Kapitel X

Kapitel X

Die Kommune in Marseille, Toulouse und Narbonne.

Seit den Wahlen vom 8. Februar war in Marseille wieder dasselbe dumpfe Getöse wie zur Kriegszeit ausgebrochen. Die Übermacht der Reaktionäre, die Ernennung des Herrn Thiers, der überstürzte schmachvolle Frieden, die in Aussicht stehende Monarchie, die Herausforderungen und Niederlagen, dies Alles hatte die tapfere Stadt ebenso lebhaft empfunden wie Paris selbst. Die Kunde vom 18. März fiel wie in ein Pulverfass. Gleichwohl wartete man auf Aufschlüsse, als der 22. die berüchtigte Depesche Rouher-Canrobert brachte.

Alsbald füllten sich die Klubs, welche in dem glühenden Leben von Marseille eine große Rolle spielten. Die klugen und methodischen Radikalen hielten den Klub der Nationalgarde, während sich die volksfreundlichen Strömungen in das Eldorado ergossen. Dort feierte man Gaston Crémieux, einen eleganten und weiblich feinen Redner, der jedoch, wie er zu Bordeaux bewiesen, wirklich glückliche Einfälle hatte. Gambetta verdankte ihm seine Wahl in Marseille unter dem Kaiserreich. Er eilte auf den Klub der Nationalgarde, klagte Versailles an und erklärte, man dürfe die Republik nicht fallen lassen, man müsse handeln. Der Klub war zwar höchlich entrüstet über die Depesche, wollte aber nichts übereilen. Die Proklamationen des Zentralkomitees, meinte man, sprächen ja gar keine klar bestimmte Politik aus. Da sie von Unbekannten unterzeichnet seien, könnten sie ja am Ende ein bonapartistischer Anschlag sein.

Dies jakobinische Bedenken war in Marseille, wo die Aufregung durch Herrn Thiers’ Depesche hervorgerufen worden, geradezu lächerlich. Wer roch mehr nach Bonapartismus, jene Unbekannten, die sich gegen Versailles erhoben, oder Herr Thiers, welcher Rouher und seine Minister in Schutz nahm und mit dem Anerbieten Canroberts groß tat?

Nach einer Rede Bouchets, des Substituten des Procureurs der Republik, kam Crémieux auf seinen ersten Antrieb zurück und begab sich, begleitet von Delegierten des Klubs, nach dem Eldorado. Dort verlas und kommentierte er den Officiel von Paris, den er vom Präfekten erhalten hatte, und beschwichtigte die Bewegung mit den Worten: „Die Regierung von Versailles hat ihre Krücke gegen das, was sie die Pariser Insurrektion nennt, drohend erhoben, aber sie ist ihr in den Händen zerbrochen und die Kommune ist daraus hervorgegangen. Schwören wir, dass wir zusammenstehen wollen, um die Regierung von Paris zu verteidigen, die einzige, welche wir anerkennen.“

Man trennte sich, bereit zum Widerstand, jedoch zum Zuwarten entschlossen.

So hielt sich die schäumende Bevölkerung noch zurück, als sie der Präfekt durch die dümmste aller Herausforderungen ohrfeigte. Der Admiral Cosnier — ein ausgezeichneter Seemann, jedoch eine vollkommene politische Null – der, soeben erst angekommen, in dieser Stadt auf fremdem Boden stand, wurde das Werkzeug in der Hand der Reaktion. Seit dem 4. Sept. war dieselbe schon mehrmals an jenen Nationalgardisten – den treuen Bürgern, welche im Oktober die Kommune proklamiert und die Jesuiten verjagt hatten – gescheitert. Der Pater Tissier leitete sie während seiner Abwesenheit aus der Entfernung. Diese Leute sahen die Mäßigung der Stadt für Feigheit an und glaubten sich, wie Herr Thiers am 17., stark genug, einen Gewaltstreich zu wagen.

