie nennen alles, was ihnen den letzteren verursacht, schlecht. Sie nennen Tugend alles, was ihnen konstant nützlich ist, sie nennen Laster alles im Charakter ihrer Nebenmenschen, was ihnen schädlich ist. Ein Mensch, der seinen Nächsten Gutes tut, ist gut; ein Mensch, der ihnen schadet, ist böse. Daraus folgt erstens, dass der Mensch nicht des Beistandes der Götter bedarf, um die Tugend und das Laster zu unterscheiden; zweitens, auf dass die Menschen tugendhaft seien, muss die Ausübung der Tugend ihnen Lust bereiten, muss sie ihnen angenehm sein. Wenn das Laster den Menschen glücklich macht, muss der Mensch das Laster lieben. Der Mensch ist nur böse, weil er ein Interesse daran hat, es zu sein. Die Lasterhaften und Bösen sind nur deshalb so gewöhnlich auf der Erde, weil es keine Regierung gibt, die sie in der Gerechtigkeit, Ehrbarkeit und Wohltätigkeit Vorteile finden lässt; im Gegenteil, überall drängen die mächtigsten Interessen sie zur Ungerechtigkeit, zur Bosheit, zum Verbrechen. „Es ist also nicht die Natur, die böse Menschen macht, es sind unsere Institutionen, die sie dazu bestimmen."27

Dies ist die formelle Seite der materialistischen Moral Holbachs. Wir haben sie fast mit seinen eigenen Worten wiedergegeben. Den Gedanken fehlt es des Öfteren an Klarheit. So ist es z. B. eine Tautologie zu sagen: Wenn das Laster den Menschen glücklich macht, muss er das Laster lieben: da das Laster den Menschen glücklich macht, so liebt der Mensch bereits das Laster. Dieser Mangel an Genauigkeit führt bei Holbach öfters zu ärgerlichen Konsequenzen. So sagt er das eine Mal, dass „das Interesse der einzige Beweggrund menschlicher Handlungen ist".

Ein andermal definiert er das Wort Interesse in folgender Weise: „Man nennt Interesse den Gegenstand, von dem ein Mensch, jedes Mal nach seinem Temperament und seinen ihm eigentümlichen Ideen, sein Wohlsein abhängig macht; man sieht daraus, dass das Interesse niemals etwas anderes ist als das, was ein jeder von uns als zu seinem Glück notwendig ansieht."28

Die Definition ist so weit, dass man nicht mehr erkennen kann, worin sieh die materialistische Moral von der religiösen unterscheidet29: ein Anhänger der letzteren könnte sagen, dass seine Gegner nur eine neue Terminologie erfunden haben, dass sie es vorziehen, die Handlungen, die man früher uneigennützige genannt hat, eigennützige zu nennen. Wie dem aber auch sei, man kann leicht verstehen, was Holbach mit den Worten sagen will: Wenn das Laster den Menschen glücklich macht, muss er das Laster lieben. Er macht die Gesellschaft für die Laster ihrer Mitglieder verantwortlich.30

Voltaire donnert gegen Holbach, als ob er den Menschen den Rat gäbe, lasterhaft zu werden, wenn sie dabei ihre Rechnung fänden. Das erinnert an den Abbé de Lignac, der auf die Frage: ist man verpflichtet, das Interesse seiner Nation zu lieben?, den Anhänget der neuen Moral antworten lässt: soweit man dabei seine Rechnung findet. Aber Voltaire wusste davon mehr als de Lignac; er kannte seinen Locke sehr gut und konnte sich der Einsicht nicht verschließen, dass die „materialistische Moral" nur das Werk des englischen Philosophen fortsetzte. Er selbst hat in seinem „Traité de métaphysique" über die Moral viel kühnere Dinge gesagt, als Holbach je getan. Aber dem Patriarchen begann Angst zu werden; er fürchtete, dass das zu Atheisten und utilitarischen Moralisten gewordene Volk zu übermütig würde. „Alles in allem", schrieb er an Madame Necker (26. September 1770), „war das Jahrhundert der Phädra und des Misanthrop mehr wert." Ohne Zweifel! Das Volk war damals besser gezügelt.

Und das Komischste von allem: Voltaire stellt der Moral Holbachs das folgende Raisonnement entgegen: „Die Gesellschaft kann nicht ohne die Ideen des Gerechten und Ungerechten bestehen; er (Gott) hat uns den Weg gewiesen, wie sie zu erwerben sind… So ist also das Wohl der Gesellschaft für alle Menschen, von Peking bis Island, als die unbewegliche Regel der Tugend festgestellt." Welche Enthüllung für den atheistischen Philosophen!

Rousseau schloss anders. Er glaubte, dass die utilitarische Moral die tugendhaftesten Handlungen der Menschen nicht erklären könne. „Was heißt es, in den Tod gehen in seinem Interesse?", fragte er. Und er fügte hinzu, dass das eine scheußliche Philosophie sei, die durch tugendhafte Handlungen in Verlegenheit komme, aus der sie sich nur dadurch ziehen könne, dass sie niedrige Absichten und tugendlose Motive für das tugendhafte Handeln erfinde, „die gezwungen sei, Sokrates herabzusetzen und Regulus zu verleumden". Um uns von der Tragweite dieses Einwurfes Rechenschaft zu geben, müssen wir folgende Überlegung anstellen.

In ihrem Kampf gegen die „religiöse Moral" versuchten Holbach und seine Schule vor allem zu beweisen, dass die Menschen auch ohne den Beistand des Himmels imstande wären, zu wissen, was „Tugend" ist.

Bedurfte es einer übermenschlichen Offenbarung für die Menschen", ruft Holbach aus, „um sie zu lehren, dass die Gerechtigkeit für den Bestand der Gesellschaft notwendig sei, dass die Ungerechtigkeit nur Feinde zusammenbringt, die bereit sind, einander zu schaden? Musste ein Gott sprechen, um ihnen zu zeigen, dass gesellschaftlich vereinigte Wesen gegenseitiger Liebe und Hilfeleistung bedürfen? War Hilfe von oben nötig, um zu entdecken, dass die Rache ein Übel ist und eine Verletzung der Gesetze des Landes, die, wenn gerecht, es als ihre Aufgabe betrachten, den Bürgern Genugtuung zu verschaffen? …. Begreift nicht jeder Mensch, dem an seiner Erhaltung liegt, dass die Laster, die Ausschweifung, die Wollust, seine Lebensdauer in Gefahr bringen? Hat endlich nicht die Erfahrung jedem denkenden Wesen bewiesen, dass das Verbrechen ein Gegenstand des Hasses seiner Nebenmenschen" (d. h. der Nebenmenschen des Verbrechers. G. P.) „ist, dass das Laster auch denen, die damit behaftet sind, schädlich ist, dass die Tugend Achtung und Liebe denen, welche sie pflegen, erwirbt? Wofern nur die Menschen ein wenig über das, was sie sind, über ihre wahren Interessen, die Aufgabe der Gesellschaft nachdenken, werden sie einsehen, was sie einander schuldig sind… Die Vernunft genügt, um uns unsere Pflichten gegen unsere Gattungsgenossen zu lehren."31

Da also die Vernunft genügt, uns unsere Pflichten zu lehren, so ergibt sich daraus klar die Bedeutung der „Philosophie". Sie muss zeigen, dass die Tugend in unserem wohlverstandenen Selbstinteresse liegt. Sie muss beweisen, dass die berühmtesten Heroen der Menschheit nicht anders gehandelt haben würden, wenn sie nur ihr eigenes Glück im Auge gehabt hätten. So entwickelt sich eine psychologische Analyse, die in der Tat oft Sokrates herabzusetzen und Regulus zu verleumden scheint. Der Einwurf Rousseaus war also nicht ohne Begründung. Der „Bürger von Genf" vergaß nur, dass der „verleumdete" Sokrates nur zu oft den den Materialisten vorgeworfenen Fehler selbst beging. „Und doch, wenn man Freunde mit den übrigen Besitztümern (sic!) vergleicht, würde ein rechtschaffener Freund nicht bei weitem vorzüglicher erscheinen? Denn welches Pferd, welches Stiergespann ist so nützlich wie ein wackerer Freund, welcher Sklave so willig und so treu, oder welch anderes Besitztum in jeder Hinsicht so wertvoll?" (Xenophon, Erinnerungen an Sokrates, V, 5. Kapitel.) Die französischen Materialisten haben niemals etwas „Zynischeres" gesagt. Hat sich Sokrates selbst verleumdet?

In Griechenland, in Frankreich, in Deutschland oder in Russland (Tschernyschewski und seine Schüler), überall haben die Aufklärer denselben Fehler gemacht. Sie wollten beweisen, was nicht bewiesen werden kann, sondern nur durch das soziale Leben gelehrt wird. Im 18. Jahrhundert war das übrigens Zeitgeschmack. Die Anhänger der „religiösen Moral" gaben darin den Materialisten nichts nach. Sie „bewiesen" bisweilen auf eine drollige Art und Weise. Hier ein merkwürdiges Beispiel dafür. Helvétius erzählt, dass man im Jahre 1750 in Rouen auf Veranlassung der Jesuiten ein Ballett gab, „dessen Aufgabe es war, zu beweisen, dass das Vergnügen die Jugend zu wahren Tugenden heranbildet, nämlich, erster Auftritt: zu den bürgerlichen, zweiter Auftritt: zu den kriegerischen, dritter Auftritt: zu den speziell religiösen Tugenden. Sie hatten in diesem Ballett diese Wahrheit durch Tänze (!) bewiesen. Die personifizierte Religion hatte darin einen Pas de deux mit dem Vergnügen, und um das Vergnügen pikanter zu machen, sagten damals die Jansenisten, hatten es die Jesuiten in kurze Hosen gesteckt." Helvétius wundert sich gar nicht über diese seltsame Art und Weise, die Wahrheit zu „beweisen". Er wirft den Jesuiten nur ihre Inkonsequenz vor. „Wenn nach ihnen das Vergnügen alles über den Menschen vermag, was vermag nicht das Interesse über ihn? Geht nicht jedes Interesse in uns auf das Streben nach Vergnügen zurück?"32

In gewissem Sinne bildet das Interesse wirklich die Grundlage der Moral. Die moralische Entwicklung der Menschheit folgt Schritt für Schritt der ökonomischen Notwendigkeit; sie passt sich treu den reellen Bedürfnissen der Gesellschaft an. Aber der historische Prozess dieser Anpassung vollzieht sich hinter dem Rücken des Menschen, unabhängig von dem Willen und der Vernunft der Individuen. Die von dem Interesse diktierte Linie des Verhaltens erscheint als die Vorschrift der „Götter", des „angeborenen Gewissens", der „Vernunft" oder der „Natur". In einer Unzahl von Fällen ist das einfach ihr persönliches Interesse, jedoch nicht immer. Handelt es sich um die „tugendhaften" Handlungen, so ist es das Interesse des Ganzen, das soziale Interesse, das sie vorschreibt. Die Dialektik der historischen Bewegung bewirkt nicht nur, dass „Vernunft Unsinn, Wohltat Plage" wird, sondern auch, dass die eigennützigen Interessen einer Gesellschaft oder einer Klasse sich häufig in den Herzen der Individuen in Bewegungen voll Uneigennützigkeit und Heroismus umsetzen. Das Geheimnis dieser Umwandlung liegt in dem Einfluss des sozialen Milieus. Die französischen Materialisten des 18. Jahrhunderts wussten diesen Einfluss wohl zu schätzen. Sie wiederholten ohne Aufhören, dass die Erziehung alles bewirkt, dass man nicht als das, was man ist, geboren wird, sondern es erst wird.

Und doch betrachteten und stellten sie sehr oft diesen Prozess des moralischen Werdens als eine Reihe von Überlegungen dar, welche sich jeden Augenblick im Kopfe eines jeden Individuums wiederholen und sich direkt den Umständen gemäß modifizieren, die auf das persönliche Interesse des zum Handeln Veranlassten Bezug haben. Von diesem Gesichtspunkt aus umriss sich die Aufgabe eines Moralisten, wie wir gesehen haben, von selbst. Man musste die Überlegung der Individuen vor Irrtümern bewahren, ihnen die moralische „Wahrheit" zeigen. Was heißt es aber in diesem Falle, eine moralische Wahrheit zeigen? Es bedeutet zeigen, auf welcher Seite sich das bestverstandene persönliche Interesse befindet, es bedeutet diese oder jene Anlage des Herzens preisen, die diese oder jene lobenswerte Handlung nach sich zieht. Auf diese Weise entstand jene psychologische Analyse, gegen die sich Rousseau auflehnte. Auf diese Weise entstanden jene endlosen Lobgesänge auf die Tugend, welche Grimm „Kapuzinaden" nannte. Die Kapuzinaden charakterisierten besonders die einen, die falsche Analyse der Motive der Handlungen die anderen unter den französischen Materialisten des achtzehnten Jahrhunderts. Aber das Fehlen der dialektischen Methode springt in den Werken aller in die Augen und rächt sich in gleicher Weise an allen.