Abends beratschlagte der Admiral mit dem Maire Bories, einem alten Überbleibsel von 1848, der sich an allen klerikal-liberalen Koalitionen beteiligt hatte, mit dem Procureur der Republik, dem furchtsamen, schwankenden Guibert, und mit dem General Espivent de la Villeboisnet, der eine jener blutigen Karikaturen war, wie sie die Bürgerkriege unter dem Äquator hervorbringen; ein stumpfer Legitimist und energieloser Frömmler, ein personifizierter Syllabus, ein General der Vorzimmer und früheres Mitglied der gemischten Kommissionen, war er während des Krieges von dem Volk, das über seine Untauglichkeit und über sein Vorleben aufgebracht war, aus Lille verjagt worden. Er überbrachte dem Rat das Losungswort der Pfaffen und der reaktionären Blutsauger und stellte den Antrag, die Nationalgarde zu einer bewaffneten Kundgebung zu Gunsten von Versailles zu berufen. Er wäre ohne Zweifel noch weiter gegangen, aber die ganze Garnison bestand aus den Überresten der Ostarmee und einigen zersprengten Artilleristen. Cosnier, gänzlich irre geführt, billigte die Kundgebung und gab dem Maire und dem Obersten der Nationalgarde den Befehl, sich zu rüsten. Am 23. März um sieben Uhr morgens wurde Generalmarsch geschlagen. Der geistreiche Gedanke des Präfekten durchflog die Stadt, und die Volksbataillone beeilten sich, ihm Folge zu leisten. Von zehn Uhr an sammelten sie sich auf dem Cours du Chapitre, und die Artillerie der Nationalgarde stellte sich auf dem Cours Saint-Louis auf. Mittags fanden sich Franctireurs, Nationalgardisten, Soldaten aller Waffengattungen bunt gemischt auf dem Cours Belzunce ein, wo sie sich in Gruppen ordneten. Bald waren alle Bataillone von Belle de Mai und Endourre vollzählig. Die Bataillone der Ordnung blieben unsichtbar.

Der erschrockene Munizipalrat missbilligte die Kundgebung und ließ eine republikanische Adresse an die Mauern anschlagen.

Der Klub der Nationalgarde schloss sich dem Rat an und verlangte außer der Rückkehr der Versammlung nach Paris den Ausschluss aller Mitschuldigen des Kaiserreichs von den öffentlichen Ämtern. Der Substitut Bouchet sandte sein Entlassungsgesuch ein.

Während dessen wichen die Bataillone nicht vom Fleck und riefen: Es lebe Paris! Volksredner stellten sich vor ihrer Front auf und redeten sie an. Der Klub, der den drohenden Ausbruch vorhersah, schickte Crémieux, Bouchet und Frayssinet zum Präfekten mit dem Ersuchen, die Reihen auflösen zu lassen und die Depeschen von Paris mitzuteilen. Die Delegierten stritten mit Cosnier, als auf dem Platz ein ungeheurer Lärm ausbrach. Die Präfektur war umringt.

Um vier Uhr hatten sich die Bataillone, die seit sechs Stunden auf den Beinen waren, in Bewegung gesetzt. Unter Trommelschlag rücken zwölf bis dreizehntausend Mann in der Cannebière ein und durch die Rue St. Ferréol marschieren sie vor die Präfektur. Die Delegierten des Klubs versuchten zu parlamentieren, als ein Schuss losging, die Menge sich in die Präfektur stürzte und den Präfekten, seine beiden Sekretäre und den General Ollivier verhaftete. Gaston Crémieux trat auf den Balkon, sprach von den Rechten von Paris, und empfahl die Aufrechterhaltung der Ordnung an. Die Menge applaudierte, drang aber immer weiter herein, suchte und rief nach Waffen. Crémieux ließ zwei Kolonnen bilden und schickte sie auf die Eisenwerke und die Schiffswerften von Menpenti, welche ihre Gewehre auslieferten.