In seiner Polemik gegen die materialistische Moral appellierte Rousseau oft an das Gewissen, den „göttlichen Instinkt", „das angeborene Gefühl" usw. Es wäre nichts leichter für die Materialisten gewesen, als dieses Gefühl für eine Frucht der Erziehung und der Gewohnheit zu erklären. Sie zogen es aber vielmehr vor, es ihrerseits als eine Reihe von Überlegungen zu beschreiben, welche das wohlverstandene persönliche Interesse zur Basis haben. Nach Holbach kann man das „Gewissen" definieren als „die Kenntnis der Wirkungen, die unsere Handlungen auf unsere Nebenmenschen und durch Rückwirkung auch auf uns selbst ausüben". „Der Gewissensbiss ist die Furcht, welche in uns der Gedanke erzeugt, dass unsere Handlungen imstande sind, uns den Hass oder den Groll unserer Nächsten zuzuziehen."33 Es ist klar, dass sich Rousseau nicht bei einer solchen „Definition" beruhigen konnte. Aber es ist ebenso klar, dass die Materialisten seinen Gesichtspunkt nicht zulassen konnten. Ein einziges „angeborenes Gefühl" hätte ihre Philosophie von Grund aus umgestürzt. Der moderne dialektische Materialismus beruht nicht auf einer so unsicheren Grundlage: er weiß sehr wohl den Teil der Wahrheit herauszuarbeiten, der sich in den Behauptungen des einen und denen der anderen findet, und hat nicht die geringste Ursache, zum Beispiel die Instinkte und Gefühle, die eine Folge der physiologischen Vererbung sind, abzulehnen.

Nach Holbach entspringen also aus der „Vernunft" alle moralischen Gesetze. Worauf stützt sich aber die Vernunft, um die Gesetze zu finden? Auf die Natur, antwortet Holbach ohne Zögern. „Der Mensch ist ein sensibles, intelligentes, vernünftiges Wesen." Die Vernunft braucht nicht mehr zu wissen, um uns mit einer „universellen Moral" zu beglücken.

Die Psychologie dieses Appells an die „Natur" ist leicht zu erraten. Übrigens erklärt sie Holbach selbst. „Um uns Pflichten aufzuerlegen", sagt er, „um uns Gesetze vorzuschreiben, die uns verpflichten, bedarf es ohne Zweifel einer Autorität, welche das Recht hat, uns zu befehlen."

Die Philosophen. des 18. Jahrhunderts befanden sich aber im Kriege mit allen traditionellen Autoritäten. Um sich aus dieser Verlegenheit zu ziehen, wandte man sich an die Natur. „Wird man dies Recht der Notwendigkeit bestreiten? Wird man die Rechtstitel der Natur angreifen, welche souverän alles Existierende beherrscht?" Das war damals sehr „natürlich". Aber man muss dabei wohl bemerken, dass Holbach, wie die meisten seiner Zeitgenossen, nur die Natur des „Menschen" im Auge hatte, die ganz etwas anderes ist als die Natur, mit der wir um unsere Existenz ringen.

Montesquieu war überzeugt, dass den verschiedenen Klimaten „verschiedenartige Gesetze" entsprächen. Er erklärte diese wechselseitige Beziehung in durchaus ungenügender Weise, und die materialistischen Philosophen wiesen dies ohne große Mühe nach. „Kann man behaupten", fragte Holbach, „dass die Sonne, welche die einst auf ihre Freiheit so eifersüchtigen Griechen und Römer erwärmte, nicht mehr dieselben Strahlen auf ihre entarteten Nachkommen herabsendet?"34

Aber der Grund des Montesquieuschen Gedankenganges war nicht gänzlich falsch. Wir wissen heutzutage, welche Bedeutung das geographische Milieu für die Geschichte der Menschheit gehabt hat. Und wenn sich Montesquieu geirrt hat, so bedeutet das durchaus nicht, dass diejenigen, welche ihn in dieser Frage bekämpften, eine richtigere Auffassung von dem hatten, was Hegel später „die geographische Grundlage der Weltgeschichte" nannte. Sie hatten keinen Begriff davon, weder einen richtigen noch einen falschen. Die menschliche Natur diente ihnen als Schlüssel, mit dem sie alle Türen in der Moral, in der Politik, in der Geschichte öffnen zu können glaubten. Es ist heutzutage oft schwierig, sich auch nur zeitweilig diesen Gesichtspunkt zu Eigen zu machen, um den Gedankengang zu verstehen, der den Schriftstellern des achtzehnten Jahrhunderts so vertraut war.

Die Entwicklung der Künste", sagt Suard, „ist denselben Stufungen unterworfen, welche man in der Entwicklung der menschlichen Gattung bemerkt." Man ergreift gierig diese Idee; man glaubt, dass der Autor von den verborgenen Ursachen der menschlichen Entwicklung sprechen will, welche, ohne von dem Wollen der Menschen abzuhängen, ihrem Geist und ihrer Bildung („lumieres") diese oder jene Richtung geben. Man bildet sich ein, mit Suard den circulus vitiosus35 zu verlassen, in dem die Geschichtsphilosophie des achtzehnten Jahrhunderts sich eingeschlossen fand. Man ist zu vorschnell; man täuscht sich außerordentlich. Die Ursachen, denen die Entwicklung der „Künste" unterworfen ist, hängen nur von der Natur — „des Menschen" ab. „In seiner Kindheit hat der Mensch nur Sinne, Einbildung und Gedächtnis; er will nur unterhalten werden und braucht dazu nur Lieder und Fabeln. Es folgt das Alter der Leidenschaften, und die Seele will bewegt und erschüttert werden; der Geist entwickelt sich dann, und die Vernunft gewinnt an Stärke: diese beiden Fähigkeiten verlangen ihrerseits geübt zu werden, und ihre Tätigkeit richtet sich auf alles, was die Neugierde, den Geschmack, das Gefühl, die Bedürfnisse des Menschen interessiert."36 So urteilt Suard. Jetzt geben alle Naturforscher zu, dass die Entwicklung des individuellen Organismus von der Eizelle bis zu seiner vollständigen Entwicklung in einem gewissen Maße eine Wiederholung der Entwicklung der Gattung darstellt: der Embryo bewegt sich durch Entwicklungsphasen, die dem Zustand der einzelnen Vorfahren des betreffenden individuellen Organismus ähnlich sind. Etwas Ähnliches gilt auch für die geistige Entwicklung: die psychische Entwicklung jedes Menschen kann als summarischer Abriss der Entwicklung betrachtet werden, die seine Vorfahren in der Geschichte durchgemacht haben. Selbstverständlich macht die Anpassung an das Milieu, besonders an das soziale, wesentliche Berichtigungen an diesem Gesetz notwendig, das übrigens auch in der Biologie nicht als absolutes Abbild betrachtet wird.37 Jedenfalls ist die Entwicklung des Embryos bis zu einem gewissen Grade eine Wiederholung der Entwicklung der Gattung; was würde man aber von einem Naturforscher sagen, der nach der Erforschung der Gesetze der Embryogenie in ihnen den zureichenden Grund für die Erklärung der ganzen Geschichte der Gattung sehen würde? Dies ist aber gerade die Denkweise Suards und mit ihm aller der „Philosophen" des achtzehnten Jahrhunderts, die eine dunkle Ahnung von der Gesetzmäßigkeit der Entwicklung der Menschheit hatten.

Grimm stimmt hier ganz mit Suard überein. „Welches Volk", so fragt er, „ist nicht anfänglich Poet gewesen, um als Philosoph zu enden?"38 Nur Helvétius begriff, dass diese Tatsache andere und tiefere Gründe haben könnte, als Suard dachte. Aber wir haben noch nicht mit Helvétius zu tun.

Der Mensch ist ein sensibles, intelligentes und vernünftiges Wesen. So ist er beschaffen, wird er sein und ist er trotz aller seiner Irrtümer gewesen. In diesem Sinne ist die menschliche Natur unveränderlich. Was ist nun Erstaunliches daran, dass die moralischen und politischen Gesetze, weil diktiert von dieser Natur, ihrerseits allgemein gültig, unveränderlich und unwandelbar sein werden? Diese Gesetze sind noch nicht verkündet worden, und man muss zugeben, dass „nichts gewöhnlicher ist, als zu sehen, wie die zivilen Gesetze in Widerspruch mit denen der Natur sind". Aber diese verdorbenen zivilen Gesetze verdanken wir entweder „der Verderbtheit der Sitten oder den Irrtümern der Gesellschaften oder der Tyrannei, welche die Natur zwingt, sich unter ihre Autorität zu beugen".39

Lasst die Natur sprechen, und ihr werdet die Wahrheit ein für allemal erfahren. Die Irrtümer sind zahllos, die Wahrheit ist nur eine. „Es gibt keine Moral für die Ungeheuer oder die Unsinnigen; die universelle Moral ist nur für vernünftige und wohlorganisierte Wesen gemacht; in diesen verändert sich die Natur nicht; es braucht nur gute Beobachtung, um daraus die unveränderlichen Regeln abzuleiten, welchen sie folgen müssen."40

Wie soll man nun danach erklären, dass derselbe Holbach die folgenden Zeilen hat schreiben können: „Die Gesellschaften, wie alle Naturkörper, unterliegen Umbildungen, Veränderungen, Revolutionen; sie bilden sich, wachsen und lösen sich auf, wie alle Wesen. Dieselben Gesetze können nicht in verschiedenen Zuständen für sie passen: nützlich zur einen Zeit, werden sie zu einer anderen nutzlos und schädlich."

Die Sache ist sehr einfach. Aus dieser ganzen Überlegung zieht Holbach nur den einen Schluss: die alt gewordenen und veralteten Gesetze (er hat dabei die des damaligen Frankreich im Auge) müssen abgeschafft werden. Das Alter eines Gesetzes spricht eher gegen als für dasselbe. Das Beispiel unserer Vorfahren beweist nichts zu seinen Gunsten. Holbach hätte dies auf einem abstrakten Wege, nur durch Zurückgreifen auf die „Vernunft" beweisen können. Aber er nimmt Rücksicht auf die Vorurteile seiner Leser und nimmt die Miene an, sich auf einen historischen Standpunkt zu stellen. Dasselbe gilt für die Geschichte der Religionen. Die „Philosophen" beschäftigten sich viel damit. In welcher Absicht? Um zu beweisen, dass die christliche Religion, die angeblich geoffenbarte, den profanen Religionen ganz außerordentlich gleicht. Das war ein dem verhassten Christentum versetzter Stoß. Hatte er den Stoß einmal versetzt, kümmerte sich kein „Philosoph" mehr um das Studium der vergleichenden Religionsgeschichte. Es war eine revolutionäre Zeit, und alle „Wahrheiten", welche die Philosophen verkündigten (und diese „Wahrheiten" widersprachen einander sehr oft), hatten ein unmittelbar praktisches Ziel.

Bemerken wir hier, dass die „menschliche Natur" die materialistischen Philosophen des Öfteren weiter führte, als sie selbst erwarteten. „Man hat zu großen Missbrauch mit der Unterscheidung getrieben, die man so oft zwischen dem physischen und moralischen Menschen gemacht hat." Der Mensch ist ein rein physisches Wesen. Der moralische Mensch ist nach Holbachs Auffassung nur dasselbe unter einem bestimmten Gesichtspunkt betrachtete physische Wesen, das heißt betrachtet in Bezug auf einige seiner durch seine Organisation bedingten Handlungsweisen. Daher „sind alle Irrtümer des Menschen physische Irrtümer".41

Der Medizin, oder besser gesagt der Physiologie, fällt also die Aufgabe zu, uns den Schlüssel zum menschlichen Herzen zu liefern. Dieselbe Wissenschaft muss uns auch die historischen Wechsel der Menschheit erklären. „In einer Natur, in der alles verbunden ist, in der alles handelt und reagiert, in der alles sich bewegt und ändert, sich zusammensetzt und zerlegt, sich bildet und zugrunde geht, gibt es kein Atom, das nicht eine wichtige und notwendige Rolle spielt, gibt es kein unmerkbares Molekül, das, in die geeignete Umgebung gebracht, nicht wunderbare Wirkungen erzeugt…. Zu viel Schärfe in der Galle eines Fanatikers, zu heißes Blut im Herzen eines Eroberers, eine lästige Verdauungsstörung im Magen eines Monarchen, eine Phantasie," (ist auch dies ein Molekül? G. P.) „die durch den Geist einer Frau geht, sind hinreichende Ursachen, um Kriege zu veranlassen, Millionen von Menschen zur Schlachtbank zu schicken, Mauern umzustürzen, Städte in Asche zu verwandeln …um Verödung und Unglück während einer langen Reihe von Jahrhunderten auf der Oberfläche unseres Erdballs fortzupflanzen."42

Man kennt den berühmten Aphorismus von dem Sandkorn, das in die Blase Cromwells gelangte und so die Gestalt der Welt veränderte. Dieser Aphorismus enthält nicht mehr und nicht weniger als die Reflexionen Holbachs über die „Atome" und „Moleküle" als Ursachen historischer Ereignisse. Nur dass der, dem wir den Aphorismus verdanken, ein frommer Mensch war: es war nach ihm Gott, der dies verhängnisvolle Körnchen in den Körper des Protektors eindringen ließ. Holbach wollte nichts mehr von Gott wissen. Gegen das übrige hatte er nichts einzuwenden.

Es ist ein „Körnchen" Wahrheit in solchen Aphorismen. Aber diese Wahrheit verhält sich zur ganzen Wahrheit wie ein „Körnchen" oder ein Molekül zur gesamten im Universum vorhandenen Materie. Infinitesimal, wie sie ist, bringt uns diese Wahrheit nicht einen Schritt in unserem Studium der sozialen Phänomene weiter. Und wenn wir in der Geschichtswissenschaft nichts anderes zu tun hätten, als auf die Ankunft des von Laplace geträumten Genies zu warten, das mit Hilfe der Molekularmechanik uns alle Geheimnisse der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Menschengeschlechts enthüllen wird, so könnten wir noch lange und sehr ruhig schlafen: denn dies wunderbare Genie wird nicht so bald kommen.

Hören wir Holbach: „Wenn wir die Elemente kennten, welche die Basis des Temperaments eines Menschen oder der großen Mehrzahl der Individuen bilden, aus denen ein Volk zusammengesetzt ist, so wüssten wir mit Hilfe der Erfahrung auch die für sie notwendigen Gesetze, die ihnen nützlichen Einrichtungen."43 Was würde aber in diesem Falle aus der „universellen Moral" und der „naturgemäßen Politik"? Holbach sagt darüber nichts, kommentiert aber mit umso größerem Eifer alle die moralischen, politischen und sozialen Gesetze, die mit Notwendigkeit aus der Natur des als ein sensibles usw. Wesen betrachteten Menschen sich ableiten.

Es war sehr „natürlich", dass die Mutter Natur zu Holbachs Zeit in der Politik wie in der Moral es gerade mit den Gesetzen hielt, deren die französische Bourgeoisie in dem Augenblick bedurfte, als sie dabei war, „alles" zu werden.

Nach Holbachs Auffassung existiert ein stillschweigender Vertrag, ein sozialer Pakt zwischen der Gesellschaft und ihren Mitgliedern. Dieser Vertrag erneuert sich jeden Augenblick und hat eine wechselseitige Garantie der Rechte der Bürger zum Zweck. Von diesen Rechten sind die Freiheit, das Eigentum, die Sicherheit die geheiligtsten. Mehr als das! „Die Freiheit, das Eigentum, die Sicherheit sind die einzigen Bande, welche die Menschen an das Land, das sie bewohnen, fesseln. Es gibt kein Vaterland, wenn diese Vorteile verschwunden sind."44

Das Eigentum ist die Seele dieser geheiligten Trias. Die Sicherheit und die Freiheit sind in der Gesellschaft notwendig. „Es ist aber für den Menschen unmöglich, sich zu erhalten oder seine Existenz zu einer glücklichen zu machen, wenn er nicht die Vorteile genießt, welche er sich mit seinen Sorgen und seiner Persönlichkeit (!) erworben hat. Daher geben die Gesetze der Natur einem jeden Menschen ein Recht, welches man das Eigentum nennt." Die Gesellschaft kann den Menschen nicht seines Eigentums berauben, „da sie geschaffen wurde, um es zu sichern". Also ist das Eigentum der Zweck, die Freiheit und Sicherheit sind die Mittel. Da dem so ist, betrachten wir dies erlauchte Recht etwas näher.

Woher kommt es? Es hat zur Basis eine notwendige Beziehung, die zwischen dem Menschen und dem Produkt seiner Arbeit entsteht. So wird also ein Feld in gewisser Weise ein Teil dessen, der es bearbeitet, weil sein Wille, seine Arme, seine Kräfte, kurz „ihm eigentümliche, individuelle, seiner Person anhängende Eigenschaften" das Feld zu dem, was es ist, gemacht haben. „Dies mit seinem Schweiß getränkte Feld identifiziert sich sozusagen mit ihm; die Früchte, die es hervorbringt, gehören ihm ebenso wie seine Glieder und Fähigkeiten, weil diese Früchte ohne seine Arbeit entweder nicht existieren würden oder wenigstens nicht so existieren würden, wie sie es jetzt tun."45

So stellt sich also das bürgerliche Eigentum Holbach unter der Form eines Arbeitsprodukts des Eigentümers selbst dar. Das hindert ihn durchaus nicht, die Kaufleute und Fabrikanten hochzuschätzen, diese „Wohltäter, die der ganzen Gesellschaft Beschäftigung und Leben geben, während sie sich bereichern".46

Doch scheint er eine richtige, wenn auch nicht ganz klare Auffassung von dem Ursprung der Reichtümer der „Manufakturisten" zu haben. „Während der Arbeiter", sagt er, „sich durch seine Arbeit erhält, trägt er ohne Aufhören zu dem Vermögen derer bei, die ihn beschäftigen." Dies Vermögen ist also nicht allein durch den Manufakturisten „eigentümliche", „individuelle" („welche unzählige Mengen von Arbeitern aller Art… setzen nicht die Manufakturen in Bewegung!"47), ihrer Person „anhängende Eigenschaften" erzeugt? Ohne Zweifel nein! Aber was macht's! Die Manufakturisten und Kaufleute sind sehr nützlich. Und muss nicht die erkenntliche Gesellschaft die, welche ihr nützlich dienen, durch Reichtümer und Ehren belohnen? Das Unglück besteht nicht in der unbestreitbaren Tatsache, dass der „Handwerker", d. h. der Arbeiter, zu dem Vermögen der „Manufakturisten" beiträgt. Es besteht darin, dass, dank den „gotischen und barbarischen Vorurteilen", der Manufakturist und der Kaufmann nicht so geehrt sind, wie sie es verdienen. „Der friedliche Händler scheint ein verächtliches Wesen in den Augen des stupiden Kriegers, der nicht sieht, dass dieser Mensch, den er verachtet, ihn kleidet, ihn ernährt, seinem Heer den Unterhalt verschafft!'" (sic!)48

Für das feudale Eigentum hat Holbach eine andere Sprache. Die Eigentümer dieser Art, „die Reichen und Großen", behandelt er als „zu häufig unnütze oder schädliche Mitglieder der Gesellschaft", und er wird nicht müde, sie anzugreifen. Sie sind es, welche „die Früchte der Arbeit ihrer Nebenmenschen" bedrohen, die Freiheit ihrer Mitbürger vernichten; ihre Personen insultieren. „Und auf diese Weise wird das Eigentum ohne Aufhören verletzt."49

Wir wissen, dass nach Holbach die Gesellschaft geschaffen wurde, um das Eigentum zu sichern. Aber nur das bürgerliche Eigentum hat der stillschweigende soziale Vertrag im Auge und muss es im Auge haben. Dem feudalen Eigentum schuldet die Gesellschaft nur eines: volle und ganze Vernichtung. Holbach ist für die Abschaffung der Privilegien des Adels, der Dienstbarkeit, der Zinse, der Fronden, der Bannrechte usw. Selbstverständlich macht er keine Ausnahme zugunsten der Zünfte und anderer ähnlicher „Privilegien", noch zugunsten der „Reichtümer der Diener der Religion". „Wenn Adlige, denen der Souverän schädliche Rechte entziehen wollte, sich auf die geheiligten Rechte des Eigentums berufen wollten, würde er ihnen antworten, dass das Eigentum nur das Recht ist, mit Gerechtigkeit zu besitzen; dass das, was dem nationalen Glücke feindlich ist, niemals gerecht sein kann; dass das, was dem Eigentum des Ackerbauers schadet, niemals als ein Recht angesehen werden kann, sondern nur eine Usurpation, eine Verletzung des Rechts ist. Die Aufrechterhaltung des Rechts des Ackerbauern ist für die Nation nützlicher als die der Ansprüche einer kleinen Zahl von Seigneurs, die, wenig zufrieden damit, selbst nichts zu tun, sich den sowohl für sie selbst wie für die Gesellschaft wichtigsten Arbeiten entgegenstellen."50

Die Adligen „tun nichts", sie haben keine der Gesellschaft nützliche Funktion zu erfüllen, das verdammt sie in den Augen unseres Philosophen. Einst waren die Adligen verpflichtet, auf eigene Rechnung Krieg zu führen. Damals genossen sie auf einen gerechten Rechtstitel hin gewisse Befreiungen. Aber auf welchen Rechtstitel hin können sie dieselben in einer Gesellschaft genießen, wo die Armee im Solde des Fürsten steht und der Adlige nicht mehr zum Dienste verpflichtet ist?51

Die Zeit ist jetzt gekommen, in der das Proletariat die Rechte der Kapitalisten auf derselben Waage wiegt, deren sich vor mehr als einem Jahrhundert die Repräsentanten der Bourgeoisie bedienten, um die Privilegien des Adels zu wägen.

Man muss nicht glauben, dass der Antagonismus zwischen Bourgeoisie und Adel sich in dem Kopfe Holbachs als ein Antagonismus zwischen dem Grundeigentum und den verschiedenen Arten des städtischen Eigentums reflektierte. Ganz und gar nicht! Holbach hat keine Vorliebe für das mobile Eigentum. Im Gegenteil! Auch für ihn ist das wahre Eigentum, das Eigentum par excellence52, das Grundeigentum. „Der Besitz des Landes konstituiert den wahren Bürger", sagt er. Der Zustand des Ackerbaus ist das charakteristische Zeichen der ökonomischen Situation eines Landes im Allgemeinen. Der „Arme" ist in erster Linie der „Ackerbauer"; die „Armen beschützen" heißt soviel, als die durch die „Großen", das heißt den Adel, unterdrückten Landleute schützen. Holbach geht so weit, mit den Physiokraten zu sagen, dass auf den Grund und Boden direkt oder indirekt alle Steuern zurückfallen, wie alles Gute oder Schlechte, was einer Nation zustößt. „Für die Verteidigung des Besitzes eines Landes ist der Krieg bestimmt; für die Zirkulation der Güter, welche die Erde produziert, ist der Handel notwendig; die Jurisprudenz hat ihren Nutzen darin, dass sie den Besitzern ihren Grund und Boden sichert."53 Die Erde ist die Quelle aller Reichtümer einer Nation, und gerade deshalb muss sie so schnell wie möglich von dem feudalen Joch, das sie erdrückt, befreit werden; ein Argument mehr für die damals revolutionären Tendenzen der Bourgeoisie. Für einen Menschen von dem Wesen Holbachs konnte die „Gleichheit" nichts Verführerisches haben. Sie war für ihn vielmehr eine sehr schädliche Schimäre. Die Menschen haben nicht alle dieselbe Organisation; sie waren stets hinsichtlich ihrer physischen, moralischen und intellektuellen Kraft ungleich. „Der an Körper und Geist schwache Mensch wurde stets gezwungen, die Überlegenheit der Stärkeren, der Begabteren anzuerkennen. Der Arbeitsamere musste ein ausgedehnteres Stück Land bebauen und es fruchtbar machen als der, welcher von der Natur einen schwächeren Körper erhalten hat. So hat es also von Anfang an Ungleichheit im Eigentum und in den Besitzungen gegeben."54

Der Abbé Mably konnte gegen ähnliche Argumente ruhig einwerfen, dass sie in offenbarem Widerspruch zu dem Ausgangspunkt der neueren politischen Philosophie ständen: der absoluten Gleichheit der Rechte aller Menschen, der schwachen wie der starken.55

Die Stunde der „Gleichheit" hatte noch nicht geschlagen, und Mably hat selbst zugeben müssen, „dass keine menschliche Kraft den Versuch machen könne, die Gleichheit wiederherzustellen, ohne noch größere Unordnungen als die, welche man vermeiden will, hervorzurufen".56 Die objektive Logik der sozialen Evolution schlug sich auf die Seite der Theoretiker der Bourgeoisie.

Holbach war ein solcher Theoretiker der Bourgeoisie bis ins Mark der Knochen, bis zum Pedantismus. Er donnert gegen „den Papst und die Bischöfe, welche die Feste anordnen und das Volk zum Müßiggang zwingen". Er beweist, dass der Fortschritt des Handels und der Industrie mit der Moral einer Religion unverträglich ist, „deren Gründer den Fluch gegen die Reichen ausspricht und sie vom Himmelreich ausschließt". Er seinerseits schleudert den Fluch gegen die „unzählige Menge von Priestern, Klosterbrüdern, Mönchen und Nonnen, die keine anderen Funktionen haben, als ihre trägen Hände zum Himmel zu heben und Tag und Nacht zu beten". Er lehnt sich gegen die katholischen Fasten auf, da „die Mächte, welche von den Römisch-Katholischen als Häretiker betrachtet werden, fast die einzigen sind, welche aus dem Fleischfasten Profit ziehen: die Engländer verkaufen ihren Stockfisch und die Holländer Heringe".57 Dies alles ist nur „natürlich".

Wenn aber Holbach, wie Voltaire und viele andere, bei jeder Gelegenheit auf die Geschichte von den 2000 Schweinen, welche von den Teufeln im Einverständnis mit Jesu ertränkt wurden, zurückkommt, und wenn er dem mythischen Gründer des Christentums seine geringe Achtung vor dem Privateigentum vorwirft, wenn er denselben Vorwurf den Aposteln macht, welche häufig auf Feldern, die ihnen nicht gehörten, Ähren sammelten; wenn er sich auf einen Augenblick mit Christus nur deshalb versöhnt, weil der „Menschensohn" den Sabbat nicht heiligte58, dann wird er pedantisch und durchaus lächerlich, und dann besonders springt sein völliger Mangel an historischem Sinn in die Augen.

Die Bourgeoisie, deren Repräsentant und Verteidiger Holbach war, stellte er sich als den rechtschaffensten, fleißigsten, edelsten, gebildetsten Teil der Nation vor. Er würde sich vor der Bourgeoisie von heutzutage entsetzt haben. „Der Geiz" (er spricht eigentlich von dem „Durst nach Geld") „ist eine unedle, eigennützige, ungesellige und daher mit dem wahren Patriotismus, der Liebe für das Gesamtwohl und selbst mit der wahren Freiheit unverträgliche Leidenschaft. Alles ist bei einem von dieser schmutzigen Epidemie infizierten Volke verkäuflich; es handelt sich nur darum, handelseinig zu werden."59 Dies schmeckt sehr nach Sallust, aber zu gleicher Zeit könnte man zu der Behauptung geneigt sein, dass unser Philosoph die Skandale vorausgesehen hat, die einander jetzt ohne Aufhören in Frankreich (Panama), Deutschland (Strousberg), Italien und überall da folgen, wo die Bourgeoisie zum Tode reif wird.