Es gelang, in dem Aufruhr eine Kommission von sechs Mitgliedern zu bilden: Crémieux, Job, der Packträger Étienne, der Schuhmacher Maviel, der Justierer Guillard und Allerini. Dieselben beratschlagten inmitten der Menge. Crémieux stellt den Antrag, die eben festgenommenen Gefangenen in Freiheit zu setzen. Man protestiert von allen Seiten: „Sie sollen bleiben, das gibt eine Garantie.“ Der Admiral wird in ein benachbartes Gelass geführt und beaufsichtigt. Man verlangt seinen Rücktritt von ihm, – eine eigentümliche Sucht bei allen diesen Volksbewegungen. Cosnier, der gänzlich den Kopf verloren, unterschrieb, was man von ihm verlangte.A

Die Kommission ließ die Erklärung anschlagen, sie vereinige alle Gewalt in ihren Händen, und wohl fühlend, dass sie ihre Grundlage erweitern musste, forderte sie den Munizipalrat und den Klub der Nationalgarde auf, ihr je drei Delegierte zu schicken. Der Rat ernannte David Bosc, Desservy und Sidore, der Klub Bouchet, Cartoux und Fulgéras Tags darauf veröffentlichten sie eine gemäßigte Proklamation: „Marseille wollte dem Bürgerkrieg vorbeugen, zu welchem die Versailler Rundschreiben aufgereizt haben. Marseille wird die regelrecht eingesetzte Regierung, die ihren Sitz in der Hauptstadt haben wird, unterstützen. Die Departementskommission, die unter der Mitwirkung aller republikanischen Gruppen gebildet ist, wird so lange über die Republik wachen, bis eine neue Autorität, welche von einer regelrechten, in Paris tagenden Regierung ausgeht, sie ablöst.“ Die Namen des Munizipalrats und des Klubs beruhigten die mittlere Bourgeoisie. Die Reaktionäre zogen die Hörner wieder ein. Die Armee hatte während der Nacht die Stadt geräumt; der feige Espivent ließ den Präfekten in dem Sumpf stecken, in welchen er ihn geführt, und verbarg sich nach Stürmung der Präfektur bei der Maitresse eines Kommandanten der Nationalgarde Namens Spir, den er später für diesen edlen Dienst dekorieren ließ. Um Mitternacht entwich er und holte die Truppen ein, die, ohne durch das im Siege eingelullte Volk beunruhigt zu werden, das 17 Kilometer von Marseille gelegene Dorf Aubagne erreichten.

Die Stadt blieb somit gänzlich in den Händen des Volks. Dieser vollkommene Sieg verdrehte den Hitzigsten die Köpfe. Es gibt ja nur eine Meinung in dieser Sonnenstadt. Der Himmel, die Landschaft, die Charaktere, Alles hat dort grelle, kriegerische Farben. Am 24. pflanzten die Bürger die rote Fahne auf. Die Kommission, welche unter ihrer Autorität tagte, schien ihnen lau. Sidore, Desservy, Fulgéras versäumten ihre Pflichten und blieben von der Präfektur weg. Cartoux war nach Paris gegangen, um Aufschlüsse zu holen. Die ganze Last ruhte auf Bosc und Bouchet, welche sich mit Crémieux bestrebten, die Bewegung zu regeln. Sie erklärten die rote Fahne für gefährlich und das Zurückhalten der Geiseln für unnütz; dadurch erregten sie schnell Verdacht und wurden bedroht. Am 24. abends gab Bouchet, gänzlich entmutigt, seine Demission. Hierüber beschwerte sich jedoch Crémieux im Klub der Nationalgarde und Bouchet willigte ein, seinen Posten wieder einzunehmen.

Das Gerücht von diesen Schwankungen machte schnell die Runde durch die Stadt. Die Kommission musste am 25. erklären: die innigste Übereinstimmung verbinde sie mit dem Munizipalrat, aber am selben Tag erklärte sich der Rat für die einzige bestehende Gewalt und rief die Nationalgardisten auf, sich aus ihrer Apathie emporzuraffen. Er begann nun jenes jämmerliche Hin- und Herschwanken zwischen der Reaktion und dem Volk, das er so schmachvoll beenden sollte.

Während die Liberalen in die Fußstapfen Tirards und der Deputaten der äußersten Linken traten, auf die sich Dufaure in seinen Depeschen berief, äffte Espivent Zug um Zug den General Thiers nach. Er hatte Marseille seiner ganzen Verwaltungsmaschine beraubt. Die öffentlichen Kassen und Ämter waren nach Aubagne gewandert. Fünfzehnhundert Garibaldianer von der Vogesenarmee, die auf ihre Rückkehr ins Vaterland warteten, Soldaten, die ihre Depots in Afrika aufsuchten, befanden sich ohne Brot, ohne Sold, ohne Marschroute, und hätten auf dem Pflaster kampieren müssen, hätten nicht Crémieux und Bouchet durch den Rat einen provisorischen Intendanten ernennen lassen. Dank der Kommission empfingen die Tapferen, die ihr Blut für Frankreich vergossen hatten, doch wenigstens Brot und ein Obdach. Crémieux sagte ihnen in einer Adresse: „Ihr werdet euch, wenn die Zeit kommt, daran erinnern, dass wir euch die Bruderhand gereicht haben.“ Er war ein sanfter Enthusiast, der in der Revolution ein Idyll sah.

Am 26. zeigte sich deutlich die gänzliche Isolierung der Kommission. Niemand waffnete sich gegen sie, aber auch Niemand schloss sich ihr an. Beinahe sämtliche Maires des Departements weigerten sich, ihre Proklamationen anzuschlagen. In Arles war eine Kundgebung zu Gunsten des roten Banners missglückt. Die Hitzköpfe von der Präfektur taten nichts, um der Fahne, die sie entfaltet hatten, eine Erläuterung über ihre Bedeutung folgen zu lassen, und in dieser Alltags-Ruhe hing sie, angesichts des neugierigen Marseille, auf dem Glockenturm der Präfektur bewegungslos und stumm, — ein Rätsel.

Auch die Hauptstadt des Südwestens sah ihre Bewegung bald hinsterben. Toulouse hatte bei dem elektrischen Schlag des 18. März zusammengezuckt. Im Faubourg St. Cyprien wohnt eine intelligente und tapfere Arbeiterbevölkerung. Sie war das Herz der Nationalgarde und vom 19. an kam sie mit dem Ruf: Es lebe Paris! zur Ablösung der Posten. Einige Revolutionäre forderten den Präfekten Duportal auf, sich für oder gegen Paris auszusprechen. Seit einem Monat führte die „Émancipation“, die unter seiner Leitung stand, Krieg mit den Ruraux und er selbst hatte in einer öffentlichen Zusammenkunft die republikanische Tonart angeschlagen. Aber es lag nicht in seiner Natur, die Initiative zu ergreifen und er weigerte sich, mit Versailles zu brechen. Er wurde jedoch stark von den Klubs gedrängt, welche zugleich den Offizieren der Nationalgarde den Eid für die Verteidigung der Republik abnötigten und Patronen verlangten. Herr Thiers, welcher sah, dass Duportal unabweislich von der Bewegung mitgerissen würde, ernannte den früheren Polizei-Präfekten vom 4. Sept., Kératry, zum Präfekten. Dieser langte in der Nacht vom 21. auf den 22. bei dem Divisionsgeneral Nansouty an, als er aber erfuhr, dass die Garnison nur aus sechshundert Zersprengten bestand und dass die ganze Nationalgarde sich für Duportal erklären würde, ließ er den Rückzug nach Agen antreten.