Nichts Grausameres auf der Welt, als der von seiner Raubgier angestachelte Geschäftsmann, sobald er der Stärkste wird und des Beifalls des Landes für seine nützlichen Verbrechen sicher ist."60 Gewiss! Wir wissen dies besser als unsere guten „Philosophen"!

Am häufigsten betrachtet Holbach „die Reichtümer" von einem deklamatorischen Gesichtspunkt aus: „Die Reichtümer verderben die Sitten." Und er, der die „religiöse Moral" im Namen der Reichtümer bekämpft, bekämpft dann den Durst nach Reichtümern im Namen der „Tugend": „Nur die äußerste Wachsamkeit", sagt er, „vermag die Übel, die diese Leidenschaft nach sich zieht, zu verhindern oder wenigstens zu verzögern"61; er, der für die absolute Freiheit des Verkehrs ist („der Handel fordert vollständige Freiheit; je freier der Handel, desto mehr wird er sich ausdehnen. Die Regierung hat nichts für den Kaufmann zu tun, als ihn handeln zu lassen … ")62, er beweist, dass die Politik soviel wie möglich die Vermehrung der Bedürfnisse der Bürger verhindern muss („sie werden schließlich unersättlich sein, wenn die Klugheit ihnen keine Grenzen steckt"63). Er fordert das Einschreiten des Staates, er wird Protektionist, fast reaktionär. „Wir nennen den Handel nützlich, der den Nationen die für ihren Unterhalt, ihre ernstlichen Bedürfnisse und auch für ihre Bequemlichkeit und ihr Wohlleben notwendigen Gegenstände verschafft; wir nennen den Handel nutzlos und gefährlich, der den Bürgern nur solche Dinge verschafft, für die sie kein wirkliches Bedürfnis haben und die nur geeignet sind, die eingebildeten Bedürfnisse ihrer Eitelkeit zu befriedigen." Holbach wäre vor keinem Mittel zurückgeschreckt, um diese „Eitelkeit", die sich nach seiner Angabe durch das Mittel der Lakaien bis in die Dörfer verbreitete, und den Luxus zu bekämpfen, der die „Sitten" (mœurs) verdirbt und die blühendsten Nationen zum Ruin führt.64 Das natürlichste Absatzgebiet für die industriellen Produkte eines Landes sei der innere Markt, der ihnen garantiert werden müsse. Holbach kann die „unsinnige Wut, neue Zweige des Handels zu entdecken", nicht begreifen, dank derer „die Erdkugel für den delirierenden Kaufmann nicht groß genug ist" und die Nationen einander oft wegen einer unfruchtbaren Insel erwürgen, in der sie bereits Schätze zu sehen glauben.65 Er findet nicht Ausdrücke, streng genug, um das „Volk Albions" zu ermahnen, das ihm „den ausschweifenden Plan" gefasst zu haben schien, „den Handel der Welt an sich zu ziehen und sich zum Eigentümer der Meere zu machen".66 Er fürchtet eine zu große Ungleichheit in der Verteilung der Reichtümer, die die Quelle vieler Übel in der Gesellschaft ist. Er ist ein Fürsprecher der kleinen Pachtgüter; die Englands erschienen ihm zu groß, sie bewirken oft, dass die Pächter „Monopolinhaber" werden.67 Im allgemeinen ist „das Interesse des Staates immer mit dem der Mehrheit verbunden; es erfordert, dass viele Bürger tätig, nützlich beschäftigt seien und in einem wohlhäbigen Zustande leben, der es ihnen ermöglicht, die Bedürfnisse des Vaterlandes ohne Mühe zu befriedigen. Es gibt kein Vaterland für den Menschen, der nichts besitzt,"68

Man wird nach alledem leicht einsehen, dass der soziale Zustand Englands, wo die Bourgeoisie bereits ihre „glorreiche Revolution" gemacht hatte, unserem Philosophen durchaus nicht gefallen konnte. Er spricht von diesem Lande mit tiefer Abneigung. „Es genügt nicht, reich zu sein, um glücklich zu sein", sagt er; „man muss die Reichtümer in einer Weise anzuwenden wissen, die geeignet ist, das Glück zu bewirken. Es genügt nicht, frei zu sein, um glücklich zu sein: man darf die Freiheit nicht missbrauchen, … keinen ungerechten Gebrauch davon machen." Nun, in der Hinsicht ließen die Engländer sehr viel zu wünschen übrig. „Ein Volk ohne Sitten", „ein gegen die anderen Nationen ungerechtes Volk", „ein von Golddurst verzehrtes Volk", „ein eroberndes Volk", „ein der Freiheit der anderen feindliches Volk", „eine käufliche, lasterhafte, verderbte Nation" — das waren die Engländer in Holbachs Augen; und er richtet dann an sie eine seiner Kapuzinaden über die Tugend. „Pflegt also, ihr Briten, die Weisheit und die Vernunft; bemüht euch, eure Regierung und eure Gesetze zu vervollkommnen. Fürchtet einen den Sitten und der Freiheit tödlichen Luxus. Fürchtet die Wirkungen eines religiösen und politischen Fanatismus" usw. usw.69

Übrigens inspirierte ihn das Schauspiel des sozialen Lebens Englands öfters zu tieferen Reflexionen als den eben zitierten. Er beweist zum Beispiel, dass die ungeheuren Armensteuern die Zahl der Armen in England weder vermindert haben, noch hätten vermindern können. „Es ist nur zu wahr", ruft er aus, „dass die Nationen, bei denen man die größten Reichtümer findet, eine größere Zahl unglücklicher als glücklicher Menschen umschließen. Es ist nur zu wahr, dass der Handel nur wenige Bürger bereichert und die übrigen im Elend lässt."70

Alle diese Gedanken könnten mit Recht konfus und widersprechend erscheinen. Aber, wir heben dies noch einmal hervor, man darf nicht vergessen, dass wir es hier mit einem Theoretiker der Bourgeoisie zu tun haben, die revolutionär und insofern edler Gefühle fähig war. Sie, oder vielmehr die Besten ihrer Angehörigen, die Leute, die Herz und Verstand hatten, „die", um einen Ausdruck Holbachs zu gebrauchen, „nachdachten", träumten von einem Reich der Vernunft, einem universellen Glück, dem Himmelreich auf Erden. Konnten sie nicht die unabwendbaren Folgen ihrer eigenen sozialen Tendenzen verabscheuen? Und konnten sie nicht infolge des Abscheus vor diesen Folgen mit sich selbst in Widerspruch kommen? Man zeige einem jungen, schönen Mädchen ein altes, hässliches, unreines, von Alter und Krankheiten gebeugtes Weib. Sie wird erschrocken sein. Und doch eilt sie zu leben, das heißt zu altern, das heißt ihrerseits andere zu erschrecken. Das ist eine alte, doch ewig neue Geschichte!

Wer sich eine konkretere Vorstellung der Psychologie der französischen Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts machen will, könnte mit großem Nutzen die liberalen russischen Schriftsteller der Epoche befragen, die mit dem Ende der Regierung des Kaiser Nikolaus beginnt. Dasselbe Fehlen des historischen Sinnes, dieselben Kapuzinaden, dieselben Widersprüche! Allerdings gibt es unter den russischen Schriftstellern der genannten Periode Sozialisten wie Tschernyschewski. Aber auch viele, welche die „Bourgeoisie" nur aus Missverständnis bekämpfen, weil sie nicht die Tragweite ihrer eigenen Forderungen zu würdigen wissen. Sehr oft wollen viele unserer Schriftsteller, die sich für fortschrittlich halten, nichts anderes als Holbach und seine Freunde. Aber sie halten es naiverweise für Sozialismus. Die großen Franzosen hätten darauf geschworen, dass es Philosophie sei. Und was uns angeht, so sind wir der Überzeugung, dass eine Rose stets denselben Duft behält, welchen Namen man ihr auch geben mag.

Wenn Holbach in den ökonomischen Fragen häufig der Ansicht der Physiokraten ist, von denen er stets mit Lob71 spricht, so teilte er doch nicht ihre Vorliebe für den „legalen Despotismus". Er war ein eifriger Anhänger der Repräsentativ-Regierung. Der Despotismus war für ihn keine Regierungsform; er kann nur „als ein ungleicher Kampf zwischen einem oder mehreren bewaffneten Briganten und einer verteidigungslosen Gesellschaft betrachtet werden".72 Unser Philosoph stellte sich einige „natürliche Fragen", die viel Verständnis in der französischen konstituierenden Versammlung gefunden haben würden. Diese äußerst charakteristischen Fragen sind folgende:

Muss das Ganze dem Teil nachgeben? Soll der Wille eines einzelnen über den Willen aller die Herrschaft haben? Gibt es in jeder Gesellschaft ein privilegiertes Wesen, das davon befreit ist, nützlich zu sein? Ist allein der Souverän von den Banden frei, welche alle anderen verbinden? Kann ein Mensch alle anderen binden, ohne dass diese ihrerseits ihn durch ein Band halten? Ist der Besitz einer in ihrem Ursprung ungerechten, durch die Gewalt erhaltenen, von der Schwäche ertragenen Macht ein Titel, den die Gerechtigkeit, die Vernunft und die Kraft niemals zerstören können?" Das erinnert an das berühmte Wort: „Wir werden unsererseits Eroberer sein."

Die folgende Stelle erinnert an eine andere Szene aus der Geschichte der französischen Revolution: „Die souveräne Gewalt ist nichts weiter als der Krieg eines einzelnen gegen die Gesamtheit, sobald der Monarch die Grenzen übertritt, welche ihm der Wunsch des Volkes vorschreibt." Was hätte man im Ballhaussaal darauf geantwortet?

Ein unversöhnlicher Hass gegen den Despotismus beseelt fast alle Werke Holbachs. Man empfindet deutlich, dass keine abstrakte Theorie, sondern traurige Wirklichkeit allem, was er über diesen Gegenstand sagt, zugrunde liegt. Und es war ebenso wenig abstrakte Theorie, als vielmehr traurige Wirklichkeit, die ihn die Freiheit, „die Tochter der Billigkeit und der Gesetze", „den Gegenstand der Liebe aller edlen Herzen" anrufen ließ, öfter scheint er ein Vorgefühl des herannahenden politischen Sturmes gehabt zu haben. „Der Bürger", sagt er, „kann nicht, ohne seine Pflicht zu verletzen, es ablehnen, für sein Land gegen den es unterdrückenden Tyrannen Partei zu nehmen." Wer weiß? Vielleicht waren diese Worte vor ihrer Niederschrift in einer jener philosophischen Vereinigungen bei Holbach ausgesprochen und diskutiert worden, wo man, nach dem, was uns Morellet erzählt, Dinge sagte, die hunderte Male den Blitz auf das Haus herabgezogen hätten, wenn er deshalb einschlüge. Diderot stimmte sicher bei und ging noch weiter. Und Grimm klatschte vielleicht Beifall… Der Ärmste, er änderte seine Ansicht, als der Sturm nicht mehr in einem reich möblierten Salon, sondern auf der großen historischen Bühne ausbrach.

Und würde sich Holbach selbst besser nach dem 10. August gehalten haben? Würde er in einer Versammlung der Jakobiner wiederholt haben, dass „ein Tyrann das hassenswerteste Wesen ist, welches das Verbrechen erzeugen kann"?73 Offen gesagt, wir wissen es nicht. Es ist aber viel wahrscheinlicher, dass er mit diesen „wilden" Republikanern nichts hätte zu tun haben wollen, dass er sie ihrerseits als Tyrannen und Feinde des Vaterlandes, als Fanatiker und politische Scharlatane behandelt haben würde.

Holbach verehrte die Freiheit. Aber er fürchtete den „Tumult" und war überzeugt, dass in der „Politik wie in der Medizin die gewaltsamen Mittel stets die gefährlichsten sind". Er hätte gern mit einem nur ein wenig „tugendhaften" Monarchen verhandelt. Er hatte gut reden, dass die Prinzen dieser Art sehr seltene Meteore sind; er träumte stets von „einem Weisen auf dem Thron". Und einen Augenblick, während des Ministeriums Turgot, glaubte er seinen Traum realisiert. Er hat sein Buch „Ethocratie" Ludwig XVI. gewidmet, „dem gerechten, menschlichen, wohltätigen Monarchen, dem Freund der Wahrheit, der Einfachheit, dem Feind der Schmeichelei, des Lasters, des Prunkes, der Tyrannei, dem Wiederhersteller der Ordnung und der Sitten, dem Vater seines Volkes" usw. Es ist möglich, dass er später seine Meinung über Ludwig XVI. änderte, aber seine Furcht vor den „tumultuösen" Volksbewegungen bewahrte er. Das Volk waren für Holbach die „Armen"; nun bringt aber „der Mangel, so oft das Spielzeug der Leidenschaften und Launen der Macht, das Herz des Menschen zum Welken oder macht es rasend". Solange der „Arme" seine Lage ruhig erträgt, „wird die Spannkraft seiner Seele … gänzlich gebrochen; er verachtet sich selbst, weil er sich als den Gegenstand der Verachtung und der Stöße der ganzen Welt sieht".74

Noch schlimmer ist es, wenn er revoltiert. „Man braucht nur die Geschichte der antiken und modernen Demokratie oberflächlich zu durchlaufen, um zu sehen, dass der Wahnsinn und der Jähzorn gewöhnlich im Rate des Volkes den Vorsitz führten75; überall, wo das Volk im Besitz der Macht ist, trägt der Staat das Prinzip seiner Zerstörung in sich."76 Wenn Holbach zwischen der absoluten Monarchie und der Demokratie hätte wählen müssen, würde er den Absolutismus vorgezogen haben. Nach seiner Meinung täuschte sich Montesquieu sehr, wenn er die Tugend als die bewegende Kraft der republikanischen Staatsform bezeichnete. Die Republik hat ein anderes Idol, die Gleichheit, „diese romanhafte Gleichheit, die eigentlich nur Neid ist". Von allen Tyranneien ist die demokratische „die grausamste und unvernünftigste". In dem Klassenkampf, der sich z. B. im alten Athen abspielte, sieht Holbach nur die „Raserei eines Pöbels". Die erste englische Revolution flößt ihm meist nur Entsetzen wegen des „religiösen Fanatismus" des Volkes ein. Das Volk ist nicht zum Befehlen geschaffen, „es würde dazu unfähig sein"; eine zu weit gehende Freiheit müsste bei ihm schnell in Zügellosigkeit ausarten. Es ist dazu geschaffen, „tätig zu sein"; ein zu häufiger Müßiggang „entwöhnt es von der Arbeit und macht es ausschweifend".77 Das Volk muss im Zaum gehalten und vor seiner eigenen Torheit geschützt werden.