Am 22. bereitete die Nationalgarde eine Kundgebung vor, um sich des Arsenals zu bemächtigen. Duportal und der Maire eilten auf das Kapitol, das Stadthaus von Toulouse, der Maire erklärte, die vorgeschlagene Revue dürfe nicht stattfinden und Duportal, er nehme eher seine Entlassung, als dass er sich ausspreche. Die Generäle, erschreckt über diesen Anprall des Faubourg, flüchteten aber doch ins Arsenal. Der Maire und die Munizipalkommission, welche einsahen, dass sie nicht länger eine neutrale Rolle spielen konnten, flüchteten sich gleichfalls, was dem auf seiner Präfektur gebliebenen Duportal ganz das Ansehen eines Revolutionärs gab und ihn nur um so mehr in der Sympathie der Nationalgarde befestigte. Er bemühte sich die Generäle zu beruhigen, begab sich in das Arsenal, beteuerte ihnen seinen festen Entschluss, im Namen der Regierung von Versailles, der einzigen, deren Legitimität er anerkenne, die Ordnung aufrecht zu erhalten und wusste sie so zu gewinnen, dass sie an Herrn Thiers das schriftliche Ersuchen stellten, ihn auf seinem Posten zu belassen. Kératry, der sich seine Erklärungen zunutze machte, ließ ihn um seinen Beistand angehen, um sich der Präfektur zu bemächtigen. Duportal lud ihn zu einer Besprechung in Gegenwart der Offiziere der Mobilen und der Nationalgarde ein, welche auf den folgenden Tag, den 24., berufen war. Kératry sah die Falle und blieb in Agen.

Es handelte sich darum, Legionen von Freiwilligen gegen Paris zu organisieren. Vier Offiziere der Mobilen auf sechzig stellten sich Versailles zur Verfügung. Die der Nationalgarde kamen nicht auf die Präfektur, denn sie bereiteten in diesem Augenblick eine Kundgebung gegen Kératry vor. Um ein Uhr hatten sich zweitausend Mann auf dem Kapitolplatz eingefunden; sie begaben sich mit der Fahne an der Spitze auf die Präfektur. Duportal empfing ihre Offiziere. Einer derselben erklärte, dass sie, weit entfernt, die Versammlung zu unterstützen, vielmehr bereit seien, gegen dieselbe zu marschieren, und dass sie, wenn Herr Thiers nicht mit Paris Frieden machen wolle, die Kommune proklamieren würden. Bei diesem Wort brach in allen Ecken des Saals der laute Ruf aus: Es lebe die Kommune! Es lebe Paris! Die Offiziere gerieten in Hitze, dekretierten Kératrys Verhaftung, proklamierten die Kommune und forderten Duportal auf, sich an ihre Spitze zu stellen. Dieser wehrte sich, erbot sich jedoch, die Häupter der Kommune bereitwillig zu unterstützen. Die Offiziere beschuldigten ihn der Schwäche und bestimmten ihn, auf den Präfekturplatz zu kommen, wo er von der Nationalgarde durch Zuruf begrüßt ward. Die Manifestanten begaben sich aufs Kapitol.

Kaum im großen Saale angelangt, befanden sich die Führer schon in gewaltiger Verlegenheit. Sie boten den Vorsitz erst dem Maire und anderen Munizipalen an, die sich aus dem Staub machten, dann Duportal, der sich durch ein Manifest aus der Sache zog. Dasselbe wurde auf dem großen Balkon verlesen. Die Kommune von Toulouse erklärt, sie wolle die eine und unteilbare Republik, beschwört die Deputierten von Paris, die Vermittler zwischen der Regierung und der großen Stadt zu werden und fordert Herrn Thiers auf, die Versammlung aufzulösen. Die Menge bejubelt diese Kommune von Rosenwasser, die an die Deputierten der Linken glaubt und an die Unterdrückung des Herrn Thiers durch die Majorität.

Abends ernannten Offiziere der Nationalgarde eine Exekutivkommission, die, mit Ausnahme von zwei oder drei Mitgliedern, aus bloßen Schwätzern bestand und bei welcher die hervorragendsten Führer der Bewegung gar nicht beteiligt waren. Sie begnügte sich damit, das Manifest zu veröffentlichen, versäumte die unerlässlichsten Vorsichtsmaßregeln, sogar die Besetzung des Bahnhofs. Gleichwohl wagten sich die Generäle im Arsenal nicht zu regen.