Eine konstitutionelle Monarchie, die der gebildeten und „tugendhaften" Bourgeoisie freies Feld lässt, ist das politische Ideal unseres Philosophen. Einen Bürger-König (Holbach bedient sich häufig dieses Ausdrucks), von seinen Mitbürgern gewählt, um das Organ und der Vollzieher der Willensäußerungen „aller" zu sein, und die besitzende Klasse als Interpretin dieser „Willensäußerungen", das fordert die Dame „Natur" durch den Mund Holbachs. Lange, der Verfasser der Geschichte des Materialismus, täuscht sich sehr, wenn er ihm in der Politik eine „radikale" Doktrin78 zuschreibt.

Der Radikalismus war für die Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts etwas psychologisch Unmögliches. Wir wissen schon, welche Vorstellung sie vom Volke hatten (und sie konnten keine andere Vorstellung davon haben, da das französische Volk, wie die Materie der französischen Metaphysiker, damals noch eine tote und träge Masse war); es blieb also nur die philosophierende und liberale Bourgeoisie übrig. Aber einmal ist ein konsequenter und bis ans Ende gehender Radikalismus keine der Bourgeoisie als Klasse angemessene Doktrin, selbst nicht in den revolutionärsten Momenten ihres historischen Lebens (die Französische Revolution hat dies sehr gut bewiesen); und außerdem waren denn „alle, die dachten", zusammengenommen, sehr zahlreich? Konnte man sie als eine politische Kraft betrachten, fähig, eine Gesellschaft von oben bis unten aufzurütteln? Die Philosophen wussten sehr wohl, dass dies nicht der Fall war, und deshalb kamen sie stets zu ihrem Traume von dem „Weisen auf dem Throne" zurück, der es übernehmen würde, ihre Wünsche zu realisieren. Eine bemerkenswerte und charakteristische Tatsache! Als Turgot zum Minister gemacht worden war, schrieb der „Radikale" Holbach (als den ihn Lange betrachtet), der unversöhnliche Feind der Despoten und Tyrannen, dass der Absolutismus sehr nützlich ist, wenn er sich vornimmt, die Missbräuche abzuschaffen, die Ungerechtigkeiten zu vernichten, die Laster zu bessern usw. Holbach glaubt, dass der „Despotismus die beste Regierungsform sein würde, wenn man nur dessen sicher wäre, dass er stets von einem Titus, einem Trajan, einem Antoninus ausgeübt würde"; er hat nicht vergessen können, dass „die absolute Gewalt gewöhnlich in solche Hände fällt, die unfähig sind, sie mit Weisheit zu gebrauchen", aber damals schien ihm ein Titus den Thron Frankreichs innezuhaben, und er forderte nichts Besseres.79

Um eine Gesellschaft zu reformieren, muss man einen Stützpunkt haben. Wo es keinen solchen gibt, ist auch der „Radikalismus" der mit der vorhandenen Regierung unzufriedenen Leute weit davon entfernt, ein intransigenter zu sein. Wir haben dies in Russland seit der Thronbesteigung Alexanders II. gesehen. Als er die Leibeigenschaft angriff, erklärten sich unsere „Radikalen", wie Herzen und Bakunin, von der kaiserlichen Weisheit „besiegt" und tranken auf die Gesundheit des russischen Titus. Selbst Tschernyschewski war bereit, anzuerkennen, dass der Despotismus die beste Regierungsform sei, wenn er „die Missbräuche abschafft, die Ungerechtigkeiten vernichtet" usw.

Der glänzendste und kühnste Repräsentant der „westlichen Partei" in der russischen Literatur unter Nikolaus I., Bjelinski, sagte anderthalb Jahre vor seinem Tode, das heißt in einer Zeit, in der er radikaler war als je zuvor, dass in Russland aller Fortschritt von oben kommt. Nikolaus I. glich allem anderen, nur keinem „Titus" oder „Trajan". Aber was hätte Bjelinski denken sollen? Auf was hätte er seine Hoffnungen setzen sollen? Von dem Standpunkt eines Westeuropäers aus war das russische Volk eine träge und tote Materie, die nichts ist ohne einen Demiurg. Als einige Jahrzehnte später die revolutionäre Bewegung in unserer studierenden Jugend, unserer „Intelligenz" begann, zog man sich aus der Affäre, indem man kurzerhand mit dem „Westen" brach. Man erklärte, dass das russische Volk für die Revolution und den „Sozialismus" reifer als irgendein anderes sei. So wurden also die Bewunderer von Bjelinski und Tschernyschewski im Grunde Slawophilen in Revolte.

So viele Fürsten", schreibt Holbach, „regieren häufig nur deshalb auf eine so gewaltsame Weise, weil sie die Wahrheit nicht kennen; sie hassen die Wahrheit, weil sie ihre unschätzbaren Vorzüge nicht kennen." Ein weiser Fürst „wird niemals seine grenzenlose Autorität eifersüchtig behüten; er wird einen Teil davon opfern, um den, welcher ihm bleiben muss, sicherer zu genießen". Dies hat vor einigen Jahren Madame Zebrikowa in ihrem berühmten Brief an Alexander III. wiederholt. Madame Zebrikowa erhebt keinen Anspruch darauf, radikal zu sein.80

Zu Beginn des Jahres 1890 veröffentlichte der deutsche Kaiser seine Erlasse über die Arbeiterfrage. Die liberale und „radikale" russische Presse war davon überzeugt, dass Deutschland von einem Weisen auf dem Throne regiert werde.

Ein Weiser auf dem Throne" — das war der Deus ex machina81 der französischen Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts. Er löste kurzerhand alle theoretischen Schwierigkeiten, alle Widersprüche, welche der metaphysische Gesichtspunkt erzeugte, von dem aus „die Philosophen" alle sozialen Phänomene betrachteten. Was war die Geschichte für einen französischen Aufklärer? Eine unendliche Reihe meist sehr trauriger Ereignisse, ohne inneren Zusammenhang, ohne irgendeine Bestimmtheit nach irgendwelchen Gesetzen.

Sie werden bisweilen", sagte Condillac zu seinem Schüler, „glückliche Zeiten sehen, in denen die Kenntnisse, die Gesetze und die Sitten das Glück der Staaten bewirkten, aber sie werden häufiger unglückliche Zeiten sehen, in denen die Unwissenheit, die Vorurteile, die Irrtümer und die Laster das Unglück der Völker veranlassten und die blühendsten Reiche vernichteten."82

Weshalb war es so? — Weil die Menschen der Aufklärung entbehrten. „Im Schoße der Barbarei geboren, haben die Künste und Wissenschaften der Reihe nach eine kleine Zahl privilegierter Nationen erleuchtet. Dies ist ein Licht, welches sich den einen in dem Maße verbirgt, wie es den anderen erscheint, und welches niemals mehr als einen sehr beschränkten Horizont erleuchtet."83

Voltaire drückte in seinem „Essay über die Sitten" dieselben Gedanken kürzer und kräftiger aus: „Die Vernunft", sagte er, „ist erst im Entstehen begriffen." So hat es also früher in der großen Mehrzahl der Fälle nur Unvernunft, Torheit gegeben, und die Unvernunft, die Torheit gehorchen keinen Gesetzen und sind im allgemeinen nicht der Mühe des Studiums wert; es genügt, sie zu konstatieren. „Ihre Altertümer", sagt derselbe Voltaire von den Barbaren Asiens, „verdienen um nichts mehr eine Geschichtsschreibung als die Wölfe und Tiger ihrer Länder."84 Und Voltaire war unter den „Philosophen" einer der besten Kenner der Geschichte und beschäftigte sich viel mit ihr. Er bekämpfte energisch die Ansicht seiner „göttlichen Emilie", die niemals imstande war, ein etwas ausführlicheres Buch über die Geschichte der modernen Völker zu lesen.85 Die übergroße Mehrheit kannte die Geschichte weit schlechter als Voltaire.

Der Mensch", sagt Holbach, „beginnt damit, Eicheln zu essen, um seine Nahrung mit den Tieren zu kämpfen, und er endigt damit, die Himmel auszumessen. Nachdem er gearbeitet und gesät, erfindet er die Geometrie. Um sich gegen die Kälte zu schützen, bedeckt er sich zunächst mit dem Fell der Tiere, die er besiegt hat; und nach Verlauf einiger Jahrhunderte sieht man ihn Gold mit Seide verbinden. Eine Höhle, ein Baumstumpf sind seine ersten Wohnungen, und am Ende wird er Architekt und baut Paläste."86

Heutzutage können wir, ohne hier von Marx und Engels zu sprechen, Morgan anführen, der zum Ausgangspunkt die Entwicklung der produktiven Kräfte der Menschheit nahm und so mit Erfolg in das Geheimnis ihrer historischen Bewegung eindrang. Holbach ahnte nicht einmal, dass er hier die Haupttatsachen der menschlichen Geschichte aufzählte. Er machte die Aufzählung, nur um die Triumphe der „Vernunft" aufzuzeigen und gegen Rousseau zu beweisen, dass das Leben in der Zivilisation dem in der Wildheit vorzuziehen sei.

Nur aus Irrtum hat sich das Menschengeschlecht unglücklich gemacht" — das ist die ganze Geschichtsphilosophie Holbachs.87 Gezwungen, in die Details einzugehen, würde er hinzugefügt haben, dass die antike Zivilisation durch den „Luxus" ruiniert wurde; dass die Feudalität ihren Ursprung „aus der Räuberei, der Unordnung, dem Kriege" genommen, dass „wegen religiöser Streitigkeiten und wegen seines Mangels an Toleranz Karl I. gezwungen wurde, sein Haupt zu verlieren"; dass Jesus ein Betrüger war usf.; und er hätte mit großem Erstaunen erfahren, dass er da nur die „Schale der Erscheinungen" sähe.

Die „Philosophen" sahen in der Geschichte nur die bewusste Tätigkeit der Menschen (mehr oder weniger „weise" und sehr häufig sehr wenig weise, wie wir gesehen); aber in der Geschichte nur die bewussten Handlungen der Menschen sehen, heißt seinen Ausblick äußerordentlich einschränken, heißt erstaunlich oberflächlich sein. In allen großen historischen Bewegungen sehen wir Menschen, welche sich an die Spitze ihrer Zeitgenossen stellen, die ihre Tendenzen ausdrücken, ihre Wünsche formulieren. Es gibt gleichfalls andere Menschen, die sich an die Spitze der Reaktion stellen, die Tendenzen der Neuerer bekämpfen, ihre Wünsche missbilligen. Wenn es nun in der Geschichte nur bewusste Tätigkeit der Menschen gibt, so erscheinen die „großen Menschen" unvermeidlich als die Ursache der historischen Bewegung. Die Religion, die Sitten, die Gebräuche, der ganze Charakter eines Volkes scheinen von einem oder mehreren großen Männern gebildet zu sein, die in bestimmter Absicht gehandelt haben. Hören wir zum Beispiel, was Holbach vom jüdischen Volke sagt.

Moses führte die Juden in die Wüste; „er gewöhnte sie an den blindesten Gehorsam; er lehrte sie den Willen des Himmels, die wunderbare Fabel ihrer Vorfahren, die seltsamen Zeremonien, von denen der Höchste seine Gunst abhängig machte; besonders flößte er ihnen den bittersten Hass gegen die Götter anderer Nationen und die ausgesuchteste Grausamkeit gegen jene, welche sie verehrten, ein; durch Mord und Kriege machte er aus ihnen seinem Willen gefügige Sklaven, bereit, seinen Leidenschaften zu Willen zu sein, bereit, sich zu opfern, um seine ehrgeizigen Ziele zu befriedigen; mit einem Wort, er machte aus den Hebräern Ungeheuer von Raserei und Wildheit. Nachdem er sie so mit diesem zerstörerischen Geiste beseelt hatte, zeigte er ihnen die Länder und Besitzungen ihrer Nachbarn als eine Erbschaft, die ihnen Gott selbst angewiesen hatte."88

Die Geschichte des jüdischen Volkes bietet unter diesem Gesichtspunkt nichts Besonderes. Alle Völker haben ihren Moses gehabt, wenn er schon nicht so bösartig war wie dieser, da es nach Holbach wie nach Voltaire, nie in der Geschichte ein so schlechtes Volk wie das Volk Israel gegeben hat. „Aus dem Schoße der zivilisierten Nationen sind gewöhnlich alle die Persönlichkeiten hervorgegangen, welche den noch zerstreut lebenden und noch nicht zu Nationen vereinigten Familien oder Horden die Gesellschaftlichkeit, den Ackerbau, die Künste, die Gesetze, die Götter, den Kultus und die religiösen Ansichten gebracht haben. Sie milderten ihre Sitten, sie versammelten sie, sie lehrten sie, ihre Kräfte mit Vorteil zu gebrauchen, sich gegenseitig zu helfen und mit größerer Leichtigkeit ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Indem sie so ihre Existenz glücklicher machten, gewannen sie sich ihre Liebe und Verehrung, erwarben sich das Recht, ihnen Ansichten (!) vorzuschreiben, veranlassten sie sie, diejenigen anzunehmen, die sie selbst erdacht oder in den zivilisierten Ländern, von denen sie gekommen waren, geschöpft hatten. Die Geschichte zeigt uns die berühmtesten Gesetzgeber als Menschen, die im Besitz eines reichen Schatzes nützlicher Kenntnisse, wie man sie bei zivilisierten Völkern findet, wilden Nationen Hilfsmittel der Industrie und Künste brachten, die diese bisher nicht gekannt hatten. Als solche galten Bacchus, Orpheus, Triptolemus usw."89

Sind die Völker, welche wir heute zivilisiert sehen, alle in ihrem Beginn durch den Zustand der Wildheit hindurchgegangen? Diese heute so leicht zu beantwortende Frage beunruhigte unseren Philosophen nicht wenig. Er hatte keine festen Ansichten über den Ursprung der menschlichen Gattung; wie hätte er also ihren primitiven sozialen Zustand darstellen können? Sehr wahrscheinlich haben alle zivilisierten Nationen im Zustand der Wildheit angefangen. Aber wie kann man diesen Zustand der Wildheit seinerseits erklären? Da erscheint nun ein neuer Deus ex machina, die furchtbaren Revolutionen unseres Erdballs. Vielleicht haben diese Revolutionen mehr als einmal den größten Teil der menschlichen Gattung vernichtet. Die, welche dem Untergang entkamen, waren nicht imstande, für die Nachwelt die vor diesen Katastrophen vorhandenen Kenntnisse und Künste zu bewahren.

So wäre es möglich gewesen, dass die Menschen zu wiederholten Malen in die Unwissenheit zurückgeworfen wurden, nachdem sie schon eine gewisse Zivilisation erreicht hatten. „Vielleicht ist die tiefe Unwissenheit, in der wir die Menschheit über die für sie interessantesten Gegenstände sehen, eine Folge dieser ihrer periodischen Erneuerungen. Diese sind vielleicht die wahre Quelle der Unvollkommenheit unserer politischen und religiösen Einrichtungen."90 Wir haben bereits gesehen, dass es nach Holbach den Menschen nicht gegeben ist, zu wissen, ob das Tier dem Ei oder das Ei dem Tier vorausging. Wir sehen jetzt, dass es Holbach nicht gegeben war, zu wissen, ob die Zivilisation der Wildheit oder die Wildheit der Zivilisation vorausging.

Holbach begnügte sich mit der Erkenntnis, dass „das Menschengeschlecht sich aus Irrtum unglücklich gemacht hat" und dass man es von dem Irrtum befreien müsse. Er hat weder Arbeit noch Geld gespart, um diese edle Aufgabe zu vollbringen. Er hat sein ganzes Leben dem Kampfe gegen die „Vorurteile" gewidmet. Das eingewurzeltste, das verhängnisvollste aller Vorurteile war die Religion, und unser Philosoph wird nicht müde, sie zu bekämpfen. In seinem Kampfe gegen „l’infâme"91 schonte Voltaire „das höchste Wesen" und versuchte nur, es zur Vernunft zu bringen. Er war in Sachen der Religion konstitutionell. Er wollte die Macht Gottes durch die ewigen, von den „Philosophen" verdolmetschten Gesetze der Natur gemildert wissen.

Die französischen Materialisten aber waren in den himmlischen Angelegenheiten eifrige Republikaner. Sie haben Gott guillotiniert lange vor dem guten Doktor Guillotin. Sie haben ihn wie einen persönlichen Feind gehasst. Launenhafter, rachsüchtiger und grausamer Despot, gleich dem jüdischen Jehova, brachte er ihre edelsten Gefühle als Menschen und Bürger in Aufruhr. Und sie lehnten sich gegen diese grausame Herrschaft auf, lehnten sich voll Leidenschaft auf, geradezu als wären sie in der Tat die unterdrückten Opfer des obersten Herrschers.

Es ist unmöglich, ein Wesen zu lieben, dessen Idee nur dazu geeignet ist, Schrecken zu erwecken", ruft Holbach aus. „ … Wie kann man ohne Unruhe einen Gott ansehen, den man für barbarisch genug hält, uns verdammen zu können? … Kein Mensch kann den geringsten Funken Liebe für einen Gott haben, der unendlich lange und grausame Strafen für neunundneunzig von hundert seiner Kinder aufspart… Schließt also, ihr Theologen, dass nach euren eigenen Prinzipien Gott unendlich viel schlechter ist als der schlechteste der Menschen."92

Die mit Holbach zeitgenössischen englischen Materialisten standen mit dem alten Judengott auf freundschaftlicherem Fuße. Sie hatten für ihn nur „Gefühle der Liebe" und „Achtung". Sie lebten eben in anderen sozialen Verhältnissen. Zwei aus denselben Elementen, aber in verschiedenen Proportionen zusammengesetzte Körper besitzen nicht dieselben chemischen Eigenschaften. Noch mehr. Gelber Phosphor unterscheidet sich bedeutend vom roten. Kein Chemiker wundert sich darüber. Sie sagen, dass dies von der molekularen Struktur derselben Elemente abhängt. Aber man wundert sich stets, wenn man bemerkt, dass dieselben Ideen nicht dieselben Färbungen haben und nicht zu denselben praktischen Schlüssen in verschiedenen, in ihrer sozialen Struktur sonst ziemlich analogen Ländern führen. Die Bewegung der Ideen reflektiert nur die soziale Bewegung, und die verschiedenen Wege, welche jene sich bahnt, die vielfältigen Färbungen, die sie unaufhörlich annimmt, entsprechen genau den verschiedenen Gruppierungen der Kräfte in dieser. Von der Art und Weise des Seins hängt immer die Art und Weise des Denkens ab.93

Man wird kaum leugnen", sagt der englische Materialist Priestley94, „dass die allgemeinen Zwecke der Tugend in wirksamer Weise durch den Glauben an eine ausreichende Belohnung aller guten und schlechten Taten in einem zukünftigen Leben gesichert werden." Der französische Deist Voltaire hatte dieselbe Ansicht. Der Patriarch von Ferney hat viele Albernheiten über diesen Punkt geschrieben. Der französische Materialist Holbach urteilte wie folgt:

Fast alle Menschen glauben an einen rächenden und belohnenden Gott, während wir doch in jedem Lande finden, dass die Zahl der Schlechten die der Guten bei weitem übertrifft. Wenn wir zur wahren Quelle einer so allgemeinen Verderbtheit emporsteigen wollen, werden wir sie in den theologischen Begriffen selbst und nicht in den imaginären Ursachen finden, welche die verschiedenen Religionen der Welt erfunden haben, um von der menschlichen Verderbtheit Rechenschaft zu geben. Die Menschen sind verderbt, weil sie fast überall schlecht regiert sind; sie sind unwürdig regiert, weil die Religion die Souveräne als göttlich verehrt hat; diese ihrer Straflosigkeit versichert und selbst verderbt, mussten mit Notwendigkeit ihre Völker elend und schlecht machen. Unvernünftigen Herren unterworfen, sind sie niemals durch die Vernunft geleitet worden. Durch betrügerische Priester geblendet, wird ihnen ihre Vernunft unnütz."95

So sind also die Religionen und ihr Einfluss auf die Regierungen die Ursachen allen Unglücks und machen den ganzen Inhalt der Geschichte aus. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes ein umgekehrter Bossuet! Der Verfasser des „Discours sur l'Histoire universelle" war davon überzeugt, dass die Religion alles aufs Beste ordnete, während Holbach glaubte, dass sie alles aufs Schlechteste ordnete. Dieser Unterschied war der einzige Fortschritt, den man in dem Zeitraum eines Jahrhunderts in der Geschichtsphilosophie gemacht hatte.

Seine praktischen Konsequenzen waren ungeheuer, aber er förderte das Verständnis der historischen Tatsachen in nichts.

Die „Philosophen" konnten nicht aus dem Zirkel herauskommen: auf der einen Seite ist der Mensch das Produkt des ihn umgebenden sozialen Milieus. „In der Erziehung müssen wir die Hauptquelle der Laster und Tugenden der Menschen, der Irrtümer oder Wahrheiten, mit denen ihre Köpfe angefüllt sind, der lobenswerten oder tadelnswerten Gewohnheiten, die sie annehmen, der Eigenschaften und Talente, welche sie erwerben, suchen"96; andererseits liegt die Quelle aller sozialen Unordnung in der „Unkenntnis der klarsten Prinzipien der Politik". Das soziale Milieu wird durch die „öffentliche Meinung" (opinion), das heißt den Menschen gemacht.

In verschiedener Form kehrt dieser fundamentale Widerspruch in den Schriften Holbachs, wie übrigens auch in den Schriften aller übrigen „Philosophen", ohne Aufhören wieder.

1. Der Mensch ist ein Produkt des sozialen Milieus. Daraus folgt sehr logisch, dass nicht die öffentliche Meinung die Welt regiert. Hören wir Holbach: „Die Menschen sind nur das, wozu sie ihre Organisation macht, modifiziert durch die Gewohnheit, die Erziehung, das Beispiel, die Regierung, die dauernde oder vorübergehende Umgebung. Ihre religiösen Ideen und ihre imaginären Systeme müssen ihren Temperamenten, Neigungen, Interessen nachgeben oder sich ihnen anpassen."97 „Wenn man die Dinge nur mit Kaltblütigkeit prüfen wollte, würde man finden, dass der Name Gottes auf der Erde nur als Vorwand für die Leidenschaften der Menschen gedient hat."98 „Unsere Umgebung, die augenblicklichen Interessen, die eingewurzelten Gewohnheiten, die öffentliche Meinung haben sehr viel mehr Gewalt als eingebildete Wesen oder Spekulationen, die selbst von dieser Organisation abhängen."99 Die Macht der „Spekulationen" und der „eingebildeten Wesen" ist um so geringer, als es unter 100 000 Menschen kaum zwei gibt, die sich gefragt haben, was sie unter dem Wort Gott verstehen, was das Wesen ihres Glaubens und ihrer Überzeugungen ist. Die Menschen werden nicht durch die allgemeinen Anschauungen des Verstandes, sondern die Leidenschaften zum Handeln veranlasst, wie dies schon Bayle und vor ihm Seneca bemerkt haben.100

2. Der Mensch ist ein Produkt des sozialen Milieus. Was die Götter angeht, so hat sie der Mensch nach seinem Bilde geschaffen. „Indem der Mensch Gott verehrt, verehrt er sich selbst."101 (Man vergleiche Feuerbach.) Ist es nicht offenbar, dass ein launenhafter Gott, empfänglich für Lob, stets eifersüchtig, die Huldigungen seiner Untertanen zu empfangen, nach dem Bilde der Fürsten der Erde gezeichnet ist?102

3. Der Mensch ist ein Produkt des sozialen Milieus. „Wenn wir nur wenig über das, was sich vor unseren Augen vollzieht, nachdenken, müssen wir das Gepräge der Verwaltung" (das heißt der „Regierung"; wir werden gleich sehen, wie und weshalb sich der Einfluss des sozialen Milieus für die „Philosophen" auf den Einfluss der Regierung reduzierte) „in dem Charakter, den Meinungen, den Gesetzen, den Gebräuchen, der Erziehung und in den Sitten der Nationen wiedererkennen."103 „Es ist also das Laster der Gesellschaft, was ihre Mitglieder schlecht macht… Dann wird der Mensch ein Wolf für seinen Nebenmenschen."…104

Die andere Seite der Antinomie.