Am 26. gesellte sich der erste Präsident und der Procureur der Republik zu ihnen und sie schleuderten vom Arsenal eine Adresse hinaus, worin sie die Bevölkerung aufforderten, sich um sie zu scharen. Die Nationalgarde wollte mit Erstürmung des Arsenals antworten, und schon strömte das Faubourg auf dem Kapitolplatz zusammen. Aber die Exekutivkommission zog es vor zu unterhandeln, kündigte dem Arsenal an, sie werde sich auflösen, wenn die Regierung einen republikanischen Präfekten an Stelle Kératrys ernenne und ließ Duportal, der übrigens nichts getan hatte, um sich zu behaupten, vollständig fallen. Die Besprechungen dauerten den ganzen Abend. Die Nationalgardisten zogen sich ermüdet, durch ihre Führer hintergangen, im Glauben, dass Alles beendigt sei, in ihre Wohnungen zurück. Kératry, von dieser Schwäche genau unterrichtet, kommt Tags darauf mit drei Kavallerieschwadronen auf dem Bahnhof an, verfügt sich auf das Arsenal, bricht die Unterhandlungen ab und gibt Marschbefehl. Um ein Uhr rückt die Versailler Armee, aus zweihundert Reitern und sechshundert einzelnen Soldaten bestehend, zum Kampf aus. Eine Kolonne besetzt die Brücke St. Cyprien, die andere begibt sich nach der Präfektur, die dritte mit Nansouty Kératry und den Magistratsmitgliedern marschiert auf das Kapitol.

Ungefähr dreihundert Mann hielten hier die Höfe, die Fenster, die Terrasse besetzt. Die Versailler entfalteten ihre Truppen und pflanzten sechs Geschütze auf eine Entfernung von sechzig Metern vor dem Gebäude auf. Die Insurgenten hatten somit Liniensoldaten und Kanoniere vor ihren Gewehrspitzen. Der erste Präsident und der Generalprocureur näherten sich, um zu parlamentieren, sie erlangten nichts. Kératry ließ Aufforderungen an die Aufständischen ergehen, welche jedoch durch Geschrei übertäubt wurden. Eine einzige Salve in die Luft hätte Soldaten und Kanoniere, die man überdies auf beiden Flanken überfallen konnte, davongewirbelt. Aber die Führer hatten das Kapitol verlassen. Einige wenige unerschrockene Männer hätten vielleicht den Kampf begonnen, aber die republikanische Assoziation kam dazwischen, überredete die Gardisten, sich zurückzuziehen und rettete Kératry. Die Einnahme der Präfektur war ebenso ungefährlich. Kératry hielt noch am selben Abend seinen Einzug in das Gebäude. Die Mitglieder der Exekutivkommission veröffentlichten den folgenden Tag ein äußerst seichtes Manifest, das ihnen Straflosigkeit erwirkte und Einer von ihnen ließ sich von Kératry zum Maire ernennen.

So wurde die edle Arbeiterbevölkerung von Toulouse, die sich bei dem Ruf: Es lebe Paris! erhoben, von denen verlassen, welche sie aufgewiegelt hatten. Eine für Paris unheilbringende Schlappe, denn Toulouse hätte den ganzen Südwesten nachgezogen.