1. Das soziale Milieu wird durch die „öffentliche Meinung" erzeugt, das heißt durch den Menschen. Daraus folgt ganz logisch, dass die öffentliche Meinung die Welt regiert und dass das Menschengeschlecht aus Irrtum unglücklich ward (siehe oben). „Wenn wir die Erfahrung befragen", sagt Holbach, „finden wir, dass wir in den geheiligten Illusionen und Meinungen die wahre Quelle der Unzahl von Übeln suchen müssen, mit denen das ganze Menschengeschlecht überhäuft ist. Die Unkenntnis der natürlichen Ursachen schuf ihm Götter; der Betrug der Priester machte die Götter fürchterlich; die verhängnisvolle Idee von ihnen verfolgte den Menschen, ohne ihn besser zu machen, ließ ihn ohne Nutzen zittern, füllte seinen Geist mit Schimären, stellte sich den Fortschritten der Vernunft entgegen, hinderte ihn, sein Glück zu suchen. Seine Furcht machte ihn zum Sklaven derer, die ihn täuschten, unter dem Vorwand, ihm zu helfen; er tat das Schlechte, wenn man ihm sagte, dass die Götter Verbrechen verlangten; er lebte im Unglück, weil man ihn lehrte, dass seine Götter ihn zum Elend verdammten; er wagte niemals, seinen Göttern entgegenzutreten, noch sich von ihren Banden zu befreien, weil man ihn lehrte, dass die Dummheit, der Verzicht auf die Vernunft, die Verdummung des Geistes, die Erniedrigung seiner Seele die sichersten Mittel seien, das ewige Glück zu erringen."105

2. Das soziale Milieu wird durch die öffentliche Meinung, das heißt durch den Menschen erzeugt. „Es bedurfte nichts Geringeres als eines vom Himmel geheiligten Wahnsinns, um freiheitsliebende, unaufhörlich ihr Glück suchende Wesen glauben zu machen, dass die Besitzer der öffentlichen Autorität von den Göttern das Recht empfangen hätten, sie zu Sklaven und Elenden zu machen. Es bedurfte der Religionen, welche die Gottheit unter dem Bild eines Tyrannen darstellten, um Menschen glauben zu machen, dass ungerechte Tyrannen jene auf Erden repräsentierten."106

3. Das soziale Milieu wird durch die öffentliche Meinung, das heißt durch den Menschen erzeugt. „Warum sehen wir einst edle Nationen jetzt unter dem schimpflichen Joch eines erniedrigenden Despotismus erdrückt? Weil bei ihnen die öffentliche Meinung sich geändert hat…, weil es dem Aberglauben, dem Gehilfen der Tyrannei, gelungen ist, die Geister zu degradieren und feige, furchtsam, unempfindlich zu machen… Weshalb sehen wir Nationen von dem Enthusiasmus des Handels und der Leidenschaft für Reichtümer berauscht? Weil die öffentliche Meinung sie überredet, dass das Geld allein das wahre Glück ausmacht, während es doch nur ein trügerischer Vertreter desselben ist und nichts zum öffentlichen Glück beiträgt" usw.107 „Die Nationen kannten die wahren Fundamente der Autorität nicht; sie wagten nicht, das Glück von den Königen zu fordern, die damit beauftragt waren, es ihnen zu verschaffen; sie glaubten, dass die als Götter verkleideten Souveräne bei ihrer Geburt das Recht der Herrschaft über die übrigen Sterblichen erhielten; infolge dieser Meinungen musste die Politik in die verhängnisvolle Kunst ausarten, das Glück aller der Laune eines einzigen oder weniger Bösewichter zu opfern."108

Wir haben schon erfahren, dass es den Menschen „nicht gegeben ist", zu wissen, ob das Tier dem Ei oder das Ei dem Tier vorausgegangen ist. Es war dem Materialisten des achtzehnten Jahrhunderts nicht gegeben, zu wissen, ob die „öffentliche Meinung" das soziale Milieu bildet oder das soziale Milieu die „öffentliche Meinung". Und in der Tat ist für den, der den metaphysischen Standpunkt nicht zu verlassen weiß, nichts schwieriger als die Beantwortung dieser Frage.

Wenn es keine angeborenen Ideen gibt, wie dies Locke bewiesen hat; wenn der Mensch nur „Empfinden" ist, wie die Materialisten des achtzehnten Jahrhunderts behaupteten; wenn die Empfindungen in uns die Ideen, „das heißt die Bilder, die Spuren, die Eindrücke, welche unsere Sinne empfangen haben", entstehen lassen; wenn schließlich „der Mensch nicht freier im Denken als im Handeln ist", dann ist es seltsam, in den „Meinungen" das Geheimnis dieser oder jener Handlung des Menschen zu suchen. Unsere Ideen sind nur das, wozu sie die von uns empfangenen Eindrücke machen. Nun lässt aber nicht nur die Natur im eigentlichen Sinne des Wortes diese Eindrücke in uns entstehen. Von seiner Geburt an bemächtigt sich das soziale Milieu des Menschen und bildet sein Hirn, das „nur ein zur Aufnahme aller Eindrücke, die man darin machen will, geeignetes weiches Wachs ist".109 Wenn man also die Geschichte der „öffentlichen Meinung" begreifen will, muss man sich genaue Rechenschaft von der Geschichte des sozialen Milieus, der Entwicklung der Gesellschaft zu geben versuchen. Das war der unvermeidliche Schluss, mit dem der sensualistische Materialismus endigte. Die berühmte Statue Condillacs konnte nur zur Ruhe kommen, nachdem sie sich die Veränderungen ihrer „Meinungen" durch die Veränderungen ihrer sozialen Beziehungen, ihrer Beziehungen zu „ihresgleichen" erklärt hatte.

Man musste sich also an die Geschichte wenden. Aber die „Philosophen", welche in der Geschichte nur die bewusste Tätigkeit der Menschen sahen, konnten in ihr nichts außer den „Meinungen" der Menschen entdecken.

Sie mussten also auf die Antinomie stoßen: die Meinungen sind die Wirkung des sozialen Milieus; und umgekehrt, die Meinungen sind die Ursache dieser oder jener Eigenschaften dieses Milieus. Und diese Antinomie musste die Ideen der „Philosophen" um so mehr in Verwirrung bringen, als Wirkung und Ursache, wenigstens in ihrer Anwendung auf das soziale Leben für sie wie für alle Metaphysiker, feste, unbewegliche, sozusagen versteinerte Begriffe waren. Nur als Metaphysiker konnte Grimm sagen, dass der Einfluss der Meinungen gleich Null ist.

Die Wechselwirkung der verschiedenen Seiten des sozialen Lebens, das ist der höchste, „philosophischste" Standpunkt, zu dem die „Philosophen" sich aufschwingen konnten. Es ist der Standpunkt Montesquieus. Aber die Wechselwirkung, die nächste Wahrheit des Verhältnisses von Ursache und Wirkung, wie sie Hegel nennt, erklärt nichts im Prozess der historischen Bewegung. „Bleibt man dabei stehen, einen gegebenen Inhalt bloß unter dem Gesichtspunkt der Wechselwirkung zu betrachten, so ist dies in der Tat ein durchaus begriffloses Verhalten; man hat es dann bloß mit einer trockenen Tatsache zu tun, und die Forderung der Vermittlung, um die es sich zunächst bei der Anwendung des Kausalitätsverhältnisses handelt, bleibt wieder unbefriedigt."110 Es ereignen sich häufig noch unangenehmere Dinge als das, was Hegel hier ausführt.

Der Mensch ist ein Produkt des ihn umgebenden sozialen Milieus. Der Charakter des sozialen Milieus wird durch die Handlungen der „Regierung" bestimmt. Die Handlungen der Regierung, zum Beispiel die gesetzgebende Tätigkeit, gehören bereits in die Domäne der bewussten Tätigkeit der Menschen. Diese Tätigkeit ihrerseits hängt von den „Meinungen" derer ab, welche handeln. Unbemerkt hat sich ein Glied der Antinomie (die Thesis) verändert; es ist mit seinem alten Gegner, der Antithese, durchaus identisch geworden. Die Schwierigkeit scheint zu verschwinden, und der „Philosoph" setzt den Weg seiner „Untersuchungen" mit beruhigtem Gewissen fort. Der Standpunkt der Wechselwirkung wurde sofort aufgegeben, nachdem er soeben erreicht war.

Das ist noch nicht alles. Diese scheinbare Auflösung der Antinomie ist nichts anderes als eine vollständige Scheidung vom Materialismus. Das Gehirn des Menschen, dieses „weiche Wachs", das sich nach den Eindrücken gestaltet, die ihm von dem umgebenden sozialen Milieu zukommen, wird endgültig zu einem Demiurgen des Milieus umgeschaffen, dem es seine Eindrücke verdankt. Da er nichts weiter weiß, geht der materialistische Sensualismus seinen Weg wieder zurück.

Zweitens. Der Verfasser des „Systems der Natur" versichert uns, dass es sehr leicht ist, den Einfluss der Regierung auf den Charakter, die Meinungen, die Gesetze, die Gebräuche usw. zu erkennen. Die Regierung hat also Einfluss auf die Gesetze. Das erscheint sehr einfach und durchaus evident, bedeutet aber so viel, dass das zivile Recht eines Volkes seinen Ursprung in dem öffentlichen Rechte desselben Volkes hat. Ein Recht hängt von einem anderen Rechte, die „Gesetze" von „Gesetzen" ab. Die Antinomie verschwindet, aber nur, weil das eine seiner Glieder, dasjenige, welches den definitiven Schluss des materialistischen Sensualismus formulieren sollte, in Wirklichkeit nur eine platte Tautologie war.

Um mit allen den Schwierigkeiten, auf die dieser Materialismus stieß, aufzuräumen, musste man:

1. Den metaphysischen Standpunkt aufgeben, welcher jede Idee von Evolution ausschloss und in kläglicher Weise die logischen Begriffe der „Philosophen" in Verwirrung brachte. Nur unter dieser Bedingung konnte es ihnen „gegeben werden", zu wissen, ob in der Natur- wie Geschichtswissenschaft das Ei dem Tier oder das Tier seinem Ei vorausgegangen ist.

2. Man musste zu der notwendigen Überzeugung kommen, dass die „Natur des Menschen", mit der es die Materialisten des achtzehnten Jahrhunderts zu tun hatten, in nichts die historische Entwicklung der Menschheit erklärt. Man musste einen Schritt über den Standpunkt der Naturwissenschaft hinaus machen. Man musste sich auf den Standpunkt der sozialen Wissenschaft stellen. Man musste begreifen, dass das soziale Milieu seine eigenen Entwicklungsgesetze gehabt hat, die durchaus nicht von dem als ein „sensibles, intelligentes und vernünftiges Wesen" betrachteten Menschen abhingen und ihrerseits einen entscheidenden Einfluss auf seine Gefühle, Ideen und Überlegungen gehabt haben.

Wir werden den dialektischen Materialismus des neunzehnten Jahrhunderts diese Aufgabe erfüllen sehen. Bevor wir aber von seinen glänzenden Entdeckungen handeln, wollen wir die Ideen eines Mannes Revue passieren lassen, der mehr als ein anderer durch sein Beispiel und dank seiner unerschrockenen Logik die Unzulänglichkeit und Borniertheit des metaphysischen Materialismus zeigt. Dieser Mann ist Helvétius.

1 Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Berlin 1946, S. 15-17. Die Red.

2 Vergl. „Le bon sens puise dans la Nature, suivi du testament du eure Meslier". A Paris, l'an I de la Republique, I, S. 175.

3 „Die Natur in der weitesten Bedeutung ist das große All, das aus der Vereinigung der verschiedenen Materien, ihrer verschiedenen Verbindungen und Bewegungen, die wir im Universum sehen, hervorgeht." (Système de la Nature ou des Loix du Monde Physique et du Monde Moral, Londres 1781, I, S. 3.)

4 So kann nach Damiron die Materie nicht die Fähigkeit zu denken haben. Weshalb? „Weil die Materie nicht denkt, nicht erkennt, nicht handelt." (Mémoires pour servir à l'histoire de la Philosophie au XVIII. Siecle, Paris 1858, S. 409.) Eine bewundernswerte Logik! Übrigens sündigten Voltaire und Rousseau in ihrem Kampfe gegen die Materialisten an demselben Punkte. So versicherte Voltaire, dass „jede Materie, welche tätig ist, uns ein immaterielles Wesen zeigt, das auf sie wirkt". Für Rousseau ist die Materie „tot"; er hat niemals „ein lebendes Molekül begreifen können"

5 Système de la Nature, I, S. 21. Wir zitieren nach der Ausgabe von 1781.

6 Le bon sens, I, S. 176.

7 Système de la Nature, I, S. 83, Anmerkung 26

8 Ebenda S. 90/91. Auch Lamettrie hält die beiden Thesen für fast gleich wahrscheinlich. Lange schreibt ihm ganz mit Unrecht eine abweichende Meinung zu; um sich davon zu übrzeugen, genügt es, Kapitel 6 des „Traité de l’âme“ zu lesen. Lamettrie glaubt sogar, dass „alle Philosophen aller Jahrhunderte“ (natürlich mit Ausnahmen der Kartesianer) in der Materie die „Fähigkeit zu empfinden“ anerkannt haben. (Vergl. Œuvres, Amsterdam 1764, I, S. 97-100)

9Le bon sens, I, S. 177.

10 Jacobis Werke, IV, S. 54.

11 Geschichte des Materialismus, 2. Auflage, Iserlohn 1873, I, S. 378.

12 Système de la Nature, II, S. 91/92.

13 Ebenda S. 116.

14 Système de la Nature, I, S. 28.

15 Diese These Plechanows ist irrig. Es kann nicht als richtig angesehen werden, dass „unsere Vernunft, das heißt unsere Wissenschaft, sehr wohl imstande ist, wenigstens bestimmte Eigenschaften des ,Dinges an sich' zu entdecken". Holbach irrte darin, dass er die Erkennbarkeit der Welt auf die Möglichkeit beschränkte, nur bestimmte ihrer Eigenschaften zu erkennen. Holbach und andere französische Materialisten haben als Metaphysiker den Prozess des Erkennens nicht als historischen Prozess begriffen, der vom Nichtwissen zum Wissen, zur Erkenntnis des Wesens der Dinge führt. Die Red.

16 Système de la Nature, II, S. 109-113. Feuerbach sagte dasselbe. Überhaupt hat seine Kritik der Religion viel Analoges mit der Holbachs. Was die Verwandlung des „Dinges an sich" in Gott angeht, so ist es nicht der Bemerkung unwert, dass die Kirchenväter ihren Gott gerade so definierten, wie die Kantianer ihr „Ding an sich". So fällt auch nach Augustinus Gott unter keine der Kategorien: „ut sie intelligamus Deum, si possumus, quantum possumus, sine qualitate bonum sine quantitate magnum, sine indegentia creatorem, sine situ praesidentem, sine loco ubique totum, sine tempore sempiternum" usw. (dass wir Gott so begreifen, wenn und soweit das möglich, als gut ohne Eigenschaft, als groß ohne Größe, als schaffend ohne Bedürfnis, als thronend ohne Thron, als allgegenwärtig ohne Raum und ewig ohne Zeit Die Red.) (Vergl Fr Überwegs Grundriss der Geschichte der Philosophie, Berlin 1881, II, S. 102/03. Wir verweisen den Leser, der alle Widersprüche im „Ding an sich" kennenlernen will, auf Hegel.

17 Seltsam! Diderot bewundert die Moral Heraklits. Über dessen Dialektik aber sagt er nichts, oder, wenn man lieber will, nur einige bedeutungslose Worte gelegentlich der Besprechung seiner Physik (Œuvres de Diderot, Paris 1818, II, S. 625/26 [Encyclopédie].)

18 Système de la Nature, I, S. 70/71.

19 Système de la Nature, I, S. 73

20 Die einzige Triebfeder, der Alleinherrscher des Erdballs, auf dem wir leben, ist das persönliche Interesse.

21 Nur mit Bedauern betrog ich Cydalise; Aber ich sehe klar, die Sache ist gestattet.

22 „Die Sophisten der materialistischen Sittenlehre sind de Lamettrie und Helvétius." (Hettner, Literaturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts, Braunschweig 1881, II, S. 388.) „Das Verhängnisvolle am Materialismus ist, dass er gerade den niedrigsten Trieben des Menschen, dem Gemeinen, aus dem dieser gemacht ist, Vorschub, Nahrung und Anreiz gewährt." (Fritz Schultze, Die Grundgedanken des Materialismus und die Kritik derselben, Leipzig 1887, S. 50.)

23 La politique naturelle ou discours sur les vrais principes du gouvernement. Par un ancien magistrat (Holbach), 1773, S. 45/46.

24 Système social ou principes naturels de la morale et de la politique. Avec un examen de l'influence du gouvernement sur les mœurs. Par l'Auteur du Système de la Nature, Londres 1773 I, S. 36. Man vergleiche damit die Vorrede der „Morale universelle" desselben Autors: „Wir werden hier nicht von der religiösen Moral sprechen, die die Rechte der Vernunft nicht anerkennt, da sie es zu ihrer Aufgabe macht, die Menschen auf übernatürlichen Wegen zu führen."

25 Système de la Nature, I, S. 304.

26 Ebenda S. 298.

27 Système de la Nature. I, S. 306.

28 Ebenda S. 268.

29 Sie ist nicht nur zu weit, sie ist auch eine Tautologie, da sie nichts weiter ausdrückt, als dass der Mensch nur das wünscht, was er wünscht, wie Turgot bei der Besprechung der Moral des Helvétius bemerkt hat.

30 In korrumpierten Gesellschaften muss man sich korrumpieren, um glücklich zu sein. Système de la Nature, II, S. 237.

31 Le christianisme devoilé ou examen des principes et des effets de la religion chretienne, à Londres 1757, S. 126-128. Man bezeichnete dies Buch als „das schrecklichste, das je irgendwo auf der Erde erschienen" sei. In Wirklichkeit erschien es nicht in London, sondern in Nancy.

32 De l'Homme, I, 2. Abschnitt, 16. Kapitel.

33 Systeme social, I, S. 56; vergl. auch „La Morale universelle", I, S. 4/5.

34 Politique naturelle, II, S. 10; Systeme social, III, S. 6-8. Seinerseits wurde auch Voltaire nicht müde, diese Meinung Montesquieus zu bekämpfen, der übrigens nichts Neues über dies Thema gesagt hat; er hat nur die Ansichten einiger griechischer und römischer Schriftsteller wiederholt. Um gerecht zu sein, fügen wir hinzu, dass Holbach häufig von dem Einfluss des Klimas in einer viel oberflächlicheren Weise spricht als Montesquieu. „Es gehört zum Wesen bestimmter Klimate", sagt er in dem „Système de la Nature", „Menschen hervorzubringen, die so organisiert und modifiziert sind, dass sie für ihre Gattung entweder sehr nützlich oder schädlich werden." (!)

35 Zirkelschluss, fehlerhafter Kreis. Die Red.

36 Du progrès des lettres et de la Philosophie dans le dix-huitième siècle in „Mélange de Litterature", Paris, An III, S 383.

37 So ist z. B. die Entwicklung der Raupe in beträchtlichem Maße eine Folge der Anpassung an das Milieu, unabhängig von den Stadien, die die Vorfahren des Schmetterlings durchgemacht haben.

38 Correspondance litteraire. Août 1774.

39 Politique naturelle, I, S. 37/38.

40 Condorcet behauptet, bei der Bekämpfung der in diesem Punkte ganz entgegen gesetzten Ansichten Voltaires („le Philosophe ignorant"; der Patriarch änderte übrigens häufig seine Ansichten), dass die Ideen der Gerechtigkeit und des Rechts „sich mit Notwendigkeit auf dieselbe Art und Weise in allen sensiblen Wesen" bilden, welche fähig sind, Ideen zu erwerben. „Sie werden also gleichförmig sein." Es ist allerdings wahr, dass die Menschen „sich öfters ändern". Aber jedes richtig schließende Wesen wird zu denselben Ideen in der Moral wie in der Geometrie gelangen. Sie sind die notwendige Folge dieser tatsächlichen Wahrheit: „Die Menschen sind sensible und intelligente Wesen." (In einer Anmerkung zum philosophe ignorant" der Kehlschen Ausgabe der Werke Voltaires.)

41 Système de la Nature, I, S. 5.

42 Système de la Nature, I, S. 214.

43 Ebenda S. 106. Mr. Jules Soury sagt sehr naiv hierzu: „Diese Idee des Baron v. Holbach ist teilweise zur Tatsache geworden (!), gleichwohl scheint die Moralstatistik viel mehr als die Physiologie dazu bestimmt zu sein, der Physik der Sitten die größten Dienste zu erweisen." Bréviaire de l'histoire du Matérialisme, Paris 1881, S. 653.

44 Politique naturelle, I, S. 13/14, 38, 125. „Daher ist die Hauptabsicht der Menschen bei ihrer Vereinigung in ein Staatswesen und bei ihrer Unterordnung unter eine Regierung die Sicherung ihres Eigentums, für die im Naturzustand viel fehlt." Locke, Of government, 9. Kapitel: Of the ends" of political society and government.

45 Politique naturelle, I, S. 39.

46 Morale universelle, II, S. 249.

47 Morale universelle, II, S. 249.

48 Ebenda S. 240.

49 Politique naturelle, I, S. 42.

50 L'Ethocratie ou le gouvernement fondé sur la morale, Amsterdam 1776, S. 50/51.

51 Ebenda S. 52.

52 als solches. Die Red.

53 Politique naturelle, I, S. 179.

54 Ebenda S. 20.

55„Wenn meine physischen oder moralischen Eigenschaften mir kein Recht auf einen weniger als ich mit den Gaben der Natur ausgestatteten Menschen geben; wenn ich nichts von ihm fordern kann, was er nicht auch von mir fordern kann, so lehrt mich, bitte, auf welchen Grund hin ich den Anspruch machen kann, dass unsere Verhältnisse ungleich seien… Man muss mir zeigen, auf welchen Titel ich meine Überlegenheit gründen kann." Doutes proposés aux philosophes économistes sur l'ordre naturel et essentiel des sociétés politiques. A la Haye 1768, S. 21.

56 Ebenda S. 15.

57 Le christianisme dévoilé ou examen des principes et des effets de la religion chrétienne 1767, S. 176, 179, 196, 198, 199, 203

58 „Er fühlte vielleicht wie wir“, sagte er, „von welcher Nützlichkeit für das Volk die Abschaffung einer großen Zahl von Festtagen sein würde.“ Histoire critique de Jésus-Christ ou Analyse raisonnée des Evangiles (ohne Datum oder Druckort), S. 157

59 L'Ethocratie, S. 124.

60 Politique naturelle, II, S. 148.

61 Ebenda S. 145.

62 Ebenda S. 150.

63 Ebenda S. 151.

64 L'Ethocratie, 8. Kapitel, Systeme social, III, S. 73.

65 Politique naturelle, II, S. 148.

66 Politique naturelle, II, S. 155.

67L'Ethocratie, S. 122, Anmerkung.

6870 Ebenda S. 117.

69 Vergl, Systeme social, 2. Band, 6. Kapitel.

70 L'Ethocratie, S. 146/47.

71 „Eifrige und tugendhafte Schriftsteller", „gute Bürger"; „man kann den nützlichen Ansichten, welche ihnen die Liebe zum Gemeinwohl eingegeben hat, nichts hinzufügen.“ Ebenda S. 144/45.

72 Politique naturelle, II, S. 44.

73 Politique naturelle, I, S. 144. Für die politischen Ideen Holbachs zitieren wir stets dieses Buch, wenn nichts anderes bemerkt ist.

74 L'Ethocratie, S. 119/20. „Das Volk, seiner Unterhaltung wegen zur Arbeit gezwungen, ist gewöhnlich zum Nachdenken unfähig." Système de la Nature, II, S. 248.

75 Politique naturelle, II, S. 238.

76 Ebenda S. 240.

77 Politique naturelle, I, S. 185; Systeme social, III, S. 85.

78 A. a. O., S. 380. Übrigens spricht Lange nur vom „System der Natur". Er scheint weder die „Politique naturelle", noch die „Ethocratie", noch das „Système social" oder die „Morale universelle" gekannt zu haben.

79 L'Ethocratie, S. 6.

80 Madame Zebrikowa fragte den Kaiser, was die Geschichte von ihm sagen würde, wenn er in der bisherigen Weise weiterregieren würde. „Was geht das Dich an?", schrieb der Zar an den Rand des Briefes der Frau.

81 Wörtlich: Gott aus der Maschine; dem antiken Theater entnommen, wo Gestalten von Göttern durch mechanische Vorrichtungen — Maschinen — auf die Bühne gebracht wurden, um eine scheinbar unlösbare Verwicklung zu lösen. Die Red.

82 Cours d'études pour l'instruction du prince de Parme, Geneve 1779, IV, S. 1/2.

83 Ebenda S. 2.

84 Essai sur les mœurs, 53. Kapitel.

85 Siehe die Vorrede zu seinem „Essai sur les mœurs".

86 Système social, I, S. 191.

87 Système de la Nature, I, S. 3; vergl. auch die Einleitung zum „Système social".

88 Le Christianisme devoilé, S 35.

89 Système de la Nature, II, S. 25.

90 Ebenda S. 25/26.

91 Die verruchte, ergänze: Kirche. Häufig gebrauchter Ausdruck Voltaires. Die Red.

92 Le bon sens puisé dans la nature, I, S. 89-93.

93 Häufig hat derselbe Gedanke in dem Munde zweier Menschen, die verschiedene praktische Ziele haben, zwei gänzlich verschiedene Bedeutungen. Nach Holbach ist in jedem Lande die wahre Religion die des Henkers. Im Grunde sagt auch Hobbes nichts anderes. Aber welcher Unterschied in dem Sinn, den dieser Gedanke für die Philosophie der beiden Männer hat!

94 A free discussion of the Doctrine of Materialism and philosophical Necessity, in a correspondence between Dr. Price and Dr. Priestley, London 1778, Einleitung, S. VIII-IX.

95 Système de la Nature, II, S. 219.

96 Système social, I, S. 15.

97 Système de la Nature, II, S. 298.

98 Ebenda S. 294.

99 Ebenda S. 292.

100 Ebenda S. 248 und 295.

101 Le bon sens, I, S. 57.

102 Le Christianisme devoilé, S. 176.

103 Systeme social, II, S. 5. Grimm ging in derselben Richtung noch weiter. „Der Einfluss der kühnsten Meinungen ist gleich Null", sagte er. „Es hangt von keinem Buche ab, und wäre es inspiriert, die Moral zu verderben, wie es unglücklicherweise auch von keinem Philosophen abhangt…, die Moral zu verbessern. Die Regierung und die Gesetzgebung haben allein diese Macht; und je nach ihrem Eingreifen nimmt die öffentliche Moral ihr Niveau der Weisheit oder Verderbtheit ein; die Bücher tun dazu nichts." (Correspondance littéraire, Janvier 1772.)

104 Politique naturelle, I, S. 11/12.

105 Système de la Nature, I, S. 290/91 Suard definierte die „öffentliche Meinung" in folgender Weise: „Ich verstehe unter öffentlicher Meinung das Resultat der in einer Nation verbreiteten Wahrheiten und Irrtümer; ein Resultat, welches ihre Urteile der Wertschätzung oder der Verachtung, der Liebe oder des Hasses bestimmt; welches ihre Neigungen und ihre Gewohnheiten, ihre Laster und Tugenden, kurz ihre Sitten bildet. Man muss sagen, dass diese Meinung die Welt beherrscht."

106 Politique naturelle, II, S. 11.

107 Système social, III, S. 9/10.

108 Système de la Nature, I, S. 291.

109 Le bon sens, I, S. 32.

110 Enzyklopädie, 1. Teil, herausgegeben von Leopold v. Henning, §§ 155/56 und Zusatz

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