Der Mann des Gedankens und der Tat, welcher allen diesen Bewegungen fehlte, fand sich bei der Insurrektion in Narbonne. Diese alte Stadt, gallisch in der Aufwallung, in der Ausdauer romanisch, ist der wahre Brennpunkt der Demokratie im Departement Aude. Nirgends hatte man während des Krieges kräftiger gegen die Gambettistischen Schwachheiten protestiert als dort. Daher besaß auch die Nationalgarde von Narbonne noch keine Gewehre, als die von Carcassonne schon lange bewaffnet war. Auf die Kunde vom 18. März zögerte Narbonne keinen Augenblick, sondern schlug sich sogleich zu Paris. Um die Kommune zu proklamieren, dachte man zuerst an Digeon, einen Proskribierten des Kaiserreichs, einen Mann von festen Überzeugungen und zuverlässigem Charakter. Digeon, ebenso bescheiden wie entschlossen, bot die Leitung der Bewegung seinem Exilgenossen Marcou an, dem anerkannten Führer der Demokratie in der Aude, einem der heftigsten Gegner Gambettas während des Kriegs. Marcou, ein verschmitzter Advokat, fürchtete sich zu kompromittieren und scheute die Energie Digeons am Plauptort, weshalb er ihn nach Narbonne abschob.B Digeon kam am 23. dort an und dachte zuerst, den Munizipalrat zur Kommune zu bekehren. Als aber der Maire Raynal sich weigerte, den Rat zu versammeln, wurde das Volk ungeduldig, stürmte am Abend des 24. das Stadthaus, bewaffnete sich mit den Gewehren, welche die Munizipalität zurückgehalten, und setzte Digeon und seine Freunde ein. Dieser erschien auf dem Balkon, proklamierte die Kommune von Narbonne im Anschluss an die von Paris und ergriff unverweilt Verteidigungsmaßregeln.

Des anderen Tags versuchte Raynal, die Garnison zu sammeln und Kompanien erschienen vor dem Stadthaus. Aber das Volk, besonders die Frauen, die ihrer Schwestern in Paris würdig waren, entwaffneten die Soldaten. Ein Kapitän und ein Leutnant wurden als Geiseln zurückbehalten, der Rest der Garnison verschanzte sich in der Kaserne St. Bernard. Da Raynal fortfuhr den Widerstand zu schüren, verhaftete ihn das Volk am 26. Digeon stellte die drei Geiseln an die Spitze einer Abteilung Föderierter, bemächtigte sich der Präfektur und stellte am Bahnhof und am Telegrafen Wachen auf. Um sich zu bewaffnen, sprengte er das Arsenal. Wiewohl ihr Leutnant Feuer kommandierte, lieferten die Soldaten ihre Gewehre aus. Am selben Tage kamen die Delegierten der benachbarten Kommunen, und Digeon bemühte sich, die Bewegung zu verallgemeinern.

Er sah sehr gut ein, dass die Aufstände in der Provinz schnell zusammenbrechen mussten, wenn sie nicht kräftig zusammengehalten wurden; er wollte daher den Erhebungen von Toulouse und Marseille die Hand reichen. Béziers, Perpignan, Cette hatten ihm bereits ihre Unterstützung zugesagt. Er bereitete sich eben vor nach Béziers abzugehen, als zwei Kompanien Turcos anlangten, welchen bald noch andere Truppen aus Montpellier, Toulouse und Perpignan folgten. Von jetzt an musste sich Digeon auf die Defensive beschränken. Er ließ Barrikaden errichten, verstärkte die Posten und gab den Förderierten Befehl, jeden Augenblick den Angriff zu erwarten und nur auf die Offiziere zu zielen. -

Wir kehren später auf diesen Schauplatz zurück, für jetzt ruft uns Paris. Die übrigen Provinz-Bewegungen waren nur Zuckungen. Am 28., im Augenblick, wo Paris sich seinem Jubel hingab, standen in dem ganzen übrigen Frankreich nur noch zwei Kommunen, Marseille und Narbonne.

A Dieser Rücktritt wurde von dem Verteidiger eines Angeklagten vor dem Kriegsgericht enthüllt; Cosnier, aus Furcht, man möchte darin einen Beweis von Feigheit finden, schoss sich eine Kugel durch den Kopf.

B „Als der 18. März in Paris ausbrach, kam man zu mir mit der Frage, ob man nicht in Carcassonne die Kommune proklamieren solle. Ich brauchte nur ein Wort zu sagen, denn ich war Maire der Stadt, wie ich es noch bin. Dank meiner Vorkehrung verließen einige mächtige Elemente der Unordnung die Stadt und proklamierten die Kommune in Narbonne.“ Herrn Marcous Rede in der Versammlung als Antwort an Herrn v. Gavardie. Sitzung v. 27. Januar 1874.

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